Karl Immermann und der tierische Magnetismus: «Fetische, Amulette und Poltergeister»1
p. 183-204
Texte intégral
1Als 1969 die bahnbrechende Monographie von Benno von Wiese über Karl Leberecht Immermann (1796-1840) veröffentlicht wurde, wurde der Autor noch als ein Stiefkind der Germanistik angesehen, mit dem die Forschung sich nur am Rande beschäftigt hatte2. Seitdem hat sich eine ausgiebige Sekundärliteratur mit dem Werk Immermanns auseinandergesetzt, so daß inzwischen der Biedermeier-Autor zur etablierten Figur geworden ist3. Man entsinnt sich vor allem des Autors der beiden großen Zeitromane Die Epigonen (1830-1836) und Münchhausen (1837-1839), und dessen zutreffender zeitdiagnostischer Analyse dieser Transitionsepoche vor und nach der französischen Julirevolution. Aus bloßer literarischer Sicht werden andrerseits zu Recht seine innovativen Qualitäten hervorgehoben, was die Erzählperspektive betrifft. In der Zeit des literarischen Umbruchs zwischen Romantik und Realismus wußte Immermann zweifellos neue, moderne Wege des Erzählens zu beschreiten.
2Zwei Aspekte von Immermanns Werk sollten, meiner Anschauung nach, unsere Thematik mit besonderer Relevanz erleuchten:
Seine grundlegende Skepsis dem Zeitalter gegenüber, die ihren besten Ausdruck im Begriff des Epigonentums findet. Immermann ist sich der Gefahren bewußt, denen der moderne Mensch durch die rapide Entwicklung der Technik und der Industrialisierung ausgesetzt ist. Benno von Wiese faßt zusammen: «Eine solche Übergangsepoche erlebt alle Gefahren der Bodenlosigkeit. [...] Wo gibt es noch echte, wahre, sich selbst treue Existenz? Wo gibt es noch ein menschliches Dasein ohne Verlarvung? Läßt sich die Verwesung der Menschheit, ihre Auflösung in Atome und Massen, überhaupt noch aufhalten?»4 Die Generation der Epigonen, die «den von einer früheren Zeit hinterlassenen Kelch» auskosten muß, sei also Opfer des Zeitalters. Die Zukunft gehöre der Mechanisierung und den Massen; in der Vergangenheit seien jetzt nur Schein und Ruinen adeliger Repräsentation zu finden. «Auch die freie individuelle Bildung, an die das klassischeromantische Zeitalter noch glaubte, genügt nicht mehr; sie isoliert den Einzelmenschen, während das Ganze unbekümmert um ihn, sich weiter ins Destruktive hineinbewegt»5.
Des Autors ambivalentes Verhältnis gegenüber der Romantik. Zwar setzt Immermann sich deutlich gegen das Erbe der Romantik ab und so muß seine unmißverständliche Mesmerismus-Kritik auch in der Perspektive einer grundlegenden anti-romantischen Tendenz verstanden werden, wie Jürgen Barkhoff in seiner Studie geltend macht6. In manchen Hinsichten bleibt aber Immermann, laut Wiese, der Romantik verpflichtet: in der religiösen Mystik, die zwischen Protestantismus und Katholizismus steht; in dem konservativen Festhalten am Volksgedanken und an der patriotischen Gesinnung; in den ironischen Zügen seines Stils, die «in der eigentlichen Mischung von Verstand und Phantasie, von Helligkeit der Vernunft und romantischem Stimmungsgehalt» entstehen7.
3Diesem widersprüchlichen Verhältnis gilt unsere besondere Aufmerksamkeit. Es wird im folgenden mit besonderer Berücksichtigung des Mesmerismus und anderer mehr oder weniger «irrationaler» geisteswissenschaftlicher Strömungen der Zeit weiter kommentiert werden. Eine eindeutige, radikale Kritik Immermanns gegenüber dem Mesmerismus fällt auf den ersten Blick auf. Dennoch sollten wir vor allem in unserer Analyse dieses von der Immermann-Forschung verbreitete Motto «Zwischen Faszination und Skepsis» nie aus den Augen verlieren.
Karl Immertnann und der tierische Magnetismus
4Mit Adelbert von Chamisso und Ludwig Tieck nimmt Immermann also am Prozess der literarischen Reaktion in Spätromantik und frühem Biedermeier gegen den Mesmerismus teil, «im Namen von Normalität und Normwissenschaft»8. Immermanns negative Einschätzung des tierischen Magnetismus wird mit scharfer Ironie in der Erzählung Der Karnaval und die Somnambüle (1830) und im 4. Buch des Münchhausen-Romans Poltergeister in und um Weinsberg (1838-1839) illustriert. Zu Immermanns Revision des Phänomens gehört zweifellos die Absicht, «die Illusionen des Zeitgeistes zu zerstören, die Karnevalsnarrheiten der Zeit und des Lebens an der Realität zu ernüchtern und zur Vernunft zu bringen»9. In dieser Perspektive sei der Mesmerismus eine von der Romantik verbreitete Modetorheit, die der «gesunde Menschenverstand» und eine fest verankerte aufklärerische Position zu entlarven wissen. Als besonders problematisch erweist sich für Immermann die kritiklose Neigung zur Irrationalität mancher seiner Zeitgenossen, auf die der tierische Magnetismus seine Anziehungskraft ausübt. «Deshalb gilt es, ihn mit literarischen Mitteln zu demystifizieren und den leichtgläubigen Zeitgenossen ein Spiegelbild ihrer Verführbarkeit entgegenzuhalten»10. Den Biedermeier-Autor scheint auch die Tatsache zu stören, daß die irrationale Kraft des Magnetiseurs eigentlich die bürgerliche Lebensordnung gefährdet. So vertritt Immermann auch – besonders in Der Karnaval und die Somnambüle – diese Tendenz des positivistischen 19. Jahrhunderts, die darin besteht, den Mesmerismus ins kriminelle Abseits zu schieben11.
5Das ganze 4. Buch des Münchhausen ist einer groben Satire auf den Spiritismus von Justinus Kerner und Karl August Eschenmayer gewidmet12. Für diese Satire hat sich Immermann gut dokumentiert und bezieht sich auf folgende Schriften, die er gelesen hat: Kerners Seherin von Prevorst (1829), Geschichten Besessener neuerer Zeit. Beobachtungen aus dem Gebiete kakodämonisch-dämonischer Erscheinungen (1834) und Eine Erscheinung aus dem Nachtgebiete der Natur (1836); Eschenmayers Konflikt zwischen Himmel und Hölle, an dem Dämon eines besessenen Mädchens beobachtet (1837), Mysterien des inneren Lebens, erläutert aus der Geschichte der Seherin von Prevorst (1830) und Charakteristik des Unglaubens, Halbglaubens und Vollglaubens (1838). Immermann meinte es also besonders ernst mit dieser Satire der bekannten Ereignisse, die im Haus Kerners – einem gesellschaftlichen Mittelpunkt der schwäbischen Romantik – stattfanden, wo ständig Geisteskranke, «Besessene» und «Somnambule»le» beherbergt wurden, unter ihnen Friederike Hauffe, «die Seherin von Prevorst», die in Kerners Behandlung starb13.
6Ausgiebig parodiert wird das sogenannte «Mittelreich», das auf Kerners Theorie eines Geisterreiches, mit dem der Somnambule in Kontakt treten könne, beruht14. Münchhausen hat die berühmte Seherin von Prevorst gelesen. Weil er selber «halber Doktor» ist, und an allerlei «geheimen, heiligen und mystischen Behandlungen» interessiert ist, möchte er «es womöglich bis zur Produktion einer in die unsere hereinragenden höheren Welt bringen»: «die recht großen Sachen, die eigentlich zusammenhängenden Darstellungen aus dem Mittelreich habe ich noch nicht zustande bringen können, und deshalb wollte ich denn jetzt vor die rechte Schmiede gehen, nämlich nach Weinsberg, um die Sache aus dem Grunde zu erlernen»15. Dort ließen sich in der Tat «die recht großen Sachen» lernen, bei den Doktoren Kernbeißer (= Kerner) und Eschenmichel (= Eschenmayer).
7Münchhausen begibt sich nach Weinsberg und wird von Kernbeißer empfangen, der sich auf seinen Besuch und seine Zusammenarbeit freut: «Für zwei Mann wird der Sache zuviel, wir brauchen junge Kräfte, um die Geisterwelt gehörig bestreiten zu können. [...] Ich helf’ herzlich gern meinen Nebenmenschen in der unsichtbaren Welt, aber es kann einem auch zuviel werden. Der eine will erlöst sein, der andere hat ’n Schatz vergraben, der ein Geheimbuch über die Seite gebracht, dazwischen fallen die Sonnenkreise ab, wie reife Maulbeeren, dem soll man was vorbeten, dem auf’m Klavier was Vorspielen, wir wissen beide nicht, ich und mein Freund Eschenmichel, wo uns der Kopf steht».
8So heißt Kernbeißer Münchhausen willkommen, während Eschenmichel, eine Somnambule bestreichend, ihn «vor Eifer gar nicht begrüßt»16.
9Man wird es verstanden haben, der Ton ist der der groben Parodie; der «Polterkram» hat sich in Weinsberg etabliert, was auch die Nachbarn in beträchtlichem Maße mit Bezug auf die soziale Lebensordnung ängstigt: «Man ist gar nicht mehr sicher, daß man nicht auch einen Geist in der Familie besitzt, der bei Gelegenheit Sachen ausschwätzt, die nicht vors Publikum gehören. Ist man einmal begraben, so muß die Sach’ für hienieden vorbei sein, wenn aber danach alte Geschichten herfürgeplappert werden, so gibt’s nichts als Prozess’ und Unruh’ und Verfeindungen»17.
10Die Satire bezieht sich auf zahlreiche Figuren und Episoden, die in den Werken Kerners und Eschenmayers behandelt werden. Auch auf die Geschichte von Friederike Hauffe, die bei Kerner mehrere Jahre in praktisch permanentem Somnambulismus lebte, wird deutlich angespielt18. Münchhausen wird zum «Mitgliede des Weinsberger Geisterbundes» ernannt; er wird versuchen, den Polterkram «in Kultur zu legen», denn «[d]iese schwäbischen Kindsköpfe sind gut zum Erfinden, aber dann die Sache gehörig einzurichten, ihr eine Regel, Ordnung und Form zu geben, dazu bedarf es eines norddeutschen Verstandes»19.
11Bei der Jungfer Schnotterbaum, die einen dämonischen Geist im Leibe beherbergen soll, wird Exorzismus praktiziert; aus ihr beginnt der Dämon zu sprechen. Der Fall Schnotterbaum erweist sich als besonders schwierig, aber auch «erhaben und göttlich», weil Eschenmichel später zu wissen glaubt, daß tatsächlich «zwei Geister in die Schnotterbaum gefahren sind», «der Grobschmidt und der Magister; diese haben sich nun in ihr unauflöslich miteinander verwickelt und verschlungen und verknotiget, so daß man nicht mehr weiß, wo der Schmidt anfängt und der Magister aufhört»20. Die Prozedur entkräftet die Schnotterbaum, und sie geht an ihr zugrunde.
12Am Ende des Buches wird auf sehr nüchterne, quasi moralische Weise aufgeklärt. Aus dem früher unbekannt gebliebenen Testament des Magisters Schnotterbaum, des Vaters der Jungfer, geht hervor, daß die «beiden Doktoren der Geisterwelt» eigentlich zwei aus einem bekannten Tollhaus, dem Juliusspitale zu Würzburg, entlaufene alte Weiber waren. Die Moral der Geschichte wird ebenfalls im Testament ausgedrückt: «Wir haben die Reformation gehabt und demnächst eine große Philosophie und Literatur. Wir glaubten, endlich dahin gekommen zu sein, Fetische, Amulette und Poltergeister und andern Polterkram für abgeschafft erachten zu dürfen». Im19 Jahrhundert rührte sich «plötzlich wieder das ertrunkene, erlogene, sichtbar-unsichtbare Gelichter», und es mag wohl sein, daß «die Hexenprozesse ja vor der Türe stehen»21. Sicher bestehe diese Gefahr, da der Zufall in der Welt vieles verwalte. Jetzt wurde aber die Scharlatanerie entlarvt, und so lautet das Ende des Testaments: «Ich bete dich an, Vernunft, Tochter Gottes, Schirmherrin der Männer, Atem der Seele! Ich bete dich an im Geist und in der Wahrheit. Du erschütterst mir Herz und Nieren, führe mich, bleibe bei mir bis an das Ende meiner Tage! – Ein schlichtes, farbloses Gebet, ein Gebet in Knechtgestalt! Ich will damit auszukommen suchen. Vorstehendes ist mein letzter Wille ohne Ort und Datum, denn ich wünschte, daß er allerorten und zu jeder Zeit gälte»22.
13Eine so nachdrückliche belehrende Position entstammt mit Sicherheit einer großen Neugier dem Phänomen gegenüber. Nicht nur hatte Immermann für diese Geschichte gut recherchiert, sondern er empfing auch im September 1836 in Düsseldorf einen gewissen Doctor Fallati aus Stuttgart, der ihm von Kerner und dessen Geisterwesen in der Schwäbischen Gegend berichtete23. Mit dem «unterrichteten und gewandten» Doktor hatte Immermann «einige ganz angenehme Tage» verbracht; Fallati soll ihm von den verschiedenen Gebäuden erzählt haben, wo Kerners Gäste untergebracht wurden, und wo «viel Dämonisches im Gange» war.
14Bemerkenswert ist, daß Immermann in seinen Tagebüchern kurz nach diesem Besuch die «Lecture» eines Buches von Carl Gustav Carus, Paris und die Rheingegenden, kommentiert24. Ganz nüchtern schreibt Immermann über dieses Buch, daß er die Hypothese interessant findet, daß der maritime Alluvienboden von Paris, mit Muschelkalk und leicht auflösbaren Mineralteilen versetzt, den «petulanten Charakter der Pariser mit hervorbringen helfen» soll, weil dieser Boden «nur ein weiches, die Nerven reizendes Wasser und eben so einen leicht aufregenden Wein liefre». Daher, setzt Immermann fort, wäre die Geschichte von Paris eine andere, «wenn die Stadt auf Granit stände, und die Leute kühles, klares Quellwasser tränken». Keine Spur der Ironie ist in der kurzen abschließenden Bemerkung Immermanns zu lesen: «Dann stand in dem Buche eine Geschichte der Entstehung der Himmelskörper, die kolossale Anschauungen gab, mir aber en detail [sic] entfallen ist»25.
15Aus den Tagebüchern Immermanns erfahren wir andererseits, daß der Autor für die Heilbehandlung der Homöopathie ernsthafte Aufmerksamkeit gezeigt hat. Im November 1831 faßt Immermann, sich offenbar auf medizinischen Quellen stützend, Informationen über die Prinzipien der Homöopathie zusammen: Wird ein Arzneykörper in einem Krankheitszustand angewendet, in welchem alle Symptome vorhanden sind, die er selbst hervorzubringen strebt, «so muß als Gegenwirkung, Beseitigung des kranken Zustandes, Gesundheit folgen»; «Similia similibus curantur» m.a.W. Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt; das Prinzip von den kleinen und kleinsten Dosen, welche «allein im Stande sind, die eigentlich dynamische oder Heilungskraft der Arzneykörper zu entfalten». In ganz positivistischer und methodischer Weise stellt dann Immermann seine Bedenken gegenüber der Homöopathie dar26.
16Augenscheinlich meinte es also der Autor mit dieser alternativen Heilbehandlung ernst. Zu dieser Zeit ließ er sich, vermutlich von einem Dr. Julius Aegedi in Düsseldorf, homöopathisch behandeln, um der Cholerainfektion vorzubeugen. In den Tagebüchern stehen die Namen der Medikamente, die der Homöopath ihm zudem «für Beklemmungen und Zudrang des Bluts» und «für nervösen Kopfschmerz» gab. Am 11. Januar 1832 erinnert Immermann daran, daß Novalis, «wie er alles gesehen hat, auch die Homöopathie vorhergesehen. Er sagt einmal: "Sollte man nicht Krankheiten durch Krankheiten heilen können"». Am 10. März 1832 gesteht schließlich Immermann, daß er nach einer Woche, wo er sich miserabel gefühlt hat und zwei Tage an Fieber litt, «drauf zum Spaß homöopathische Mittel gebraucht hat»27.
17Zwischen ernster Prüfung und amüsierter Skepsis müssen wir also ein aufrichtiges Interesse des Autors für die Homöopathie feststellen, das auch in seinen Epigonen widergespiegelt wird28.
Der Karnaval und die Somnambüle
18Vieldeutiger und tiefsinniger als die Satire Kerners und Eschenmayers in Münchhausen ist die frühere Erzählung Der Karnaval und die Somnambüle (1830), auf die Jürgen Barkhoff in seiner Studie schon eingeht29. Mit Die Papierfenster eines Eremiten und Der neue Pygmalion gilt diese meistens als Novelle bezeichnete Erzählung als ein wichtiger Markstein in der Laufbahn Immermanns. Als besonders aufschlußreich und literarisch geschickt erweisen sich die im Text komplex verwobenen Erzählperspektiven und intertextuellen Anspielungen, denen die vor kurzem erschienene Analyse von Markus Fauser gilt30.
19Die Geschichte des Antihelden Gustav fängt an mit der Darstellung seiner gründlichen Vorbereitung auf einen Besuch beim Kölner Karnaval. Eine Zeitungsannonce versetzt ihn in Erstaunen und geheime Freude, weil sie deutlich auf eine mögliche Wiederbegegnung während dieses Karnavals anspielt. In der Tat lernte Gustav ein Jahr davor in Ems ein Frauenzimmer, die Gräfin Sidonie, kennen, «von dem in diesem Abschnitte leider noch öfter die Rede sein wird», und blieb drei Tage an der Lahn31. Gustav beabsichtigte, nur eine Nacht in Ems zu verweilen, weil er am nächsten Tage einen Minister in Frankfurt treffen mußte, mit der möglichen Aussicht einer «glänzenden diplomatischen Karriere». Gustav verpaßte aber den Termin und ist nie Diplomat geworden. Inzwischen hat er Adolfine geheiratet, die gerade von einer Reise aus Italien und Frankreich zurückkam. «So geriet» Gustav, «statt in fremde Länder, in den Ehestand», und Adolfine «gab ihm Unter-Unterricht» über Frankreich und Italien32. Zu seinem Leidwesen ist Gustav auf die Zeitungsanzeige in der Anwesenheit von Adolfine gestoßen; diese zwingt ihn zu einer «vollständigen Beichte»: es sei «das einzige Mittel, den aufsteigenden Sturm zu beschwören»33.
20Dann folgt die epische Integration der Erzählung Drei Tage in Ems. Gustav, der «von jeher ein großer Liebhaber alles Merkwürdigen gewesen» ist und «mit Interesse die Schriften über den Magnetismus gelesen hat»34, begegnet also in Ems einer Somnambulen, der Gräfin Sidonie und ihrem Begleiter, der sich als Arzt und Magnetiseur ausgibt. Sidonie ist mit der Gabe der Hellseherei versehen und erblickt in Gustav ihren Retter. Sie läßt den Magnetiseur Gustav bitten, für sie ein Glas heilkräftiges Wasser aus einer nahegelegenen Quelle zu schöpfen, wobei er sich die Hand leicht verletzt. Dann weiht der Arzt den leichtgläubigen Gustav in die Mysterien seiner Praxis ein und bewegt ihn dazu, seine Abreise zu verschieben, um die Heilung der Gräfin weiter zu fördern. Gustav erliegt in sehr konfuser Weise seiner Faszination für die manipulative Macht des Magnetiseurs. Zudem ist er von seiner Liebe für die Gräfin Sidonie völlig eingenommen: «ich mußte mich ihr nahen, sie sehen, sprechen, meine Einbildungskraft war von nichts erfüllt, als von ihrem Bilde»35. Obwohl Sidonie ihn mehrmals vor sich und vor der Situation warnt, wohnt Gustav einer tatsächlich vorgetäuschten Séance bei. Während er mit Sidonie allein im Zimmer des Hotels bleibt, wird aus seinem Zimmer sein Geld gestohlen. Der Magnetiseur hat die Naivität Gustavs mißbraucht, der zum Opfer eines banalen Betrugs geworden ist.
21Am nächsten Morgen trifft sich Gustav während eines Spaziergangs ein letztes Mal mit Sidonie, und die beiden tauschen Ringe, zum Gedenken an ihre unerfüllbare Liebe. Kurz danach wird Gustav erneut von einem Bösewicht ausgeraubt, und mit einem dicken Seil an einen Baum gefesselt. Diese Szene spielt auf eine Praxis des tierischen Magnetismus an, wobei Patienten im Freien mit einem magnetischen Baum verbunden wurden; das Seil sollte «als Leiter für die Übertragung der Kraft des Baums wirken»36.
22Die späte Aufklärung der Emser Episode erhalten wir schließlich von Adolfine. Gustav hat sich «seinen Karnaval mit einer Generalbeichte erkauft»37. In Köln begegnet er Sidonie in zweifacher Gestalt: einmal auf dem Karnevalsball maskiert, in Begleitung seines Schwagers, des Bruders Adolfines; kurz danach ein zweites Mal als todkranke Büßerin in einer Kirche vor einem Kruzifixe. Diese Ereignisse haben Gustav wieder verwirrt, aber nach seiner Rückkehr nach Hause wird die Wahrheit enthüllt: die maskierte Sidonie war eigentlich seine Frau Adolfine, die die Treue ihres Mannes auf die Probe stellen wollte; die Begegnung mit der echten Sidonie in der Kirche geschah zufällig. Zufällig ist auch Adolfine in den Besitz der Gerichtsakten des späteren Prozesses des Magnetiseurs gekommen. Sidonie täuschte zwar einen magnetischen Schlaf vor, war aber auch die Getäuschte, da sie nicht wußte, daß der Magnetiseur die Mystifikation zum Betrug ausnützte. Beim Holen des Heilwassers war Gustav – ohne sich dessen bewußt zu sein – fast zu Tode gestürzt. Sidonies reuevolle Haltung in der Kirche läßt sich durch ihre aufkeimende Liebe zu Gustav und durch das Bewußtsein, beinahe zur Mörderin geworden zu sein, erklären. Sie stellte sich und den Magnetiseur der Polizei. Wie eine Schlange entwich dieser aber der Justiz, und es erfolgte ein Freispruch. Weil sein Leben «verbraucht» sei und weil es «zwischen Himmel und Erde nichts Neues mehr» für ihn gebe, ersticht sich der Magnetiseur mit dem Messer des Richters38. Auch durch Zufall bekommt letztendlich Gustav Briefe in die Hände, die belegen, daß Adolfine vor ihrer Ehe die italienische Geliebte unseres Magnetiseurs war. In deutlicher Anspielung auf Goethes Wahlverwandtschaften endet die Novelle mit der Trennung von Gustav und Adolfine, weil die beiden «an das Reich der Schatten gerührt» haben und nicht fähig waren, «einen Strich über alles Frühere zu machen»39.
23Wieder läßt sich Immermanns Haltung dem Mesmerismus gegenüber auf der Grundlage von Gustavs Bekenntnis begreifen: «Ach, hätte ich weniger Geist, und etwa mehr gesunden Menschenverstand gehabt, ich glaube, ich wäre nicht so vernagelt gewesen»40. Wieder scheint sich auch der Autor für seine Kritik ausführlich dokumentiert zu haben. Markus Fauser belegt, daß Immermann die narrative Struktur der Erzählung «in der ständigen Referenz auf die Stufenlehre des Magnetismus» entworfen hat. Sehr instruktiv kommentiert Fauser «die Produktion von Vieldeutigkeit» in der Erzählung im Vergleich mit den vier Stufen des magnetischen Systems Eschenmayers41.
24Auf die ironische Demontage des tierischen Magnetismus hat Immermann viel Energie und Sorgfalt verwendet, was deutlich eine gewisse Faszination verrät. Meine Hypothese lautet, daß diese mit der erotischen Ausstrahlungskraft des Magnetiseurs zusammenhängt, m.a.W. daß Mesmer und seine Nachfolger bei dem Schriftsteller und Menschen Immermann den richtigen Nerv getroffen haben. So gesteht Gustav: «Unwillkürlich schweiften meine Gedanken nach dem Schlafzimmer der Somnambule, ich sah den Arzt sich mit ihr beschäftigen, sie berühren. Der geistige Zwang, den in diesem Zustande ein Wesen über das andere sich anmaßt, die schrankenlose Hingebung eines Weibes in den Willen des Mannes kam mir unnatürlich, widerlich vor; und doch wäre ich gerne an der Stelle des Magnetiseurs gewesen. Ich glaubte damals, ich sei nicht fein genug organisiert, um mich in jenes Naturgeheimnis ganz hineinzufühlen; jetzt, wo ich aus der Erinnerung diese Sachen niederschreibe, muß ich bekennen, daß ich war, was man im gemeinen Leben eifersüchtig nennt»42.
25Gustavs Mangel an Vertrauen den Frauen gegenüber fällt dem Leser gleich auf. Von seiner Frau wird er nicht nur über die tragikomische Episode in Ems aufgeklärt. Ihr Verhalten wird durch systematische Besserwisserei gekennzeichnet, was ihr erlaubt, Gustav zu manipulieren, wie der Magnetiseur ja auch Sidonie einer genauen Kontrolle unterzieht. In seiner Beichte ist er ihr übrigens völlig unterworfen; vor ihren möglichen Zornausbrüchen fürchtet er sich. Ganz am Anfang der Erzählung erfährt man, was damals geschah, als er ihr sagte, daß er in sie sehr verliebt sei: «Sie lachte anfangs stark über mich (denn sie ist von sehr lustiger Gemütsart), nachher lachte sic schwächer, späterhin lachte sie gar nicht, und endlich, als ich ihr sagte, ich würde sterben, wenn sie mich nicht erhörte, lachte sie wieder»43. Wenn Adolfine zu Gustav spricht, tut sie es «in einer Mischung von Ärger und Spott»; wenn sie ihn unterbricht, «schwebt ein spöttisches Lächeln um ihre Lippen»44.
26In der «Nachschrift des Herausgebers» wird Gustavs Bitterkeit noch einmal zusammengefaßt: «Scheinbar beschränkt, erfahrungslos stand er der Vielgereisten, die alles gesehen und gehört hatte, gegenüber. Auch schämte er sich gewissermaßen ihrer Erfindung, die sie eine Schwäche nannte, sie fürchtete eine volle Hingebung, die sie einmal so schwer hatte büßen müssen... [...] Sie fürchtete immer zu verlieren, sie kränkelte sich zwischen Stolz, Wehmut und Lachen hin, sie war, daß wir es kurz sagen, eine geistreiche Frau, wie wir so viele sehen. {...] Es war eine von den Ehen, die nicht unter dem Segen des Spruches: Und er soll dein Herr sein! geschlossen sind»45.
27Der Ausdruck «volle Hingebung» ist eine Anspielung auf die laut Gustav «unnatürliche und widerliche schrankenlose Hingebung» Sidonies an den Willen des Magnetiseurs46.
28Ganz anders sieht Gustavs Verhältnis zu Sidonie aus. Obwohl er «ihretwegen» nicht Diplomat geworden ist, empfindet man bei ihm keine Spur von Ressentiment. Seine Zuneigung für die Somnambule liegt auf der Hand. Wenn der Magnetiseur etwa anfängt, ihm von ihren «heftigsten Nervenübeln» zu erzählen, unterbricht ihn Gustav sofort: «Die Dame hat ja die blühendste, gesündeste Farbe»47. Nach der ersten beinahe schlaflosen Nacht in Ems besucht er sie in ihrem Zimmer, ohne sich anmelden zu lassen: «Mein Verlangen war zu heftig, ich wagte es auf ihren Unwillen hin, die Form zu verletzen»48. Gleichzeitig glaubt Gustav fest, daß «sein Wesen zu dem Ihrigen im wunderbaren Verhältnis steht» und daß er Anteil an ihrem Schicksal haben kann. Der Magnetiseur, der bei Gustav die Hoffnung weckt, zum Retter der Gräfin im Rahmen einer magnetischen Therapie zu werden, nutzt geschickt Gustavs Leichtgläubigkeit aus. Besonders wichtig scheint uns in dieser Hinsicht, daß jener die eigenen Mängel seiner wissenschaftlichen Disziplin anerkennt, m.a.W. daß er sie als ein nicht ausgereiftes Wissen darstellt, das sich noch mit den Mysterien und den Wundem der menschlichen Gefühle auseinandersetzen muß: «Es ist wahr, bis jetzt nahm man an, der geheime geistige und körperliche Bezug werde nur durch die magnetische Berührung, werde nur zwischen dem Magnetiseur und der Magnetisierten hervorgebracht. Ein Dritter, ein Fremder tritt in den Zauberkreis, der innigste Rapport scheint ihn an diesen Kreis, an die Person, welche in dem Mittelpunkt des Kreises sich befindet, zu knüpfen. Von seiner Hand berührt, wird das Wasser wohltätig. Was verwundern wir uns über ein Wunder mehr, mitten in einem Gebiete, welche uns, sowie wir es betreten, mit Wundem überschüttet? Haben wir die Grenzen dieses Königreiches der Nacht schon ausgemessen»49.
29So suggeriert der Arzt, Gustav könnte Anteil nicht nur am Schicksal der Gräfin haben, sondern auch – warum nicht – am Fortschritt der wissenschaftlichen Disziplin. Dadurch läßt sich auch die Faszination erklären, die der Magnetiseur auf Gustav ausübt. Mit seiner Zuneigung zu Sidonie, womit selbstverständlich der Arzt gerechnet hat, habe aber Gustav das ihm in Aussicht gestellte Glück verdorben: «"Sie haben meinem Zutrauen wenig entsprochen", sagte der Arzt zu mir. "Sie haben Leidenschaft und Verworrenheit in den heiligsten Kreis getragen. Schon gestern ahnte ich, daß Sie die Reizbarkeit einer nervösen Natur selbstsüchtig zu entzünden gewußt hatten, schon gestern zürnte ich Ihnen. Wissen Sie nicht, daß der magnetische Rapport nur von der Unschuld, von dem ruhigen Frieden des Gemüts beschützt wird?"»50. Mit diesen Worten unterbricht der Arzt mit seinem «fürchterlichen durchbohrenden Blick» die Szene, wo Gustav und Sidonie die Ringe tauschen, kurz bevor ein Räuber Gustav an einen Baum fesselt.
30Die lebhafte Erinnerung an die unerfüllte, echte und moralische Liebe zu Sidonie steht im Gegensatz zu dem mit Adolfine nicht gefundenen Glück: «Dann leuchtete ihm wieder, wie eine himmelblaue Blume aus Moder und Zerstörung, die Liebe jener Unglücklichen entgegen. "Ja, diese war mein eigen!" rief er aus. "Diese hätte mich verstanden, sie hätte nicht meiner gespottet, in den Tod und zu der Hölle wäre sie für mich gegangen! [...]"»51.
31Auf die Beziehungen Immermanns zu den Frauen – ein Kapitel für sich – werde ich nicht im einzelnen eingehen; dazu hat die Immermann-Forschung schon einen wesentlichen Beitrag geliefert. Trotzdem möchte ich auf ein Ereignis aus dem Gefühlsleben des Autors hinweisen, das kurz vor der Verfassung der Karnaval und Somnambüle-Erzählung stattfand. Dieses biographische Faktum wurde erst 1997 in einem Aufsatz von Joseph A. Kruse zum Thema wiederentdeckt52.
32Es sei an dieser Stelle nur daran erinnert, daß der 43jährige Immermann erst 1839 am Ende seines kurzen Lebens das Eheglück mit der kaum zwanzigjährigen Marianne Niemeyer fand. Kurz danach folgte die Geburt einer Tochter, dann der plötzliche Tod des Autors. Wenige Zeit zuvor hatte er sich – nicht ohne Gewissensqualen – von der Gräfin Elisa von Ahlefeldt getrennt bzw. «befreit». Vierzehn Jahre lang lebte Immermann mit der acht Jahre älteren Gräfin zusammen, die sich ihrerseits 1825 von dem preußischen Major Adolf von Lützow scheiden ließ. Das gequälte Verhältnis zwischen Immermann und der Gräfin ist vielfach besprochen worden. Immermann selber hat dazu in seinem Tagebuch Rückschau gehalten, und so ist man sich über die tatsächliche Natur der Beziehung – wie sollte es in solchen Angelegenheiten anders sein – nicht im klaren. Die Sekundärliteratur spricht von einem «freien und eher als platonisch zu bezeichnenden Verhältnis», Immermann selber von einem «seltsamen Verhältnis», auch von Leidenschaft oder von heftiger «Empfindung», der «von Anfang an viel Irres und Wirres beigemischt war»53. Am 16. Januar 1839 schrieb er an Marianne Niemeyer: «ich weiß sehr wohl, was ich an der Gräfin verliere. Mit allen meinen Erinnerungen ist sie verwachsen, überall wird sie mir anfangs fehlen. Ihr Schicksal geht mir nahe, als sähe ich meine Mutter foltern»54.
33Auf Eheschließung hat Immermann mehrmals gedrängt, die die Gräfin von Ahlefeldt immer abgelehnt hat. Diese Verweigerung scheint er als sehr bitter empfunden zu haben, um so mehr als seine Mutter, der er immer ein «gehorsamer Sohn» sein wollte55, unter dem Stadtklatsch über das «schiefe Verhältnis» ihres Sohnes zu der Gräfin sehr litt. 1827 lebten eine Zeit Immermann, die Gräfin und deren damals einundzwanzigjährige Tochter Adolfine in Düsseldorf im gemeinsamen Haushalt, nachdem die beiden Frauen im Mai und Juni fünf Wochen in Ems eine Badereise gemacht hatten56. Nach Werner Deetjen wuchs bei Immermann, zumal da die Gräfin seinem Heiratswunsch nicht entgegenkam, eine Leidenschaft zu deren Tochter Adolfine. Er machte ihr einen Antrag und hielt um ihre Hand an. Adolfine, die den Dichter an ihre Mutter gebunden glaubte, lehnte selbstverständlich heftig ab und soll ihm erwidert haben: «Verschonen Sic mich für immer mit diesen Torheiten, oder ich sage es der Mutter und gehe aus dem Hause!»57. Der Zwischenfall geschah 1829. Kurz danach schrieb der Dichter Der Karnaval und die Somnambüle. Ein seltsamer Zufall wollte es, daß er der Gattin Gustavs den Namen Adolfines gab und der Somnambulen den Titel einer Gräfin verlieh. Andererseits wurden augenscheinlich der Figur Adolfines Züge der echten Gräfin gegeben58.
34Mehrere Andeutungen in Immermanns Briefen und Tagebüchern suggerieren, daß Immermann die Neigung zu Adolfine nicht sobald überwand, und Kruse ist ebenso der Auffassung, daß der Autor in dieser Erzählung «eigene Sehnsüchte und Frustrationen ausgesprochen» haben mag59. Betrachtet man ferner mit Benno von Wiese die Wichtigkeit einer durch die Ehe geweihten Liebesauffassung auch im Rahmen der Zeitkritik Immermanns, so realisiert man das doppelte Trauma, unter dem der Autor damals gelitten haben muß. Denn aus der großen Narrheit der Zeit komme man nach Immermann nur heraus, wenn man die positive Kraft der Liebe findet. In typisch biedermeierlicher Weise ist er in der Tat der Überzeugung, daß die Lösung der wichtigen Probleme seiner Zeit nicht im Öffentlichen und Politischen, sondern im Privaten zu finden ist. Dazu reiche die poetische Liebe noch nicht, sondern die Liebe müsse notwendigerweise Ehe werden: «Wo die Zeit erkrankt ist, wo die Tradition fragwürdig wird und die Ordnungen sich auflösen, bleibt die Echtheit und Treue der Seelen der einzige Garant dafür, daß wieder eine neue gewachsene Ordnung entsteht»60. Gustav empfindet die Liebe zu der Gräfin Sidonie als eine läuternde Wunderkraft, die dem falschen Zauber des Magnetiseurs entgegengehalten wird61; aus Gustavs Abenteuern lassen sich aber trotzdem nur Gefühle von Bitterkeit bzw. von Verzweiflung schließen: «Das Herz ist ein fruchtbarer Acker, und die Gefühle sind ein unvertilgbares Unkraut; die Jahre mögen noch so lange darüber hingepflügt haben, immer schlagen die Keime wieder aus»62. Daran mag der Magnetiseur nur zum Teil schuldig sein, aber mit seiner faszinierenden Anziehungskraft hat er zweifellos – und zwar bewußt – «an das Reich der Schatten gerührt»63 und zur hoffnungslosen Verwirrung von Gustav wesentlich beigetragen.
35Um nicht den Eindruck zu erwecken, die Erzählung aus eingeschränkter Sicht betrachtet zu haben, sollte noch kurz auf zwei Aspekte verwiesen werden, die ihre Vieldeutigkeit hervorheben:
Die Kritik an einer exaltierten Transzendenzsehnsucht der Romantiker legt eine permanente anti-romantische Tendenz bei Immermann bloß: seine Kritik am Mesmerismus impliziert gleichzeitig eine Verurteilung der romantischen Naturphilosophie, die er beispielsweise auch im Münchhausen-Roman eingebetteten Waldmärchen mit Zauberei und Alchemie assoziiert. So erscheint im Werk des Autors der ziemlich systematische Wille eines ideologischen Abbruchs des romantischen Erbes als sehr prägend. Im Waldmärchen stellt Immermann mit der Figur Petrus’ eine Karikatur der Naturphilosophie Fichtes dar. Denn der Weg zur reineren Philosophie führe über die Empirie von Hobbes, Bacon und Descartes, nicht über «egozentrische Spekulationen». «Fichte war für Immermann das Gegenteil des philosophischen Genies, ein egomanischer Charlatan [sic] und Zukurzgekommener, der sich selbst bezwingen und über andere herrschen wollte»64.
Gleichzeitig war Immermann aber auch ein entschiedener Gegner des bloßen Materialismus, was u.a. durch seine Verweisung – am Ende der Karnaval und Somnambüle – auf seine 1828 veröffentlichte juristische Schrift Beiträge zur Methodik der Untersuchungsführung belegt wird65. In diesem Aufsatz setzt sich der Instruktionsrichter Immermann mit dem schwierigen Thema des «Inquirens» als einer «Kunst» auseinander. Auf der Grundlage von zwei schwierigen Fällen, einer Geisteskrankheit und einem Schwangerschaftsabbruch – bei dem der Nachweis der Tat nur nach Zeugenaussagen zu führen war – bespricht Immermann das Problem der Zeugenvernehmung66. Für eine optimale Zurechnungsfähigkeit der Zeugen und die notwendige umfassende Beobachtung sollte man, so der feinsinnige Immermann, die Vervielfachung von Perspektiven anstreben. Dazu sei die beschränkte Kenntnis des befragenden Juristen tatsächlich ungenügend; der Richter müsse zudem für ein gerechtes Urteil Gutachten von Ärzten und Sachverständigen berücksichtigen. Immermanns Aufsatz bezieht sich auf die Kontroverse um das bekannte Schmolling-Gutachten von E.T.A. Hoffmann, wo dieser in seinem Gutachten auf der ausschließlichen Kompetenz der Juristen beharrte, die Zuständigkeit von Ärzten und Psychologen bei der Bewertung der Zurechnungsfähigkeit bestreitend. Immermanns juristische Analyse beruht auf ähnlichen Vorgaben wie seine erzählerischen Prinzipien: einer Vervielfachung von Perspektiven, die Zweifel an der Einheit des Subjekts nach sich zieht, ganz anders also als Hoffmann.
36Markus Fauser unterscheidet in der Karnaval und Somnambüle ein «Zerlegen und Umdeuten von Diskursen»: Magnetismus, Jurisprudenz, Kriminalgeschichte, literarische Liebesgeschichte und die «Vervielfachung von Lesehandlungen bis zum Indifferenzpunkt». Alle verwendeten Diskurse seien «als vorgängige auch nur vorläufige» zu betrachten und «genauso fragwürdig, wie die Wirklichkeiten, mit denen die Figuren konfrontiert werden»67.
Der Arzt in den Epigonen
37Damit schließt sich der Ring und können wir auf die schon am Anfang festgelegte Skepsis Immermanns zurückkommen. Mit Sicherheit sei der Magnetismus eine Täuschung. Da es aber keine feste Wahrheit gibt, kann man der Frage nachgehen, ob der Magnetismus eigentlich nicht eine Täuschung unter anderen wäre.
38Diesen Eindruck gewinnt man ebenso bei der Beobachtung des Leibarztes am herzoglichen Hofe in den Epigonen. Der Arzt ist der typische Vertreter des beginnenden naturwissenschaftlichen Zeitalters. Seine Skepsis grenzt an Nihilismus und, obwohl er seiner Wissenschaft sicher ist, stehen manchmal seine Taten in auffälligem Widerspruch zu seinen Reden. Mit zurückhaltender Distanz betrachtet der Erzähler die unsympathische Figur: «Der Arzt hatte seine Wissenschaft mit Geist und Freiheit studiert [...]. Aber freilich hatten diese Studien die gewöhnliche Folge gehabt. Dem Eingeweihten war das animalische Leben die Hauptsache geworden. (...] Alles geistige und Gemütvolle fand an ihm einen entschiedenen Verneiner, der die ätzendsten Einwürfe im ruhigsten Tone vortrug»68.
39Als er Hermanns Körper bewundert, weil ihm «ein solcher Leichnam noch nie auf dem anatomischen Theater vorgekommen ist», begreift dieser, «daß er dem Arzte mehr ein pathologisches Objekt sei, als ein Gegenstand der Zuneigung»69. Hier übt Immermann zutreffend Kritik an einer gewissen Auffassung der Medizin, die die Heilkunst auf krassen Materialismus reduziert.
40Interessant ist aber das Verhalten des Arztes, wenn er «Fällen» ausgesetzt ist, wo Gefühle bzw. Leidenschaften starke Wirkung auf die Gesundheit seiner Patienten ausüben. Damals fungierte er schon «in Herzenssachen» als Rat und Beistand, «um stärkere Praxis zu bekommen». Dabei verfiel er gelegentlich der Kunst der frommen Lüge um der Versöhnung der Seelen willen, eine kleine Scharlatanerie, über die er sich beruhigte, «durch den Anblick der allgemeinen Scharlatanerie, die in der Welt herrscht»70. Später untersucht er die Situation der jungen Flämmchen, die sich mystischen Abenden hingibt, Visionen hat und im Mondschein sonderbare Gespräche mit ihrem Schatten führt. Durch sie hat der Arzt «über alles, was uns das Mittelalter von Hexen, Besessenen, Doppelgängern und ähnlichen Fratzen erzählt» eine andere Meinung bekommen: kein Pfaffentrug sei das gewesen, aber eine «verstörte Einbildungskraft» könne das alles hervorrufen71. Weil sie sehr unwissend sei (Lesen und Schreiben habe man sie zur Not gelehrt), habe Flämmchen sich «eine Art von Fetischismus» geschaffen72. Damit für Flämmchen gesorgt wird, entscheidet der Arzt, sie zu einer alten Kräutersammlerin zu bringen. Gegen gute Bezahlung wolle die alte Zigeunerin das junge Mädchen aufnehmen73. Als der Arzt damals die verworfene Herumtreiberin traf, erregten ihre Reden seine Aufmerksamkeit, und aus ihr wollte er «ein nützliches Mitglied der Gesellschaft machen». In der Tat besitzt die Alte eine Macht, die dem traditionellen Arzt zu mangeln scheint: sie hat einen «unendlichen Scharfblick für alles Körperliche» und «aus den Lineamenten» kann sie «die geheimsten Seelenregungen» lesen. Der Arzt stellte die Alte an, um die notwendigen Substanzen einzusammeln für diese homöopathische Kuren, welche er, «wo die Konstitution dieses Verfahren rechtfertigt», zuweilen vornimmt74. Seitdem macht der Naturwissenschaftler mit der Kräutersammlerin gute Geschäfte: er hat sie Grundsätze der Botanik gelehrt, ihr ein Häuschen gemietet und schickt sie auf die Suche nach Pflanzen. Denn sie «hat sich mit dem Pflanzenreiche gleichsam identifiziert» und «entdeckt, was nur entdeckt werden kann», wobei sie mit der größten Genauigkeit verfährt. So werden die Widersprüche des Arztes bloßgelegt. Einem Defizit seiner Medizin folgend, versteht er sich ausgezeichnet mit der «Scharlatanin», deren harmonisches Verhältnis zur Natur er übrigens als Untersuchungsobjekt nicht begreift. Für den Winter wußte er nicht, womit er sie beschäftigen würde. «Aber die Natur half auch hier, wie gewöhnlich, aus. Sie verfiel nämlich zu meinem Erstaunen in einen Schlaf, welcher der Erstarrung mancher Tierarten ganz ähnlich war, und aus dem sie oft nur je um den zweiten Tag zu einem Halbbewußtsein erwachte...»75.
41Über den «halbreifen Geist» Flämmchens hat die Alte eine ähnliche Macht wie der Magnetiseur über die Somnambule. Flämmchen gerät in einen «sonderbaren Zustand», macht Bekanntschaft mit der Natur, geht wie eine Träumende umher, spricht mit den Bäumen und Steinen, und ist «dann oft wieder wie erstarrt». Unter der Einwirkung von Kräutern und Tränken entwickelt sie, besonders bei Mondschein, «eine unwiderstehliche Notwendigkeit zu tanzen», was sie nach einiger Zeit wieder gesund macht76. Aus möglicher Eifersucht nimmt der Arzt Flämmchen von der Alten weg, was diese in Verwirrung und Verzweiflung stürzt.
42In seiner späteren Korrespondenz mit dem fiktiven Herausgeber behauptet der Arzt, er sei nie (u.a. in religiösen Angelegenheiten) der starke Materialist gewesen, für den man ihn hielt. Früher hatte ihn schon der Domherr in einer Disputation über Glaube, Seele und Wissenschaft zum Absurdum geführt, wobei der Arzt zu dem Geständnis gezwungen worden war: «Auch ich sage in meinem Sinne: Der Mensch ist ewiger Dauer. Aber ich setze hinzu: Der Himmel ist auf Erden, und mit dem Tode ist es nicht aus, sondern es beginnt aufs neue. Wie Feuer von oben ergreift das Psychische den Ton, bildet und wirkt ihn aus, und wenn es ihn abgenutzt hat, sucht es sich frischen Stoff. Wir sind alle Revenants, und dieser Erscheinung der Geister oder des Geistes ist kein Ziel der Zeit gesetzt»77.
43In seinem Tagebuch teilt er andrerseits ohne Zurückhaltung seine Zweifel über die eigene Praxis mit: «Man wird es müde, Blut und Fleisch, Nerven und Eingeweide zu untersuchen. Was wir von diesen Dingen wissen können, wissen wir so ziemlich, und ich für meine Person teile wenigstens den Eifer meiner Kollegen nicht, zu dem aufgeschichten Haufen der Tatsächelchen noch das und jenes Sandkörnchen zu fügen. Die einzige interessante Substanz bleibt für mich noch die menschliche Seele»78.
44Er weiß auch, daß Mesmer und die romantisch-naturphilosophische Medizin eines Carl Gustav Carus sich mit den Geheimnissen der Seele beschäftigt haben, wie aus seiner Korrespondenz mit dem Herausgeber hervorgeht: «Seelisches und Körperliches stehn im engsten ununterscheidbarsten Zusammenhange, Körper und Außenwelt wirken auf die Seele, trübe Luft, Steinkohlendämpfe erzeugen Niedergeschlagenheit und Mißmut, Sonnenschein, Gebirgsatmosphäre, Heiterkeit und Energie des Geistes»79.
45Mit der Täuschung des Mesmerismus weiß der Arzt schließlich umzugehen und gewisse Errungenschaften dieser Praxis kann er augenscheinlich nicht leugnen. Zu der völligen Herstellung zweier seiner Patientinnen glaubt er, daß «nichts kräftiger wirken» wird als eine magnetische Behandlung. So schickt er die beiden Damen in die Hauptstadt: «Mein Ernst war es nicht mit dem Magnetismus, gegen welchen ich vielmehr von jeher gewesen bin, da er den Organismus nur noch tiefer zerrüttet. Ich empfahl die beiden Leidenden in die Obhut eines dortigen Freundes, auf welchen ich mich, wie auf mein zweites ärztliches Ich verlassen konnte. Diesem band ich ein, daß er meine Heilmethode, als Vorbereitung zu jener mystischen, verfolgen, und so ohne Streichen und Manipulieren den Zweck zu erreichen sich bestreben solle»80.
46Um die geheimen Bezüge zwischen Seele und Leib zu untersuchen, bleibt dem Arzt also, nachdem er die Ohnmacht der traditionellen Medizin festgestellt hat, die einzige Möglichkeit, mit den «Scharlatanen» (der Kräutersammlerin, dem Magnetiseur) zu verhandeln, und daher seinen eigenen Beitrag zu der großen Täuschung zu leisten81.
47Nicht umsonst lautet ein beliebtes Zitat Immermanns «Widerspruch, du Herr der Welt!», womit dieses Prinzip laut Peter Hasubek für den Autor als «allgemeines Weltgesetz» oder als «eine Grundeinstellung zur Welt, zur Wirklichkeit und zur Literatur» gelte82. Trotz der auf den ersten Blick sehr eindeutigen Kritik am tierischen Magnetismus muß Immermann sich dessen bewußt gewesen sein, daß die verführerische Macht des Magnetiseurs die schwierigsten menschlichen Probleme mit sich brachte: die Wunden der Seele und deren Auswirkung auf die Gesundheit, die die positivistische Medizin der Zeit nicht im Stande war zu beherrschen. In manchen Hinsichten erweist sich Immermanns Medizin-Kritik als immer noch sehr relevant. Zu seinen eigenen seelischen Wunden schien für den Autor sein unharmonisches Verhältnis zu den Frauen zu gehören, was u.a. seine Faszination für die Anziehungskraft des Magnetiseurs offenlegte und ihn selber mit trübsinniger Melancholie erfüllte. Wie könnten daher Immermanns Figuren – hier der Arzt in den Epigonen – vergessen, «daß derselbe Mensch unter verschiedenen Umständen oft als ein ganz andrer erscheint» oder «daß Grundsätze, Meinungen und Überzeugungen in demselben Individuo einander widersprechen»83.
Notes de bas de page
1 Ich bedanke mich herzlich bei Barbara Bauer, Andrea Fritzsch und Sabine Schmitz für ihre Hilfe bei der Vorbereitung dieses Aufsatzes.
2 B. von WIESE, Karl Immermann. Sein Werk und sein Leben, Bad Homburg [u.a.], Verlag Gehlen, 1969. Für eine biographische Übersicht vgl. ders., Karl Immermann, in ders. (Hrsg.), Deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts, Berlin, Erich Schmidt Verlag, 1969, p. 97-123.
3 Vgl. Fünfzig Jahre Immermann-Forschung. Bibliographie zum Werk Immermanns 1945-1995, in P. HASUBEK, Karl Leberecht Immermann. Ein Dichter zwischen Romantik und Realismus, Köln [u.a.], Böhlau Verlag, 1996, p. 270-287.
4 B. von WIESE, Karl Immermann als Kritiker seiner Zeit, in ders., Zwischen Utopie und Wirklichkeit. Studien zur deutschen Literatur, Düsseldorf, August Bagel Verlag, 1963, p. 167.
5 ID., p. 165-166 und 168-169.
6 J. BARKHOFF, Magnetische Fiktionen: Literarisierung des Mesmerismus in der Romantik, Stuttgart/Weimar, Metzler, 1995, p. 285.
7 B. von WIESE, Karl Immermann als Kritiker seiner Zeit, op. cit., p. 164.
8 J. BARKHOFF, Magnetische Fiktionen..., op. cit., p. 269.
9 H.J. HALM, Formen der Narrheit in Immermanns Prosa, Marburg, Elwert Verlag, 1972 (Marburger Beiträge zur Germanistik, Bd. 35), p. 67.
10 J. BARKHOFF, Magnetische Fiktionen..., op. cit., p. 286.
11 ID., p. 287.
12 Ich zitiere im folgenden nach der Ausgabe der Werke Immermanns in 5 Bänden, hrsg. von B. von WIESE, Frankfurt/Main, Athenäum Verlag (hierunter Werke): Poltergeister in und um Weinsberg, in Werke 3, 1972, p. 363-423 und 896-909 (Anmerkungen).
13 ID., p. 897.
14 Über Kerners Theorien, vgl. J. BARKHOFF, Magnetische Fiktionen..., op. cit., p. 310-314.
15 Werke 3, p. 366-367.
16 ID., p. 372.
17 ID., p. 387.
18 Vgl. J. BARKHOFF, Magnetische Fiktionen..., op. cit., p. 310-314.
19 Werke 3, p. 381.
20 ID., p. 396.
21 ID., p. 418.
22 ID., p. 421.
23 Vgl. Karl Immermann. Zwischen Poesie und Wirklichkeit. Tagebücher 1831-1840, hrsg. von P. HASUBEK, München, Winkler Verlag, 1984, p. 502-503.
24 C.G. CARUS, Paris und die Rheingegenden. Tagebuch einer Reise im Jahre 1835, 2 Bde, Leipzig, 1836. Carus ist der spätere Autor des Buches Über Lebensmagnetismus und über magische Wirkungen überhaupt (Leipzig, 1857). Vgl. Karl Immermann. Zwischen Poesie und Wirklichkeit. Tagebücher 1831-1840, op. cit., p. 503-504.
25 Ibidem.
26 ID., p. 57-58.
27 ID., p. 759, 58, 63 und 72.
28 Vgl. E. GUZINSKI, Karl Immermann als Zeitkritiker. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Selbstkritik, Berlin, Junker und Dünnhaupt Verlag, 1937 (Neue Deutsche Forschungen, Bd. 142), p. 187-189. Guzinski behandelt Immermanns Interesse für die Homöopathie und für den tierischen Magnetismus bzw. den Somnambulismus (p. 189-190) als zwei Arten der Heilbehandlung, auf die der Autor «seine besondere Aufmerksamkeit» richtet. Für eine kritische Besprechung des überholten, aber trotzdem instruktiven Werks von Guzinski, vgl. P. HASUBEK, Odysseus im 19. Jahrhundert. Zukunftsweisende Experimente zur Erneuerung des Romans: Karl Immermann «Die Epigonen», in ders., Vom Biedermeier zum Vormärz. Arbeiten zur deutschen Literatur zwischen 1820 und 1850, Frankfurt/M. [u.a.], Peter Lang, 1996, p. 226 (Anm. 20).
29 Vgl. J. BARKHOFF, Magnetische Fiktionen..., op. cit., p. 281-287.
30 M. FAUSER, Intertextualität als Poetik des Epigonalen. Immermann-Studien, München, Fink, 1999, p. 116-133. Vgl. ferner C. LIVER, Immermann, Der Karnaval und die Somnambule – eine vorläufige Abrechnung mit der Romantik?, Annali Studi Tedeschi (AIOL), XXVIII, 1-3, 1985, p. 77-95; W. MAIERHOFER, Immermann als «Poet und Kriminaljurist». Zu den frühen Erzählungen: «Der neue Pygmalion» und «Der Karnaval und die Somnambüle», in P. HASUBEK (Hrsg.), «Widerspruch, du Herr der Welt!». Neue Studien zu Karl Immermann, Bielefeld, Aisthesis Verlag, 1990, p. 68-99; B. MÜHL, Romantiktradition und früher Realismus. Zum Verhältnis von Gattungspoetik und literarischer Praxis in der Restaurationsepoche (Tieck-Immermann), Frankfurt/M. [u.a.], Peter Lang, 1983 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 5999), p. 227-234.
31 Werke 1, 1971, p. 325-326.
32 ID., p. 323 und 326.
33 ID., p. 329.
34 ID., p. 323 und 330.
35 ID., p. 337.
36 Vgl. M. FAUSER, Intertextualität als Poetik des Epigonalen... (op. cit., p. 120), der sich auf die folgende Quelle bezieht: O.-J. GRÜSSER, Justinus Kerner 1786-1862. Arzt-Poet-Geisterseher nebst Anmerkungen zum Uhland-Kerner-Kreis und zur Medizin- und Geistesgeschichte im Zeitalter der Romantik, Berlin/Heidelberg, Springer, 1987, p. 192.
37 Werke 1, p. 346.
38 ID., p. 403.
39 ID., p. 407.
40 ID„ p. 329.
41 M. FAUSER, Intertextualität als Poetik des Epigonalen... (op. cit., p. 122-123) verweist hier auf C.A. ESCHENMAYER, Psychologie, hrsg. und mit einem Nachwort von P. KRUMM (Reprint der Ausgabe Stuttgart/Tübingen 1817), Frankfurt/M. [u.a.], Ullstein, 1982, p. 238. Diese vier Stufen sind «1) Die Stufe der innern sinnlichen magnetischen Anschauung. 2) Das Hellsehen (Clairvoyance), welche Stufe der erhöhten Einbildungskraft korrespondiert. 3) Die magnetische Sympathie, welche dem erhöhten Gefühlsvermögen gleich läuft, und 4) die magnetische Divination, welche mit der erhöhten Phantasie verknüpft ist» (Zit. nach FAUSER, p. 122).
42 Werke 1, p. 342.
43 ID., p. 323.
44 ID., p. 327-328 und 348.
45 ID., p. 393-394. Überraschenderweise wird Gustavs eigene Bitterkeit über seine Ehe ohne kritische Distanz von Benno von Wiese in seiner Interpretation der Erzählung übernommen. Wiese meint, Adolfine sei «zwar weitaus begabter und geistreicher als ihr Mann, aber ihr Wesen hat etwas Exaltiertes und Disharmonisches. [...] Leidenschaftlich reizbar, voller Launen und übersteigerter Ansprüche, findet sich Adolfine im Leben nicht zurecht» (B. von WIESE, Karl Immermann. Sein Leben und sein Werk, op. cit., p. 53). So meint es auch der fiktive Herausgeber am Ende der Erzählung: «Damit man ihr Verfahren nicht gar zu unweiblich finde, müssen wir zur Entschuldigung anführen, daß ihr [bzw. Adolfines] Gefühl, ihr Dasein überhaupt gestört, und aus den Schranken gerückt war, innerhalb welcher der Charakter einer Frau sich nur mit Anmut und Schönheit darstellen kann» (Werke 1, p. 392).
Uns scheint, daß Wiese die psychologische Komplexität, die den echten Gründen der Scheidung von Gustav und Adolfine zugrunde liegt, übersieht, indem er Adolfines «disharmonisches» Verhalten zu sehr betont und die Situation nicht so ausdrücklich auf Gustavs nicht besonders «harmonisches» Benehmen bezieht: «Die Aufgabe, die der Ehe Gustav-Adolfine an sich gestellt war, wäre gewesen, das Vergangene in gemeinsamer Wahrhaftigkeit zu übernehmen und sich von seinen Schatten zu befreien. Wo statt dessen Verschleierung, Unwahrheit und bewußte Täuschung sich vordrängten, konnte die Vergangenheit gespenstische Kraft gewinnen und das gemeinsame Zusammenleben unterhöhlen. Das war in erster Linie die Schuld Adolfines» (B. von WIESE, Karl Immermann. Sein Leben und sein Werk, op. cit., p. 55). Die Interpretation mag zutreffend sein, nicht m.E. Wieses radikales Urteil über Adolfines «Schuld». Feinsinniger ist der Kommentar Immermanns selber in seinem Brief an Michael Beer vom 28. Oktober 1830, nach dem den «Carnaval» ein Gesetz regiere: «Alles dreht sich um den Gegensatz beschränkter und verbrecherischer Energie des Wollens, und unpraktischer Weite des Sinns. Die, welche wollen, bringen es nicht zu Resultaten, und der, welcher nichts entscheiden will, bringt alle Schicksale hervor. – Aus diesem Gegensatz entspringen alle Situationen und die Katastrophe» (Karl Leberecht Immermann. Briefe. 1. Bd.: 1804-1831, hrsg. von P. HASUBEK, München, Wien, Carl Hanser, 1978, p. 884).
46 Vgl. Anm. 42.
47 Werke 1, p. 334.
48 ID., p. 337.
49 ID., p. 336.
50 ID., p. 348.
51 ID., p. 399.
52 J.A. KRUSE, «Weil ich ein Garnichts bin,/ Geb’ ich mich selber her». Immermann und die Frauen, in P. HASUBEK (Hrsg.), Epigonentum und Originalität: Immermann und seine Zeit – Immermann und die Folgen; Frankfurt/M. [u.a.], Peter Lang, 1997, p. 85-110.
53 ID., p. 98-99. Vgl. auch die nüchterne Darstellung von Peter Hasubek in Karl Leberecht Immermann. Briefe, op. cit., Bd. 3.1, 1987, p. 279-282.
54 Zit. nach J.A. KRUSE, Weil ich ein Garnichts bin..., op. cit., p. 99.
55 Laut dem Ausdruck von Kruse, ID., p. 90.
56 W. DEETJEN, Gräfin Elisa von Ahlefeldt, in Westermanns Monatshefte, 66. Jahrg., 132. Bd., 1922, p. 119.
57 ID., p. 120 und KRUSE, Weil ich ein Gamichts bin..., op. cit., p. 100. In Berücksichtigung der häufig zitierten Äusserung Immermanns über die Gräfin muss die Drohung wirkungsvoll gewesen sein: «Ich habe mich vor Niemand je so gefürchtet, wie vor ihr. Ich scheute mich daher durch kategorische Erklärungen verletzende und wie es mir schien, fruchtlose Scenen herbeizuführen. Ich schwieg, und dieses Schweigen hat sie über den Abgrund verblenden helfen, der lange zu ihren Füßen aufgewühlt war» (Brief an Karl Schnaase vom 12. September 1839; Karl Leberecht Immermann. Briefe, op. cit., Bd. 2, 1979, p. 1036).
58 W. DEETJEN, Gräfin Elisa von Ahlefeldt, op. cit., p. 120. Hanna Fischer-Lamberg evoziert die «Überlegenheit» der Gräfin «auf allen Gebieten»: ihre aristokratische Herkunft, ihre große Vergangenheit an der Seite ihres Gatten Lützow, ihr reiferes Alter, ihre geselligen Talente, ihr kultivierter Geist... «Dazu traten die ausgesprochen tyrannischen Züge in Elisens Charakter. Sie war, als sie zusammentrafen, dem schwer Gehemmten willensmäßig durchaus überlegen» (H. FISCHERLAMBERG, Karl Immermanns Autoritätsproblem. Zum 100. Todestag des Dichters am 25. August 1940, in Deutsche Viertelsjahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 18. Jahrg., XVIII. Bd., 1940, p. 384-385).
59 J.A. KRUSE, Weil ich ein Garnichts bin..., op. cit., p. 108 und W. DEETJEN, Gräfin Elisa von Ahlefeldt, op. cit., p. 121.
60 B. von WIESE, Karl Immermann als Kritiker seiner Zeit, op. cit., p. 172.
61 BARKHOFF, Magnetische Fiktionen..., op. cit., p. 286.
62 Werke 1, p. 362.
63 ID., p. 407.
64 B. BAUER, Richtige und falsche Naturdeutung. Karl Immermanns «Waldmärchen Die Wunder im Spessart», magischer Idealismus und Renaissancephilosophie, in D. PEIL e.a. (Hsrg.), Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur, Tübingen, Max Niemeyer Verlag, 1998, p. 559-560.
65 Vgl. Werke 1, p. 402 und 795; Beiträge zur Methodik der Untersuchungsführung. Mitgetheilt von Karl Immermann, Landgerichstrathe und Intructions-Richter zu Düsseldorf, in Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege in den Preußischen Staaten mit Ausschluß der Rheinprovinzen, hrsg. von J.E. HITZIG, Jahrg. 1828, Bd. 1, Berlin, p. 1-58.
66 Folgendes beruht auf dem aufschlußreichen Bericht von M. FAUSER, Intertextualität als Poetik des Epigonalen..., op. cit., p. 126ss.
67 ID., p. 131.
68 Werke 2, 1971, p. 114.
69 ID., p. 117.
70 ID., p. 81 und 89.
71 ID., p. 109.
72 ID., p. 111. Später findet Hermann in Flämmchens Täschchen die Instrumente dieses Fetischismus, u.a. Domen, Stäbchen, «ein sogenanntes Krötenstein, ein zugenähtes Säckchen mit Salz und Kümmel angefüllt als Amulett gegen die böse Stelle gemeint und» – so Immermanns weitere Abrechnung mit Hoffmann und der Romantik – «einige von den Sachen, die vor Jahren die Einbildungskraft aller jungen Leute so sehr in Bewegung setzten: die "Teufelselixiere", der "Goldne Topf', "Rasmus Spikher" u.a.m....» (ID., p. 113).
73 ID., p. 147ss.
74 ID., p. 149.
75 Ibidem.
76 ID., p. 244ss.
77 ID., p. 235-236.
78 ID., p. 242. Hier sei nebenbei bemerkt, daß Heinz Josef Halm die Schlüsselfigur des Arztes als eines «wahrhaft zum erweiterten Autors» betrachtet, m.a.W., daß der Autor selbst dem Arzt «die Rolle des Erzählers» übertrage (H.J. HALM, Formen der Narrheit in Immermanns Prosa, op. cit., p. 133).
79 Werke 2, p. 545.
80 ID., p. 554. «In der Hauptstadt» Berlin befand sich die Anstalt für magnetische Kuren des Mesmerschülers Karl Christian Wolfart (ID., p. 708).
81 Schließlich verweisen wir auf die Episode, wo in der Figur Münchhausens die Idee des Rhabarbers so wächst, daß er «bald von Kopf bis zur Fußzehe jeder Zoll Rhabarber» wird. Nachdem vierundzwanzig Ärzte «vierundzwanzig verschiedene und entgegengesetzte Mittel» verordnet haben, wird Münchhausen aus diesem Zustand von einem Homöopathen erweckt (Werke 3, p. 48-49).
82 Vgl. Hasubeks Einführung zu Epigonentum und Originalität..., op. cit., p. 7.
83 Werke 2, p. 234.
Auteur
Germaniste. Université catholique de Louvain et Philipps-Universität Marburg
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