Die εὐσέβεια des Théophraste
p. 105-122
Texte intégral
1Als Epikur starb, war seine Schule fertig; Jahrhunderte hindurch blieb sie eine bedeutende und bedrohliche Macht, aber es ist nie etwas aus ihr geworden. Als Platon starb, war sein einziger grosser Schüler zu gross, um sein Leben lang Schüler zu bleiben, und so begann nach dem Hinscheiden des Meisters der Niedergang der Akademie. Anders war es beim Tod des Aristoteles. Sein Nachfolger Theophrast war ein hingebungsvoller Schüler, der es sich nicht verdriessen liess, mitunter in seinen Schriften dem aristotelischen Text paraphrasierend zu folgen1. Und dennoch brachte er genug Eigenes mit, um mit den von seinem Meister überkommenen Denkmitteln neue Gebiete zu erschliessen. Wo Cicero später peripatetisches Gut wiedergibt, beruft er sich gern auf «Aristoteles und Theophrast»2. Wenn wir bei Aristoteles die einzigartige gegenseitige Durchdringung von Induktion und Deduktion bewundern, die Fähigkeit zur metaphysischen Integration Hand in Hand mit dem Blick für die empirische Einzelheit, in der sich die übergreifende Weltkonstruktion spiegelt, so darf dennoch gesagt werden, dass in der liebevollen Versenkung ins Detail nichts bei Aristoteles einen solchen Feinsinn der Beobachtung aufweist wie das Büchlein Χαρακτρες des Theophrast3. O. Regenbogen hat in seinem Theophrast-Artikel in: RE4 aufgezeit, dass Theophrasts grössere Unbefangenheit gegenüber der Fülle der Wirklichkeit ermöglicht wurde durch eine gewisse Lockerung des streng gliedernden metaphysischen Gesamtgefüges, das indessen im Hintergrund erhalten bleibt und die Einzelforschung diszipliniert5.
2Was er über die innere Selbständigkeit des getreuen Schülers beigebracht hat, empfängt indessen eine besondere Beleuchtung durch eine Betrachtung derjenigen Schrift Theophrasts, deren Kenntnis wir Jakob Bernays verdanken. Es war eine der philologischen Grosstaten von Bernays, class es ihm gelang, aufgrund der ausgiebigen, aber mangelhaft bezeichneten Benutzung durch Porphyrios im zweiten Buch seines Περὶ ἀποχς ἐμψύχων einen grossen Teil der Schrift Περὶ εὐσεβείας des Theophrast wiederherzustellen und ihre Hauptgedanken deutlich zu machen6. Erst 1964 hat dann Walter Pötscher das Bernays'sche Material um einige weitere Fragmente vermehrt und versucht, den «Gedankenablauf» des Buches möglichst genau nachzuzeichnen7. Was jedoch aus dem Studium dieses Textes für das Verständnis der geistigen Persönlichkeit Theophrasts und insbesondere also seines Schülerverhaltnisses zu Aristoteles und seiner Eigenständigkeit ihm gegenüber abfällt, ist noch nicht genügend bedacht worden. Indem wir dem Sinn der εὐσέβεια bei Theophrast nachgehen, hoffen wir so, dem Andenken Jakob Bernays', der uns dieses Feld erschlossen hat, den schuldigen Tribut zu erstatten.
3Die Schrift Περὶ εὐσεβείας – um damit zu beginnen – hätte Aristoteles niemals schreiben können8. In seinen echten Schriften kommt die Wortfamilie εὐσέβεια nur einmal, und zwar als Titel einer von ihm zitierten Komödie9 vor. Ed. Zeller meint zwar, der von Theophrast in seiner Schrift eingenommene Standpunkt gehe mit Aristoteles durchaus konform10, und soweit die Philosophie aus wohlformulierten Lehrmeinungen besteht, mag er damit sogar recht haben. In der Tat ist es dem Aristoteles selbstverständlich, dass jeder Burger sich strafbar macht, wenn er nicht, wie er mitunter in charakteristischer Kombination sagt, «die Götter und die Eltern» ehrt11. Aber der Kult, in dem diese Ehrung sich ausdrückt, oder gar die Gesinnung, aus der heraus er begangen wird, hat ihn nicht beschäftigt.
4Das bedarf einer Erklärung. A. Dihle12 ist der Tatsache nachgegangen, dass derselbe Platon, der die εὐσέβεια aus seinem Tugendkanon ausgeschaltet hat13 in der Epinomis, die, wenn nicht von ihm selbst, so doch wohl im Sinne seiner Altersphilosophie geschrieben ist, plötzlich mit Emphase erklärt, es konne keine grössere Tugend geben als die εὐσέβεια14 Das wird dadurch verständlich, dass εὐσέβεια, wie sie hier gemeint ist, «nichts sei als die rechte Einsicht in das Wesen Gottes und des Kosmos»15. Damit wird die εὐσέβεια in eine Sphäre gerückt, die dann spater bei Aristoteles gegenüber dem Raum der Ethik ihren eigenen, «dianoetischen» Platz angewiesen bekommt. Obwohl nun aber Aristoteles in der denkenden Anschauung Gottes auf dianoetischer Ebene die eigentliche Lebenserfüllung findet, kommt er niemals auf den spatplatonischen Ansatz zurück, der hier das eigentliche Feld der εὐσέβεια gefunden haben will. Da seine philosophische Gotteserfassung keinen – zumindesten bewussten – Zusammenhang mit der religiösen Tradition mehr hat, hat auch der für die Verehrung der olympischen Götter gültige Begriff, nämlich der der εὐσέβεια, keinen Platz mehr, wo der höchste Gedanke der Philosophie, das sich selbst denkende Denken, erklommen wird.
5Es sei nun sogleich klargestellt, dass auch bei Theophrast der spätplatonische Ansatz aus dem Spiele bleibt. Ob Theophrast seinem Meister bis zum letzten Gipfel der denkerischen Seelenerhebung folgen kann, ist bei der Begrenztheit unseres Materials nicht ganz sicher auszumachen. Aber wir können für unser Problem diese Frage ruhig in der Schwebe lassen, denn – wie sich deutlich zeigen wird – die εὐσέβεια, von der unsere Schrift handelt, bezieht sich nicht auf den metaphysischen Gottesbegriff des Aristoteles. Dagegen kann der unbefangene Leser von Theophrast sich nicht der Erkenntnis verschliessen, dass für Theophrast die Götter des Volksglaubens reale Grössen sind, mit denen er ernsthaft rechnet. Dieser Eindruck mag ein wenig verdunkelt werden durch den Zustand unserer Überlieferung. Wir sollten nicht hinweglesen über die Bemerkung des Porphyrios, dass er den Gedankengang des Theophrastos wiedergibt χωρὶς τν ἐμβεβλημένων μύθων16 also: unter Überschlagung der eingestreuten Mythen. Mythen waren also – offenbar in grösserer Zahl, sonst hätte Porphyrios es kaum für nötig gefunden, seinen Eingriff in den vorliegenden Text zu erwahnen – über das ganze Buch hinweg wiedererzählt, und wenn wir den Eindruck der in Frg. 1817 enthaltenen mythenartigen Erzählung, die Porphyrios stehengelassen hat, verallgemeinern dürfen, mit entschiedenem erzählerischem Talent vorgebracht. Das gibt dem Buch einen Anstrich, der von aller aristotelischen Schriftstellerei, soweit sie uns bekannt ist, weit verschieden ist.
6Nun ist mit alledem keine dogmatische Abweichung von Aristoteles impliziert. Aristoteles hätte die Existenz der Götter niemals in Abrede gestellt; er hätte die Götter der Volksreligion nur links liegenlassen. Gelegentlich lasst er sich auch zu einer unverbindlichen Anerkennung herbei. Wenn er etwa in der Nikomachischen Ethik18 für den εὐδαιμονέστατος das Attribut θεοϕιλέστατος rechtfertigen muss, so rasonniert er, dass, wenn es von seiten der Götter eine Bekümmerung um menschliche Angelegenheiten gebe, es einleuchte, dass die Götter Freude haben würden an dem vollkommenen Menschen; und zu diesem Konditionalsatz fügt er die Bemerkung hinzu: ὡς δοκε («wie es zu sein scheint»). Wir werden den verfremdenden Ton nicht überhören, mit dem die hier sachlich notwendige Anerkennung ausgesprochen wird. In der Tat ist dem Aristoteles ein anderer Ton auch nicht möglich, denn systematisch denkbar ist eine Beküimmerung der Götter um menschliche Angelegenheiten für den unbewegten Beweger der aristotelischen Metaphysik in keiner Weise.
7Eine solche metaphysische Denkbarkeit werden wir nun auch für Theophrast nicht behaupten. Aber auf eine philosophisch unkontrollierte Weise ist für ihn die Existenz der Götter eine selbstverständliche Gegebenheit. Wenn er Mythen erzahlt, bedarf er keiner allegorischen Umdeutung, um sie akzeptabel zu machen. Er wäre wohl kaum imstande, den mythischen Aggregatzustand der Religion theoretisch zu rechtfertigen, aber er steht auch noch nicht unter der – wenig spater für die stoischen Philosophen gebieterischen – Nötigung, eine solche Rechtfertigung zu leisten.
8Nachdem wir dies erkannt haben, ist es aber umso dringlicher, ihn von den naiven Gläubigen vom Schlage eines Euthyphron abzusetzen. Theophrast lässt sich von den Göttern erzählen; aber er lasst sich durchaus nicht alles über sie erzählen. Er hat ein positives Verhältnis zur kultischen Verehrung der Götter; aber nicht jede Form solcher Verehrung hält vor seinem kritischen Blick stand.
9Unter den in seinem Büchlein Χαρακτρες geschilderten, negativen, meist mehr oder weniger lächerlichen Charaktertypen hat der Typ der δεισιδαιμονία bereits eingehende wissenschaftliche Bearbeitung gefunden19 Das wichtigste Ergebnis der Untersuchung ist, dass das Wort δεισιδαιμονία, bis auf Theophrast hin ein Synonym für eine respektable gottesfürchtige Frömmigkeit – ein Sprachgebrauch, der auch später noch möglich bleibt – bei ihm erstmalig so verwendet wird, dass er es mit δειλία πρὸς τὸ δαιμόνιον20 («Feigheit gegenüber dem Göttlichen») definieren kann. Im einzelnen hat sich herausgestellt, dass es sich bei allen Zügen, mit denen das Gehaben des δεισιδαίμων hier der Lächerlichkeit preisgegeben wird, um Einhaltung von Riten handelt, die in niederen Volksschichten, und in früheren Zeiten wohl auch darüber hinaus, durchaus in Ansehen standen. Der δεισιδαίμων, wie ihn Theophrast darstellt, ist eher lächerlich als hassenswert. Er verehrt keine anderen als die in der Polis anerkannten Gottheiten. Ja, auch die Riten, mit denen er ihnen dient, wirken nur durch ihre Übertreibung absurd. Damit hat Theophrast, wohl zum erstenmal in der Religionsbetrachtung der Menschheit, eine neue Kategorie von unabsehbarer Fernwirkung eingeführt. Es ist nicht die prometheische Auflehnung gegen die Verehrung der Götter überhaupt, wie sie, versteckt oder offen, mitunter in der sophistischen Religionskritik laut wird, sondern die Ablehnung bestimmter Verhaltensweisen gegenüber der Gottheit, wie sie erst aufgrund der Anerkennung eines rechtmässigen Verhaltens zu ihr einen Sinn bekommt. Wer die δεισιδαιμονία an den Pranger stellt, kennt also eine legitime εὐσέβεια, zu der er sich bekennt. Insofern ergänzt die Schrift Περὶ εὐσεβείας, was die in den Χαρακτρες enthaltene Skizze der Gestalt der δεισιδαιμονία offengelassen hat.
10Von da aus lässt sich eine gewisse Verlegenheit verstehen, die dem Philosophiehistoriker die Einreihung der Schrift Περὶ εὐσεβείας in die peripatetische Schriftstellerei bereitet.
11Die Starke der Nikomachischen Ethik des Aristoteles liegt in ihrer wissenschaftlichen Fähigkeit zur distanzierenden Beschreibung, die sie zu einem feinsinnig gearbeiteten Spiegel der Normalethik des geistig gebildeten Griechen der ausgehenden klassischen Zeit gemacht hat. In der treffsicheren Beschreibung liegt auch der Reiz der Χαρακτρες des Theophrast. Anders steht es mit der Schrift Περὶ εὐσεβείας. Im Gegensatz zu den genannten Werken ist diese im Grunde ein engagiertes Buch. Zwar enhält sie, bester Schultradition entsprechend, eine Fülle mitunter erlesenen historischen kultur- und religionskundlichen Materials, aber ihr eigentlicher Sinn besteht nicht darin, zu berichten, wie εὐσέβεια hier und dort ausgeübt wird oder wurde, sondern wie sie ausgeübt werden soll. Die ganze Konstruktion von den frommen Sitten einer weisen Urzeit und deren Korrumpierung durch Luxus und Oberflächlichkeit späterer Zeiten steht im Dienste eines Postulats, das in einem schwungvollen Schlusswort21 beschwörend und verheissend dem Leser ans Herz gelegt wird. Die Kenntnis dieses Tones ist vielleicht das Schwerwiegendste, worum uns die Entdeckung von Jakob Bernays bereichert hat.
12Dieser Charakter unterscheidet unsere Schrift eindeutig von der in der Schule üblichen Art, ethische Fragen zu behandeln. Wenn wir zum Vergleich etwa das fünfte Buch der Nikomachischen Ethik heranziehen, so ist dieses eine gross angelegte Behandlung der Frage τί ἔστιν ἡ δικαιοσύνη; In Beantwortung dieser Frage gelangt Aristoteles zu der grundlegenden Unterscheidung zwischen ausgleichender und verteilender Gerechtigkeit. Moralische Ratschläge dagegen, wie der Mensch zu einer gerechten Lebensführung gelangen könne, liegen völlig ausserhalb des Horizonts des Buches. Das Faszinierende an dem Buch ist der schier unerschöpfliche Reichtum an Perspektiven, den die Problematik der δικαιοσύνη dem Philosophem eröffnet.
13Wer in Erwartung einer Schrift dieser Art an Theophrasts Περὶ εὐσεβείας herangeht, wird hier zu viel und zu wenig finden. Auf der einen Seite tritt, wie gesagt, der Autor aus seiner Reserve heraus und nimmt den Leser nicht nur als Denker, sondern auch als handelnden Menschen in Anspruch. Auf der andern Seite aber macht er sich einer geradezu ungeheuerlichen Verengung seines Themas schuldig, indem er nur von einer einzigen Äusserung der εὐσέβεια, nämlich vom Opfern spricht, und hier alles auf den einen Punkt zuspitzt, dass blutige Opfer ein Greuel sind, von dem die Menschen unbedingt abkommen müssen. So wenigstens, wenn wir nicht annehmen wollen, dass die Auswahl der Zitate aus der Schrift, die Porphyrios überliefert, uns ein völlig verzerrtes und unperspektivisches Bild von der Physiognomie des Theophrast'schen Buches gibt. Wir werden aber sehen, dass wir zu einem solchen Verdacht keinen Anlass haben.
14Wenn das Buch keine systematische Antwort auf die Frage versucht τί ἔστιν ἡ εὐσέβεια, so ist die Frage berechtigt, was denn den Autor veranlasst haben mag, seine Schrift nicht etwa Περὶ θυσιν, sondern Περὶ εὐσεβείας zu nennen. Die Antwort scheint darin zu liegen, dass Theophrast, wenn er seinen Abscheu vor dem Tieropfer philosophisch begründen will, nicht umhin kann, sich in das Grundsätzliche der Frage nach der rechten Verehrung der Götter zu versenken. Den auf diesem Wege ins Rollen geratenen Fragen geht er nun in den uns erhaltenen Texten so eingehend nach, dass es wohl ausgeschlossen ist, in dem von Pötscher in seiner Arbeit rekonstruierten Gedankenablauf den Gehalt eines Einzelkapitels aus einem viel umfassenderen Gesamtwerk zu sehen.
15Wie kommt nun Theophrast philosophisch dem Begriff der εὐσέβεια bei? Wie gesagt, der im Peripatos akzeptierte philosophische Gottesbegriff bleibt hier völlig aus dem Spiel: nach dem späten Platon wird die denkende Beziehung der Philosophen zum Gott nicht mehr als εὐσέβεια bezeichnet oder mit ihr in Verbindung gesehen. Wie kann aber die kultische Beziehung zu unphilosophischen, vom Philosophen höchstens stehengelassenen Göttern unter philosophische Kategorien gebracht werden? Hier greift der Philosoph auf ein Denkmodell zurück, das uns bereits aus dem platonischen Euthyphron bekannt ist. Wenn dieser Dialog auch in seinem Ausgang aporetisch ist, enthalt er doch einen Ansatz, der beiden Gesprächspartnern gleicherweise als annehmbar gilt: die εὐσέβεια ist ein Teil der δικαιοσύνη22, und zwar offenbar derjenige Teil, der es mit dem gerechten Verhalten gegenüber den Göttern zu tun hat. Obwohl dieser Ansatz im Euthyphron nicht zum Erfolg führt. bleibt er doch als positiver Besitz der philosophischen Tradition erhalten und wird von Platon an immer wieder als Definition der εὐσέβεια angeführt23.
16Damit ist der Schlüsselbegriff für Theophrasts kritische Einstufung der εὐσέβεια festgelegt. Der Begriff der δικαιοσύνη ist für ihn der philosophische Locus für jederlei Aspekt der Götterehrung, der auf die Wertung als εὐσέβεια soll Anspruch machen können. Philosophisch fassbar und bewertbar wird die Frömmigkeit für ihn da und nur da, wo ihre Handlungen sich den Massstäben der δικαιοσύνη unterwerfen lassen. Damit ist methodisch gewährleistet, was wir aus allgemeinen Erwägungen bereits postuliert hatten, dass für den Peripatetiker die εὐσέβεια nicht in den dianoetischen, sondern in den ethischen Raum einzuordnen ist. Wollen wir in religionsphänomenologischen Kategorien sprechen, so versteht es sich, dass hier jeder numinose Aspekt des Religiösen a limine ausgeklammert ist. Was Theophrast jedoch bei dieser Einordnung gewinnt, ist dies, dass seine Ethik ihm strikt rationale Grundsätze für eine Lehre von der εὐσέβεια liefert.
17Wenn die Frömmigkeit eine Gerechtigkeit gegenüber den Göttern sein soll, so haben wir uns also zunächst Theophrasts Begriff der Gerechtigkeit klarzumachen24. Gerechtigkeit sind wir nach ihm all den Wesen schuldig, die zu uns οἰκεοι («zugehörig») sind. Als solche kommen zunächst unsere Stammesgenossen in Betracht; aber von diesen ausgehend erweitert sich der Umfang in konzentrischen Kreisen, deren erster alle Menschen25. deren zweiter aber auch «die übrigen Lebewesen», also die Tiere umfasst26. Der dreigestuften Struktur der aristotelischen Seelenlehre gemäss wird mitunter sogar die Pflicht der Gerechtigkeit gegen die Pflanzen erwogen27. Darüber hinaus gibt es Andeutungen, die auch die Götter in diesen Oberbegriff der Zugehörigen einbeziehen28. Der Sinn der Konzentrizität der Kreise wird deutlich, wenn auch das Tier in den Begriff des συγγενές (des «Verwandten») einbezogen wird29.
18Wem gegenüber ich zur Gerechtigkeit verpflichtet bin, dem darf ich keinen Schaden zufügen. Indem ich aber ein Tier schlachte, raube ich ihm seine Seele30. Also ist das Schlachten von Tieren ungerecht. In diesem Sinne behandelt denn auch eine von Theophrast mit klarer Zustimmung wiedergegebene ätiologische Erzählung den ersten Töter eines Stieres als Mörder31. Es ist richtig, dass aufgrund dieser Voraussetzung auch das Fleischessen prinzipiell verboten sein muss32. Und wo bei Theophrast von solchem berichtet wird, wird es mit Hungersnöten entschuldigt. Aber nicht das ist der Gegenstand der vorliegenden Schrift. Was uns hier angeht, ist nur dies: wenn alles εὐσεβές auch δίκαιον sein muss, das Schlachten eines Tieres aber Unrecht ist, dann kann mit einem geschlachteten Tier keine Handlung der εὐσέβεια, also kein Opfer vollzogen werden.
19Der springende Punkt wird ganz deutlich, wo Theophrast dem verbotenen Tieropfer gegenüber die Darbringung von Früchten rechtfertigt. Im Gegensatz zum Tier, dem die Seele geraubt wird, wird dem Baum die Frucht nicht geraubt. Denn die Tatsache, dass die reife Frucht vom Baum fällt, wird in einen Willensakt der Pflanze umgedeutet, die dieses ihr Produkt offenbar freiwillig hergibt33. Analog verdienen wir uns durch unsere in der Bienenzucht aufgewandte Mühe unser Recht auf den von der Biene produzierten Honig34. Nur solche Gegenstände also sind zum Opfer tauglich, die auf rechtmässige Weise in unseren Besitz gekommen sind.
20Von seiner Grundvoraussetzung aus gelingt es Theophrast auch, das Argument zu entkräften, Tiere müssten geopfert werden, weil aus ihren Eingeweiden heraus die Götter den Menschen die Zukunft kundtun35. Die Kenntnis der Zukunft meint Theophrast, ist ein rein menschliches Interesse. Menschen, die Tiere schlachten, um aus ihren Eingeweiden ihre eigene Zukunft zu erfahren, begehen also, um ihres eigenen Vorteils willen, ein Unrecht an den Tieren. Und, wie gesagt, ein solches Unrecht disqualifiziert das Tier als Opfer. Und der Umstand, dass die Menschen bei dieser Handlung ihren kleinen Vorteil finden, macht das Unrecht eher schwerer als leichter. Theophrast stellt hier nicht die Frage, wieso die Götter bereit sind, auf dieses Unrecht gleichsam noch einen Preis zu setzen. Eine solche Frage hätte ihn vielleicht in Verlegenheit gebracht.
21Das Verbot, Tiere zu töten, hat indessen eine Begrenzung36. Schliesslich erkennt Theophrast ja auch die Möglichkeit an, dass ein Mensch hingerichtet werden muss; nämlich, wenn er ein böser Mensch ist. Analog gibt es auch böse Tiere, also Raubtiere, und diese dürfen natürlich getötet werden. Von seiten unserer sittlichen Verpflichtung gegen das Tier stände hier also nichts im Wege, ein solches Tier zu opfern. Dergleichen geschieht aber nirgendwo in der Welt, und das mit Recht. Warum mit Recht? Flier kommen wir zur Kehrseite des Opferproblems.
22Wo die Pflicht des Menschen gegen das Tier ausgeschaltet ist, verbleibt uns der direkt religiöse Aspekt des Opferns. Die Reduktion der εὐσέβεια auf die δικαιοσύνη kann nicht die Ausklammerung der Gottheit als des Empfängers der Opfer aus der Opfertheorie bedeuten, wie sich hier unausweichlich herausstellt. Hinter einer jeden Opferpraxis steht notwendigerweise eine Gottesvorstellung. Und so erklärt Theophrast eine verwerfliche Opferpraxis διὰ τὸ ϕαύλους καὶ μηθὲν ἡμν βελτίους ἡγεσθαι τὴν ϕύσιν εναι τοὺς θεούς («weil sie meinen, die Götter seien schlecht und in ihrer Natur um nichts besser als wir»)37. Solche Leute nennt Theophrast, laut unserem Porphyriostext, unmittelbar vorher κακόϕρονες μλλον ἢ κακόθεοι λεχθέντες ἂν ἐν δίκῃ38 («Übelgesinnte, die man zurecht lieber so als Übelbegötterte nennen sollte»). Hier hat Bernays39 μλλον δέ für μλλον ἢ geschrieben, was bedeuten wurde: «Übelgesinnte, die man mit Recht lieber Übelbegötterte nennen sollte». Pötscher glaubt, ohne diese Emendation von Bernays auskommen zu kannen. Das scheint mir schon aus sprachlichen Gründen verfehlt, denn κακόθεοι scheint ein ἅπαξ λεγόμενον zu sein, das Theophrast eigens für diesen Zusammenhang erfunden hat und mit dem er das gelaufige κακόϕρονες übertrumpfen will. Denn seine Paraphrase für seine kühne Wortbildung erklärt diese ja damit, dass jene Menschen meinen, ihre Götter seien nicht besser als wir selbst. In Wahrheit aber – so sollen wir doch wohl die theophrastische Linie ausziehen – sind die Götter gerechter als wir, und da die hier in Frage stehende, von den falsch Opfernden offenbar misskannte Tugend der Götter ihr Sinn für Gerechtigkeit sein muss, so bedeutet das: die Götter sind die vollkommene Verkörperung der δικαιοσύνη. Damit bekommen die bisher rein anthropologisch anmutenden Erörterungen ihre theologische Dimension. Die Gottheit wird als die vorbildliche moralische Persönlichkeit gedacht. Darum ist eine Handlung der Götterverehrung nur dann der Götter würdig, wenn sie moralisch einwandfrei ist; oder aueh: es ist unzweckmässig, den Kultus mit unrechtmässig erworbenen Opfern auszuführen, weil solches Tun die moralisch so hochstehenden Götter nur erzürnen kann.
23Es ist für die eigenartige Ökonomie unserer Schrift bezeichnend, dass die Lehre von den drei legitimen Motiven des Opferdienstes in ihr nur als Beweismittel für die Unzulassigkeit der Tieropfer eingebaut ist. Opter, heisst es da40, können um dreier Dinge willen dargebracht werden, der Ehrung (διὰ τιμήν), des Dankes (διὰ χάριν) oder unseres Bedürfnisses nach Gütern (διὰ χρείαν τν ἀγαθν) wegen. In allen drei Fällen, wird nun im einzelnen ausgeführt, ist ein Tieropfer nicht angängig – wobei dessen ἀδικία immer bereits vorausgesetzt wird. In der Behandlung des ersten Falles kommt die hier angewandte Theologie zu besonders deutlichem Ausdruck. Theophrast fragt ρ’ον τιμς ἡγήσαιτ’ἄν τις τυγχάνειν ἡμν ἢ θεός; also: «Würde einer von uns oder ein Gott glauben, eine Ehre erwiesen zu bekommen», wenn wir schon durch die Art der Weihegabe als Unrecht Tuende dastehen würden? Er weiss, wie die Götter auf eine solche Flandlungsweise reagieren würden, denn er weiss, was für einen Eindruck diese auf «einen von uns» machen würde. Die Existenz der die Opter empfangenden Götter, die, wie wir sahen, dem Theophrast unmittelbar gegeben ist, obwohl sie in seinem aristotelischen Weltbild keinen Platz finden kann, ist für ihn dennoch mit klaren Begriffen zu fassen, weil er sie nämlich von seiner peripatetischen Anthropologie her als deren vollendete Ausführung konstruiert. Und so ist es z. B. auch ein recht innermenschlicher Kalkül, wenn das Tieropfer als Bittopfer um gute Gaben41 damit entwertet wird, dass, wer darauf aus ist, durch eine unrechte Handlung Wohltaten zu erlangen, sich damit dem Verdacht aussetzt, dass er, wenn er die Wohltaten einmal erhalten hat, sich als undankbar erweisen wird.
24Wenn die drei genannten Motive die einzigen sind. aus denen heraus ein Opferdienst sinnvoll ist, dann erledigt sich auch von selbst unsere obige Frage: böse Tiere können den Göttern nicht geopfert werden, weil sie etwas Schlechtes sind. Mit einem solchen Opfer würden wir die Götter nicht ehren, sondern im Gegenteil beleidigen42.
25Diese Götter sind also ganz und gar mit den Begriffen der Ethik zu fassen, und damit gewinnt der aus der ältesten religiösen Tradition wohlvertraute Begriff des θεοϕιλές seinen wohldefinierbaren rationalen Inhalt. Die moralische Integrität der Götter macht sie gegen jeden Bestechungsversuch dutch möglichst kostspielige Opfer immun, und es ist eine Verkennung des wahren Charakters der Götter, wenn man glaubt, durch möglichst aufwendige Tieropfer auf sie den besten Eindruck machen zu können43. Damit kommt Theophrast zu der geschliffenen Antithese, die Opfer hätten nicht πολυτελες, sondern θεοϕιλες zu sein44. Da die Kostspieligkeit im allgemeinen45 nur bei Tieropfern erreicht wird, können kostspielige Opfer ipso facto eigentlich nicht θεοϕιλες sein.
26Das ist gemeint, wenn gegenüber der Aufwendigkeit des Opfers der Nachdruck auf die gottgefällige Absicht des Opfernden gelegt wird. Da die Götter moralisch sind, legen sie an die empfangenen Opfer moralische Massstäbe an, und mit diesen messen sie auch den Opfernden selbst. Das drückt Theophrast mit der zweiten seiner rhetorischen Antithesen aus, dass die Götter mehr τὸ τν θυόντωνθος als τὸ τν θυομένων πλθος («mehr den Charakter der Opfernden als die Menge der Opfer») bewerten46.
27Es durfte aber ein Missverständnis sein, wenn man Theophrasts Argument als eine Entgegensetzung von «Gesinnung» und «Handlung» versteht. Wenn er mit grosser Befriedigung die Geschichte von dem Hermionier47 berichtet, der dem Apollon nur drei Finger Schrot zu opfern hätte und dem die Pythia eröffnete, dass sein Opfer dem Gotte wohlgefalliger sei als die üppigen Opfer eines anderen, dann lautet seine Moral: τὸ εὐδάπανον ϕίλον θεος («das Wohlfeile ist den Göttern lieb»)48. Die Opferhandlung als solche wird keineswegs bagatellisiert; ihre Bewertung wird nur abhängig gemacht von der durch sie ausgedrückten Gesinnung. Damit steht in Einklang die an anderer Stelle49 gegebene Mahnung, opferfreudig solle man sein, nicht indem man vieles opfert, sondern indem man häufig das Göttliche verehrt.
28Das verhalt sich anders an einer Stelle50, wo zu unserer Überraschung festgestellt wird, dass die Götter auf den Charakter der Herantretenden schauten (wie wir sehen werden, ist gemeint: nur auf den Charakter), und dass sie als das grösste Opter die rechte Anschauung von ihnen und von den Dingen annehmen (μεγίστην θυσίαν λαμβάνοντες τὴν ὀρθὴν περὶ αὐτν καὶ τν πραγμάτων διάληψιν). Die beste Darbringung, heisst es dann weiter, ist ein reiner Geist und eine von Affekten freie Seele. Der Text lenkt dann allerdings ein und fügt hinzu: «Sich gehörend οἰκεον ist es aber auch, von den andern Dingen eine mässige Abgabe zu geben»51. Hier wird das materielle Opfer also eindeutig abgewertet, zwar immerhin zugelassen, aber als etwas Uneigentliches an die zweite Stelle geschoben.
29Das deckt sich durchaus nicht mit dem, was wir vorher als Theophrasts Meinung kennengelernt haben. Er hätte die Bewertung des Opfers von dem hinter ihm stehenden θος abhangig gemacht, aber er hätte dasθος nicht gegen das Opfer selbst ausgespielt. Da es sich um feine Nuancen handelt, fiber die leicht hinweggelesen werden kann, möchte ich die Differenz möglichst scharf formulieren: aus einem ἦθος des Opferns wird hier über das θος als das wahre Opfer schliesslich das θος anstatt des Opfers, obwohl ein nebenherlaufendes materielles Opfer ohne eigentliche Begründung gleichfalls zugelassen wird. Es handelt sich also um einen Prozess der Verschärfung, der in seinem Gefolge die ursprüngliche opferfreundliche Position gefährden muss.
30Dass zu Beginn des hellenistischen Zeitalters eine solche theoretische Verschärfung stattgefunden hat, steht fest. Sie lässt sich am klarsten aus kynischen Quellen52 belegen. Wir haben es aber hier mit einer Schrift des Theophrast zu tun, und ich glaube, dass wir diese nach der bisherigen Rekonstruktion ihres Inhaltes gut genug kennen, um sagen zu dürfen, dass die zuletzt angeführte Stelle ihrem Gedankengang nicht entspricht. Die Stelle steht in Pötschers Frg. 8, mit dem er die von Bernays veranstaltete Fragmentensammlung erweitert hat. Wir möchten diese Einbeziehung also beanstanden.
31Mein Misstrauen gegen die theophrastische Provenienz dieses bei Porphyrios stehenden Abschnittes beruht nicht allein auf der soeben aufgezeigten Tendenzverschiebung. Mehr noch als über diese stolpere ich über ein Attribut, das hier dem gottgefälligen Geist beigelegt wird. Derselbe wird bezeichnet als ψυχὴ ἀπαθής53 («eine von Affekten freie Seele»), Die ἀπάθεια aber ist zweifellos eine stoische, doch beileibe keine peripatetische Tugend54. Es scheint mir völlig ausgeschlossen, dass Theophrast der in wahren Sinne opfernden Seele gerade dieses Attribut sollte zugelegt haben.
32Wir werden nun freilich dem Porphyrios nicht leicht zumuten, dass er eigens für die hier in Rede stehenden Sätze eine, von ihm nicht mit Autorsnamen bezeichnete, kynisch-stoische Schrift autgeschlagen und aus ihr eine, dem Theophrast fast zum Verwechseln ähnliche, Stelle entnommen und kunstvoll in einen theophrastischen Zusammenhang hineingearbeitet hätte. Es kommt hinzu, dass die Stelle eine Fülle von theophrastischen Stichworten enthält, von denen ich nur θος, πολυτέλεια, ἀδικεν und οἰκεον zu nennen brauche; dazu enthält die Stelle eine lexikalische Beobachtung, die entschieden der Art des Theophrast entspricht.
33Wenn also ein theophrastisches signum in unserem Passus nicht zu verkennen ist, andererseits aber Gedanken in ihm auftreten, die wir dem Theophrast nicht zusprechen können, so bleibt wohl nur die Möglichkeit, dass hier in der Tat ein theophrastischer Text zugrundeliegt, Porphyrios aber denselben nicht unverandert übemommen hat. Mir gelingt es nicht, durch Ausscheidung von porphyrischen Zusatzen einen rein theophrastischen Restbestand herauszupräparieren. Es mag sein, dass das einer geübteren Hand gelingen wird. Aber wie Bernays in seinem Buch anhand der Josephusbenutzung des Porphyrios aufgezeigt hat, beschrankt sich die Bearbeitung der Exzerpte durch Porphyrios nicht immer auf die Hinzufügung von Zusätzen, die der Philologe säuberlich wieder auszuscheiden hoffen kann. Selten, aber doch mitunter, hat er auch in den Text seines Exzerpts selbst eingegriffen55. Sei dem wie ihm sei, mir scheint, dass die beiden für Theophrast befremdlichen Motive, von denen wir sprachen, durchaus auf Rechnung des Porphyrios gehen können. Für ihn mochte eine moralische Rechtfertigung des Opferns leicht in eine Ersetzung des Opfers durch die Moral übergehen, und die stoische Hochschätzung der ἀπάθεια hätte in seinem Neuplatonismus Platz. Was sonst noch an seinem Eigengut in den theophrastischen Rahmen eingeflossen sein mag, lassen wir hier ausser Betracht.
34Die Beurteilung von Pötschers problematischem Frg. 8 spielt auch hinein in die letzte Frage, die wir bezüglich der Schrift Περὶ εὐσεβείας noch zu erörtern haben. In einer Quelle, die wohl in die Zeit des Kaisers Augustus zurückgeht, ist uns eine peripatetische Definition erhalten, die die εὐσέβεια als den rechten Mittelweg (μεσότης) zwischen ἀθεότης und δεισιδαιμονία bestimmt56, und es ist schon lange gefragt worden, auf welchen Peripatetiker die Definition zurückgeht. Natürlich haben sich die Blicke auf Theophrast gerichtet. Für ihn spricht, dass er unseres Wissens der erste war, der in seinen Χαρακτρες dem Begriff der δεισιδαιμονία die negative Bedeutung einer übertriebenen Frömmigkeit gegeben hat – eine Kategorie, die bis dahin im griechischen Denken nicht nur keinen Namen hatte, sondern wohl auch noch nicht als solche erfasst war57. Vor allem aber ist er der erste Peripatetiker, der die εὐσέβεια in seiner ihr eigens gewidmeten Schrift zum Gegenstand philosophischen Nachdcnkens gemacht hat. Nimmt man noch hinzu, dass die Lehre von der Tugend als einer μεσότης gerade in Theophrast einen eifrigen Verfechter hatte58, so liegt scheinbar nichts näher als die Annahme, dass unsere Schrift diese Definition in ihrem ersten Kapitel, womöglich gar als eröffnenden Anfangssatz enthalten habe – ein erstes Kapitel der Schrift ist ja nicht erhalten. Nun glaubt Pötscher, durch die Aufnahme seines Frg. 8 für diese lang gehegte Vermutung einen «bündigen Beweis»59 gefunden zu haben. Auf die Basis seiner Argumentation werden wir bald zurückkommen; das spezielle Interesse an seinem Text liegt aber darin, dass hier zum erstenmal in einem Fragment das Wort δεισιδαιμονία erscheint. Die Entartung des alten, reinen Opferwesens, die im Zeichen des falschen Ideals der πολυτέλεια stand – heisst es nämlich dort –, hat einen ganzen Schwarm von Übeln im Gefolge gehabt, als deren erstes die δεισιδαιμονία genannt wird. Und wo im nächsten Satz von einer exzessiven Massenschlachtung die Rede ist, wird als Grund derselben angegeben ἅπαξ τς πολυτελείας ἐτὶ τὴν δεισιδαιμονίαν προαγαγούσης «nachdem einmal der grosse Aufwand zur ängstlichen Frömmigkeit weitergeführt hatte»60.
35Nun gibt es beachtliche Anhaltspunkte für einen Zusammenhang der besagten Definition mit Theophrast, aber gerade das Vorkommen der δεισιδαιμονία hier scheint mir ein schwaches Argument zu sein. Die δεισιδαιμονία wird hier als Folgeerscheinung der protzigen Massenopfer für die Götter dargestellt. Wenn wir aber aufmerksam alle Einzelzüge durchgehen, mit denen Theophrast in seinen Χαρακτρες die Figur des δεισιδαίμων besehreibt, so linden wir nicht einen einzigen unter ihnen, der etwas mit luxuriösen Lebensformen zu tun hatte. Zu dem dort geschilderten Typus kann die Verschwendungssucht beim Opfern nicht das Mindeste beitragen. Wenn Theophrast, wie es den Anschein hat, der Schöpfer des Begriffes der δεισιδαιμονία ist, so hat er mit diesem Begriff etwas anderes im Sinn gehabt als der Autor, der das Wort in Frg. 8 gebraucht hat. Dieser kann also nicht Theophrast selbst sein.
36Wie gesagt, einen Zusammenhang zwischen der Definition und der Schrift Theophrasts gibt es zweifellos. Den sichersten Anhaltspunkt dafür sehe ich in Frg. 3. Hier wird berichtet, dass die Menschen nach der idealen Urzeit, in der sie εὐσεβες waren, sich in zwei verwerfliche Gruppen gespalten haben: die einen (οἳ μὲν) wurden ἄθεοι, die anderen (οἳ δὲ) κακόϕρονες oder richtiger (wie gesagt, wir ziehen hier Bernays'Emendation vor) κακόθεοι. Folglich haben die einen gar nicht geopfert, die anderen gar Menschenopfer dargebracht und in einer wüsten Orgie das Menschenfleisch auch noch verzehrt. Mit beiden Völkern, von denen hier erzählt wird, hat es ein böses Ende genommen: die einen sind vom Erdboden verschwunden, und die andern haben sich im Wahnsinn gegenseitig getötet. Auf dieses böse Ende bezieht Bernays die das Fragment einleitenden Worte, dass die Gottheit, τούτων ἑκατέρων νεμεσσαν («über diese beide zürnend»), die gerechte Strafe verhängt habe. Pötscher dagegen liest ἑκατέρων als Neutrum, bezieht es auf zwei verschiedene schlimme Handlungen und versteht: «Über diese beiden Verbrechen zürnt die Gottheit und verhängt eine entsprechende Strafe als Konsequenz: Die Menschen werden a) ἄθεοι oder b) κακόϕρονες (κακόθεοι)»61). Im Text steht aber nichts davon, dass die Polarisierung der Menschheit zu den beiden Extremen selbst als Strafe über sie gekommen ware. Nach dem Satz über die göttliche Strafe geht der Text vielmehr weiter: «Entsprechend dem, was (καθ’ὃ) die einen… und die andern… wurden, brachten die einen gar keine Opfer…». Vielmehr ist die in zwei Richtungen gegabelte Schlechtigkeit das Fehlverhalten der Menschen, für das sie die Strafe der Götter verdienen. Hier haben wir bei dem Peripatetiker Theophrast einen klaren Ansatz zur Fassung der rechten εὐσέβεια als einer μεσότης zwischen zwei Extremen.
37Wenn ich dennoch Theophrast nicht für den Urheber der Definition halte, so bestimmen mich dabei zwei Erwägungen:
Es klingt gewiss bestechend, sich vorzustellen, dass ein perpatetisches Buch über die εὐσέβεια, und zumal ein von Theophrast verfasstes, etwa mit einem Satz beginnen konnte: Ἒστιν ἡ εὐσέβεια, ὡς ὅρῳ λαβεν, ἕξις θεν θεραπευτική, μεταξὺ οσα ἀθεότητος καὶ δεισιδαιμονίας62. Das würde genau etlichen Definitionen entsprechen, mit denen derselbe Theophrast zahlreiche Kapitel seiner Χαρακτρες beginnt63. Aber hier muss daran erinnert werden, dass unser Buch, seinem Titel zum Trotz, kein umfassendes theoretisches Buch ist, dessen Ziel eine erkennende Wesenserfassung der εὐσέβεια ist, sondern dass alles, was an Wesenszügen der εὐσέβεια bei ihm abfällt, im Dienste einer praktischen Ausführung der εὐσέβεια, und zwar in einer ganz bestimmten, eng umrissenen Frage steht. Der Gedankenablauf des Buches, so wie er von Pötscher überzeugend rekonstruiert worden ist, lauft nicht von einer Wesensbestimmung zu den Verästelungen im einzelnen, sondern arbeitet sich von einer spezifischen Fragestellung aus auch ins Wesensmässige hinein, das aber auch nicht als Ziel am Ende des Buches seinen rechten Platz hat. wäre die Definition da, so würden wir damit rechnen, dass im Buch mit ihr gearbeitet würde. Wenn aber in unserem Buch das Wort δεισιδαιμονία nur an einer einzigen, wie wir sahen, sehr anfechtbaren Stelle nachzuwiesen ist, so dürfte das Buch wohl kaum eine Definition enthalten, die es zu einem Schlüsselwort machen würde.
Schwerer wiegt ein anderes Moment. In Frg. 3 fanden wir eine Stelle, wo in der Tat das Verfehlen der rechten εὐσέβεια nach zwei entgegengesetzten Richtungen gegabelt wird, wie es peripatetischem Denken entspricht. Die Verfehlenden nach der Minus-Seite werden wirklich, wie wir es erwarten, als ἄθεοι bezeichnet. Wie aber heissen die Vertreter des entgegengesetzten Extrems? Vom Standpunkt der späteren peripatetischen Terminologie wird hier das Wort δεισιδαίμονες gebieterisch gefordert. Theophrast sucht stattdessen nach einem passenden Wort. Nach der Emendation von Bernays greift er zunächst zu dem, hier allzu vagen, Wort κακόϕρονὲς da ihm dieses zu unpräzis ist, wagt er – wohl in einem Augenblickseinfall – das Wort κακόθεοι zu bilden. Eins ist klar: er hat kein Wort von terminologischer Autorität zur Verfügung. Das von ihm selbst geschaffene Wort δεισιδαιμονία kommt ihm nicht in den Sinn. Also kann er noch keine Definition besessen haben, die dieses Wort terminologisch verankert hätte.
38Auf die Frage, warum er sein eigenes Wort hier nicht eingesetzt hat, kann ich natürlich nur mit einer Vermutung antworten. Was er als das der ἀθεότης entgegengesetzte Extrem in der Haltung zu den Göttern sah, war etwas ganz anderes, als was er mit seiner δεισιδαιμονία gemeint hatte. Die δεισιδαιμονία hätte er als δειλία πρὸς τὸ δαιμόνιον, als eine feige Ängstlichkeit, eine kriechende Haltung gegenüber dem Göttlichen definiert. Die Leute dagegen, die aufwendige Opfer darbringen, sind prahlerisch und protzig, und glauben, mit den Göttern fertig werden zu können, gerade weil sie ihre Unbestechlichkeit nicht ernst nehmen. Sie sind den Göttern gegenüber ebenso unbedenklich in ihren Mitteln wie den Menschen gegenüber. Dafür sucht er nach einem anderen Wort, und hat kein befriedigendes gefunden.
39Aber wie es häufig mit sprachlichen Neuprägungen geht, hat auch das Wort des Theophrast bald seine ihm ursprünglich zugedachte Präzision verloren. und dann wird ein späterer Peripatetiker – vielleicht unter dem Eindruck unseres Frg. 3 – die ursprünglich theophrastische Intention aufgegriffen und unter Verwendung des nunmehr abgegriffenen Wortes δεισιδαιμονία sie in die Form einer schulgerechten Definition gegossen haben. die dann weit über den Peripatos hinaus auf Jahrhunderte allen Diskussionen über die εὐσέβεια zugrundegelegen hat.
40Und so können wir uns, trotz etlicher Meinungs-verschiedenheiten im einzelnen, einverstanden erklaren, wenn Pötscher seine Auffassung zum Thema in dem Satz zusammenfasst: «Aus dem Dargelegten folgt also die inhaltliche Abhängigkeit der… peripatetischen Definition der εὐσέβεια von der theophrastischen Schrift Περὶ εὐσεβείας». Obwohl, so müssen wir allerdings hinzufügen, die Aufstellung der Definition selbst nicht dem Theophrast und gewiss nicht seiner Schrift Περὶ εὐσεβείας zugeschrieben werden kann.
Notes de bas de page
1 Stobaeus, II, 7, 20, S. 140 Wachsmuth.
2 Z. B., De finibus, V, 4, 10.
3 Characteres, ed. H. Diels, Oxford 1909.
4 O. Regenbogen, «Theophrastos», RE, Suppl. VII, Stuttgart 1940, Sp. 1354-1562.
5 Op. cit., Sp. 1496.
6 J. Bernays, Theophrasts Schrift über die Frömmigkeit, Berlin 1866 (Nachdruck Hildesheim-New York 1979).
7 W. Pötscher, Theophrastos, Περὶ εὐσεβείας, Leiden 1964.
8 Wenigstens nicht der «zu seiner Form gelangte» reife Aristoteles, der als Lehrer des Theophrastos allein in Frage kommt. Aber auch von dem Jugendlichen Verfasser von Περὶ εὐχς ist, nach meinem Eindruck, nichts erhalten, was das Urteil von Werner Jaeger (Aristoteles, Dublin-Zurich 19552, S. 162), ausreichend unterbauen würde: «Aristoteles ging in seinem Werk den psychologischen Quellen des Gottesglaubens nach, nicht aus kühler wissenschaftlicher Neugier, sondern um andere nacherleben zu lassen, was er selbst erlebt hatte».
9 Aristoteles, Rhet., III, 12, 1413b27.
10 Ed. Zeller, Die Philosophie der Griechen, II, 2, S. 867.
11 Top., I, 11, 105a6.
12 A. Dihle, Der Kanon der zwei Tugenden, Köln-Opladen 1968.
13 Op. cit., S. 15, s. auch S. 47 ff.
14 Epinomis, 989b ff.
15 A. Dihle, op. cit., S. 19.
16 Porphyrios, De abstinentia, II, 32, S. 162, 17f. Nauck; zur Interpretation dieser Worte s. Bernays, op. cit., S. 164 f.
17 Die Ziffern der Fragmente sind durchweg nach der Zählung von W. Pötscher angegeben.
18 Eth. Nic., X, 9, 1179a24 ff. Auseinandergehende Meinungen über die Echtheit der Stelle hat Fr. Dirlmeier, Philologus, 90, 1935, S. 58 notiert. Nach meiner Meinung braucht man die Echtheit nicht zu bestreiten, denn selbst wenn sie echt ist, gibt sie nur einen unverbindlichen, argumenti causa provisorisch eingenommenen Standpunkt wieder. Vgl. Hermann Neumark (= Yehoshua Amir), Die Verwendung griechischer und jüdischer Motive in den Gedanken Philons über die Stellung Gottes zu seinen Freunden, Diss. Würzburg 1937, S. 7, Anm. 30.
19 H. Bolkestein, Theophrastos’ Charakter der Deisidaimonia als religionsgeschichtliche Urkunde (Religionsgesch. Vers. u. Vorarb., 21, 2), Giessen 1929; P. J. Koets, Δεισιδαιμονία, Diss. Utrecht 1929.
20 Characteres, 16, 1.
21 Frg. 19, von Pötscher überzeugend als Epilog an den Schluss gesetzt.
22 Euthyphron, 11e.
23 Ps. Plato, Definitiones, 412e; Ps.-Aristoteles, De virtute, 1250b22; Diogenes Laertios, 111, 83; Apuleius, De Platone, II, 7.
24 Fr. Dirlmeier, Die Oikeiosis-Lehre Theophrasts, Philologus, Suppl.-B. 30, 1, Leipzig 1937.
25 Frg. 12, Z. 24.
26 Frg. 12, Z. 21.
27 Frg. 7, Z. 21; anders ist der Standpunkt in Frg. 20, worin Pötscher einen Grund sieht, dieses Fragment einer anderen Schrift des Theophrast zuzuweisen, s. S. 97.
28 Frg. 13, Z. 15.
29 Ibid. ; Frg. 12, Z. 20.
30 Frg. 7, Z. 13.
31 Frg. 18.
32 Pötscher, op. cit., S. 83.
33 Frg. 7, Z. 21 ff.
34 Frg. 7, Z. 26 ff.
35 Frg. 11.
36 Frg. 12, Z. 24 ff.
37 Frg. 3, Z. 4 ff.
38 Ibid., 3.
39 Bernays, op. cit., S. 56.
40 Frg. 12, Z. 42 ff.
41 Ibid., 59 ff.
42 Ibid., 34 ff.
43 Frg. 3, Z. 4; Frg. 8, soweit es von Theophrast ist (s. u.).
44 Frg. 9, Z. 2.
45 Doch können auch pflanzliche Opfer kostspielig und unter gewissen Umständen den Göttern unerwünscht sein (Frg. 7, Z. 50 ff.), oder sie können auch durch ungerechte Aneignung als Opfer disqualifiziert werden (Frg. 7, Z. 17 ff.).
46 Frg. 7, Z. 53.
47 Frg.7, Z. 48 ff.
48 Ibid., 33.
49 Frg. 10, Z. 3.
50 Frg. 8.
51 Ibid., Z. 21.
52 Vgl. den Kyniker Krates (in: Poetarum philosophorum fragmenta, ed. H. Diels, Berlin 1901; Krates 50, 10).
53 Frg. 8, Z. 21.
54 Pötscher hat den von mir als kynisch-stoisch in Anspruch genommenen Terminus durchaus nicht übersehen; im Gegenteil, S. 42 führt er ihn innerhalb einer stattlichen Reihe von Stichworten auf, die nach seiner Meinung gerade den theophrastischen Ursprung des Absatzes erhärten sollen. Wahrend nun der theophrastische Gesamtanstrich des Absatzes, wie wir weiterhin sehen werden, zurecht konstatiert wird, kann ich für das Attribut ἀπαθής einen peripatetischen Gebrauch nicht zugeben.
Im gleichen Abschnitt war unmittelbar vorher gesagt, die Götter schauten auf das θος des Menschen; wenn also die wahre Darbringung nicht materieller Natur sein soll, dann muss als Alternative etwas Gottgefälliges genannt sein, das der Mensch in seinem Innern vollbracht hat. Diesen durch den Zusammenhang erforderten Sinn gewinnen wir ohne weiteres, wenn wir den Worten ψυχὴ ἀπαθής ihnen in der Stoa geläufigen Sinn geben. Dann bezeichnen sie eine Seele, die alle Anstürme der ihre Reinheit, d. h. ihre Vernünftigkeit gefahrdenden πάθη («Leidenschaften») siegreich abgewehrt hat und nun zu der unermüdlich gepriesenen ἀπάθεια, also der Freiheit von den Leidenschaften, gekommen ist. Das Niederzwingen der πάθη ist das Hauptthema der gesamten stoischen Ethik, und wenn das θος an die Stelle der materiellen Darbringung treten soll, kann es kaum einen kongruenteren Ausdruck für den Erfolg der ethischen Lebenshandlung geben als die stoisch verstandene ψυχὴ ἀπαθής
Es ist nun richtig, dass das Attribut ἀπαθής auch im Peripatos eine hochgeachtete Stellung hat, insbesondere der νος ἀπαθής, von dem, wie W. Pötscher aufführt, im Gefolge des Aristoteles auch Theophrast gern spricht. Aber es hatte W. Pötscher schon stutzig machen müssen dass die zentrale Stelle bei Aristoteles, auf die er sich beruft, nicht in einer der Ethiken, sondern in De anima (403al4) steht, wo von keinem Sollen, sondern vom Sein der Seele geredet wird. Der Erkenntnisprozess kommt durch ein Zusammenspiel zwischen νος παθητικός und νος ποιητικός zustande. Beide erfüllen ihre notwendige Funktion; es ist also nicht etwa so, dass der νος παθητικoς zum νος ποιητικός würde. Beide verharren in ihrer Stellung, wobei allerdings der zweite den höheren. ja göttlicheren Rang einnimmt, weil er eben frei von Passivitat, also ἀπαθής ist. Hier bezeichnet das Attribut also keinerlei Handlung oder deren Erfolg, an dem sich ein θος spiegeln konnte. Im Gegensatz zur Stoa, in der nur der Weise, vermöge seines Lebenssieges über die πάθη, der ἀπάθεια teilhaftig wird, gehôren bei Aristoteles beide Arten des νος also auch der aktive, der ex definitione ἀπαθής ist, zur Ausstattung der menschlichen Seele als solcher. Ihr Besitz kann also kein Zeichen für einen besonderen ethischen Rang eines individuellen Trägers bedeuten.
Aus all diesen Gründen scheint mir eine theophrastische, also peripatetische Interpretation des Attributs in unserem Zusammenhang verfehlt. Dann ist aber, zumindest für das in Rede stehende Wort, für Theophrast als Autor kein Raum.
55 Vgl. auch Regenbogen (S. Anm. 4), Sp. 1511: «Man muss auch mit Zusätzen und Verschiebungen rechnen, soweit sie in seiner (des Porphyrios) Tendenz lagen».
56 Stobaeus, II, 7, 25, S. 147 Wachsmuth, wohl aus Areios Didymos.
57 Bibliographie, Anm. 19. Eine gelegentliche Beobachtung von einem Zuviel und einem Zuwenig in der Frömmigkeit legt schon Xenophon dem Sokrates in den Mund, Memorabilia, I, 1.14.
58 Stobaeus, II, 7, 20, S. 140 Wachsmuth.
59 Pötscher, op. cit., S. 127.
60 Frg. 8, Z. 12.
61 Pötscher, op. cit., S. 101.
62 So lautet die Stobaeus, II, 7, 25, S. 147 W. gebrachte peripatetische Definition, nach dem in der nächsten Anmerkung aus Theophrast selbst gebrachten Muster ergänzt.
63 S. z. B. Characteres, 9, 1.
Auteur
Professor emeritus of Ancient Jewish philosophy, Tel-Aviv University
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