Zwischen familia und mancipium
Ländliche herrschaftsformen im ostfränkisch-deutschen Reich 950-10501
p. 225-251
Texte intégral
1Die Tagung „Hommes et sociétés dans l’Europe de l’An Mil“ hat sich einer Hypothese verschrieben, die in deutlichem Kontrast zu Vereinfachungen und Zuspitzungen steht, die an Schlagwort und Debatte des Umbruchs (mutation) um das Jahr 1000 hängen2. Das Jahrhundert zwischen 950 und 1050 sollte nicht mehr als Bruchzone bzw. Übergang zwischen dem karolingischen und dem feudalen Zeitalter, sondern als ein Zeitraum mit eigenständigem Profil aufgefaßt werden – ein Profil von räumlich und sozial vielfältigen Verhältnissen und Veränderungen.
2Meine Aufgabe ist es, zu dieser Profilierung im Feld der sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Mächtigen und ihren Untergebenen im ostfränkisch-deutschen Reich beizutragen. Ich werde wie folgt vorgehen: Zuerst bedarf es kurzer Einführungen sowohl in die Forschungssituation, besonders die deutschsprachige, und in die hier gewählte Untersuchungsperspektive als auch in die Überlieferungslage. Im Hauptteil soll dann eine von ausgewählten Dokumenten geleitete kurze Umschau im Reich zwischen den Alpen, dem Rhein und der Elbe, vorwiegend also in der Germania germanica folgen. Im Blick sind Situationen von „Familiaren“ im Rahmen jeweiliger ländlicher Herrschaften. Bei jeder Situation, repräsentiert durch ein besonderes Zeugnis, werden bestimmte strukturelle oder prozessuale Gesichtspunkte behandelt, die dort besonders klar hervortreten. Ab und zu werden auch benachbarte Verhältnisse gestreift. Am Ende werden einige Verallgemeinerungen gewagt, um Ausgangspunkte für kommende Vergleiche zu bieten. Hauptziel aber bleibt die Vielfalt.
FORSCHUNGSLAGE UND UNTERSUCHUNGSPERSPEKTIVE
3Auch noch die heutige deutsche Forschung über das Jahrhundert mit der Jahrtausendwende in seiner Mitte zentriert weiter um die Genesis des regnum teutonicum am Leitfaden der Königsherrschaft der Ottonen und der frühen Salier. Dieses Werden wird aber inzwischen nicht mehr als initiatives Machthandeln einzelner Dynasten, sondern als zwar die Reichseinheit wahrendes, aber vielfach prekäres Paktieren und Streiten von verwandten, befreundeten und verschworenen Herrengruppierungen um Oberherrschaft und regionale Autarkie verstanden; Adelskreise, die sich institutionell und normativ im Rahmen von ecclesia und regnum verankert wissen und an im wesentlichen mündlich bestimmten Gewohnheiten orientiert bleiben und entsprechend handeln. Auch die offenbaren Intentionen und die langfristigen Ergebnisse dieser Handlungen werden heute skeptischer beurteilt. Wann und für wen das Reich als ein „deutsches“ und als ein „Staat“ zu gelten begann, ist weiter umstritten. So elaboriert dieses neue Bild vom politischen Verbandshandeln der potentes mit seinen unsteten und vielfältigen Allianzen, seinen ausdrucksgebundenen Handlungsstilen und seinen christlich-agonalen Leitvorstellungen auch bereits ist, viele Fragen nach der sozialen Kohärenz der herrschenden Gruppen, unter denen der König nur der primus inter pares ist, sind weiterhin offen3.
4Mehr oder weniger am Rande dieser Forschungen stehen die materiellen Versorgungaktivitäten für den König und seinen Hof4, für die Bischöfe und Kapitelherren, die Äbte und Konvente, die Herzöge, Grafen, Kastellanen und Krieger. Die Welt der Beherrschten kommt dabei kaum zur Sprache5, es sei denn, man bedient sich des interpretativen Rahmens der „Grundherrschaft“6. Hier werden dann, einzelherrschaftlich beschränkt7 oder trägerschaftlich typisiert8, die wirtschaftlichen und sozialen „Strukturen“ dargestellt und, selten genug, regional verglichen9. Um anschaulichere Vorstellungen von den sozialen Beziehungen unterhalb der oberen Herrschaftskreise, von den Eigenarten, Variationen, Wandlungen der Lagen und Handlungsräume der Familiaren zu gewinnen, wird an dieser Stelle auf den Orientierungsrahmen der „Grund“-Herrschaft und der einzelherrschaftlichen Strukturanalyse verzichtet. Stattdessen wird eine erweiterte und unschärfere Vorstellung von wechselnden und variativen Herrschaftsverhältnissen mit weit über die Bodenbezüge hinausgehenden Begründungsweisen gewählt: neben der Boden-Gewere also die periphere Abschöpfung (Tribut), die militärische Gruppen- und Gebietskontrolle (Burgbau, Heeres- und Troßdienste), Beschränkungen der Mobilität, der Sachverfügung und des Erbes, des Selbstschutzes, der Heirat und anderer Allianzformen, die Lizensierung und Abschöpfung der Friedensfindung, der Tausch- und Kaufgeschäfte, der Gottes- und Heilsdienste, der lokal-naturalen Ressourcen und publiken Einrichtungen10. Zur Einlösung einer solchen Sichtweise sind neuere Forschungen nützlich zu den sozialen Deutungsschemata, zur Gruppenbildung und Sozialdifferenzierung, zu ländlichen Siedlungsweisen und Zentralitätsformen, zur Agrar- und Gewerbetechnik, zum Münzgeldgebrauch und Märkteverkehr, zur Burgenentwicklung und Parrochialisierung11 - also zu den Vorgängen sozialräumlicher Strukturierung und Verdichtung des Landes, für die Robert Fossier das treffende Gedankenbild des „encellulement“ gefunden hat12.
ÜBERLIEFERUNG
5Das 10. und das frühe 11. Jahrhundert gelten, verglichen mit den Zeiten davor und danach, nicht nur für die herkömmliche Geschichte der politischen Taten und gedanklichen Initiativen und Traditionen, sondern auch für die sozialen Beziehungen und das tägliche Wirtschaften und Überleben im zentraleuropäischen Raum als ausgesprochen arm an schriftlicher Überlieferung13. Dieser Mangel hat mehrere Ursachen. An erster Stelle ist sicher der Rückgang des Schriftgebrauchs in den obersten Herrschaftskreisen zu nennen. Unter den gut 200 namhaften Großen, die sich in dieser Zeit Macht und Ehre im Reich teilten, galten, verglichen mit dem Jahrhundert karolingischer Reichseinheit (capitularia, Leges), mündliche Gewohnheiten und Traditionen mehr als schriftliche Berichte und Normen14. So beschränkte sich das rechtsstiftende Schrifthandeln der ottonischen und frühsalischen Könige auf die Beurkundung von Einzelvorgängen15: Hunderte von beurkundeten Schenkungen, Belehnungen, Konzessionen oder Bestätigungen mannigfaltiger Art für vor allem hochrangige Empfängerkreise bilden den Bestand der verschrifteten Reichhandlungen. Für die meisten in fränkischer Zeit entstandenen Klöster waren mit dem 10. Jahrhundert ebenso die Zeiten vorbei, die ihnen zahllose Ländereien samt der sie bebauenden und zinsenden Leute beschert hatten. Nur wenige geistliche Institutionen blieben Anziehungspunkte für fortgesetzte Besitztransaktionen in größerem Maßstab (Freising, Corvey, St.Emmeram). Dazu sind aber neue Ausstattungswellen im 10. und frühen 11. Jahrhundert unübersehbar: die Abteien Selz, Gandersheim etwa in der Form von Einzelurkunden, Petershausen und Paderborn im Rahmen später erstellter Klosterchroniken bzw. Bischofstaten. Sowohl die erzählenden als auch die registrativen und administrativen Teile dieser Zeugnisse und ein Bestand neuartiger Bischofsviten16 haben manches zur Sache zu bieten. Überschaut man die Besitzinventare und Rentenregister, dann sieht auch dort die Lage gar nicht so ungünstig aus. In Abteien wie Werden, Fulda, Weißenburg, Lorsch werden auch im 10. und früheren 11. Jahrhundert Güter und Rechte neu verzeichnet, alte überarbeitet, in Kartulare übertragen und Fundationsgeschichten beigefügt. Andere Herrschaften kommen mit ähnlichen Inventaren hinzu: Corvey, Freckenhorst, Mettlach, Marmoutier, St.Emmeram, Kitzingen. Auch frühe Hofrechte, kirchenrechtliche und liturgische Sammlungen, Tatenberichte und Chroniken und literarische Zeugnisse sind zum Thema befragbar, ebenso die Ergebnisse neuerlicher Grabungen.
6Würde man all das ausbreiten, was, zwar verstreut und punktuell, überliefert ist, dann wären die Kernlandschaften des ostfränkisch-deutschen regnum recht dicht unterlegt mit Hunderten von Details über die ländlichen Lebensverhältnisse. Der vielbeschworene Mangel an Überlieferung, so sollte man also festhalten, hält sich in Grenzen. Er ist im übrigen auch nicht in allen schriftgenerierenden Bereichen derselbe. Vielleicht wäre es sogar zutreffender, von einem Nebeneinander ungleicher Schrumpfungen, schwer durchschaubarem Wandel und auch Ausweitungen der Schriftpraxis zu sprechen, alles bestimmt von modifizierenden Fortschreibungen, Verlagerungen und Neuerungen. Besonders auffallend ist die Zunahme der bischöflichen Lebensbeschreibungen. Auch bestimmte Klöster und Domkapitel solidisieren und erweitern ihre Schriftpraxis erheblich. In vielen Schreibstuben um die Jahrtausendwende sind Aktivitäten zu beobachten, die sich als selbstbewußte „Um“-Schreibung der karolingischen Traditionen mit dem Ziel verstehen lassen, der Überlieferung einen neuen, deutlich regionaleren Sinn zu geben17. Daß dabei ganz erhebliche Manipulationen, ja gezieltes Vergessenmachen im Spiel ist, wird erst neuerdings genauer untersucht. Solche Anpassungen des Schriftwissens18 und Aktualisierungen der schriftlichen Überlieferung an neue Deutungs- und Darstellungsbedürfnisse sind zutiefst beeinflußt von den vielfältigen „Verformungen“ von Erinnerung und Wissen, denen eine Gesellschaft erliegt, die dominant mündlich lebt19.
FAMILIAREN IM REICH
Petershausen und St. Gallen
7In den Casus des Konstanzer Bistumsklosters Petershausen, die von einem Anonymus in der Mitte des 12. Jahrhunderts aus vorliegenden Urkunden kompiliert, aus Berichten von Ohrenzeugen und aus eigener Erinnerung aufgeschrieben wurden, ist eine merkwürdige Begebenheit aus dem späten 10. Jahrhundert überliefert, die sowohl über die Ausdrucksweise als auch über die Begegnungsformen damaliger Herrschaft plastisch Auskunft gibt20. Graf Adilhard von Buchhorn, ein Oheim des Klosterstifters Bischof Gebhard, besucht - ein seltener Fall - seine Güter im Illergau. Als ihn seine Leute dort mit Geschenken (munuscula) begrüßen, weist er diese ab, verköstigt zunächst seine Leute, beschenkt sie selber und schickt sie mit ihren Geschenken wieder nachhause. Später, so wird berichtet, schenkt Adilhard einen Teil dieser Güter Gebhard, der sie an Petershausen weitergibt. Die Episode ist zweifach interessant.
8Zum einen belegt sie wechselnde Wortwahl bei der Bezeichnung der sozialen und dinglichen Verhältnisse. Dieselben Leute etwa figurieren unter vier verschiedenen Bezeichnungen: sie sind die habitatores ihrer villae; als homines gehören sie ihrem dominus; sie benehmen sich wie servi, wenn sie dem Herrn ihre munuscula anbieten; und man nennt sie tributarii, wenn man als Inhaber von mansi über sie verfügt. Auch das Attribut popularis zur später genannten Eigenkirche läßt sich hierher rücken. Fünf Wörter für fünf verschiedene soziale Aspekte ihres Daseins: der lebensweltliche Ortsbezug, die herrschaftliche Grundbindung, die Zuordnung zu einer ständischen Verhaltensart, die dinglich verankerte Rentenpflichtigkeit, die kultische Ortsgesamtheit. Bestimmte Teile des „familialen“ Vokabulars der Zeit werden hier also bewußt verwandt. Andere Wörter aus dem gleichen Feld fehlen (z.B. vulgus, rusticus, agricola, laboratores, colonus, mancipium, familia). Welches der hier gebrauchten Wörter das wichtigste ist, läßt sich nicht entscheiden. Die Forschung, so wäre daraus zu verallgemeinern, sollte vorsichtig sein, diese Vielfalt begrifflich einzuebnen, so wie dies geschieht, wenn man von „Bauern“ spricht21. Das Vokabular der Bodenbezeichnungen und -beziehungen macht etwas anderes deutlich: die sachliche Überlappung und die räumliche Diffusität. Das Eigentums-Vokabular, mit dem das Gesamtgut (predium) gewissermaßen verknüpft ist, scheint wenig distingiert zu sein. Für das Verfügen etwa kann, so die Reihenfolge im Bericht, ius, hereditas, proprium, proprietas, potestas gesagt werden. Recht, Erbe, Eigen(tum), Macht - dazu kommt am Ende noch der Nutzen (utilitas). Die Verfügungs-Wörter erscheinen eher wie ein Sinnkonglomerat denn wie ein präzise gegliedertes Sinnfeld. Auch bei den Bodenbezeichnungen - den predia, fünf Ortsnamen, villae, mansi, dazu den Pertinenzen - fallen Unschärfen und Unklarheiten auf. Lage und Zahl sind nicht präzisiert: die 40 mansi liegen „bei“ den genannten Orten (die, wie wir wissen, benachbart sind), es können auch mehr gewesen sein. Sie sind normal ausgestattet (Äcker, Wiesen, Weiden, Fischwasser). Dazu Mühlen und eine mit „vielen Zehnten“ dotierte Kirche. Was kann das topographisch heißen? Geht es um einen mehrgliedrigen Siedlungsverbund mit fünf Wohnorten (Weilern) ohne Vorort (curtis), aber mit einem eigenkirchlichen Zentrum? Hier bereits von selbständigen „Dörfern“ zu sprechen, wäre wohl verfehlt. Beide Wortgruppen bezeugen, wie variativ, vielleicht gezielt flexibel, vielleicht aber auch vermengt bzw. ungeschieden die Herrschaft über die Leute und die Sachen ausgedrückt wird. Das aber scheint die Regel im früheren Mittelalter gewesen zu sein22. Die sehr knappe Untersuchung der zwei Ausdrucksfelder sollte nur zeigen, wie semantische Aufmerksamkeit - hier nur für die Nomina - davor bewahren kann, vorschnell moderne Begriffe (Bauer, Dorf, Eigentum) vor damalige Ausdrucksmöglichkeiten und -entscheidungen zu schieben.
9Zum anderen die Begegnungsweise. Der Graf trifft seine Leute nur bei seltenen, aber wichtigen Anlässen. Es ist wie auf der Ebene der Reichsgeschäfte: auch die lokale Herrschaft findet am wenigsten durch die Herren selber statt, selbst wenn sie beflissen ihre „Runden“ durch ihre versteut liegenden Güter machen. Soweit Herrschaft im sonntäglichen Zuhören und Bekennen, im monatlichen bzw. wöchentlichen Fronen und saisonalen Zinsen und im gerichtstäglichen Beeiden, Bezeugen, Urteilen und Büßen besteht, sind es die Priester, Meier und Vögte/Grafen, die die Leute regelmäßig zu Gesicht bekommen. Jede dieser dominus-Rollen hat aber einen eigenen Rhythmus und eine andere sachliche Dichte und Verbindlichkeit.
10Wenn man nun aufeinander trifft, dann geht es auch darum, diese Begegnung zu seinen eigenen Gunsten zu gestalten. In der Aichstettener Geschichte wird der Versuch der homines, ihrem Herrn, dem Grafen Adilhard, als zuerst Gebende zu huldigen, von diesem korrigiert: seiner Gabe, dem Mahl, gebührt die erste Stelle. Deshalb haben sich seine Leute zurückzuhalten, dem Mahl folgt die Präsentation und Beschau ihrer munuscula. Erst durch diese Umkehrung entsteht die richtige Ordnung im Besuchsritus. Die Forschung über die Funktion und Bedeutung der seigneurialen Gaben steht, trotz programmatischer Hypothesen schon von Marc Bloch, noch ganz am Anfang23. Sicher scheint, daß die verschiedensten Präsenzen der Herren, nicht nur wie hier die Visitation des Grafen Adilhard und ihrer Beauftragten - Gaben „hervorrufen“: die Durchreise, das weltliche und geistliche Gericht, die Rentenkollektion, die Huldigung, die wöchentliche Messe oder die Feiern an Festtagen u.a. Hierbei wird bedeutungsvoll gegeben, angenommen und erwidert. Mit den Gaben bestätigt man seine soziale Position, d.h. die sozialen Unterschiede, schafft das angemessene Begegnungsklima, sucht aber auch seinen Vorteil, versucht zu provozieren, zu justieren oder „neue Tatsachen“ zu schaffen. Die Leute „erweichen“ die Herren, diese wiederum halten sich für nicht ausreichend geehrt oder „erpressen“ immer wieder mehr Gaben als üblich. Das zeigen verstreute Zeugnisse zur Genüge. Also auch die lokale Herrschaft ist, bezogen auf die personale Spitze, meistenteils solche in absentia, geprägt von Begegnungsritualen, bei denen die Besucher und die Besuchten ihren ungleichen Anteil haben, dessen Angemessenheit aber jeweils auf dem Spiel steht.
11Schließlich sollte man darüber aber nicht vergessen, daß die Leute in Aichstetten, Breitenbach usf. an ihre mansi gebunden sind, mit denen zusammen (oder getrennt von ihnen) sie ohne ihr Zutun verschenkt werden, ebenso verkauft, vertauscht, verliehen werden können. Sie entrichten jährlich bestimmte Ertragsanteile (tributa und decimae), die man nicht mit den kleinen okkasionellen Gaben (munuscula) verwechseln sollte. Es sieht nicht so aus, daß sie zudem noch zu agrikolen Diensten verpflichtet waren, denn im Güterkomplex fehlt eine curtis, ein mansus indominicatus. Man könnte hier also von einer doppelten „Abgaben“-Herrschaft sprechen: Zins- und Zehntherrschaft. Aber ist sie stabil? Wird sie zukünftig die gleiche bleiben? Wir wissen nichts darüber, was die Petershausener Mönche anschließend mit ihrem neuen Güterkomplex getan haben. Für das Jahr 1043 ist bezeugt, daß 14 mansi in Aichstetten einem sonst nicht weiter bekannten Erimbreht und seiner Gattin als beneficium auf Lebenszeit verliehen wurden24. Die Leute von Aichstetten hatten binnen 50 Jahren vier verschiedene Herrschaften: den Grafen, den Bischof, die Mönche, den Vasallen.
12Nur wenige Hinweise auf die sozialen Verhältnisse auf den St. Gallener Gütern. Hierzu liegen solide Forschungen vor25. Am Ende des 10. Jahrhunderts konnten Abt und Konvent Güter in über 600 Ortschaften, verstreut zwischen Zürichsee und unterem Neckar, Iller und Oberrhein, ihre Habe nennen, auch wenn beachtliche Teile davon - mit wachsender Tendenz - von Dritten als Prekarien oder Lehen genutzt wurden. Um Klosterhöfe (curtes: Guts-, vor allem aber Fronhöfe oder Hebestellen) und Eigenkirchen (wie in Aichstetten) gruppierten oder massierten sich die hobae, die ihre Zinse ad proximam curtem leisteten, dort wohl auch dienten - aber darüber weiß man viel zu wenig. In ganzen Landstrichen (Breisgau, Hegau) lassen sich keine Fronhöfe nachweisen, Zinsherrschaft scheint demnach vielfach vorgeherrscht zu haben. Man spricht hier, ebenso wie in Konstanz, vom tributum neben dem üblichen census. Die Versorgungs- und Kontrollbemühungen hatten im Laufe des 10. Jahrhunderts dazu geführt, daß neben Eigenpriestern, die schon seit langem als Rentenkollektoren und Urkundenschreiber vor Ort fungierten, nun Außenpröpste, abgeordnete Mönche, und dann immer mehr die villici bzw. maiores den um curtes zentrierten Gütergruppen vorstanden, über die Erträge wachten, den Gerichten vorsaßen. Massive Anzeichen dafür aber, daß diese klosterfernen Lokalagenten sich nicht nur von den Hufnern abzusetzen verstanden, sondern sich wie mit „ihren“ curtes belehnte milites zu benehmen begannen, wurden Mitte des 11. Jahrhunderts im Zentrum mit Empörung registriert; man hat den Bericht darüber in Ekkhards IV. Casus Sancti Galli, der den Vorgang aber zu früh datierte. Diese Distinktion innerhalb der familia hatte sich ganz allmählich angebahnt. Daß die örtlich aufsteigenden Meier sich an vasallitischen Kriegern orientierten, mag der Militisierung als Grundzug der Zeit zuzuschreiben sein. Aber auch der Abt selbst gab Anlaß dazu, indem er sich seit dem späteren 10. Jahrhundert mit derlei milites umgab - 981 hatte er Otto II. 40 loricati für dessen Italienfeldzug zu stellen. Verglichen mit der Profilierung der aufsteigenden ministri bleibt das Bezeichnungsverhalten in den Urkunden für die „Leute vor Ort“ diffus. Natürlich werden die Standesbegriffe der Karolingerzeit weiter benutzt. Die Forschung hat aber die Anzeichen für allmähliche Sinnverschiebungen bei einzelnen Termini und bei der Auswahl aus dem Unfreiheits- bzw. Abhängigkeits-Vokabular nicht zu einem klaren Bild fügen können. So muß hier die Reduktion ausreichen, die auch Abt Gerhard genügte, als er sich von Otto III. 994 urkundlich bestätigen ließ, was schon im Immunitätsdiplom seines Vaters und in früheren textus cartarum geschrieben stand: es steht allein dem Abt zu, monachos suos regulariter regere, familiae praecipere, res monasterii ordinare26.
Bistum Augsburg
13Nicht zur Zusammenfassung, sondern zur Entfaltung der sozialen Figuration der Abhängigen taugt das familia-Wort in der Vita Bischof Udalrichs von Augsburg, die der dortige Dompropst Gerhard zwischen 982 und 993 in einfachem und anschaulichem Stil geschrieben hat27. Im 2. Kapitel des 1. Buchs hat Gerhard, unter dem Titel de cottidiana consuetudine episcopi, Udalrichs Handlungsweisen gezeichnet, ihrem Tugend- und Wertgefüge nach einem gerafften Tugendspiegel für einen Bischof ähnlich, im Blick auf sein tagtägliches soziales Handlungsfeld jedoch unverwechselbar vielfältig und konkret28. Der Abschnitt ist ausgelegt nach sozialen Richtungsprinzipien - der Blick geht nach oben und nach unten im Sinne sozialer Ränge, und nach außen sowie nach innen im Sinne ganz verschiedener Herrschaftsformen. Der Ausgangspunkt aber ist der Ort des Täglichen, die domus, der Bischofspalast; insofern wäre von Hausherrschaft als Hofhaltung zu sprechen29. Gerhard beginnt mit Udalrichs Diensten nach oben: an die erste Stelle gehört der Königsdienst bei Heinrich I. und Otto I. (und der seines Vertreters, seines Neffen Adalgero). Dann folgen seine gottesdienstlichen Gewohnheiten (unter Mithilfe der Chorherren). Aus ihnen geht dann sein Handeln als mildtätig und freigiebig haushaltender und gerechter Herr hervor. Sieben Gruppen werden unterschieden. Gerhard beginnt mit denjenigen vier, die nicht zum Haus gehören und Gastrecht genießen: Zuerst die pauperes, denen Udalrich reichlich, d.h. mehr als sich selbst, zuteilt. Dann folgen die hospites, die er nach Christi Gebot hospes fui et suscepistis me versorgt. Den kaiserlichen vasalli gebührt vor allem der ehrenwerte Gastdienst, die Pferde eingeschlossen. Die ihn besuchenden monachi, clerici und sanctimoniales liebt und erfrischt er wie ein Vater seine Kinder. Die interne familia wird dreifach gegliedert. Zuerst bezieht sich Gerhard auf die familia als bischöflichen Verband (als „Hof“), in den die clerici gehören, die zusammen mit freien und adligen Jüngeren unterhalten und sorgfältig belehrt werden - der Nachwuchs sozusagen. Den besten unter ihnen winken ministeria und benefitia. Anschließend wird diese Gruppe ausgeweitet um die laici sua dominatione subiecti, für die Udalrich ein verläßlicher Herr war. Ebenso auch - und hier wendet sich die Handlungsform erneut - für die Gruppe der ihm Anvertrauten (familia ei commissa): für diese in seinen Schutz Gestellten sorgt er für Gerechtigkeit als Richter - auch gegen Ungerechtigkeiten ihrer Herkunftsherren oder ihrer conservi. Schließlich geht es um die Achtung der Rechtsgewohnheiten der familia draußen in den loci, den Siedlungen und Villikationen; von ihr sollen die bischöflichen ministri nichts als den rectum censum erheben, alles andere wäre Mißbrauch der bischöflichen potestas. Gerhard definiert hier nicht die familia, sondern deutet an, was selbstverständlich zu sein scheint. Sicher geht aber daraus hervor, daß es geistliche und weltliche Familiaren innerhalb des Hofhalts gibt, denen die Chance zum Aufstieg zu Ehre, Aufgabe und Ausstattung offensteht - auch wenn sie von außen gekommen sind. Von außen stammen auch die Kommendierten, die Unfrieden und Schaden von dort zu befürchten haben, woher sie stammen (oder wo sie noch leben). Draußen schließlich vor Ort die zahllosen zinspflichtigen Familiaren.
14In dieser bischöflichen familia finden sich also: Geistliche und Laien; Adlige, Freie und Unfreie; Kirchendiener, Renteneintreiber, berittene Waffenträger, Schutzhörige, Zinsleute. In diesem Hof- und Haushalt ist viel Kommen und Gehen. Und die Aufgaben des Bischofs sind mannigfaltig: er hat sich als Diener, Gastgeber, Ernährer, Freund, Vater, Lehrer, Lehnsherr, Administrator, Richter und Schützer zu bewähren - so sieht es sein Biograph. In diesen Dimensionen und Bereichen seiner täglichen Herrschaft vom Hof aus (dominatio, regimen) sieht Gerhard seinen Herrn aber vor allem als ernährenden und schützenden pater seinen Familiaren gegenüberstehen. Damit ist jedoch noch nicht das ganze bischöfliche Handlungsfeld abgesteckt. Liest man weiter in der Vita, dann begegnet man vielen Details, die zeigen, was bei der Beschränkung auf den Palastalltag noch fehlen mußte: alle Aktionen draußen in der Diözese - die Visitationen, das Sendgericht, die Gründung von Pfarrkirchen und Kapellen samt ihrer Weihe, die Zelebrierung der Messe im Lande einschließlich der Predigt30, schließlich auch der Landesschutz, der Burgenbau und die tatkräftige Verteidigung der Zentrale Augsburg.
15Ob der Bischof auch bei diesen Handlungen die Leute seine „Familiaren“ genannt hat? Wohl nicht. Gegenüber den Gläubigen im Land war er primär von Gott beauftragter Hirte, weniger Vater, führte sein officium, nicht sein Haus. Und die Gläubigen wurden als das Volk (populus) am Ort des Geschehens, nicht als die räumlich, ständisch und funktional gestaffelten „Seinen“ wahrgenommen. Abgrenzungen anderer Art ergeben sich in lokalen Zusammenhängen: die bischöfliche familia wird von den dörflichen cives und vom urbanen populus (mercatores, artifices, servitores) abgegrenzt.
16Kommen wir abschließend zurück auf die streng herrschaftliche Bindung: In dem Moment, wo Leute zur Ausstattung einer Kirche an diese in Verbindung mit Ländereien gegeben wurden, nannte man sie mancipia. Diese Bezeichnungsgewohnheit findet sich allerorten im Reich, besonders aber in der königlichen Kanzlei. In den Hunderten von Königsdiplomen stellt das Wort mancipium eine Art Sprachregelung dar für den Moment im Dasein der Abhängigen, wo es „ernst“ wird - beim Herrenwechsel. Dann nämlich wird die Kettung an den Verfügunswillen der Herrschaft als ein Hauptmerkmal der Unfreiheit manifest31. Vielleicht besinnt man sich hier, im etymologischen Verständnis der Zeit, auch auf den „wörtlichen“ Sinn: manus-capio. Er verweist auf den gestisch aufgeladenen Akt der Übergabe, das handhafte Ergreifen durch den neuen Herrn. Wenn nicht nur Gerhard als Stimme des Bischofs, sondern auch die Urkundenschreiber in den Klöstern oder in der königlichen Kanzlei diesen Moment bevorzugt mit dem Wort mancipium ausdrücken, dann klingt hier die Sklaverei mindestens nach, wenn nicht gar noch durch32.
17Um zu schließen: Beim Versuch, den vielfältigen Aspekten von familia in Gerhards Udalrich-Vita nachzugehen, sind weitere soziale Konfigurationen aufgetaucht: der kirchenherrschaftliche und der präurbane populus, die ländlichen Lokalgruppen der cives. Und es ist mit dem mancipium neben der familia eine Einheitsbezeichnung für alle als Inbegriff dessen aufgetaucht, was von der Sklaverei nach- bzw. weiterwirkt.
St. Emmeram (Regensburg)
18Ganz anderes erfährt man aus einem Register33 der Abtei St. Emmeram in Regensburg, der descriptio von Besitzungen, Gruppen, einzelnen Leuten und an sie geknüpften Einkunftsansprüchen bzw. Pflichten. Propst Arnold ließ es 1031 im Auftrag Burchards, der gerade sein Abbatiat angetreten hatte, erstellen und vom Konvent (ca.40 Mönche) und der familia billigen34. Wie alle Register dieser Zeit bietet auch das Emmeramer andere Tatsachen als die narrative Zeugnisse, und dies in jeweils eigener Ausdrucksweise. In einem knappen Drittel aller ortsbezogenen Aufstellungen (34 von 108), die den Kern der ländlichen Herrschaft St. Emmerams im fruchtbaren Hügelland südlich der Donau bilden, wird folgende Struktur variiert35. Die lokale Ordnung geht vom Salland aus, das in zu Hufen gruppierten Jochen inventarisiert ist, im Schnitt etwa 5 Hufen pro villa. Der Salhof selbst ist nicht genannt. Die Bebauung steht in der Regie eines regelmäßig genannten villicus. Er gebietet dabei über servi salici, die selber Ackeranteile innehaben. Neben dem villicus fungiert ein Priester, dem die decimatio obliegt. Beide sind mit zu hobae vermessenem Land ausgestattet. Über verhuftes Land verfügen auch die hier und da vorhandenen Reiter (equites, parscalci), Förster, Winzer und Fischer. Besondere Beauftragte (ministri) könnten sich auch hinter den bisweilen vorkommenden servitores verbergen. An den hobae, die aber ebenso Nichtspezialisierte innehaben, hängen ausschließlich Zinspflichten: vor allem Getreide (Roggen, Hafer), dazu Schweine, Schafe, Honig, ab und an Roheisen(stangen) und Pfennigquanta. Abgabetermine sind nicht genannt. Nur wo Salland ist, gibt es die mansi. Sie sind in der Regel gegenüber den hobae in der Überzahl. Ihre Inhaber bleiben unbezeichnet. Für die mansi gilt ein deutlich servileres Rentenregime: ein anders zusammengesetzter census ohne Brotgetreide (Bier, Hafer, Hühner, Eier, genau bemessene Lein- oder Wolltücher (opus uxoris), Pfennige anstelle von Schildläusen für Purpur) sowie Ackerdienste (opera), die in den Stoßzeiten sicherlich dazukommen36. Neben wenigen Hinweisen auf Rodung sind Wassermühlen, für die auch die Zahl der Räder angegeben ist, regelmäßig inventarisiert, ab und zu auch Wirtshäuser. Von lokalgewerblichen Bannrechten aber keine direkte Spur. In enger Beziehung zu den Salland-villae steht das gute Dutzend von Zehntbezirken (decimatio in ipsa villa). Mehrfach übergreifen diese Bezirke aber den villikalen Rahmen.
19Ähnlich eng an die Salland-villae, aber auch an die Ortskirchen gebunden sind die censuales, ein soziales Phänomen, das für viele kirchliche Herrschaften Bayerns dieser Zeit (Freising, Salzburg, Passau) typisch zu werden beginnt37. Meist am Ende von rund 20 der Sallandabschnitte des Emmeramer Registers sind zu Pfennigzinsen unterschiedlicher Höhe verpflichtete Zensualen, in der Mehrzahl Frauen, aufgeführt - insgesamt gut 350 Leute. Da kein weiterer Landbezug angegeben ist, muß man sie für landlos oder anderswo ansässig halten. Diese Leute sind von ihren Herren in den Schutz des Heiligen Emmeram und seiner Kirchen freigelassene Unfreie (mancipia, servi/ancillae), die in Anerkennung dieser Stellung am Festtag ihres Patrons auf dessen Altar einen vereinbarten Wachs- oder Pfennigszins niederlegen38. Das weisen mit aller Klarheit Hunderte von Traditionsdokumente aus. Für St.Emmeram hat man zwischen 975 und ca.1050 rund 150 Stücke, mit denen über 230 Unfreie zu Zensualen der Abtei freigelassen werden39. Man kann hier durchaus von einer Bewegung sprechen, die in Bayern gegen Mitte des 10. Jahrhunderts einsetzt, sich dann weit bis ins 12. Jahrhundert fortsetzt. Sie betrifft, das scheint sehr wichtig, in dieser Anfangsphase aber nur die Freilassung von Unfreien. Autotraditionen Freier zu censualis-Bedingungen werden erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts bedeutsam. Welche Motivkonstellation hinter diesen Schenkungen mit Freilassung in den Schutz gegen Altarzins steht, ist selten klar. Die Schenker sprechen zuweilen von ihrem Seelenheil bzw. ihrer memoria; man kann aber vermuten, daß diese Unfreien - mit einer eigenen Zahlung an ihren Herrn - dem ganzen auch Vorschub geleistet haben40. Wovon aber haben sie sich dann eigentlich los- oder freigekauft? Es ist das opus servile. Auf der geistlichen Empfängerseite wird diese Befreiung vom Frondienst-Makel anerkannt. Neben den Wachs- bzw. Zinseinnahmen entsteht aber für die neue Herrschaft auch eine Art „Reserve“ für die Besetzung von Hufen - dies sieht man daran, daß bisweilen Zensualen Hufen innehaben. Man kann aus diesem Phänomen nur den Schluß ziehen, daß im 10./11. Jahrhundert eine aktive Abmilderung des servilen Grundklimas ingangkommt, bei der die Anziehungs- und Schutzkraft der Heiligen und die Entschuldungshoffnungen der Schenker ineinandergreifen.
20Egal, wie verschieden alle Gruppen41 zinsten oder dienten, sie waren von einer zweiten Appropriationsart gemeinsam betroffen, die in der Hand derselben Herrschaft ist: dem Zehnt. Doppelte Abhängigkeit also wie in Aichstetten und im Bistum Augsburg.
21Zu vieles fehlt im Register, um ein plastisches Bild zu gewinnen. Kein Hinweis auf Sanktionskompetenzen, also auf Hofgericht und Vogtei. Über die räumlichen Gegebenheiten verlautet nichts, d.h. es bleibt unklar, ob jeweils der ganze Ort der Abtei gehört - so selbstverständlich das bisweilen bei großen villae zu sein scheint. Das ist die Crux solcher Dokumente: trotz ihres Ortsbezugs liefern sie keine Ortsstruktur. Aber man kann doch neben den sozial distingierenden Landausstattungen und Rentenpflichten „integrierende“ Phänomene vorweisen: vom Zehnt sind omnes de villa betroffen, für Mühle und Schenke dürfte Vergleichbares gelten. Über Zeitordnungen wird so gut wie gar nicht gesprochen: nichts über Ehe- und Erbzinse oder über Leiheformen; keine Zins- und Frontermine (es gilt der pauschale Jahresbezug). Schließlich: Was die Leute noch wenig zu einen scheint, ist die Markterfahrung. Nur die Zensualen sollen mit Pfennigen, können sicher aber auch mit Wachs bezahlen. Unter den Hufnern werden Schweine erst in Münzmengen taxiert bzw. valuiert, noch nicht kommutiert. Die Mansusleute sollen lediglich die Purpurabgabe in Pfennigen erlösen. Die Herrschaft wollte die Güter, die konkreten Erzeugnisse - so muß die Hypothese lauten. Die vielen genau bemessenen Lein- und Wolltücher der Mansusfrauen etwa ließen sich wohl gut absetzen, und ebenso das gezinste Vieh.
22Für die Emmeramer Mansusleute in der civitas Regensburg, dem wichtigsten merkantilen und herzoglichen Zentralort Bayerns, ist das (schon) anders. Jeder soll, neben Holz, 30 Pfennige pro Jahr zinsen, wesentlich mehr als die marktfernen Leute. Sicher haben sie diesen Status den Verkaufsgelegenheiten in der civitas zu verdanken42.
23Abschließend sei noch die Frage nach lockeren bzw. schwachen Herrschaftskonstellationen angeschnitten. Sie betrifft zum einen die Streuhufen in den den villae benachbarten loci - ein häufiger Fall im Register. Schon diese geringen Distanzen werden lockernd auf die seigneurialen Bindungen eingewirkt haben. Und: waren die Emmeramer Familiaren die einzigen Leute dort oder hatten sie Nachbarn, die anderen Herrschaften gehörten oder unabhängige Landsassen bzw. selber herrschende Lokaladlige waren? Noch dringlicher stellt sich diese Frage für ganze Landstriche, in denen die Abtei weder Salhöfe noch Zehntrechte besaß. Die Besitzungen in der Oberpfalz gehören dazu. Viele Güter dort sind gar nicht verhuft, möglicherweise also keine selbständigen Betriebe. Die Mehrzahl der Hufner dort ist nur pauschal zu Geldzins veranlagt. Den Emmeramer Leuten dort waren sicher andere Verbindlichkeiten wichtiger als der jährliche Zinstermin für die Abtei: die mit den benachbarten Grafschaftsleuten oder Familiaren anderer Herrschaften. Aber wir wissen nichts darüber.
Kitzingen, Lorsch und Weißenburg
24Einheitlicher als im Register von St. Emmeram wirken die Verhältnisse in der Güteraufstellung (summa possessionum) des Benediktinerinnenklosters Kitzingen am Ostrand des Würzburger Maindreiecks, die ca. 1040 entstanden ist43. Nach ihr haben die Nonnen über 14 dominicalia, 254 mansi, 120 Joch Weingüter, 6 Pfarreien, 12 Mühlen, drei Furten (portus), ein forum und 12 Fischereien im 15km-Umkreis der Abtei (ohne Fernbesitz) verfügt - eine deutlich kleinere Herrschaft.
25Zu den 14 bipartiten Domänen - die Beschreibung des Fronhofs fehlt - gehören die zins- und frondienstpflichtigen mansi. Die wenig differenzierten servitia - in Joch bemessene Ackerfronden, etwa 1 Joch pro Hufe (arare), 3 Tagesdienste pro Woche, auch als ad hoc-Reserve zu verstehen (servire), und 6 Wochendienste pro Jahr, hauptsächlich Fuhren (operare) - dürften die Grundlage für den Domanialbetrieb gebildet haben. Dafür zinsen die Hufner selbst kein Korn, sondern nur Mastschweine und Ablösepfennige anstelle des textilen Mägdewerks44. Sicher gehören auch die obligaten Hühner- und Eierzinse dazu, ebenso Bier-, bei besonderen Standorten Pech- bzw. Salzlieferungen. Altständische Bezüge fehlen. Für die Klosterleitung spielte offensichtlich keine Rolle mehr, ob die Hufner oder ihre Hufen noch als „frei“ oder „unfrei“ galten, obwohl letzteres, der Dreitagesfron pro Woche nach, wahrscheinlich ist.
26Neuartig ist anderes. Man registriert regelmäßig ertragsabwerfende Einrichtungen wie Mühle und Taverne, dazu Waldungen, die Hufeisen erlösen, was auf Waldschmieden schließen läßt. In anderen Domänen sind Furten bzw. Bootsländen (portus) zinstragend, in Kitzingen sogar ein forum. Regelmäßig sind auch zinsfreie beneficia bzw. ihre Inhaber verzeichnet: Winzer, Fischer, Mühlen, villici, Torhüter, ja sogar ein Bäckermeister. Ihr spezifischer Dienst (ad dominicale) versteht sich von selbst. Ein beachtlicher zinsfrei gestellter Bereich von lokalen Dienstlehen ist also erkennbar. Die Kitzinger Domänen, besonders die großen von ihnen, bieten ein Bild der Differenzierung, in dem man die Bereiche späterer dörflicher Aufgabenteilung „ahnen“ kann: ackerbauende Hufner, kommunale Bedienstete, gewerblich Spezialisierte.
27In der dem Inventar vorangestellten summa sind 6 parrochiae genannt, auf die dann aber nicht mehr zurückgekommen wird. Diese Bezeichnung steht an der Stelle der sonst gängigen Nennungen von Kirchen, Priestern oder Zehntrechten bzw. -bezirken. Drückt sich darin bereits eine abgeschlossene Pfarrorganisation aus? Ist ein lokaler Verbund gemeint, in dessen Zentrum die zu allen Heilsdiensten berechtigte, d.h. bischöflich geweihte Kirche steht, mit einem Gräberterrain (Kirchhof), mit der angeschlossenen Ausstattung für den Leutpriester; drumherum ein räumlich terminierter Sprengel, mit Pfarrzwang für alle darin wohnenden getauften und gefirmten Leute und der Berechtigung zur Erhebung von Zehnt und Stolgebühren, schließlich regelmäßig visitiert vom Bischof oder seinem Vertreter45? Das muß offen bleiben.
28Eine ähnliche Situation wie in der St.Emmeramer Herrschaft bieten die Münzgeldbezüge. Zum einen sind die entfernter liegenden Streubesitzungen (villulae) vorwiegend zu Pfennigzinsen verpflichtet. Bei den domanialen mansi ist das Mägdewerk durchgehend in Denare kommutiert. Bisweilen ist auch der Schweinezins hinter einer Münzmenge „verschwunden“. Auf gut 4000 Denare Ertrag kommt die Abtei jährlich, wenn man alle Münzansprüche addiert. Wie sind die Kitzinger Familiaren zu diesen Zinsdenaren gekommen? Hat das Kitzinger forum, ein einmaliger urbarialer Beleg in dieser Zeit, dabei eine Rolle gespielt? Das forum wird ein Platz gewesen sein, auf dem Markt abgehalten wurde, wofür die Abtei Gebühren erhob, 180 Denare jährlich. Was dort geschah, ist sicher nicht vergleichbar mit dem überregionalen Marktgeschehen in Regensburg, dem wichtigsten Fernhandels- und Verbrauchszentrum im Reich neben Köln. Sicher auch nicht mit dem Kaufen und Verkaufen in der Bischofsresidenz Würzburg, eine Tagesreise mainabwärts. Dort ist zu 1030, erstmalig im Reich, ein mercatus cottidianus am Mainufer (bei der Furt) durch königliches Privileg belegt, der wahrscheinlich schon eine Generation lang stattfand - neben dem periodischen Markt auf der Straße zwischen der Domimmunität und dem Viertel der Diensthandwerker46.
29Vielmehr drängt sich der Vergleich mit den Landmärkten der alten Königsabtei Lorsch auf. Dort war man zwischen 956 und 1008 sehr bemüht, im Einzugsbereich der rechtsrheinischen Güter auf der Höhe von Mainz bis Speyer das lokale Marktgeschehen zu fördern. Sechs Diplome haben die Äbte für ihre villae bzw. loci Bensheim, Wiesloch, Zullestein, Weinheim, Oppenheim und später auch Lorsch selbst (1067) von den Ottonen und Saliern erwirkt, um dort jeweils einen mercatus zu etablieren47. Sie stehen damit an der Spitze von weit über 50 Bittstellern aus höchsten geistlichen Reichskreisen zwischen Bremen und Salzburg, die erfolgreich - oft mehrfach - um königliche Markt-, Zoll- und Münzkonzessionen ersuchten48.
30An dieser Reihe von Privilegien für Lorsch ist mehrererlei zur Sache ablesbar. Es geht prinzipiell um öffentliches Marktgeschehen (mercatus publicus). Allen Beteiligten - für Weinheim ist von mercatores und negotiantes die Rede - wird auf dem abgegrenzten und vorbereiteten Markt-Platz - Stände, Waage und Gewichte, Wechselbank mit Reserven der geltenden Währung - und während der festgelegten Markt-Zeiten - jeden Mittwoch in Weinheim, jeden Sonnabend in Oppenheim - Frieden (pax) bei ihren Geschäften (mercimonia) garantiert. Verstöße werden bestraft (bannus). Für diese Leistungen wird Zoll eingefordert (theloneum), der auch über die Aufwandskosten hinausgehen darf (lucrum). Die Lorscher Klosterleitung baut also schrittweise ein regionales Netz von örtlich und zeitlich begrenzten und beaufsichtigten Marktgelegenheiten auf. Diese jeweils wöchentlichen Termine grenzen sich einerseits von vielerlei informellen, nicht ver-orteten Kauf- und Absatzgelegenheiten ab: vom lokalen Gütertausch zwischen den Nachbarn und ihren direkten oder zeitverschobenen Dienstgewährungen, von wie immer beglichenen Grundstückstransaktionen, von mit Münzgeld bezahlten Beschaffungen bei hausierenden Wanderhändlern, in Wirtshäusern oder nach der Sonntagsmesse. Dort gab es keine herrschafts-„öffentlichen“ Sicherheiten, sondern face-to-face-Regeln, abgewogene Gegenseitigkeit, Argwohn, Schätzung und Feilschen im kleinsten, „kundigen“ Kreis49. Andererseits haben die Lokalmärkte mit 5-10km Radius einen deutlich geringeren Einzugsbereich, als das komplexe Austauschgeschehen in den gut erreichbaren Bischofsresidenzen Mainz, Worms und Speyer, wo sich mercatores aus Basel, Straßburg oder Tiel und Köln zum Umschlag ihrer auswärtigen Güter trafen oder dieselben bei den Ortsherren anpriesen und absetzten, wo weiter täglich Viktualienmarkt für Handwerker, Diener und Bauern stattfand und wo die ansässigen Marktleute selber sowie Besucher des Umlands, wie immer zeitlich und örtlich geregelt, gewerbliche Gebrauchsgüter direkt kaufen oder bestellen konnten. Obwohl diese aus verschiedenen Siedlungskörpern bestehenden protourbanen Konglomerate eben noch keine von Land und Herrschaft entbundenen, als bürgerliche Lebensräume organisierten Städte waren, vereinigten sie - als „Zentralmärkte“ - längst die damals gängigen Marktfunktionen: Zubringung und Umschlag von Fernhandelsgütern, Weiterverkauf derselben an Detailisten und Verbraucher, gewerbliche Versorgung mit Viktualien, Textilien, Baubedarf, Werkzeugen, usf., Ergänzung mit bäuerlichen Erzeugnissen und standortspezifischen Rohstoffen aus Umland, Hinterland und Einflußgebiet50. Das Kitzinger forum und die kleinen fünf Lorscher Wochenmarktplätze dienten wahrscheinlich zweierlei Zielen. Zum einen setzten die Herrschaften dort zu ihren Bedingungen Güter ab, auf deren Herstellung bzw. Heranschaffung sie ein Monopol hatten, so z.B. Salz und Wein. Vorwiegend aber boten sie Absatzmöglichkeiten für die herrschaftseigenen Familiaren und andere Hufner und Siedler der Nachbarschaft. Sie alle verkauften dort das ihnen Entbehrliche oder bewußt als Überschuß Erzeugte an Aufkäufer aus den Großsiedlungen; die Forschung spricht hier von grundherrlichen „Sammelmärkten“. Die Leute brauchten die dort erworbenen Pfennige zur Zahlung ihrer diversen Zinse an die Herrschaft. Es wurde plausibel vermutet, daß die ausschließlich zu Pfennigzinsen veranlagten ca. 230 Hufen in 13 Lorscher villae im Oberrhein-, Laden- und Wormsgau auf Umwandlungen von Schweine- und Textilabgaben in ca. 20 Pfennige pro Hufe zurückgehen auf Abt Poppo (1006-1018), der damit die Sammelmarkt-Politik seiner Vorgänger aktiv fortsetzte51. Auch auf den Gütern der nordelsässischen Abtei Weissenburg, die teilweise im regionalen Gemenge mit solchen von Lorsch liegen, ist die Ausbreitung von Pfennigzinsen bei Hufen und anderen Leiheobjekten im Laufe des 10. und frühen 11. Jahrhunderts offensichtlich52. Bei all diesen lokalen Sammelmärkten zeigt sich eine Initiative der Herren, die sich damit Absatzchancen für eigene Monopolgüter schufen und zugleich die Geldbeschaffung und die ergänzende Güterversorgung der Leute der Gegend, zum guten Teil ihrer eigenen Familiaren, zu selbst kontrollierten Bedingungen organisierten.
31Um etwas genauer zu bestimmen, was „Münzgeld“ in dieser Zeit heißt, ist daran zu erinnern, daß die bischöflichen Marktherren im hier behandelten Zeitraum zunehmend zu den ausschlaggebenden Sachwaltern des königlichen Münzmonopols aufstiegen. Mit dem Erwerb des Münzrechts am Ort (moneta) konnten sie Einfluß auf Prägung und Umlauf der Silberpfennigwährung nehmen53. Zwar blieben bis in das zweite Viertel des 11. Jahrhunderts die Silberdenare in Feingehalt (puritas) und Gewicht (pondus/ca.1,4g mit al marco-Varianz) stabil, und auch die herkömmlichen königlichen Münzbilder und -inschriften (forma) wurden erst seitdem durch geistliche Herkunftsnamen und Markierungen verändert. Immer deutlicher aber zeichnen sich in der neueren Forschung die Umrisse von diözesanen Umlaufgebieten ab. Dies auch mit der Konsequenz des Gebrauchszwangs bestimmter Gepräge auf den Märkten des Umlaufgebiets und ihrer periodischen Widerrufung (in Abständen von ca. 4-6 Jahren)54. Die oben genannten Marktplätze standen unter solchen Währungsbedingungen.
In und um Worms
32In der deutschen Forschung gilt die Lex familiae Wormatiensis (um 1024/1025)55 als erstes großes Zeugnis dafür, daß die Herrschaften zur Aufzeichnung von sozialen Normen mit lokalem Zuschnitt drängten. Vier Vorgänge bilden den Hintergrund und den Anlaß zur Aufzeichnung: die Ausweitung der bischöflichen Kontrolle auf andere Siedlungskörper der Wormser civitas, für die vorher der Graf (als Vertreter des Königs) zuständig war; die Folgen einer bischöflichen Sanktionspolitik, die dem Eid bei Gericht mehr Gewicht einräumte; Gebietsstreitigkeiten zwischen Worms und dem Kloster Lorsch und schließlich Feindseligkeiten der Wormser Leute untereinander, die im Vorjahr zu 35 Tötungen, zum Teil aus nichtigen Anlässen, geführt hatten. In den über 50 Einzel-Weisungen (Bestimmungen), die der Bischof von seiner familia, dem Verband aller „Seinen“, aussagen und beschwören ließ, geht es im wesentlichen um drei Handlungsfelder: 1. um den strategischen Umgang mit dem Besitz, 2. um das Heiratsverhalten und 3. um die Ahndung von Verfehlungen, die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen und das Benehmen bei Gericht und in seinem Umfeld. Alle Bestimmungen richten sich an den rechtsfähigen Familiaren und zwar in seinen lateralen Pflichten als socius, als Genosse.
- Im Handlungsfeld des Besitzes regieren zwei Prinzipien: vertikal ist es die Sicherung der Einkunftsansprüche, die an den mansi haften, und lateral sind es die Erbregeln, nach denen die Familiaren ihren Besitz (res et mancipia) über die Generationen sichern: also in allen entscheidenden Wechselfällen der Haushaltszyklen, ob Krankheit, Tod, Verarmung, Wegzug oder Rückkehr. Hervorheben kann ich hier nur, was über das Verhältnis zwischen Erbfähigkeit und Verwandtschaft geregelt wird: eine klare Kombination der Kernfamilie mit einem unscharfen Umkreis von nachgeordnet erbfähigen „Nächsten“ (proximi), die zwar nach mütterlicher und väterlicher Seite unterschieden werden, aber ohne daß eine Linie dominant berechtigt wäre; ein kognatisches Umfeld ohne explizite Binnenstruktur also. Ergänzt wird dieses Bild von der lateralen Verflechtung der Leute um den Besitz herum durch Hinweise auf Freunde (amici) - ob hier Taufpaten, Vormunde gemeint sind, also die „gemachten“ Verwandten, über die in der Forschung neuerdings so viel diskutiert wird? Auf jeden Fall sieht der Wormser Bischof die lateralen Beziehungen seiner Familiaren so um ihren erblichen Besitz geordnet, daß dies dem Bild der neueren Haushalts-, Familien- und Verwandtschaftsforschung entspricht: ehepaarlicher Haushalt, diffuse Verwandtschaftverhältnisse und ergänzende künstliche Verwandte56. Die herrschaftliche Regulierung der Erbgewohnheiten der Leute und ihrer Solidaritäten - vor der Entstehung der Dorfgemeinde - wird deutlich.
- Zu den Heiratsgewohnheiten ergibt sich folgendes Bild. Es ist klar, daß der Verband der Wormser familia kein räumlich geschlossener und sozial homogner „Heiratsraum“ ist. Die Herrschaft versucht, das verwirrende Hinein- und Herausheiraten dadurch zu seinen Gunsten zu regulieren, daß den „Ein“-Heiratenden recht hohe Zinspflichten entstehen; man schöpft gewissermaßen Anteile der „eingeschleusten“ Güter ab. „Aufstiegs“-Heiraten innerhalb der familia reguliert man dadurch, daß die Kinder solcher „Misch“-Ehen zwischen freieren und unfreieren Leuten den Geburtstand des niedrigeren Elternteils erben; damit ist solcher Nachwuchs auch im festeren Griff der Herrschaft.
- Im Handlungsfeld der Konfliktbereinigungen drückt die Herrschaft am stärksten auf die Familiaren. Aber durch die vielen, nur kurz zurückliegenden Tötungen - teilweise wohl Blutracheketten - hatten sich die Familiaren dem Bischof gegenüber faktisch besonders „geschwächt“. Hier drohen nun denjenigen Familiaren, die zum Faustrecht greifen, harte Strafen. Ebenso verpflichtet man alle Gerichtsfähigen zu mehr Verfahrensdisziplin sowohl beim hohen Gericht vor dem Bischof als auch beim niedrigen in den Domänen und senkt gewissermaßen die Schwelle der Deliktträchtigkeit von Konflikten, indem man mehr Streitereien vors Gericht zieht und dort durch Gottesurteile die Beweisvefahren verschärft.
33Leider fehlt der Platz, mehr über die Kräfteverhältnisse innerhalb der Familiaren, über die Rolle der lokalen Eliten (ministeriales) und über die Macht- und Ordnungsvorstellungen zu sagen, die in der sozialen Diktion Bischof Burchards zum Ausdruck kommen, zu sagen und Parallelen zum Bußrecht Buchards zu ziehen57.
Fulda
34Unter Abt Richard entstand in Fulda ein großes Besitz- und Einkünfteregister der Konventsgüter mit Beschreibungen von über 52 seigneurialen Zentren (villa), hauptsächlich im Grabfeld, in Thüringen und der Wetterau gelegen58. Aus ihnen geht hervor, daß die Abtei wesentlich auf die Sicherung bestimmter Abgabenansprüche aus war: es ging den Konventualen ums Vieh, um Tücher, ums Silbergeld sowie um standortspezifische gewerbliche Güter (besonders das Salz). All das spricht für Absatz- und Einkauforientierung. Für dieses Ziel wurden die sozialen Konstellationen in den Großkomplexen, den villae, in Anspruch genommen. Deshalb ließ sich nur indirekt ermitteln, daß die villikale Grundfiguration im Gespann zu wöchentlichen Zeitdiensten verpflichteter Servil-Hufner und zinspflichtiger Liten-Hufner bestand. Dazu kam eine beachtliche Reserve kopfzinspflichtiger Leute ohne Hufe sowie Haus- bzw. Hofsklaven bei den Hufnern selber. Nur schwache Indizien ließen sich dafür beibringen, wie diese Leute lokal zusammenhingen: die Statusdifferenzen, lidi und servi insbesondere, blieben bestimmend für den Verschriftungsstil der Herrschaft. Was dahinter galt, verschwimmt in einer Wahrnehmungsweise, die den kernfamilialen Hufenbezug und weitere, über Namensvergabe aktivierte Allianzen nur ahnen läßt. Unklar bleibt auch, wie die örtliche Konstellation der Gruppen betrieblich ausgenutzt wurde. Auf jeden Fall erlaubt sie kaum, eine standardisierte bipartite Struktur zu unterstellen. Vielmehr griffen guts-, fron- und rentenherrschaftliche Elemente von Ort zu Ort situationsbezogen und elastisch ineinander. Dafür sprechen die Hinweise auf das Aushandeln von Zinsen mit dem villicus (z.B. Pfennige gegen Frontage). Außer Zweifel steht allerdings, daß dort, wo größere Gruppen von rein zinspflichtigen sclavi und coloni zur familia gehörten, das villikale Zentrum nicht nur für den Getreidebau auf dem Salland zuständig war, sondern als wichtige Hebestelle für über die Domäne hinausgreifende Distrikte diente. Diese Abgabenausweitung begegnet besonders auf den thüringischen und fänkischen Gütern, reicht aber bis an solche bei Fulda heran - indiziert sie besondere Intensität im regionalen Landesausbau? Sie fehlt in den Besitzungen Fuldas im Wesergebiet und am Rhein. Zur Standardausstattung der villae gehören zehntberechtigte Kirchen, rententragende Wassermühlen und novalia - die pfarrkirchliche und gewerbliche Ausstattung und der villikale Binnenausbau sind auf den fuldischen Gütern beiläufig im Gange. Bewußt aber werden Schutzsuchende gegen persönliche Anerkennungszinse an die Ortskirche gebunden. Auffällig ist schließlich, daß die regelmäßig verzeichneten beneficia nicht spezifiziert sind; die Klosterleitung hatte (noch) kein Interesse an der Formulierung aufstiegsträchtiger Aufgabenbereiche bzw. Dienstformen.
Von Helmstedt bis Werden
35Schließlich sollen noch kurze Hinweise auf die Verhältnisse in den drei sächsischen Hauptregionen (Ostfalen, Engern und Westfalen) folgen. Hierzu taugen die Besitz- und Einkunftsregister der Abteien Werden (einschließlich Helmstedt), Corvey und Freckenhorst sowie der Bestand von 100 Urkunden, den der anonyme Verfasser der Vita Bischof Meinwerks von Paderborn (+1036) in seine Erzählung eingefügt hat59. Der Einzugsbereich der erfaßten Güter, Leute und Einkommensansprüche reicht vom lößreichen Braunschweig-Helmstedter Land über die Becken und Flußniederungen im südniedersächsischen Hügelland zwischen Innerste und Weser, - über die Wasserscheide zwischen Weser und Rhein - ins westfälische Flachland bis zum Rhein und nordwärts die Ems abwärts nach Friesland.
36Die Register bieten meist nur karge, an Orts- und Hörigennamen gebundene Reihungen von Geld-, Getreide- und Vieh-census, nach den exemplifizierenden Hörigen gekürzt auf die Verbindung von Name und similiter. Es fehlen Status und Boden- und Zeitbezug; es verstand sich von selbst oder interessierte nicht, daß oder ob die Pflichtigen liberi/ingenui, lidi, servi waren, ob Hufner oder Kopfzinser. Die Besitzungen sind häufig nicht einmal verhuft, sondern werden in Joch vermerkt. Immer wieder sind die Zinspflichtigen über mehrere Siedlungen der Umgebung verstreut, sodaß man sich fragen muß, ob solche porösen Zinskonglomerate überhaupt dichtere Herrschaftsverhältnisse implizierten. Ab und an ist man mittels ausführlicherer Angaben, d.h. die Verbindung von Name, Status und mansus-Besitz um mehr Verbindlichkeit der Ansprüche bemüht. Dort, wo die Güter dicht beisammen liegen, wird klarer, daß ein villicus (bzw. scultetus) die villicatio (bzw. das officium) leitet bzw. die Zinseintreibung organisiert, wie etwa in Freckenhorst. Im Register von Corvey, in dem Güterkomplexe zwischen dem Weserbergland und dem Emsland erfaßt sind, beginnt jede villa-Beschreibung immerhin mit einem kurzen verhuften Sallandinventar, und auffällig ist die Genauigkeit, mit der die Verzehntung (decimatio) abgehandelt wird. Unübersehbar in allen Registern ist die regionale Konzentration bestimmter Zinse wie Vieh, Honig und Tuche. Marsch-, Heide- und Waldgebiete geben den Abgabenkonglomeraten also ein regionales Profil.
37Neues kündigt sich aber in dem um 1050 entstandenen Werdener Heberegister der 15 abteilichen Fronhöfe und der kleineren Klosterämter an. Im Deskriptionsschema drückt sich ein recht anderes Aneignungsdenken aus. Im Blick der Herrschaft sind nicht die Namen der einzelnen Zinser, sondern die Gruppen und ihre Funktionen. Es geht um den census familie: er wird als Summe verzeichnet (census und heriscilling). Nicht die Frondienste, sondern die zu ihnen verpflichteten viri werden gezählt. Am wichtigsten aber sind die Servitien der villici - hier ist Termin für Termin genauestens festgelegt, was zu liefern oder zu leisten ist. Zweierlei geht daraus hervor: Die Herrschaft hat feste Ertragserwartungen, und man mißtraut denen, die sie einzulösen haben - man weiß um den Spielraum, den die villici als Orts-Ökonomen haben. Schließlich ist festgehalten, daß die Abtei inzwischen Erb- und Heiratsabgaben von den Familiaren einfordert. Die Besteuerung von Anfang und Ende des Leihezyklus ist ins Visier der Herrschaft geraten60.
38Auch die Paderborner Urkunden bestätigen, daß man im westfälischen Sachsen nicht stringent in mansus-„Bahnen“ gedacht hat, auch iugera oder aratra reichten dazu hin. Die urkundliche Terminologie für die Boden- und Sozialordnung hat ihre Eigenheiten. Statt der villa gilt das altsächsische vorwerc oder die curtis, die Familiaren sind in liti oder familii differenziert. Über die Rentenverhältnisse verlautet, wie in Urkunden üblich, nichts.
39Wichtige Ergänzungen aber bietet die Untersuchung der Schenkergruppen. Hier hat F. Irsigler das Maßgebliche herausgefunden61. Nicht unerheblich ist zum einen die Zahl verarmter Freier (pauperes), die dem Bischof ihre Güter verkaufen, um mit dem Erlös woanders - z.B. in oder vor der Bischofsburg Paderborn - ihr Auskommen zu haben. Präurbane Mobilität und Gewerbeorientierung werden sozial wichtig. Damit wird ein weiterer, ganz anderer Weg der Transformation der „freien Kleinbesitzer“ deutlich - eine Alternative gewissermaßen zur seigneurialisation. Zum anderen bietet die berühmte Schenkung Graf Dodikos kostbare Einzelheiten über einen räumlich geschlossenen und wirtschaftlich weit entwickelten Burgbezirk samt übergreifender Grafenrechte - ein Paradefall adliger Gebietserschließung (samt Güterabsatz) für diese Zeit62.
BÜNDELUNG
40Zum Abschluß eine kurze Ertragsbündelung in erweiterter Perspektive. Im hier behandelten Zeitraum hatte die Gruppe der Bischöfe, gestützt von differenzierter Schriftmacht, in der vierteiligen Herrenkoalition unter dem reisenden König die führende Rolle vor den Äbten, Herzögen und Grafen inne63.
41Blickt man von hier aus auf die strategischen Termini zur Formulierung und Sicherung des Zusammenspiels von Ungleichheit und Gerechtigkeit, dann läßt sich folgende Hypothese wagen: Es gibt in der Germania germanica ein von Servilität, Paternalität und Patronalismus bestimmtes Herrschaftsklima. Diese mentale Grundkombination wird kaum getrübt von Gegenattitüden. Man sucht so gut wie vergeblich nach explizitem Freiheitsstreben. Ebenso fehlt eine programmatische Rechtfertigungs- bzw. Unterdrückungsideologie. Zwei Ausdrücke bürgen gewissermaßen auf je andere Weise für die Homogeneität dieser Attitüden. Zum einen die massive Präsenz des mancipium-Begriffs als Passapartout für Verfügbarkeit über die Leute; dies besonders in den Urkunden. Zum mancipium „wird“, ungeachtet seines besonderen Abhängigkeitsstatus, wen ein Herr einem anderen übergibt. Zum anderen die weite Verbreitung des familia-Terminus, der dazu dient, die Gesamtheit aller Herrschaftsabhängigen auszudrücken - ein deutliches Bemühen zur äußeren Abschließung und zur inneren Stabilisierung. Der Herr als pater, der Heilige als patronus spielen bei dieser Spiritualisierung und sozialen Formierung herrschaftsinterner Ungleichheit und Abschottung eine wesentliche Rolle. Für eine funktionale Homogenisierung - etwa im Sinne des agrikolen, arbeitenden oder dienenden Standes im bekannten trifunktionalen Deutungsschema - finden sich, so weit ich sehe, keine Anzeichen. Dieses soziale Gedankenbild hat die Germania germanica noch nicht erreicht. Deshalb fehlt auch der dafür strategische Terminus (z.B. laboratores, rustici), den die Wissenschaft mit dem Wort „Bauer“ übersetzt64. Dichotome Deutungsschemata (divites/pauperes; liber/servus) blitzen nur gelegentlich auf, etwa bei Grundsatzkonflikten im Zusammenhang mit sozialem Aufstieg innerhalb der herrschenden Kreise oder im Formelgut der Immunitätsdiplome, die Herrschaften als soziale Ganzheiten nach außen abgrenzen. Überhaupt sollte man beim Gebrauch von vereinfachenden Gesellschaftsbildern grundsätzlich nach der Konstellation der Beteiligten fragen, also danach, wer gerade aus welchen Gründen „spricht“. Die Schematisierung wechselt, situationsbedingt, von Zweck zu Zweck.
42Unter der „Außenhaut“ des familia-Konzepts für jede Herrschaft sind allerdings tiefgreifende Abstammungs- und Herkunftsunterschiede lebendig. Sie gehen auf provinzialrömische Zeit zurück (coloni in Bayern), entstanden aus der Eroberung und Überlagerung der gentes zwischen Rhein und Elbe (rheinische und sächsische liti) und der östlich anschließenden Mission und Eroberung (sclavi Elbostfalens, Thüringens, Ostfrankens).
43„Darunter“ liegt der große, schwer überschaubare Bereich erborener, erzwungener und erbetener Unfreiheiten. Von einzelnen Sklaven im Haus bzw. Hof der (selber auch unfreien) Hufenbauern, über große mancipia-Gruppen bzw. servi/ancillae an den Fronhöfen, und die erheblich verbreiteten servi casati mit pauschaler Zeitdienstpflicht bis hin zu Scharen von Freigelassenen (censuales) reicht die Skala expliziter Servilität.
44Umgekehrt sind neben der Fortschreibung abgabepflichtiger Hufnergruppen Eingliederungen von pagenses verschiedenen Status (advenae, liberi, coloni, sclavi) über Zinsverpflichtung in breitem Gange. Dazu gehören auch Grafschaftsleute und Zinser auf Königsgut. Diese Formen scheinen mir der extensiven Tributpflicht (ohne genauere Zeit- und Ortsbezüge) nahezustehen, also einem Abgabesystem außerhalb der dichteren Servilität65. Die Integrationsformen sind kaum erkennbar; nur die Zinspflichten wurden verschriftet. Sicher haben die Vorteile der Immunität und des Kirchenpatronats für die „Eintretenden“ eine beachtliche Rolle gespielt. Von Drohung und aktiver Verknechtung verlautet sehr wenig - das mag aber ein Überlieferungsproblem sein. Auf jeden Fall ergibt sich der Eindruck einer deutlichen Vorherrschaft diverser Zinsregime vor den elaborierten Frondiensten des klassischen bipartiten Systems des Westens. Diese Zinse, das sollte man nicht vergessen, sind häufiger auf den Namen oder Kopf, nicht auf den Status oder den Landbesitz (etwa auf die hoba bzw. den mansus) radiziert. Große Gruppen der Familiaren in der Germania germanica, so muß man daraus schließen, sind nicht verhuft und leben in ausgesprochen lockeren Beziehungen zu ihrer Zinsherrschaft. Ob sie weiteren Herren zugehören, muß dabei unklar bleiben.
45Warum weiß man so wenig über die Frondienste? Waren sie weniger verbreitet? Wurde das Salland vorwiegend mit Hofsklaven bebaut? Hier ist Vorsicht geboten, weil die Aufzeichnungen eben hauptsächlich auf die Anspruchssicherung der census-Einkünfte, nicht auf die Organisation der Herrschaftshöfe abstellten66. Man interessierte sich einfach zu wenig für die servitia bzw. kannte die Durchschnittserträge des Sallandes nicht. Wenn überhaupt, dann begnügt man sich mit schlichten Zeitdienstformeln, differenziert nicht näher wie in der westrheinischen Germania.
46So ergeben sich die groben Profile der Familiaren vor allem aus ihren Abgaben: Roggen, Hafer, Gerste, Bier, Schweine, Schafe, Hühner, Honig - dazu grobe Lein- und Wolltücher. Was sie im feinen unterscheidet, ist nicht ihr Status oder ihr Landbesitz, sondern ein Jahreszins von zwei oder drei Schweinen, ein Leintuch von zwei oder drei Ellen Länge, ein Kopfzins von 8 Denaren oder 3 Schillingen.
47Soweit die Basiskonfigurationen. Daneben sind natürlich soziale Differenzierungen im Gange. Überall findet man kleine beneficia, einzelne ministri (Imker, Förster, Fischer, Schürfer, Schmiede usf.), ebenso aber durch eigene Stellung gruppierte Leute (censuales). Gewerbliche und administrative Aufgaben schieben sich in den Vordergrund, begründen Aufstieg im lokalen Rahmen. Es kommt aber nicht zur Ausprägung anerkannter distinkter Gewohnheiten. Es paßt zur neuesten Forschung über die funktionale Standesbildung, wenn sich um die Jahrtausendwende neue Gruppen von Familiaren noch nicht als Korporationen mit sozialnormativer Profilierung nach unten oder außen absetzen können - so viele ministeriales und censuales es gegeben hat - zur Zensualität und Ministerialität haben sie sich noch nicht verfestigt.
48Was bieten die Indizien für räumliche Verdichtung und Verknüpfung? Die von den Herren etablierten Nahmärkte sind für die Familiaren in nachbarschaftliche Nähe gerückt. Der Verkaufsdruck über Geldzinsforderungen erhöht sich, die Zukaufsgelegenheiten haben sich vermehrt. Man weiß auch von den Anschluß-Märkten in den präurbanen Zentren. Man kann auch dorthin abwandern, wenn die Lage zuhause zu elend wird. Die häufig verzeichneten örtlichen Zurodungen und „Schließungen“ der lokalen Nutzungsflächen, die Anzeichen für lokale Allianzgeflechte und engere Nachbarschaft, eine festere Ständerbauweise der Häuser67, die regelmäßigere Verzehntung, die nähergelegenen Pfarrkirchen - ob all das schon dazu berechtigt, die Siedlungen generell für „Dörfer“ und ihre Bewohner für „Dörfler“ zu halten? Die Vielfalt und Instabilität der Siedlungsverhältnisse - hier große, sozial gemischte Agglomerationen, dort kleine servile Rodungseinheiten, hier weitgreifende, räumlich geschlossene Domänen und Villikationen, dort äußerst poröse Streuungen (vielleicht auch Einzelhöfe oder Weiler) -, dazu die wechselnden und inhomogenen Sozialbeziehungen: all das mahnt zur Skepsis. Ebenso gehört auch die Adelsburg noch nicht ins örtliche Siedlungsbild68.
49Was bleibt, ist der Eindruck einer überraschenden Vielfalt mit vielen ähnlichen Bewegungen im kleinen Maßstab, ausgehend von eigenen naturlandschaftlichen Voraussetzungen, modifiziert aber auch von Versorgungsnöten, kirchlichen Initiativen und regnalen Konstellationen und Aktionen. „Primitiv“, verglichen mit dem Westen und Süden, oder „weiter fortgeschritten“, verglichen mit dem Osten und Norden, sollte man diese Verhältnisse nicht nennen. Auch nicht rückständig - gemessen woran denn69? Am „Stand“ der Elaboration oder gar Desintegration „des“ bipartiten Systems? Das ist viel zu unscharf, zugleich aber variationsreich bezeugt. An der „Assimilation“ der „Geburtsstände“? Das Bild dafür ist entschieden zu uneinheitlich.
50Unauffälligkeit, das scheint ein Grundmerkmal zu sein, eine Unauffälligkeit beim Erarbeiten von Möglichkeiten, nicht ohne Spannungen und Widersprüche, aber ohne soziale Eklats und Dramatik. Sollte man dieser Zeit - auch von unserem begrenzten Thema her - ein epochales Profil zuerkennen? Eine „Zwischenwelt“ zwischen Karolingerzeit und Feudalgesellschaft im Sinne Pierre Bonnassies70? So weit möchte ich nicht gehen, schon weil ich dem Feudalismusbegriff ein höheres Allgemeinheits- und Abstraktionsniveau reserviere71. Aber man könnte sagen: Es ist eine Zeitspanne unauffälliger, aber prinzipieller Elaborationen in die Breite. Viel wird erkundet und vorbereitet, verallgemeinert sich aber weder zum Durchbruch noch zum Umbruch. Die Zeiten lokalräumlicher Systematisierung der Herrschaftsbeziehungen, der sozialen Formierungen und der regionalen Austauschverdichtung stehen noch bevor. Sehr viel spricht für koordinative und beschleunigende Handlungsweisen erst ab der Mitte des 11. Jahrhunderts. Ein hegelianisch-freudianisches Zwitterbild mag alles abschließen: Die Familiaren im Reich leben in einer Zeit „dezentralisierter Latenzen“. Ein mögliches System besinnt sich auf sein Potential, seine Bedingungen als Formation. Seine sozialen Markenzeichen: noch mancipium, längst familia.
Notes de bas de page
1 Eine detaillierte und wesentlich erweiterte Fassung der folgenden Ausführungen wird in der Zeitschrift fü Rechtsgeschichte germanistische Abteilung erscheinen (2004): „Abschied von der Grundherrschaft. Ein Prüfgang durch das ostfränkisch-deutsche Reich 950-1050.“
2 Anstelle einer Häufung von Titeln verweise ich hier nur auf die Einleitung bei P. Bonnassie, Les sociétés de l’an mil. Un monde entre deux âges, Bruxelles, 2001, p. 7-16. Thematisch verwandt mit meinem Beitrag ist die Studie von T. Reuter, „König, Adlige, Andere: ‘Basis’ und ‘Überbau’ in ottonischer Zeit“, in B. Schneidmüller, S. Weinfurter (éds.), Ottonische Neuanfänge, Mainz, 2001, p. 127-150.
3 Vgl. den Beitrag von R. Le Jan in diesem Band. Meinungsbildende neuere Leistungen hierzu: J. Fried, Der Weg in die Geschichte. Deutschlands Ursprünge bis 1024, Berlin, 1994; H. Keller, „Reichsstruktur und Herrschaftsauffassung in ottonisch-frühsalischer Zeit“, in Frühmittelalterliche Studien 1982, t. 16, p. 74-128; S. Weinfurter (éd.), Die Salier und das Reich, 3 t., Sigmaringen, 1991; J. Ehlers, Die Entstehung des deutschen Reiches, München, 1994; G. Althoff, Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat, Stuttgart, 2000; B. Schneidmüller, S. Weinfurter, Neuanfänge (wie Anm.1). Wichtig immer noch die bereits 17 Jahre zurückliegenden historiographischen Orientierungen von J. Fried, „Deutsche Geschichte im früheren und hohen Mittelalter. Bemerkungen zu einigen neuen Gesamtdarstellungen“, in Historische Zeitschrift 1987, t. 247, p. 625-659 sowie K.F. Werner, Art. „Regnum“, in Lexikon des Mittelalters 1995, t. 7, c. 587ff.
4 Der gültige Überblick ist hier C. Brühl, Fodrum, Gistum, Servitium Regis. Studien zu den wirtschaftlichen Grundlagen des Königtums im Frankenreich und in den fränkischen Nachfolgestaaten Deutschland, Frankreich und Italien vom 6. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Köln/Graz, 1968, p. 116-219. Dazu kommen die Einzelartikel im Rahmen des großangelegten Projekts Die deutschen Königspfalzen. Repertorium der Pfalzen und übrigen Aufenhalthatsorte der Könige im deutschen Reich des Mittelalters, Max-Planck-Institut für Geschichte (éd.), Redaktion C. Ehlers, L. Fenske, T. Zotz, t. 1. Hessen, Göttingen, 1983ff., t. 2: Thüringen, Göttingen, 2000, t. 3: Baden-Württemberg, Göttingen, 1988ff., t. 4: Niedersachsen, Göttingen, 1999ff. Vgl. weiter L. Fenske (éd.), Pfalzen - Reichsgut - Königshöfe (=Deutsche Königspfalzen, t. 4), Göttingen, 1999; T. Zotz, les palais royaux en Allemagne, in J.-C. Schmitt/O.G. Oexle (éds.), Les tendances actuelles de l’histoire du Moyen Âge en France et en Allemagne, Paris, 2002, p. 307-326.
5 Besonders klar tritt dies in dem dreibändigen Begleitwerk zur Salierausstellung in Speyer 1991 zutage, wo nur in zweien der 48 Beiträge (T. Zotz, W. Rösener) solche Fragen der Herrschaftspraxis berührt werden: Weinfurter, Salier (wie Anm.3), t. 3, p. 3ff., 51ff. Ähnlich auch die Begleitbände zu den Ausstellungen: Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen, t. 1, Hildesheim/Mainz, 1993, p. 209ff. (E. Schubert), 231ff. (E. Bünz), p. 461-487: Kartenanhang mit Erläuterungen; sowie O. Pühle (éd.) Otto I., Magdeburg und Europa, t. 1, Mainz, 2001, p. 89-107 (H. Steuer).
6 Hierzu informativ und skeptisch jetzt K. Schreiner, „Grundherrschaft - ein neuzeitlicher Begriff für eine mittelalterliche Sache“, in G. Dilcher, C. Violante (éds.), Strukturen und Wandlungen der ländlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich, Berlin, 2000, p. 69-93; die Beiträge von C. Violante, D. Barthelemy und C. Wickham im gleichen Band (p. 11ff., 51ff., 405ff.) haben erheblichen kontrastiven Wert für meine folgenden Ausführungen, weil sie auf die Stärken und Schwächen der romanischen (französischen, italienischen) Herrschaftskonzeptionen eingehen. An anderer Stelle bin ich auf das breitere Vorfeld und auf künftige Perspektiven der Forschung zur „Grundherrschaft“ eingegangen: L. Kuchenbuch, „Potestas und Utilitas. Ein Versuch über Stand und Perspektiven der Forschung zur Grundherrschaft im 9.-13. Jahrhundert“, in Historische Zeitschrift, 1997, t. 265, p. 117-146.
7 Vgl. die Einzelstudien bei A. Verhulst (éd.), Le grand domaine aux époques mérovingienne et carolingienne, Gent, 1985; W. Rösener (éd.), Strukturen der Grundherrschaft im frühen Mittelalter, Göttingen, 1989. Weitere einzelherrschaftliche Studien sind unten nachgewiesen. Beispiele für „künstliche“ Regionalisierungen: W. Rösener, „Zur Struktur und Entwicklung der Grundherrschaft in Sachsen in karolingischer und ottonischer Zeit“, in A. Verhulst (s.o.), p. 173-207 (ausgehend von den Klöstern Werden und Corvey); W. Rösener, Grundherrschaft im Wandel. Untersuchungen zur Entwicklung geistlicher Grundherrschaften im südwestdeutschen Raum vom 9. bis 14. Jahrhundert, Göttingen, 1991 (für das 10.- frühe 11. Jh: Weißenburg, Marmoutier, St. Gallen); W. Störmer, Frühmittelalterliche Grundherrschaft bayerischer Kirchen (8.-10. Jahrhundert), in Rösener, Strukturen (s.o.), p. 370-410 (Tegernsee, St. Emmeram, Freising).
8 Der jüngste Überblick (spätes 9.-12. Jahrhundert) zur Kirche: W. Rösener, „Die kirchliche Grundherrschaft im deutschen Reich des frühen Hochmittelalters“, in Chiesa e mondo feudale nei secoli x-xii (Miscellanea del Centro di studi medioevali, t. 14), Milano, 1995, p. 193-222; zum König: T. Zotz, „Zur Grundherrschaft des Königs im Deutschen Reich vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert“, in W. Rösener (éd.), Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter, Göttingen, 1995, p. 76-115, bes. 76-84.
9 A. Verhulst, „Die Grundherrschaftsentwicklung im ostfränkischen Raum vom 8. bis 10. Jahrhundert. Grundzüge und Fragen aus westfränkischer Sicht“, in Rösener, Strukturen (wie Anm.7), p. 29-46.
10 Am nächsten kommt dieser Sichtweise die Rundum-Synthese stammt von H. Fichtenau, Lebensordnungen des 10 Jahrhunderts. Studien über Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich, Stuttgart, 1984; wichtige Aspekte behandeln H. Vollrath, „Die Rolle der Grundherrschaft bei der genossenschaftlichen Rechtsbildung. Analysen am Beispiel der Klöster Werden und Rupertsberg“, in Dilcher, Violante (wie Anm.6), p. 189-214; für die Karolingerzeit (aber mit Ausläufern bis ins 11. Jh.): F. Schwind, „Beobachtungen zur inneren Struktur des Dorfes in karolingischer Zeit“, in H. Jankuhn, R. Schützeichel, F. Schwind (éds.), Das Dorf der Eisenzeit und des frühen Mittelalters. Siedlungsform - wirtschaftliche Funktion - soziale Struktur, Göttingen, 1977, p. 444-493.
11 In der Reihenfolge der Stichworte: O.G. Oexle, „Haus und Ökonomie im früheren Mittelalter“, in G. Althoff, D. Geuenich, O.G. Oexle, J. Wollasch (éds.), Person und Gemeinschaft im Mittelalter. K. Schmid zum 65. Geburtstag, Sigmaringen, 1988, p. 101-122; ders., „Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Wissens“, in F. Graus (éd.), Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, Sigmaringen, 1987, p. 65-117; ders., „Potens und Pauper im Frühmittelalter“, in W. Harms, K. Speckenbach (éds.), Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit. Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion, Tübingen, 1992, p. 131-149; ders., „Die mittelalterlichen Gilden: ihre Selbstdeutung und ihr Beitrag zur Formung sozialer Strukturen“, Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters, t. 1, Köln, 1979, p. 203-226; grundlegend zur Familia: Fichtenau, Lebensordnungen (wie Anm.10), p. 113-182; zur Siedlung: H.W. Böhme (éd.), Siedlungen und Landesausbau zur Salierzeit, Sigmaringen, 1991; Dörfer in vorindustriellen Altsiedellandschaften / Siedlungsforschung, t. 17, Bonn, 1999; D. Hägermann, „Technik im frühen Mittelalter zwischen 500 und 1000“, in Propyläen Technikgeschichte, t. 1, Frankfurt am Main/Berlin, 1991, p. 317-505; F. Irsigler, „Zur wirtschaftlichen Bedeutung der frühen Grundherrschaft“, in Dilcher, Violante (wie Anm.6), p. 165-187; L. Kuchenbuch, „‘Lavoro’ e ‘società’ dal tardo X secolo al primo XII. Note basate prevalentemente sulla tradizione urbariale a nord delle Alpi“, in J. Fried, C. Violante (éds.), Il secolo XI: una svolta? Bologna, 1993, p. 205-235; H. Steuer, „Das Leben in Sachsen zur Zeit der Ottonen“, in Puhle, Otto der Große (wie Anm.5) t. 1, p. 89-108; M. Maurer, „Zum Stand der mittelalterlichen Burgenforschung“, in Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 1997, 56, p. 435-446; J. Henning, A.T. Ruttkay (éds.), Frühmittelalterlicher Burgenbau in Mittel- und Osteuropa, Bonn, 1998; J. Semmler, „Mission und Pfarrorganisation in den rheinischen, mosel- und maasländischen Bistümern (5.-10. Jahrhundert)“, in Settimane di Studio dell’alto Medioevo, t. 28,2, Spoleto, 1982, p. 813-888.
12 R. Fossier, Enfance de l’Europe xe-xiie siècles. Aspects économiques et sociaux, Paris, 1982, t. 1, p. 288ff.; dazu A. Guerreau, « Un tournant de l’historiographie médiévale (note critique) », dans Annales esc, 1986, p. 1161-1176.
13 Die folgenden Bemerkungen sollen keine Quellenkunde zur Sache bieten, sondern nur Überlieferungsbereiche andeuten. Deshalb wird hier auf Nachweise verzichtet; das Nötige wird unten an Ort und Stelle beigebracht.
14 Hierzu kurz und bündig Althoff, Ottonen (wie Anm.3), p. 230ff.
15 H. Krause, „Königtum und Rechtsordnung in der Zeit der sächsischen und salischen Herrscher“, in Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 1965, t. 82, p. 13.
16 Vgl. hierzu den Beitrag von P. Corbet in diesem Band.
17 Dies ist die These von P. Geary, Phantoms of Remembrance. Memory and Oblivion at the End of the First Millennium, Princeton, 1984.
18 Für das seigneuriale Wissen habe ich diese Vorgänge untersucht: L. Kuchenbuch, „Ordnungsverhalten im grundherrlichen Schriftgut vom 9. zum 12. Jahrhundert“, in J. Fried (éd.), Dialektik und Rhetorik im früheren und hohen Mittelalter, München, 1997, p. 175-268.
19 J. Fried, „Erinnerung und Vergessen. Die Gegenwart stiftet die Einheit der Vergangenheit“, in Historische Zeitschrift, 2001, t. 273, p. 561-593.
20 O. Feger (éd.), Die Chronik des Klosters Petershausen (Schwäbische Chroniken der Stauferzeit, 3), Lindau/Konstanz, 1956, p. 74/75. Zur Abteigeschichte: I.J. Miscoll-Reckert, Kloster Petershausen als bischöflichkonstanzisches Eigenkloster. Studien über das Verhältnis zu Bischof, Adel und Reform vom 10. bis 12. Jahrhundert, Freiburg/München, 1969.
21 W. Rösener, „Bauern in der Salierzeit“, in: Weinfurter (wie Anm.3), t. 3, p. 51-74.
22 Vgl. hierzu weiterführend W. Davies, P. Fouracre (éds.), Property and Power in the early Middle Ages, Cambridge, 1995, bes. p. 9ff.
23 L. Kuchenbuch, „Porcus donativus. Language Use and Gifting in Seigniorial Records between the Eighth and the Twelth Centuries“, in G. Alagzi, V. Groebner, B. Jussen (éds.), Negotiating the Gift, Göttingen, 2003, p. 193-246.
24 Feger, Chronik (wie Anm.20, p. 94f.)
25 Das Folgende nach Rösener, Grundherrschaft (wie Anm.7), p. 177-187 sowie H.-W. Goetz, „Beobachtungen zur Grundherrschaftsentwicklung der Abtei St. Gallen vom 8. zum 10. Jahrhundert“, in Rösener, Strukturen (wie Anm.7), p. 197-246. Zu erinnern ist daran, daß vor dem späten 12. Jahrhundert keine urbariale, sondern nur urkundliche Überlieferung vorliegt, die im späteren 10. Jahrhundert rapide ausdünnt.
26 do iii 145.
27 M. Weitlauf (Hg.), Bischof Ulrich von Augsburg 890-973. Seine Zeit - sein Leben - seine Verehrung, Augsburg 1993; zum Sozialprofil des Bischofs im 10./11. Jahrhundert: Fichtenau, Lebensordnungen (wie Anm.10), p. 248-292.
28 W. Berschin, A. Häse (éds.), Gerhard v. Augsburg, Vita Sancti Uodalrici. Die älteste Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich, lat.-dt., m.d. Kanonisationsurkunde v.993, Heidelberg, 1993, p. 74; ich folge in vielem der Deutung von R. Schmidt, „Legitimum ius totius familiae. Recht und Verwaltung bei Bischof Ulrich von Augsburg“, in H. Mordek (éd.), Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für R. Kottje, Frankfurt a.M., 1992, p. 207-222.
29 Ich füge hier die der Vita geläufigen Wörter domus und regimen im Sinne zeitgenössischer Vorstellungen zusammen. Vgl. dazu Oexle, Haus (wie Anm.11) sowie U. Meyer, Soziales Handeln im Zeichen des „Hauses“. Zur Ökonomik in der Spätantike und im früheren Mittelalter, Göttingen, 1998.
30 Hierzu L. Sprandel-Krafft, „Eigenkirchenwesen, Königsdienst und Liturgie bei Bischof Ulrich von Augsburg“, in Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben, 1973, 67, p. 20ff.
31 Ich habe hierzu die Dispositionen und Pertinenzen der Land-und-Leute-Transaktionen in den Diplomata Ottos III. durchgesehen.
32 H. Nehlsen, Art. „Mancipium“, in Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, t. III, 1984, c.219-230.
33 Zu frühmittelalterlichen Registern allgemein L. Kuchenbuch, Grundherrschaft im früheren Mittelalter, Idstein, 1991, p. 27f.
34 Druck P. Dollinger, Der bayerische Bauernstand vom 9. bis zum 13. Jahrhundert, München, 1982, p. 455-463 (frz. L’évolution des classes rurales en Bavière depuis la fin de l’époque carolingienne jusqu’au milieu du xiiie siècle, Paris, 1949).
35 Die letzte zusammenfassende Interpretation des Registers: C. Rädlinger-Prömper, Sankt Emmeram in Regensburg. Struktur- und Funktionswandel eines bayerischen Klosters im früheren Mittelalter, Kallmünz, 1987, p. 241-255, sowie Rösener, Kirchliche Grundherrschaft (wie Anm.8), p. 199, 205-207.
36 Sie sind nur mittelbar belegt. Kap. 20/19; dazu Hinweise des 12. Jahrhunderts: Dollinger, Bauernstand (wie Anm.34), p. 147.
37 Hierzu grundlegend Dollinger, Bauernstand (wie Anm.34), p. 304-346; ergänzend E. Münch, „Bäuerliche Zensualität und entwickelter Feudalismus in Altbayern“, in Jahrbuch für die Geschichte des Feudalismus 1986, t. 10, p. 29-59; K. Schulz, Art. „Zensualen, Zinsleute; Zensualität“, in Lexikon des Mittelalters, t. 9, 1998, c.530f.
38 In den anderen Benennungen dieser Gruppe - cavaticarii, cerocensuales, cerarii, luminarii, mundiliones - kommen jeweils andere Merkmale dieser Stellung zum Ausdruck. Vgl. L. Kuchenbuch, Bäuerliche Gesellschaft und Klosterherrschaft im 9. Jahrhundert. Studien zur Sozialstruktur der Familia der Abtei Prüm, Wiesbaden, 1978, p. 260-268.
39 Hierzu Rädlinger-Prömper, Emmeram (wie Anm.35), p. 262-267.
40 M. Borgolte, „Freigelassene im Dienst der Memoria. Kulttradition und Kultwndel zwischen Antike und Mittelalter“, in Frühmittelalterliche Studien 1983, t. 17, p. 234-250.
41 Anderswo wird zwischen servi und coloni unterschieden. Letzterer ein römischrechtlicher, nun romanischer Ausdruck, der im frühmittelalterlichen Bayern bevorzugt wird; vgl. Dollinger, Bauernstand (wie Anm.34), p. 349-381.
42 Zum frühen Regensburger Marktgeschehen J. Sydow, „Der Regenburger Markt im Früh- und Hochmittelalter“, in Historisches Jahrbuch 1960, t. 80, p. 61-92; W. Hahn, Moneta Ratisponensis. Bayerns Münzprägung im 9., 10. und 11. Jahrhundert, Braunschweig, 1976.
43 E.v. Guttenberg (éd.), „Fränkische Urbare“, in Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1934, t. 7, p. 184-187. Eine schöne, detaillierte Interpretation des ganzen Dokuments stammt von D. Hägermann, „Wandel der klösterlichen Grundherrschaft im 11. Jahrhundert? Beobachtungen an dem Urbar des Benediktinerinnenklosters Kitzingen in Unterfranken“, in Rösener, Grundherrschaft (wie Anm.7), p. 162-183.
44 Hierzu L. Kuchenbuch, „Opus feminile - das Geschlechterverhältnis im Spiegel von Frauenarbeiten im früheren Mittelalter“, in H.-W. Goetz (éd.), Weibliche Lebensgestaltung im früheren Mittelalter, Köln/Weimar/Berlin, 1991, p. 139-175.
45 M. Bourin, R. Durand, Vivre au village au Moyen Âge. Les solidarités paysannes du xie au xiiie siècles, Paris, 1984, p. 59-98; L. Génicot, Rural Communities in the Medieval West, Baltimore, 1990, p. 90-107; Semmler, Mission (wie Anm.11).
46 DK II 154; dazu W. Schich, Würzburg im Mittelalter. Studien zum Verhältnis von Topographie und Bevölkerungsstruktur, Köln/Wien, 1977, p. 82ff.
47 do i 177 (956), do i 283 (965); do iii 166 (995), do iii 372 (1000), dh ii 187 (1008), dh iv 197 (1067); dazu: F. Staab, „Die wirtschaftliche Bedeutung der Reichsabtei Lorsch (8.-12. Jahrhundert)“, in G. Keil, P. Schnitzer (éds.), Das Lorscher Arzneibuch und die frühmittelalterliche Medizin, Lorsch, 1991, p. 253-284, bes. 263ff.; ders., „Markt, Münze, Stadt. Zur Förderung der Wirtschaftsstruktur am Oberrhein durch die Abtei Lorsch im 10. und 11. Jahrhundert“, in Geschichtsblätter Kreis Bergstraße 1994, t. 27, p. 31-69; W. Hess, „Münzstätten, Geldverkehr und Märkte am Rhein in ottonischer und salischer Zeit“, in B. Diestelkamp (éd.), Beiträge zum hochmittelalterlichen Städtewesen, Köln/Wien, 1982, p. 111-133, bes. 125f.
48 F. Hardt-Friedrichs, „Markt, Münze und Zoll im ostfränkischen Reich bis zum Ende der Ottonen“, in Blätter für deutsche Landesgeschichte 1980, t. 116, p. 1-31.
49 Dieses schwierige Gebiet ist bislang nahezu unerforscht. Wichtige Gesichtspunkte liefert die Ethnologie. Ich nenne hier nur den breiten, klar gegliederten Überblick über die Literatur von U. Köhler, „Formen des Handels in ethnologischer Sicht“, in K. Düwel (éd.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgechichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, t. 1, Göttingen, 1985, p. 13-55, hier: 38-41. Zur frühmittelalterlichen Differenzierung und Rolle der aestimatio: M. Welti, „Der gerechte Preis“, in Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 1996, t. 113, p. 424-433.
50 Die bisher tragfähigste deutsche Systematisierungsleistung stammt von dem Geographen P. Schöller, „Der Markt als Zentralisierungsphänomen. Das Grundprinzip und seine Wandlungen in Zeit und Raum“, in Westfälische Forschungen 1962, t. 15, p. 85-95 (mit wichtiger Diskussion); G. Dilcher, „Marktrecht und Kaufmannrecht im Frühmittelalter“, in: Düwel, Untersuchungen (wie Anm.49), t. 3, p. 392-417.
51 K. Glöckner (éd.), Codex Laureshamensis, t. 3, Darmstadt, 1936/Reprint 1963, p. 170f. Nr. 3664/3665. Dazu F. Staab, „Aspekte der Grundherrschaftsentwicklung von Lorsch vornehmlich aufgrund der Urbare des Codex Laureshamensis“, in Rösener, Strukturen (wie Anm.7), p. 285-334, hier: 320. Im Vergleich mit Nr.2667-3669, die Staab (a.a.O., p. 313) in die Zeit Abt Gerbods datiert, läßt sich die Ausweitung der Münzzinse im Detail nachweisen (Handschuhsheim, Leutershausen).
52 Rösener, Grundherrschaft (wie Anm.7), p. 143ff.
53 Grundlegend: N. Kamp, „Probleme des Münzrechts und der Münzprägung in salischer Zeit“, in: Diestelkamp, Beiträge (wie Anm. 47), p. 94-110. Zusammenfassung des Forschungsstandes: B. Kluge, „Umrisse der deutschen Münzgeschichte in ottonischer und salischer Zeit“, in ders. (éd.), Fernhandel und Geldwirtschaft. Beiträge zum deutschen Münzwesen in sächsischer und salischer Zeit. Ergebnisse des Danneberg-Kolloquiums 1990, Sigmaringen, 1993, p. 1-16.
54 Vorbildlich in der Kombination von Pfennigzinsbelegen aus den Urbaren (Werden, Fulda, Kitzingen, St. Emmenram, Corvey, Helmstedt) mit Münzfundanalysen: W. Hess, „Pfennigwährungen und Geldumlauf im Reichsgebiet zur Zeit der Ottonen und Salier“, in: Kluge, Fernhandel (wie Anm.53), p. 17-36.
55 L. Weinrich (éd.), Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, Darmstadt, 1977, Nr.23, p. 88-104 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein Gedächtsnisausgabe, Bd.32); vgl. die neueste Studie von K. Schulz, „Das Wormser Hofrecht Bischof Burchards“, in W. Hartmann (éd.), Bischof Burchard von Worms: 1000-1025, Mainz, 2000, p. 251-278.
56 Vgl. den neuesten Überblick über „Familles et parentés“ in: J.-C. Schmitt, O.G. Oexle (éds.), Les tendances… (wie Anm. 4), p. 433-446 (A. Guerreau-Jalabert, R. Le Jan, J. Morsel), 447-460 (B. Jussen).
57 Ich verweise auf meine in Anm.1 angekündigte Studie.
58 Neuer Druck: H. Meyer zu Eermgassen (éd.), Der Codex Eberhardi des Klosters Fulda, t. 2, Marburg, 1996, p. 249-269; kritische Einordnung und Datierung: T. Werner-Hasselbach, Die älteren Güterverzeichnisse der Reichsabtei Fulda, Marburg, 1942, p. 9-26, 133-137; dazu zuletzt W. Rösener, „Die Grundherrschaft des Klosters Fulda in karolingischer und ottonischer Zeit“, in G. Schrimpf (éd.), Kloster Fulda in der Welt der Karolinger und Ottonen, Frankfurt a.M., 1996, p. 209-224, bes.221f. Grundlage ist die gründliche und ertragreiche Studie von U. Weidinger, Untersuchungen zur Wirtschaftsstruktur des Klosters Fulda in der Karolingerzeit, Stuttgart, 1991.
59 Werden: R. Kötzschke (éd.), Die Urbare der Abtei Werden a.d. Ruhr, Bonn, 1906, p. 88-137 (Urbare B: 10./11. Jh.), p. 137-151 (Urbar C: um 1050); Überlieferungskritik: a.a.O., p. CXXIVff.; zur Grundherrschaft Werden-Helmstedt vgl. H.-W. Goetz, „Die Grundherrschaft des Klosters Werden und die Siedlungsstrukturen im Ruhrgebiet im frühen und hohen Mittelalter“, in F. Seibt u.a. (éds.), Vergessene Zeiten. Mittelalter im Ruhrgebiet, Essen, 1990, p. 80-88. Corvey: H.H. Kaminsky, Studien zur Reichsabtei Corvey in der Salierzeit, Köln/Graz, 1972, p. 193-222 (Heberollenfragment: Anfang 11. Jh.); Überlieferungskritik: a.a.O., p. 31-39. Freckenhorst: E. Friedländer (éd), Die Heberegister des Klosters Freckenhorst nebst Stiftungsurkunde, Pfründeordnung und Hofrecht, Münster, 1872, p. 25-59; Überlieferung: W. Kohl, Das (freiweltliche) Damenstift Freckenhorst, Berlin/New York, 1975, p. 212ff. Paderborn: F. Tenckhoff (éd.), Das Leben des Bischofs Meinwerk von Paderborn, mgh ssrg, Hannover, 1921, p. 35-63 (c.33-129). Ergänzend: E. Bünz, „Bischof und Grundherrschaft in Sachsen. Zu den wirtschaftlichen Grundlagen bischöflicher Herrschaft in ottonischer Zeit“, in Bernward (wie Anm.5), p. 231-240.
60 Deskriptionsschema: Kötzschke, Urbare (wie Anm.59), p. 141; hereditates et nuptualia dona et omnes actiones abbati dabit (gemeint ist der Meier, der diese Abgaben eintreibt): p. 129, 148; dazu L. Kuchenbuch, Potestas (wie Anm. 6), p. 138.
61 F. Irsigler, „Divites und pauperes in der Vita Meinwerci. Untersuchungen zur wirtschaftlichen und sozialen Differenzierung der Bevölkerungs Westfalens im Hochmittelalter“, in Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1970, t. 57, p. 450-499, bes. 490ff.
62 Tenckhoff, Leben (wie Anm.59), p. 41f. (c.49). Vgl. die beeindruckende Studie von F. Irsigler, „Bischof Meinwerk, Graf Dodiko und Warburg. Herrschaft, Wirtschaft und Gesellschaft des hohen Mittelalters im östlichen Westfalen“, in Westfälische Zeitschrift 1976/77, t. 126, p. 181-199.
63 An Bischöfen wie Burchard von Worms, Bernward von Hildesheim, Benno von Osnabrück, Meinwerk von Paderborn wäre zu zeigen, wie intensiv diese sich um eine systematische christliche correctio der Plebanen bemühten. Hierzu T. Reuter, „Ein Europa der Bischöfe. Das Zeitalter Burchards von Worms“, in Hartmann, Bischof Burchard (wie Anm.55), p. 1-28.
64 Initiativ hierzu: R. Wenskus, H. Jankuhn, K. Grinda (éds.), Wort und Begriff „Bauer“, Göttingen, 1975; weiterführend die Studien von O.G. Oexle (wie Anm. 11).
65 Anregend hierzu die neue Synthese zu England von R. Faith, The English Peasantry and the Growth of Lordship, London/Washington, 1997.
66 Dazu Verhulst, Grundherrschaftsentwicklung (wie Anm.9).
67 Vgl. Steuer, Leben (wie Anm.11); H.-J. Nitz, „Grenzzonen als Innovationsräume der Siedlungsplanung“, in Siedlungsforschung, 1991, t. 9, p. 101-134; N. Wand, „Holzheim bei Fritzlar in salischer Zeit - ein nordhessisches Dorf mit Herrensitz, Fronhof und Eigenkirche“, in Böhme, Siedlungen (wie Anm.11), p. 169-209.
68 Steuer, Leben (wie Anm.11); Henning, Burgenbau (wie Anm.11).
69 Fried, Deutsche Geschichte (wie Anm.3).
70 Bonnassie, Sociétés (wie Anm.1).
71 L. Kuchenbuch, „Feudalismus. Versuch über die Gebrauchsstrategien eines wissenspolitischen Reizwortes“, in N. Fryde, P. Monnet, O.G. Oexle (éds.), Die Gegenwart des Feudalismus, Göttingen, 2002, p. 293-323.
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Bestiaire chrétien
L’imagerie animale des auteurs du Haut Moyen Âge (Ve-XIe siècles)
Jacques Voisenet
1994
La Gascogne toulousaine aux XIIe-XIIIe siècles
Une dynamique sociale et spatiale
Mireille Mousnier
1997
Que reste-t-il de l’éducation classique ?
Relire « le Marrou ». Histoire de l’éducation dans l’Antiquité
Jean-Marie Pailler et Pascal Payen (dir.)
2004
À la conquête des étangs
L’aménagement de l’espace en Languedoc méditerranéen (xiie - xve siècle)
Jean-Loup Abbé
2006
L’Espagne contemporaine et la question juive
Les fils renoués de la mémoire et de l’histoire
Danielle Rozenberg
2006
Une école sans Dieu ?
1880-1895. L'invention d'une morale laïque sous la IIIe République
Pierre Ognier
2008