Der Bruch von 1940. Übersetzungen aus dem Deutschen zwischen 1933 und 1944
La rupture de 1940. Traductions de l’allemand entre 1933 et 1944
p. 183-195
Résumés
Une césure politique a rarement transformé le paysage franco-allemand de la traduction autant que la défaite française de juin 1940.
Avant cette date dominaient les traductions des auteurs en exil, ceux de « l’autre Allemagne » qui lançait ses appels au « monde civilisé » depuis Paris (principal point de cristallisation des émigrés jusqu’à la guerre) ; mais la situation se renversa totalement à partir de la seconde moitié de l’année 1940 : les administrateurs culturels de l’occupation nazie établirent des listes négatives et positives, celles des « écrits indésirables » et celles de ceux « à promouvoir ». Quels furent ceux qui furent soutenus ?
Une controverse s’était produite à Paris dès 1934 à propos de la littérature « vraiment allemande », établissant une étonnante ligne de fronts entre authenticité nationale d’une part, internationalisme de l’autre.
Selten hat eine politische Zäsur so radikal die französisch-deutsche Übersetzungslandschaft verändert wie der Zusammenbruch Frankreichs im Juni 1940.
Dominierten bis dahin Übersetzungen der Exil-Autoren, die des „anderen Deutschland“, das von Paris – als dem wichtigsten Kristallisationszentrum der Emigranten bis zum Krieg – seine Appelle an die „gesittete Welt“ richtete, so kam es seit der zweiten Hälfte des Jahres 1940 zu einem kompletten Umschlag der Situation: die Kulturverwalter der Nazi-Okkupation stellten Negativ-und Positivlisten auf, solche des „unerwünschten Schrifttums“ und solche des „fördernswerten“, die als Richtschnur dienen sollten. – Wer wurde gefördert?
Bereits 1934 war es in Paris zu einer Kontroverse über die „eigentliche“ deutsche Literatur gekommen, in der eine so erstaunliche Frontlinie wie: Nationale Authentizität contra Internationalismus aufgebaut wurde.
Texte intégral
1Nietzsches Apercu, es „kennzeichne die Deutschen, dass bei ihnen die Frage: ‚Was ist deutsch?‘ niemals ausstirbt“1, durchzieht gleich einem – streckenweise verborgenen – roten Faden eine lange Reihe von Literatur-und Kulturdebatten seit dem 19. Jahrhundert. Dass historisch ein mehr oder minder stark angefachter Nationalismus das Umfeld bildet, ist naheliegend. Erst recht schien die Frage virulent in jener Epoche von 1933 bis 1945, die als eine des Hyper-Nationalismus gelten kann. Ausgesprochen oder nicht, war es spätestens seit den Napoleonkriegen und Autoren wie Ernst Moritz Arndt so, dass ein idealisiertes, um den Begriff der „Reinheit“2 positiv konnotiertes Selbstbild in Kontrast gesetzt wurde zum negativ konnotierten frivolen „Französischen“. Drei Kriege seit 1870 zementierten die Vorurteile. Man denke an einen Schlüsseltext des zweiten dieser drei Kriege, dem von 1914/18, an Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen, und darin wiederum an den Schlüsselbegriffdes „Zivilisationsliteraten“ (gemeint war damit sein Bruder Heinrich; eigentlich ein Franzose), um sehr suggestiv etwas von der Atmosphäre jener Dauerpolemik zu spüren3.
2Mit dem Kriegsende von 1918 wurde diese Polemik dann breiter ins Innerdeutsche überführt; die Unterscheidung in politisch rechts und links, die es in einer operativen Form während der Monarchie so eindeutig nicht gegeben hatte, wurde in der Weimarer Republik, die sich formal auch an der französischen orientierte, bald auch im literarischen Feld als erste, grobe Unterscheidungskategorie übernommen. Um 1930 – ich verkürze sehr – durchwirkte die ursprünglich gegen Frankreich gerichtete Antithese von Kultur und Zivilisation auch jene Kontroverse, die unter dem Titel „Dichter kontra Schriftsteller“ seit Mitte der zwanziger Jahre um den Status der Sektion der Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste geführt wurde4. Die beiden Lager, in die das hier versammelte literarische Establishment der Weimarer Republik sich gespalten hatte, wurden von Heinrich Mann und Alfred Döblin als Schriftstellern vertreten, von Kolbenheyer, Schäfer und Ponten als Dichtern. Mit massivem Ressentiment gegen die Großstadtzivilisation plädierten die völkischkonservativen Dichter für Landschaft, Intuition und ewige, deutsche Werte. Der Gegenseite warfen sie „internationale Manier“ vor, sie sei volksfremd, rationalistisch, standpunktlos.
3Döblins Polemik gegen die Herren vom „total platten Lande“ meinte auch jene, die, um dem „Radikalismus nach links und nach rechts“ zu entgehen, sich zu einer antimodernen Gegenbewegung der Abwehr und des Rückzugs vom Chaos der Großstädte in die nicht selten resignativ getönte Innerlichkeit zurückzuziehen suchten, „Überall ist der Einbruch der Idylle festzustellen…“, freilich oft verbunden mit dem Ruf „nach Führung“. Hinter dem ästhetischen Streitpunkt für und wider das „rein Poetische“ war der politische sichtbar geworden; für die Dichter ging es um die Abwehr eines demokratischen Begriffs von Kunst, den sie als integralen Teil des Alltagslebens erfahrbar machen wollten. Ihr konservatives, in ihrer Sicht „deutsches“ Verständnis von Bildung und Kultur ließ sie die Dichtung verteidigen als Reservat des „Seelischen“. Die Abkehr vom öffentlichen Leben, von den Metropolen mit ihren Interessenkonflikten, galt diesen Autoren als selbstverständlich, da sie sich geborgen wähnten in einer Tradition des Holistischen, die sie, bei einem möglichen Seitenblick auf die Geisteswissenschaften, jene analytischen Fächer ablehnen ließ, von denen in der Zwischenkriegszeit auch für die Literatur die meisten Impulse ausgingen: Soziologie und Psychoanalyse. Sie galten als „jüdische“ Disziplinen.
4Die Fehde zwischen „Schriftstellern“ und „Dichtern“ war 1933 bekanntlich autoritär entschieden worden: durch die Vertreibung der Literaten; das Reich sollte den „Dichtern“ bleiben. Die sich so verstanden: konservativ, deutsch, national, erhielten ein Jahr später bereits eine eigene Zeitschrift, deren Name ihr Programm war: Das Innere Reich. Daher mußte es vor allem bei den nach Frankreich emigrierten Schriftstellern Empörung auslösen, dass im Juni 1934 in Paris ein wohlhabender, literarisch dilettierender Dandy und Deutsch-Franzose, Joseph Breitbach – sie hatten ihn für ihrer Position nahestehend gehalten – einen Aufsatz veröffentlichte, der offenbar genau für jene Gegenseite Partei ergriff5. Diesen Aufsatz mit dem Titel „Kennen die Franzosen wirklich die deutsche Literatur von heute?“ ließ Breitbach obendrein in der nationalistischen Revue Hebdomadaire erscheinen. Seine Titelfrage beantwortete er mit einem eindeutigen Nein. Wenn man von einigen europäischen Berühmtheiten wie Rilke, Thomas Mann oder Jakob Wassermann absehe, seien alle in Frankreich bekannten Schriftsteller – von Heinrich Mann bis Ernst Glaeser – Adepten des „französischen Geistes“; bei ihnen könne man allenfalls die Bestätigung eigener Auffassungen finden; Nachholbedarf bestehe dagegen an jenen Autoren von „echt deutschem Geist“, über die allein Einsichten in die Tiefe und Eigenart des Nachbarvolkes zu gewinnen seien, kurz: den volksverbundenen (wie Blunck, Stehr, Strauss oder Hans Grimm) und nicht den kosmopolitischen Autoren.
5Ich zitiere diese Position (es folgten scharfe Repliken von Klaus Mann und Joseph Roth), weil hier Haltungen und Überzeugungen sichtbar wurden, die fatalerweise auch bei den jungen, weltanschaulichen „Gegnerforschern“ im Berliner Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zum Standard gehörten und die der Leiter des Pariser Deutschen Instituts von 1940 bis 1944, Karl Epting, noch in den fünfziger Jahren vertrat. (Darauf komme ich gleich zurück.)
6So heißt es in einem 1937 von der SS in Berlin für den Dienstgebrauch herausgegebenen Leitheft Emigrantenpresse und Schrifttum: „Da das Ausland (1933) keinen weltanschaulichen und Geschmacks-Wandel durchgemacht hat, finden ihre [der Emigranten; A.B.] literarischen Produkte unvermindert Absatz“6. Daraus ergibt sich eine für das Folgende wichtige unterschiedliche Periodisierung. Für den französischen Literaturmarkt erscheint die Phase zwischen Ende des Ersten und Beginn des Zweiten Weltkriegs als Einheit, während in Deutschland das Jahr 1933 die große Zäsur bedeutet. Mit der Besetzung Frankreichs vom Sommer 1940 ab verschiebt sich das gesamte Koordinatensystem. Die von den Besatzern oktroyierte Feindbild-Trias Juden-Kommunisten-Freimaurer führt nicht nur zum Verbot der Veröffentlichungen und deren nachträglicher Eliminierung für Autoren dieser drei Gruppen im besetzten Teil Frankreichs (ab November 1942 auch im vordem unbesetzten Teil), sondern selbstverständlich auch für die – meist weitergeflüchteten – Emigranten, die ohnehin bereits 1933 pauschal zu „deutschfeindlichen“ Hetzern erklärt worden waren. Wie steht es um die konkreten Zahlen, wer wurde – und wie umfangreich – übersetzt?
7Beginnt man mit einem Blick auf die zeitgenössische Belletristik, scheint es, als würden die rechten Kritiker bestätigt: Die – in der zeitgenössischen Ausdrucksweise – „jüdischen Kosmopoliten“ führen das Feld an7. Weit an der Spitze lag Stefan Zweig mit etwa 40 Titeln. Wie schwierig es freilich ist, ihn als den meist übersetzten Exilautor anzusehen, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Stefan Zweig Österreicher war, Österreich erst mit dem Anschluß 1938 unter NS-Kontrolle kam und Zweig bereits 1942 Suizid beging; d.h., dass er nur in den letzten vier Jahren seines Lebens, als seine produktive Phase bereits hinter ihm lag, zu den emigrierten Literaten gezählt werden kann.
8Ein anderer Kosmopolit, Emil Ludwig, wurde 1933 zwar massiv von der Bücherverbrennung betroffen, konnte aber bis 1940 im Ausland und während des knappen Jahrzehnts, das ihm im USA-Exil verblieb, auch weiterhin in den unbesetzten Ländern publizieren. Die quantitativ ebenfalls stark vertretenen Vicky Baum, Jakob Wassermann und Franz Werfel, die man oft dieser Gruppe zurechnet, sind ganz unterschiedliche Fälle. Vicky Baum war bereits 1931 nach Hollywood gegangen und schrieb bald auch auf englisch. Jakob Wassermann erlebte nur noch das Jahr 1933, was indes nicht hinderte, dass seine Romane weiterhin übersetzt wurden. Die Übersetzungen Franz Werfels ins Französische fallen vor allem in die Jahre um 1930; ein Exil war damals noch nicht in Sicht.
9Wenn man die Zwischenkriegsepoche unterteilt in eine Phase A (vor 1933) und B (nach 1933), so wird in letzterer, die für den wichtigeren Teil der deutschen Literatur im Zeichen des Exils steht, ein breites Mittelfeld sichtbar. In ihm liegen unter den etablierten Autoren Thomas und Heinrich Mann, die natürlich auch schon früher, das heißt vor ihrer Emigration, übersetzt worden waren. Sicher ebenfalls zu dieser Gruppe zu rechnen sind Josef Roth und Lion Feuchtwanger. Überraschen mag aber in den dreißiger Jahren das französische Interesse an den jungen deutschen Autoren der Neuen Sachlichkeit, zu denen Irmgard Keun, Siegfried Kracauer, Ernst Erich Noth und Gina Kaus ebenso wie Ernst Gläser oder Adrienne Thomas zählen. Stärker vertreten waren nicht einmal Alfred Döblin, Arnold Zweig, Gustav Regler und Ödön von Horváth, während Anna Seghers, Klaus Mann und Erich Maria Remarque mit jeweils nur einem Werk übersetzt wurden.
10Was die Präsenz der Exilautoren – insbesondere der vor 1933 noch wenig bekannten – weiterhin schmälerte, war der Umstand, dass sie zum Teil wieder nur in Exilverlagen erschienen, die von den französischen Buchhandlungen nicht übermäßig akzeptiert waren. Zudem sind Pressionen vom deutschen Börsenverein nach Frankreich hinein zu vermuten. In der Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, mit Akribie erstellt von der Leipziger Deutschen Bücherei unter der Ägide der Reichschrifttumskammer und damit des Propagandaministeriums (Stand vom 31. Dezember 1938), findet sich auch eine Liste der „Verlage, deren Gesamtproduktion verboten ist“8. Etwa die Hälfte davon firmieren in Frankreich: Éditions du Carrefour, Éditions de La Lutte socialiste, Éditions du 10 mai, Éditions Nouvelles Littéraires usw.
11Für den Zeitraum 1933 bis 1940 sind etwa 300 Buchpublikationen nachzuweisen, ebenso viele übrigens – freilich von meist ganz anderen Autoren – für die Phase von 1941 bis 1944, wobei nicht wenige von diesen mit deutschem Rückenwind erschienen. Verzeichnet sind sie (fast) alle in einer während der Besatzung auf Initiative Karl Eptings erstellten Bibliographie sämtlicher seit Erfindung des Buchdrucks ins Französische übersetzten deutschen Bücher, die mit großer Verspätung 1987 in Tübingen veröffentlicht wurde9. Sie enthält manche Überraschung. Weniger, dass die drei festen deutschen Werte, die alle politischen Wechsel überstanden, aus den Namen Nietzsche, Wagner und Rilke bestanden. Eher schon überrascht der enorme Anteil früherer und aktueller Kinderbücher, eine Domäne, in der man (wie überhaupt im Bereich der Pädagogik) Deutschland offenbar traditionell für zuständig hielt. So sind unentwegt Neuauflagen von Märchen der Brüder Grimm, Wilhelm Hauffoder Christian von Schmid verzeichnet.
12Für das sogenannte Jugendbuch steht Karl May mit mehreren Dutzend Ausgaben, dann aber auch Erich Kästner und Hermynia zur Mühlen (diese bis 1940). In großem Umfang übersetzt, aber gleichsam in Sonderkategorien (Spezialverlagen) aufgehoben, sind bis 1940 die Werke von Marx/Engels und Rosa Luxemburg. Dies gilt auch für die Werke von Siegmund Freud und Rudolf Steiner.
13Nur der Vollständigkeit halber seien hier die – ebenfalls die politischen Wechsel überdauernden – Klassiker genannt. In der Hierarchie der übersetzten deutschen Dichter führt Goethe weitab mit 91 Titeln. Es folgen Schiller (31), E. T. A. Hoffmann (27), Kleist (12), Hölderlin (10) und Jean Paul (5). Heine (9) wird für die Dauer der Besatzungszeit eliminiert.
14Wenn nun bis zum Kriegsausbruch von Paris als dem wichtigsten Kristallisationszentrum der Emigranten gesprochen werden kann (und es sei daran erinnert: die deutschsprachige Belletristik erschien überwiegend in zwei Verlagen in Amsterdam, Querido und Allert de Lange), so ist dafür vor allem die Publizistik der Grund und die Organisationszentren von Parteien und parteiähnlichen Gruppierungen. Von hier aus konnten die Appelle an die „gesittete Welt“ gerichtet werden. Hier kam es zum Schulterschluß deutscher und französischer Publizisten in französischen Medien10. Dies war vertrauenerweckender und effizienter als der mögliche Einfluß über schöngeistige Literatur.
Der Bruch von 1940
15Einen Tag nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris, im Juni 1940, beginnt eine vom Berliner Sicherheitshauptamt eingeschleuste Gruppe des SD, geführt von einem promovierten Anglisten, mit der Ortung und Festnahme exilierter Schriftsteller und Publizisten aus Deutschland und Österreich; sie konfisziert zugleich die Unterlagen jener, denen zuvor die Weiterflucht gelang. Damit vermeint sie, die Quelle der permanenten Anklagen gegen die reichsdeutschen Verhältnisse endgültig zum Schweigen gebracht zu haben.
16Wenige Monate später, am 1. September 1940, wird das Deutsche Institut – Karl Epting ist sein Leiter und zugleich der quasi-Kulturattaché der Deutschen Botschaft – in Paris eröffnet11. Und schon im Dezember konstituiert sich dort ein deutsch-französischer Übersetzungsausschuß, mit dessen Hilfe ein grundlegend anderes Bild von Deutschland durchgesetzt werden soll.
17Von deutscher Seite gehören dazu außer Epting und Bremer u.a. der bekannte Leutnant Heller; von französischer Seite die Schriftsteller Drieu la Rochelle, Chateaubriant, Benoist-Méchin, der Germanist Maurice Boucher, die Verleger Grasset, Bourdelle und Philippon, ferner mehrere Übersetzer und Literaturkritiker. In den folgenden Wochen wird, in Abstimmung mit anderen deutschen Dienststellen, eine Liste mit 500 bis 600 zu übersetzenden Werken „aus allen Teilen der deutschen Literatur“ erstellt. Zwar hat sich kein Exemplar dieser Liste erhalten (im Gegensatz zu den eliminatorischen Listen des „unerwünschten Schrifttums“12); doch lässt sich anhand der erwähnten, von Epting veranlassten Bibliographie in etwa rekonstruieren, was von dem vermutlich Propagierten realisiert wurde. Dabei ist für die Zeit von 1941 bis 1944 – wie erwähnt – von etwa 300 übersetzten Büchern auszugehen, zu denen eine Menge Kleinformatiges in Broschürenform tritt; und es sei gleich angemerkt, dass indirekte NS-Propaganda sich hier am ehesten findet13.
18Bleiben wir zunächst bei den Büchern und im Bereich der Literatur – wobei sogleich darauf hingewiesen sei, dass in die Zahl von 300 auch alle Übersetzungen aus den Bereichen Kunst- und Musikgeschichte, Naturwissenschaft und Technik, Wirtschaftswissenschaft, Medizin und Sachbuch eingegangen sind. Darauf, dass Ernst Jünger und Friedrich Sieburg den Platzvorteil ihrer „dienstlichen“ Präsenz in Paris seit 1940 nutzten, um die schon ein Jahrzehnt zuvor begonnene Übersetzung ihrer Werke weiter zu fördern, wurde andernorts bereits hingewiesen – sie waren auch gesellschaftlich die Stars der Besatzung. Es bedurfte bei ihnen keines „Rückenwinds“ vom Deutschen Institut14.
19Was indes die Übersetzungen aus der reichsdeutschen Gegenwartsliteratur angeht, ist der eigentlich überraschende Fall der des Hans Fallada. Mit sieben Titeln steht er obenan. Mit seinem emotional, nicht politisch geladenen sozialkritischen Realismus war er nicht affirmativ, aber auch nicht wirklich gefährlich; eine Mischung, die Verlegern und Publikum offenbar gefiel.
20Ganz anders die Lage der kaum erschienenen und nichtgeliebten Nazi-Belletristen. Autoren wie Bruno Brehm oder Werner Beumelburg mussten über arisierte, deutsch kontrollierte Verlage wie die Éditions Balzac (vormals Calmann-Lévy) in den Markt gedrückt werden, vermutlich mit wenig Erfolg. Für die von Josef Breitbach 1934 so vehement propagierten, angeblich authentisch deutschen Autoren wie Hermann Stehr, Emil Strauss und andere dauerte es bis 1943, um mit einigen Titeln übersetzt zu erscheinen. Leichter hatten es da konservativ und religiös getönte Autorinnen wie Ina Seidel und Gertrud von Lefort.
21Zwei politische Juristen sind – obwohl kaum in einem Atemzug zu nennen – mit einer Reihe von Titeln vertreten: Carl Schmitt und Friedrich Grimm. Beide warben auch als Vortragsredner für das Dritte Reich. Die eigentliche Werbung für die Nichteliten geschah jedoch, um bei den Printmedien zu bleiben, mittels einer reichsortierten Broschürenliteratur. In ihr ging es nicht, wie man vielleicht hätte erwarten können, um direkte NS-Propaganda. Als vorbildlich – und überlegen – gepriesen wurden vielmehr jene Elemente des nationalen Sozialismus, die Götz Aly in seinem Buch „Hitlers Volksstaat“ herauspräpariert hat15. Es ging um die sozialen und ökonomischen Wohltaten für die Bevölkerung, um Fragen wie moderne Hygiene und Sicherheit am Arbeitsplatz, um Mutterschutz, um Niedrigbesteuerung, um Reisen mit „Kraft durch Freude“ und anderes. Ethnische und politische Homogenität seien erreicht, weil neue eugenische Einsichten umgesetzt und Klassenkonflikte im „Völkischen“ aufgehoben worden seien; dabei halte sich auch im Krieg ein vergleichsweise hoher Lebensstandard. Nicht zur Diskussion stand selbstverständlich, dass dieser auf Kosten der Ausbeutung der besetzten oder von Deutschland abhängigen Länder und nicht zuletzt der europäischen Juden aufrecht erhalten wurde. Anders gesagt: die Bevölkerung profitierte von den Raubzügen in Europa, wurde gleichsam mit Sozialleistungen bestochen und dies zementierte die Akzeptanz des Systems. In den Broschüren, die zugleich für das Neue Europa und die freiwillige Arbeit im Reich warben, ging es um die Modernität des „Volksstaats“, die relativ hohen Löhne, das Amt „Schönheit der Arbeit“ und das Insistieren auf der Gesundheit des „Volkskörpers“– immer mit dem Blick auf die Formung des Neuen Menschen16. Der Begriffder Pseudo-Utopie liegt hier also nahe.
22Zurück zu den Büchern. Blickt man für einen Moment in umgekehrte Richtung und vergleicht, was und wieviel zwischen 1933 und 1945 aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt wurde, werden diese Mittelwerte sichtbar: 30 Titel pro Jahr vor dem Krieg und nur noch drei während des Kriegs17. Sieht man ab von einem ‚Dauerbrenner’ wie Alexandre Dumas und visiert die Gegenwartsliteratur, so erscheint Jean Giono als Spitzenreiter: er konnte im Reich missverstanden werden als Blut-und-Boden-Autor. Auch die Gunst für Saint-Exupéry erhielt sich bis in die ersten Kriegsjahre hinein, trotz seiner Statements im New Yorker Exil, in denen er deutlich gegen die Nazis (allerdings weniger deutlich gegen Pétain) Stellung bezog18. Man kann ihn als Vorläufer des Existentialismus sehen. Seine Werte – heroischer Aktivismus, Pflichterfüllung, Einsatz des eigenen Lebens für höhere Ziele – waren für junge Deutsche durchaus rezipierbar.
23Bei den historischen Napoleon-Romanen, die hohe Konjunktur hatten, mag die aktuelle Vergleichbarkeit mit Hitler eine Rolle gespielt haben. Erstaunlich ist jedoch, dass man auf faschistische Autoren aus Frankreich keinen Wert legte: Weder Drieu la Rochelle noch Brasillach oder Rebatet wurden übersetzt; kaum mehr als zwei frühe Romane von Alphonse de Chateaubriant sowie Ernte 1940 von Jacques Benoist-Méchin tauchen auf. Auch an französischem Antisemitismus war man im Reich wenig interessiert: Célines Bagatelles pour un massacre, deutsch: Die Judenverschwörung in Frankreich blieb eine Ausnahme; stark gekürzt und vergröbert übersetzt, haftete Céline forthin (außer bei seinem Verehrer Karl Epting) das Odium des Vulgären an. (Die frühere Übersetzung der Reise ans Ende der Nacht war 1933 noch von künftigen Emigranten in die Wege geleitet worden)19.
24Mit Datum vom 10. Mai 1943 – das heißt dem zehnten Jahrestag der Bücherverbrennung – wurde in Paris eine dritte, komplettierte Verbotsliste gültig. Sie war nicht mehr nach Verlagen, sondern nach Autoren alphabetisch geordnet und enthielt als Anhang eine Namensliste „Jüdische Autoren“20. Im Begleitschreiben der deutschen Behörden wurde Klage geführt über die laxistische Behandlung jüdischer Autoren („… l’indifférence témoignée jusqu’à présent en France pour faire connaître publiquement les écrivains d’origine israélite…“21). Dagegen weigerte sich der französische Verlegerverband – anders als 1940 –, allen Eskalationen der deutschen Zensurpraxis zu folgen und betonte, keine Verantwortung für die Liste zu tragen („qu’il est étranger à l’établissement de la liste…“22).
25Erinnert sei abschließend daran, dass das zentrale und wirksamste Instrument der Steuerung des gesamten Printbereichs, gleichsam die angewandte Zensur, in der Papierzuteilung bestand. Ohne sie hätte der Bruch von 1940 nicht derart rigoros durchgesetzt werden können.
26In seinem quasi autobiographischen Text Generation der Mitte kommt Karl Epting 1953 rückblickend auf die deutschsprachigen Autoren nach 1933 zu sprechen23. Apologetisch werden die Versuche, als Mittler zu wirken, verklärt, ganz an Breitbach erinnernd. „Für die gegenseitige Befruchtung zwischen Deutschland und Frankreich“, behauptet Epting, „sind die Unternehmen der Emigranten jedenfalls nicht sehr fruchtbar gewesen.“ Und: „Die abgelehnten Schriftsteller verbreiteten draußen die Meinung, Deutschland besitze nun keine Literatur mehr… In Wahrheit existierte in Deutschland eine Literatur, die von der herrschenden Kritik vor 1933 nicht auf die Vorderplätze gebeten worden war, sich aber längst der Liebe des Volks erfreute.“ Es folgen Namen wie Kolbenheyer, Dwinger, Jünger und Carossa, die angeblich wenig „in ihrem Wesen mit dem Nationalsozialismus zu schaffen hatten.“
27Man sieht, wie zäh sich Wertmuster bis in die Nachkriegszeit hielten und wie lange es brauchte (eigentlich bis zur Gruppe 47), bis Kontroversen darüber, ob authentisch deutsches Schreiben und Leben nur im Reich oder nur im Exil möglich gewesen sei, verabschiedet wurden.
28P.S.: Jean d’Ormesson hat darauf hingewiesen, dass Francois Mitterands Vorlieben – anders als in der Politik – in der Literatur eher nach rechts gingen; so in der deutschen via Ernst Jünger, in der französischen via Jacques Chardonne.
29Hören Sie abschließend ein Zitat aus dem 1943 geschriebenen Essay Chardonnes Le Ciel de Nieflheim. Der Titel verweist auf die „Nebelwelt“ der nordischen Mythologie. Einzelne Reiseeindrücke aus Deutschland werden mit Bildern des ländlichen Frankreich zur Vision eines kulturellen Europa zusammengefügt, das es gemeinsam gegen die Sowjetunion zu verteidigen gelte. Man spürt ein gerüttelt Maß an freiwilliger Blindheit in den Passagen, in denen – mit affirmativem Pathos – Gleichschaltung und Führerglaube idealistisch verklärt werden. Ein Satz soll genügen:
Im deutschen Sozialismus [sprich: Nationalsozialismus; A.B.] tritt jener feudale und religiöse germanische Geist in Erscheinung, den das rein Materielle nicht befriedigt, dem wohl ist in der Größe, in der seine Gegensätze sich versöhnen, und der in der Stunde einer Erneuerung der Welt seinen vollen Ausdruck gefunden hat. Das wahrhaft Neue in Deutschland liegt im Menschen.24
Notes de bas de page
1 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, in: Werke, hg. von Karl Schlechta, München, Hanser, 1960, Bd. II, S. 709.
2 Ernst Moritz Arndt, Geist der Zeit, Leipzig o.J., IV, S. 158 f.
3 Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, in: Gesammelte Werke, Frankfurt/M. Fischer, 1960, Bd. XII, S. 53 ff.
4 Albrecht Betz, Exil und Engagement. Deutsche Schriftsteller im Frankreich der dreißiger Jahre, München, Text und Kritik, 1986, S. 24 ff.
5 Ibid., S. 99 ff.
6 Ibid., S. 218.
7 Ibid., S. 225 ff.
8 Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums. Stand vom 31. Dezember 1938, Leipzig.
9 Liselotte Bihl/Karl Epting, Bibliographie französischer Übersetzungen aus dem Deutschen 1487-1944. In Verbindung mit Kurt Wais hg. v. d. Universitätsbibliothek, Tübingen, Niemeyer, 1987, S. 961 ff.
10 Betz (wie Anm. 4), S. 240 ff.
11 Umfassend: Eckard Michels, Das Deutsche Institut in Paris 1940 – 1944, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 1993.
12 Walther Traiser, „Listen verbotener Literatur in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs“ in: Bibliothek – Buch – Geschichte. Kurt Köster zum 65. Geburtstag, hg v. Günther Pflug (u.a.), Frankfurt/M., Vittorio Klostermann, 1977, S. 559 ff.
13 Zahlreiche Exemplare finden sich in den Beständen AJ 40 der Archives Nationales, Paris.
14 Betz (wie Anm. 4), S. 173.
15 Götz Aly, Hitlers Volksstaat, Frankfurt/M. Fischer, 2005.
16 Vgl. Marie-Anne Matard-Bonucci/Pierre Milza (Hg.), L’Homme nouveau dans l’Europe fasciste (1922-1945). Entre dictature et totalitarisme, Paris, Fayard, 2004.
17 Ulrike Beck, „Mehr und anderes als erwartet: Zum Import französischer Literatur ins nationalsozialistische Deutschland“, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Berlin 1. Hj. 2000, S. 92 ff.
18 Jeffrey Mehlmann, Émigrés à New York. Les intellectuels francais à Manhattan 1940-1944, Paris, Albin Michel, 2005, S. 203.
19 Albrecht Betz, „Céline, entre le IIIe Reich et la France occupée“ in: Albrecht Betz/Stefan Martens (Hg.), Les Intellectuels et l’Occupation 1940-1944, Paris, Autrement, 2004, S. 90 ff.
20 Traiser (wie Anm. 12), S. 565 f.
21 Ibid.
22 Ibid.
23 Karl Epting, Generation der Mitte, Bonn, Universitäts-Buchdruckerei, 1953, S. 123 f.
24 Jacques Chardonne, Le Ciel de Nieflheim, zit. nach: Oliver Lubtich (Hg.), Reisen ins Reich 1933-1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland, Frankfurt/M., Eichborn, 2004, S. 306 f.
Auteur
RWTH Aachen
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