Zwischen Flucht nach Paris und Exil in Sibirien
Übersetzungsdynamik und Mobilität am Beispiel der Reiseberichte August von Kotzebues
Entre fuite à Paris et exil en Sibérie. Dynamique de la traduction et mobilité : l’exemple des récits de voyage de Kotzebue en langue française
p. 99-122
Résumés
À travers deux récits de voyage de August von Kotzebue – Ma fuite à Paris (1791) et L’année la plus remarquable de ma vie (1802) –, il s’agit d’analyser la relation entre mobilité d’écrivains/traducteurs et traductions. Outre l’aspect spatial inhérent au genre, les séjours que Kotzebue a effectués à Paris, en 1790 et en 1804 (date des Souvenirs de Paris), ont été essentiels pour faire connaître le dramaturge et le voyageur et ainsi renforcer la réception de son œuvre. À cette occasion, il a pu contacter des traducteurs et voir des adaptations de ses pièces. Il parcourt l’Europe en ambassadeur de son œuvre et personnalité à scandales. C’est dans cette perspective que s’inscrivent les nombreuses répercussions que l’on trouve de ses récits de voyage et de leurs traductions dans la presse qui témoigne d’un vif transfert franco-allemand. L’aspect spatial est à relever également dans les traductions elles-mêmes qui diffèrent en qualité et degré de diffusion selon leur lieu de parution : Berlin ou Paris pour Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, Coblence comme lieu d’une pratique éditoriale bilingue pour les Lettres d’un Français à un Allemand, une réplique à L’Année la plus remarquable. Les récits de voyage du dramaturge populaire déclenchent polémique et débat et sont l’exemple d’un marché de la traduction dynamisé et, en partie, exterritorialisé, au tournant du xviiie au xixe siècles à cause des phénomènes de migration qu’a connus cette époque et qui, malgré leur intensité, sont moins étudiés pour la littérature à grand public.
Zwei Reiseberichte August von Kotzebues – Ma Fuite à Paris (1791) und L’Année la plus remarquable de ma vie (1802) – erlauben eine Analyse des Verhältnisses zwischen Mobilität von Schriftstellern bzw. Übersetzern und Übersetzungen. Über den gattungsmässigen Aspekt hinaus sind die Paris-Aufenthalte Kotzebues von 1790 und 1804 (das Erscheinungsjahr der Souvenirs de Paris) entscheidend gewesen, um den Dramatiker und Reisenden bekannt zu machen und so die Rezeption seines Werkes zu verstärken. Bei dieser Gelegenheit konnte er mit Übersetzern Kontakt aufnehmen und Adaptationen seiner Stücke auf der Bühne sehen. Als Botschafter seines Werkes und als skandalträchtige Figur reist er durch ganz Europa. In diesem Kontext stehen die zahlreichen Erwähnungen seiner Reiseberichte und ihrer Übersetzungen in der Presse, die von einem regen französisch-deutschen Transfer zeugt.
Der räumliche Aspekt ist gleichfalls in den Übersetzungen selbst festzumachen, wobei Qualität und Verbreitungsgrad je nach Erscheinungsort differieren: Berlin oder Paris für Das merkwürdigste Jahr meines Lebens und Koblenz als Ort einer zweisprachigen Editionspraxis für Lettres d’un Français à un Allemand, die eine Replik auf L’Année la plus remarquable de ma vie sind.
Die Reiseberichte des populären Dramatikers verursachen Polemiken und Debatten und sind ein Beispiel für den dynamischen und teils exterritorialen Charakter des Buchmarktes an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, in Folge der Migrationsphänomene, die jene Epoche verzeichnete und die trotz ihrer Intensität für die Massenliteratur noch wenig erforscht sind.
Texte intégral
„Die Uebersetzung unsers größten Theaterdichters in das Siberische“
A. W. Schlegel
1August von Kotzebue, der als Opfer des 1819 auf ihn verübten Attentats bekannt ist und als Reaktionär gilt, erlangte durch seine Erfolgsdramen um 1800 eine für seine Zeit unvergleichliche Präsenz in ganz Europa, nicht nur auf den Bühnen, sondern auch als Reisender zwischen Weimar, Wien, Berlin, Petersburg und Reval. Als er 1790 nach Paris kam, konnte der Autor das wachsende Interesse an seinem dramatischen Werk und die Bemühungen der Übersetzer zum ersten Mal selbst konstatieren.
2Ziel dieses Beitrags ist es, zwei Reiseberichte Kotzebues – Meine Flucht nach Paris, Leipzig 1791; Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, Berlin 18011 – und ihre Übersetzungen ins Französische auf die Frage hin zu untersuchen, ob sich aus der Mobilität des Autors eine spezifische Übersetzungsdynamik entwickelt, welche lokale Verankerung die Übersetzungen hinsichtlich ihrer Übersetzer, ihrer Entstehung und ihrer Rezeption aufweisen und welche Aussagen sich über die Übersetzungspraxis aus diesem untypischen Beispiel ableiten lassen, das sich nicht allein wegen des der Gattung inhärenten Mobilitätsmerkmals als Ausgangspunkt für diese Frage anbietet2. Ein Grund für die Ausnahmestellung der Reiseberichte liegt im Status des Autors selbst als – spätestens ab 1791, dem Aufführungsdatum von Misanthropie et repentir (Menschenhaß und Reue) in Frankreich – europaweit berühmte und umstrittene Persönlichkeit. Kotzebues Theaterstücke nehmen weitaus stärker als die Reiseberichte einen herausgehobenen Platz in der deutsch-französischen Übersetzungs-und Rezeptionsgeschichte um 1800 ein. Der Blick in die Übersetzungsbibliographien von Horn-Monval3 und Bihl/Epting4 belegt die zahlenmäßige Dominanz der Übersetzungen allein der Theaterstücke Kotzebues, die stets zum Zwecke der Aufführung angefertigt wurden. Nimmt man die Romane, Novellen und Reiseberichte hinzu, ergibt sich eine noch eindeutigere Vormachtstellung für Kotzebue als prominentesten deutschen Schriftsteller seiner Zeit. Um 1800 war er der meistübersetzte und -gespielte deutsche Dramatiker weltweit. Er liegt im Französischen zahlenmäßig vor Schiller. Analog zur Aufführungspraxis am Weimarer Hoftheater unter Goethes Leitung und erst recht an anderen Bühnenstandorten wurden von ihm bis 1820 mehr Titel ins Französische übersetzt als von Goethe und Schiller zusammen5. Sein schärfster Kritiker August Wilhelm Schlegel stellte daher für seine Epoche resigniert fest: „das deutsche Theater und Kotzebue läuft so ziemlich auf eins hinaus“6.
Meine Flucht nach Paris – Ein „Frankreichfreund“ leistet ersten „negativen Kulturtransfer“
3Seine erste Parisreise beschreibt Kotzebue 1791 als Flucht nach Paris und Trauerarbeit7. Da seine erste Frau gestorben ist, versucht er, sich abzulenken. Er sucht sie überall in der Stadt, nur das Buchprojekt spendet ihm Trost. Intendiert ist eine rührende Direktwirkung, die er im Vorwort darlegt8. Bei diesem Aufenthalt begegnet Kotzebue seinem eigenen Werk in Paris, das ins Französische übersetzt wird. Der Buchhändler König präsentiert ihm das Übersetzungsmanuskript, das Madame de Rome zu seinem „romantischen Schauspiel“ Adelheid von Wulfingen angefertigt hat. Was die Aussichten der Adaption in Frankreich angeht, ist Kotzebue jedoch skeptisch: „Es ist alles französirt. […] Ich begreife überhaupt nicht, wie man erwarten darf, dieses Stück werde auf der französischen Bühne Glück machen“9. König vermittelt den Kontakt mit der Übersetzerin, die seine Stücke bearbeitet und die er bei dieser Gelegenheit trifft. Diese im Reisebericht dokumentierte, vom Buchhändler vermittelte Begegnung zwischen Autor und Übersetzerin gibt Einblick in eine Pariser Übersetzerwerkstatt, in der im Sinne der französischen Bühnendogmatik unwahrscheinliche Zusammenhänge und unstatthafte Details reduziert werden. Madame de Rome bespricht mit Kotzebue auch ihr Übersetzungsvorhaben zu Menschenhaß und Reue10. Über die französischen Bühnen äußert sich der Verfasser als scharfer Beobachter, so daß diese Kapitel einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Theatergeschichte liefern11. Für französische Leser wenig schmeichelhaft ist dagegen eine 12-Punkte-Übersicht, in der er angibt, warum er Paris verlassen will und die im wesentlichen Essen, Lautstärke und Heizung betreffen. Allein dieses Kapitel war Grund genug, den Reisebericht lange unübersetzt zu lassen12.
Das merkwürdigste Jahr – Sensationsroman, Übersetzungen, Debatten
4„Cet ouvrage n’est point un roman. C’est une narration simple et fidèle de tous les évènemens arrivés à Auguste de Kotzebue en l’an 1800.“ So der Rezensent des Courrier des spectacles13. Nicht jedes kleine Detail seines Lebens sei von Interesse, aber hier beschreibe er „des faits piquans et qui doivent exciter la curiosité du lecteur“14. Sein Erfolg als Dramatiker sei Grund genug für das große Interesse, das sein Reisebericht finden werde. Kotzebue selbst ist sich seiner Strahlkraft bewußt:
Deutschland – ja, ich darf sagen ein Theil von Europa – hat sich, Theils neugierig, Theils wohlwollend, für mein Schicksal interessiert; überall hat man nach der Veranlassung desselben geforscht. Die auffallende Wirkung erzeugte ein Grübeln nach der Ursache.15
5In der Tat hatten französische Zeitungen von dem, was August Wilhelm Schlegel „die Uebersetzung unsers größten Theaterdichters in das Siberische“16 und der Courrier des spectacles „l’affreux mystère de son exil“17 nannte, Notiz genommen. Im Courrier erscheinen kurz nach dem Vorfall Artikel zur Verhaftung des Autors von Menschenhaß und Reue mit Details18. Das merkwürdigste Jahr meines Lebens geht auf die Festnahme zurück, deren Opfer der Verfasser im Juni 1800 wurde, als er von Weimar aus mit seiner Familie auf seine Güter in Estland reisen wollte. Aus bis heute ungeklärten Ursachen wurde er von seiner Familie getrennt und nach Sibirien verbannt19. Nach langer, beschwerlicher Fahrt gelangte er nach Kurgan, und blieb dort 22 Tage, bis er die Nachricht von seiner Freilassung und Rückberufung nach Petersburg erhielt. In der Hauptstadt trifft er Kaiser Paul, der seine Verbannung angeordnet hatte, wird von ihm rehabilitiert, befördert und beschenkt. Die Umstände der Festnahme, die Ungewißheit seiner Lage, die Bemühungen, etwas zu erfahren und geplante oder durchgeführte Fluchtversuche stehen im Mittelpunkt der Beschreibung. Hinzu kommt ein landeskundlicher Aspekt, der dem Bericht eine exotisierende Note verleiht. Seine Beobachtungen ordnet der Autor in sein aus den Stücken bekanntes bürgerliches Weltbild ein, indem er auf den Effekt der Rührung abzielt. Dennoch beschreibt er sehr präzise das Verbannungswesen, die Zustände in der russischen Provinz und das Verhalten der ihn Umgebenden. Hervorstechendes Merkmal des Textes ist die Gratwanderung zwischen dem Herrscherlob, das Paul und seinem Nachfolger Alexander zuteil wird, und der Darstellung aller Härten, mit denen die „Verwiesenen“konfrontiert sind20. Das vom Autor – wie schon in der Flucht nach Paris – vermittelte Selbstbild steht in krassem Widerspruch zu den Vorwürfen, die seine Gegner in der Folge anbringen und die sich mit Charakterlosigkeit zusammenfassen lassen. Kotzebue stellt sich in der Abfolge von Rührszenen als fürsorglicher pater familias und von allen geschätzter Zeitgenosse dar, so daß er als fühlender Mensch immer im Zentrum dieses als sentimentaler Roman konzipierten Reiseberichts steht. Sein Publikum soll sich ihm in der Gemeinschaft stiftenden Rührung anschließen. Ein Gegner warf dem Autor daher „TheaterDekorationen, SchauspielSzenen, romanhafte Fabeln“21 vor. Beispielhaft für diese Ausgestaltung steht seine Reaktion auf die Nachricht von der Freilassung aus dem Exil:
Ich sah und hörte nicht, ich fühlte nur seine Thränen an meiner Wange. […] Ein Jeder wollte der Erste seyn, mich zu umarmen, und auch mein Bedienter drückte mich mit Ungestüm an seine Brust. […] Noch immer war ich stumm; doch endlich brach ein wolthätiger Thränenstrom aus meinen Augen hervor: ich weinte laut, heftig und lange; die meisten Zuschauer weinten mit mir.22
6In dieser Szene entwickelt Kotzebue ein Tableau und bestätigt durch diese deutliche, spezifisch Kotzebuesche Theatralität im Beschreibungsmodus das Diktum Frithjof Stocks: „Ohne Publikum kein Kotzebue“23. Der Autor betreibt Selbstinszenierung im Zeichen von Flucht und Exil und stellt seine Reiseberichte als literarische Zeugnisse in Zusammenhang mit dem weitaus bekannteren dramatischen Œuvre, zu dem sie sich stellenweise wie ein Making-of ausnehmen, da sie als Reservoir für Szenen mit Rühreffekt dienen und dem Dramenkonzept Kotzebues in der Ausgestaltung von Episoden nahestehen. So streicht der Spectateur du Nord besonders die dramaturgische Gestaltung des Reiseberichts heraus: hier sei „un homme qui doit ses succès et sa célébrité à son grand talent pour peindre les situations dramatiques, […] un homme dont les ouvrages ont fait verser des larmes à Londres et à Paris comme à Tobolsk“ selbst Protagonist seines Dramas, was allein den spektakulären Charakter des Werks ausmache24. Andererseits wurde gerade das, was die sensationelle Wirkung des Textes ausmachte, kritisiert: Kotzebue „erzählt mit wahrhaft theatralischem Pathos alle seine Leiden“25. Das Sichtbarmachen von Gefühlsausbrüchen gehört ebenso dazu wie die Hypertheatralisierung des Textes: „Wir hören alle seine Seufzer; wir sehen alle seine Thränen“26. Eine Rezension des Courrier des spectacles hebt diesen Bezug auf das dramatische Werk hervor:
Cet ouvrage qui renferme beaucoup d’anecdotes intéressantes, est fait avec autant de goût que de sensibilité. Kotzebue s’y est peint tel qu’on s’est plu à le juger d’après ses pièces dramatiques. Les détails sont vrais, les scènes touchantes et les pensées délicates.27
7Die Frage nach der Authentizität stellt auch das Journal de Paris in einer überschwenglichen Besprechung, die vor allem die Einfühlung und den Spannungsaufbau hervorhebt, der Kotzebue gelingt. Der Leser teile die Sorgen und Entscheidungen, sei immer involviert28. Die übertriebene Verwendung der Rührstücktechnik wurde dagegen kritisiert:
Cette relation de Kotbue [!] est une espèce de drame, remplie d’une foule d’invraisemblances. Comme le pathétique règne dans les détails, on est souvent trop ému pour chercher la cause de son émotion, et les larmes font taire la critique. Sans doute les Allemands excellent dans les tableaux de famille ; ils font quelquefois frémir les cordes de la sensibilité la plus profonde ; mais ils épuisent les détails : leurs descriptions sont des procès verbaux.29
8Daß die emotionale Aufladung des Textes die Kritikfähigkeit herabsetze, ergebe sich aus der Gestaltung als „une espèce de drame“30.
9Renommee des Autors und Skandalösität des Fait divers regten zeitnah Übersetzungen an. Der Rezensent der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek, der Das merkwürdigste Jahr ausführlich bespricht und Kritik an der eitlen Selbstdarstellung übt, verspricht „recht angenehme Unterhaltung“31, trotz an falscher Stelle eingesetzter „Fiktionsgabe“32 und kündigt „eine französische Übersetzung […] bey Lagarde in Berlin“an33. Diese erste Übersetzung ins Französische entstand 1802, ein Jahr nach der deutschen Erstausgabe unter dem Titel: Une Année mémorable de la vie d’Auguste de Kotzebue publiée par lui-même. Traduit de l’allemand34, eine weitere kam noch im selben Jahr in Paris bei Buisson heraus unter dem Titel L’année la plus remarquable de ma vie, suivie d’une réfutation des Mémoires secrets sur la Russie, par Auguste de Kotzbuë, traduit de l’allemand par G....d-P.....c et J. B. D....s., chez Buisson, Bertrandet, Levrault, Mongie, Paris 180235. Während über die Berliner Übersetzer nichts bekannt ist, handelt es sich bei ihren Pariser Kollegen um zwei prominente Kulturmittler mit langer Deutschlanderfahrung, Girard de Propiac et Jean-Baptiste Dubois, die halb unkenntlich, für den Wissenden aber erkennbar auf dem Titelblatt erscheinen. Gemeinsam haben sie auch einen Roman von Kotzebue, Les Bijoux dangereux36, übersetzt und mit einem Vorwort versehen, in dem sie ihre übersetzerischen Entscheidungen und Bearbeitungsoptionen – Kürzungen und stilistische Glättungen – rechtfertigen und den Stil des Autors einer kritischen Durchsicht unterziehen. Ähnliche Ansätze haben auch für die Übersetzung des Exilberichts gegolten. Es ist anzunehmen, daß sie, anders als Charles Masson unterstellt, auf das Original zurückgriffen und nicht die Berliner Übersetzung zur Grundlage nahmen37. Zum Vergleich der beiden französischen Übersetzungen eignet sich das Vorwort des Verfassers, das in der Gegenüberstellung den Einfluß des Erscheinungsortes auf die Übersetzungsqualität demonstriert.
Wenn ich es der Mühe werth halte, dem Publikum meine Begebenheiten in dem letztverflossenen Jahre mitzutheilen, so nenne man das nicht Eitelkeit. Mein Schicksal war so sonderbar, daß es schon als Roman interessieren würde; wie weit mehr als wahre GeGeschichte! – möge doch das Individuum, welches sie erlebte, heißen, wie es wolle.38
Si je crois devoir mettre sous les yeux du public l’histoire de ma vie pendant l’année dernière, ce n’est pas par un principe de vanité. Mon sort a été si extraordinaire et si merveilleux, qu’il intéresserait même comme un roman ; combien plus doit-il intéresser comme histoire, quel que soit l’individu dont il soit question.39 [Berliner Übersetzung]
Ce n’est point la vanité qui me porte à raconter au public les événemens qui me sont arrivés pendant cette année de ma vie. Mon sort a été si singulier, qu’il intéresserait même dans un roman, à plus forte raison dans une histoire. Que je sois ou non le héros de ce livre, j’ose assurer que le lecteur me prêtera quelque attention.40 [Pariser Übersetzung]
10Stilistisch ist die Pariser Übersetzung der Berliner überlegen, deren Schwäche wahrscheinlich der Sorglosigkeit geschuldet ist, die der Betreiber eines renommierten und gelehrten Verlages, François Théodore de Lagarde, einem Werk entgegenbringt, das er als Kassenschlager schon aufgrund des Verfassernamens und des Titels für gesichert hält41. Weitere Gründe mögen in der Schnelligkeit, mit der die Übersetzung auf den Markt kam, und in der Inkompetenz der Übersetzer, von denen nichts weiter bekannt ist, zu suchen sein.
11Rezensionen in französischen Zeitungen bemerkten diesen Unterschied und warnten vor der Berliner Übersetzung und einem Nachdruck, der auf ihrer Grundlage in Paris, ebenfalls unter dem Titel Année mémorable erschien42. So sei die Berliner Übersetzung nicht von der gleichen Qualität wie die Pariser, die „ plus correcte et plus soignée“sei43. Nur im Journal de Paris wird die Übersetzung durch Propiac und Dubois, ohne Vergleich mit dem Originaltext, summarisch approbiert: „On sent qu’un livre est bien traduit, lorsque rien n’y heurte l’attention. C’est ainsi qu’en voyant un portrait dont tous les traits sont d’accord, on se dit qu’il doit être ressemblant“44. Genauer nimmt es der Courrier des spectacles, der die erfolgreiche Verbreitung der Pariser Übersetzung vermerkt und ihre Vorzüge hervorhebt45. Diese liegen demnach vor allem in der sprachlichen Gestaltung. Zudem wird eine Warnung angesichts einer angeblich weiteren Übersetzung ausgesprochen:
Nous croyons devoir rendre un service au public en le prévenant de ne pas la confondre avec l’Année la plus mémorable de la vie de Kotzebue, qui est copiée sur une détestable traduction faite à Berlin, et qui n’atteste pas le goût du libraire à qui l’on a le malheur d’en devoir la réimpression.46
12Dem Spectateur du Nord zufolge, der ausführlich zur Berliner Übersetzung Stellung nimmt, lohnt es sich für Emigranten, Deutsch zu können.
Les personnes qui ne liront l’ouvrage de M. Kotzebue qu’en français, ne connoitront qu’une copie très imparfaite d’un excellent original. Cette traduction est défectueuse sous beaucoup de rapports : les expressions mal rendues, les tournures vicieuses et les fautes contre la langue y sont trop multipliées pour que nous ayons besoin de justifier cette critique. L’original sera préféré par toutes les personnes qui entendent l’Allemand ; et celles qui ne l’entendent pas ne sauront pas ce que leur coûte cette ignorance, en les privant de connaître le style de M. Kotzebue.47
13Charles Masson, für den die Übersetzung eine Verschärfung des Angriffs Kotzebues auf seine Rußland-Erinnerungen und seine Person bedeuteten, da sie sie den ihm gewidmeten Anhang der frankophonen Leser zugänglich machten, kanzelte beide Übersetzungen entsprechend ab: „l’une a besoin d’être traduite pour être entendue, et […] l’autre très infidelle, sans en être plus belle, n’est guères mieux écrite que la première“48.
14Anhaltspunkte für den Vergleich des Originals mit der Pariser Übersetzung ergeben sich auch aus weiteren Stellen: „Doch sie konnte sich nicht entschließen, darein zu willigen. Das Urtheil einer höheren Macht war unwiderruflich“49 / „elle crut ma terreur panique. Hélas! mon destin était irrévocable“50. Propiac und Dubois glätten Passagen, umständliche und für den Fortgang der Handlung nicht notwendige Abschnitte stellen sie um. Sie übernehmen bei weitem nicht alle Anmerkungen. Dagegen nehmen sie sogar Dramatisierungen in Kauf, mit Didaskalien, die den empfindsamen Kotzebue-Stil imitieren und streichen Stellen zusammen, wenn sie die dramaturgische Effizienz dadurch noch steigern können. Charles Masson weist darauf hin, daß die Pariser Übersetzer die für den Autor typische Frankreich-Kritik abmilderten:
Sie werden bemerkt haben, […] daß der Verfasser des merkwürdigsten Jahrs seinem Werke, und vorzüglich der Kritik der Memoires viele Sarkasmen gegen die französische Nation und ihre Machthaber eingeflochten hat. Die Übersetzer der Pariser Übersetzung haben sie in der Dummheit ihres Herzens für wichtig genug gehalten, um sie wegzulassen oder zu mildern; und doch verdankt Hr. v. Kotzebue blos diesen Sarkasmen, und dem Geiste, in welchem er sie dahin geworfen hat, die Lobsprüche einiger französischer Tagblätter.51
15Im französischen Text ist an dieser Stelle abwertend von den „ouvriers traducteurs de M. Buisson“ die Rede52. In der Tat finden sich – allerdings nur wenige – Beispiele für dieses abmildernde Vorgehen: In einer Anmerkung gibt Kotzebue, um seine antirevolutionäre Gesinnung zu bezeugen, den Gesang auf einen gefällten Freiheitsbaum wieder und liefert die Erklärung mit: „wenn gleich manche Härten dieses Gedicht verunzieren, so ist doch unverkennbar, daß kein Freund der damaligen Franzosen, und überhaupt kein Freund von Revolutionen es geschrieben hat“53. Dieser Nachsatz fehlt in der französischen Übersetzung, die den antifranzösischen Aussagen des Autors die Schärfe nimmt. Unter den Papieren, die Kotzebue auflistet und bei sich hatte, als er festgenommen wurde, war dieser Liedtext, der beim Fällen eines Freiheitsbaumes zum Einsatz kommen sollte und dessen antifranzösischer Inhalt an nur einer Strophe in der Pariser Übersetzung demonstriert wird54. Daß er schon immer gegen die Freiheit und noch dazu gegen die Franzosen war, wird nicht explizit gemacht. Masson bemerkt zurecht die Abmilderung gegenüber dem Originaltext. In einem Memorial für den unglücklichen Kotzebue, mit Beweisen unterstützt, die sich fast sämtlich unter den ihm weggenommenen Papieren befinden legt Kotzebue selbst in Einzelinterpretationen dar, warum die Papiere, die bei ihm gefunden wurden, für seine Unschuld sprechen. Aus dem französischen Original von Kotzebues Schrift hat er selbst ins Deutsche übersetzt, sodaß in den französischen Ausgaben zurückübersetzt wurde55. Seine betont antirevolutionäre Haltung, die aus Meine Flucht nach Paris bekannt ist, wirkt sich besonders auf die in Paris entstandene Übersetzung aus, in der gekürzt und weggelassen wird.
16Das merkwürdigste Jahr meines Lebens hat zwei Gegenschriften hervorgebracht, die den Autor zu Erwiderungen veranlaßten. In einem den ersten beiden Ausgaben des Exilberichts beigegebenen Anhang „Über die Mémoires secrets sur la Russie“kritisiert und korrigiert er Charles Massons Rußland-Buch. Im wesentlichen geht es um Massons Darstellung der russischen Zustände, die Kotzebue bestreitet, da sie ein negatives Bild vom russischen Machthaber zeichnen, dem Kotzebue huldigt. Der Anhang soll die eigene monarchistische Gesinnung untermauern:
Der Verfasser hat auf Groß und Klein so scharfes Gift gespritzt, und den Monarchen, wie die Nation, an Ehre und Tugend so keck angegriffen, daß ich Dank zu verdienen glaube, wenn ich ihm hier und da die Maske lüfte […].56
17Darauf verfaßte der gebürtige Schweizer Charles Masson 1802 Briefe eines Franzosen an einen Deutschen, zur Beantwortung des merkwürdigsten Jahrs des Hrn. v. Kotzebue57. Besonders brisant ist diese Auseinandersetzung auch deshalb, weil das Gerücht aufkam, Kotzebue sei in Rußland für den Verfasser der Massonschen Mémoires secrets gehalten worden, was zu seiner Verhaftung geführt haben soll58. Charakterlich zeichnet Masson einen böswilligen, dazu dünkelhaften Intriganten, der auch politisch nicht beim Wort zu nehmen ist, sich einschmeichelt und Vertrauen mißbraucht. Masson schließt sich damit deutschen Kotzebue-Kritikern an, zu denen Goethe und Schiller gehörten59. Seine Briefe sind in Koblenz bei Franz von Lassaulx erschienen, der wenig später ihre französische Übersetzung herausbrachte. Für die Entstehung dieser Übersetzung ist der Verlagsort kein Zufall, da er sich als Ort einer zweisprachigen Verlagspraxis auch für die Selbstübersetzung des Massonschen Pamphlets anbietet60. Masson begründet die Notwendigkeit der Eigenübersetzung damit, daß Das merkwürdigste Jahr meines Lebens – für ihn unerwartet – in Frankreich erschienen sei und noch dazu viel Beifall bekommen habe:
Ces lettres ont d’abord paru en allemand, et je ne croyais pas être obligé de les publier aussi en français. Comment imaginer […] qu’un tel ouvrage serait connu en France et y propagerait des injures et des calomnies que l’honneur me fait un devoir de repousser ? Comment présumer en effet, que le Journal de Paris, qui fut autrefois un journal bon à consulter pour la littérature, assurerait qu’un voyage ennuyeux et rapide, fait en chaise de poste de Mittau à Tobolsk, par un prisonnier qui ne sait ni la langue de ses gardiens, ni celle des pays qu’il traverse, est un petit Odissée ?61
18Nach Masson hat Kotzebues Bekanntheitsgrad in Frankreich dazu geführt, daß sich sogar für seine nichtdramatischen Produkte ein Publikum fand. Diese neue Entwicklung in der Kotzebue-Rezeption setzt 1802 mit dem Erscheinen der Übersetzungen von Das merkwürdigste Jahr meines Lebens ein und wird noch durch den im selben Jahr erschienenen Roman Les Bijoux dangereux unterstützt. Steht im Exilbericht die Persönlichkeit, die 1804 in Paris erst bei seinem zweiten Aufenthalt als öffentliche Gestalt und Berühmtheit wahrgenommen wird, im Vordergrund, so hat die Romanqualität einen entscheidenden Anteil am Erfolg des Buches. Der Leser kann gewissermaßen den Roman zum Rührstück erwarten, das narrative Produkt des als Dramatiker eingeführten Autors. Masson fragt nach der Ursache des Erfolgs des Exilberichts in Frankreich, der doch Ereignisse beschreibe, die viele Zeitgenossen selbst erlebt hätten und daher für die französischen Leser gänzlich uninteressant seien62. Die Exilerfahrung teilten schließlich viele von ihnen, und sie hätten ebenso kuriose wie schmerzliche Erfahrungen gemacht63. Damit beschreibt er genau das Erfolgsrezept der Kotzebueschen Erinnerungen: Die Leserschaft kann sich in weiten Teilen mit dem Stoffidentifizieren, der ihrem Erfahrungshorizont entspricht. Die romanhafte, rührende Aufbereitung trägt zudem zur Einordnung in die trivialisierte Empfindsamkeit bei. So konnte sich der Text auf dem französischen Buchmarkt durchsetzen. Erklärtes Ziel der Selbstübersetzung Massons ist es, Kotzebue zu korrigieren und die französischen genau wie die deutschen Leser über die Wahrheit aufzuklären64. In den Briefen fingiert der Autor eine Situation, in der ein Franzose an einen Deutschen schreibt, um Masson zu verteidigen, wobei der Verfasser wiederholt mit der Wahl der Sprache argumentiert, die ihm weitere Spitzen gegen die Übersetzung des Exilberichts erlaubt: „Doch haben wir wenigstens die Höflichkeit für ihn, in seiner Sprache mit ihm zu sprechen65, weil sowohl er als seine Übersetzer bewiesen haben, daß sie jene ihres Gegners nicht verstehen“66. Diese Kritik an den Übersetzern der Pariser Ausgabe von Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, die bereits im deutschen Text zu finden ist, macht die Dringlichkeit von Massons Eigenübersetzung deutlich. Er brachte sie fast zeitgleich mit der deutschen Version seiner Briefe heraus, um alle interessierten Seiten an seiner Replik teilhaben zu lassen. Ein wichtiges Argument besteht für den Verfasser in der Ortskenntnis: Masson zufolge habe Kotzebue aus den Tiefen der estnischen Provinz gar nicht mitbekommen, wie sich der russische Hof in Sankt Petersburg entwickelte67. Masson hält sich in Exilfragen für den Kompetenteren, während sein Gegner sich in seinen Augen diese Erfahrung nur anmaßt, um daraus literarisch und pekuniär Kapital zu schlagen. Deshalb reicht Masson seine Erinnerungen an Deportation und Flucht als Rektifikation in deutscher und in französischer Sprache im Anhang seiner Schrift nach. Dabei ist trotz der unterschiedlichen Ausgangssituation fraglich, ob die Rußland-bzw. Exilerfahrungen von Masson und Kotzebue so konträr sind. Beide wurden Opfer der Willkür des russischen Potentaten. Doch Kotzebue stand auch nach diesem Akt der Willkür beim russischen Hof in der Pflicht und mußte, anders als Masson, nicht seine Heimat aufgeben. Im zwischen diesen Autoren entstandenen Kampf um Deutungshoheit kommt den Übersetzungen große Bedeutung zu, da sie die Reichweite der Debattenbeiträge determinieren. Auf eine französische Übersetzung wird mit einer weiteren reagiert. Auch für Kotzebue geht es ursprünglich um mehr als nur um das Bedürfnis, durch seine Entgegnung an einen französischen Rußland-Kritiker noch mehr Wohlwollen vom russischen Hof zu erlangen. Er wollte einen historiographischen Beitrag liefern und konzediert Masson insofern, daß er, hätte er mehr Mut aufgebracht, verpflichtet gewesen wäre, sich zu den Umständen des Todes Pauls I. zu äußern68.
19Die deutsch-französische und die deutsch-deutsche Auseinandersetzung verlaufen parallel, so daß es zu Überschneidungen zwischen der publizistischen Konfrontation Kotzebue-Kaffka – letzterer ist ein ehemaliger Schauspieler Kotzebues und sein erklärter Feind – und Kotzebue-Masson kommt69. Zusätzlich entsteht ein innerfranzösischer Nebenschauplatz der Diskussion, die noch immer in Kotzebue den Stein des Anstoßes findet70.
Fazit
20Meine Flucht nach Paris entstand, als Kotzebues Ruhm im postrevolutionären Frankreich gerade einsetzte und war schwer vermittelbar, da sich der Autor über die beobachteten Zustände unverblümt beschwert. Kotzebue zählt zu den konservativen Skeptikern, die mehrheitlich nicht nach Frankreich fuhren. So hat seine Sicht zwar den Wert des Marginalen, konnte aber in französischer Übersetzung, wenn überhaupt, nur in Emigrantenkreisen interessieren. Ein „Frankreichfreund“71, der von sich im Merkwürdigen Jahr ausdrücklich behauptet, „kein Freund der damaligen Franzosen“72 zu sein, leistet damit seinen ersten „negativen Kulturtransfer“73. Die heftige Reaktion in Form von Übersetzungen und Gegenschriften, die seine folgenden Berichte auslösten, erklärt sich aus den polemischen Zutaten und den Behauptungen Kotzebues, die in den Frankreich-Berichten für patriotische Franzosen beleidigend und im Rußland-Bericht auf einzelne Personen, insbesondere Charles Masson, gerade durch die Übersetzung ins Französische, als Angriffwirken mußten. Da sein Ruf gerade im deutschen Sprachraum aufgrund seiner Gabe, persönliche Feinde zu generieren, früh ruiniert war, stellen Zeitgenossen seine Integrität überall da infrage, wo er persönlich vorstellig wird. Das zeigen besonders anschaulich seine zwei Paris-Aufenthalte, 1790 und 1804, und die Reaktionen auf seine Berichte darüber74. Sein Talent, Mitmenschen zu brüskieren, trägt er damit über die Grenzen hinaus und bereichert den Exportartikel, der mit seinem Namen vorwiegend in Form von Rührstücken und Lustspielen verbunden ist, um die polemische Dimension. So führt sich der Dramatiker auch in Frankreich als Polemiker ein75.
21Übersetzungen sind in diesem Kontext Beiträge in einer von polemischen Angriffen und Reaktionen darauf geprägten Debatte. Auch im Ausland wird der Erfolgsautor zum Skandalon und schreckt nicht davor zurück, sein Privatleben zu Sensationsromanen mit Rühreffekten auszubauen, wie in Meine Flucht nach Paris. Aus dem besonderen Autorenstatus Kotzebues ergeben sich für die Übersetzung weitreichende Folgen, zunächst da sein Marktwert Auswirkungen auf den Übersetzungsbedarf hat. Er wird sehr zeitnah und nicht sehr sorgfältig übersetzt, seine Stücke werden als Unterhaltungsprodukte dem Marktbedürfnis angepaßt und zu diesem Zweck, gemäß auch einer um 1800 weiterhin gültigen Praxis, eher adaptiert als übersetzt76. Das Original verliert an Bedeutung und an literarischem Eigenwert. Beim Export auf den französischen Markt nicht der Theaterstücke Kotzebues, sondern seiner Biographie und ihres in autobiographischen Schriften und Auseinandersetzungen verwerteten literarischen Potentials sind gleich zwei Faktoren von Bedeutung: seine persönliche Ubiquität und das Eindringen seiner Schriften in Form von Übersetzungen. Fernand Baldensperger geht für das dramatische Werk seit der Revolution von einer „endosmose ordinaire des succès scéniques“aus, wobei der Transfer aber durch Kotzebues eigene Mobilität und die seiner Übersetzer und Bearbeiter intensiviert worden sei:
Comme on le retrouve à Pétersbourg après l’avoir rencontré en Allemagne, Kotzebue bénéficie d’une double notoriété, que d’autres capitales multiplient encore par des représentations à succès. Ajoutez que ses opinions réactionnaires le font préférer […] aux écrivains qui gardent quelques confiance dans le progrès des sociétés […].77
22Übersetzer können Aufführungen seines Werkes sehen oder ihm persönlich begegnen.
23Die Reiseberichte sind dabei nicht nur Ausfluß von Beobachtungen und biographischen Zufälligkeiten, Nachrichten von einem Bestsellerautor und Theaterstar, sondern werden ihrerseits Ausgangspunkt politischer Debatten und literarischer Verarbeitung. Dabei hat die im Exilbericht fließende Grenze zwischen Fiktionalem und Authentischem für die Weiterverarbeitung des Textes besondere Bedeutung78. Toposcharakter haben die Authentizitätsbeteuerungen, die der Autor seinen Berichten, vor allem dem mit dem höchsten Fiktionalisierungsanteil, dem Merkwürdigsten Jahr, vorausschickt und die gerade auf den Romancharakter des Werks verweisen.
24An einer schillernden Figur wie der Kotzebues läßt sich der Zusammenhang zwischen Migration und Übersetzung um 1800 exemplarisch festmachen. Seine exponierte Stellung und sein umstrittenes Wirken wurden bei der Erforschung des deutsch-französischen Kulturtransfers bisher wenig beachtet79, weil er literarisch nicht als salonfähig und einer Untersuchung werte Größe galt. Aufgrund des Wirkungsgrades seiner ein Massenpublikum ansprechenden Produktion bedeutet eine Auseinandersetzung mit seiner Rolle im deutsch-französischen Feld daher „Erforschung des Kulturtransfers ‚ von unten‘“80. Unter den Bedingungen eines dynamisierten literarischen Marktes und eines gesteigerten Übersetzungsaufkommens nach der Revolution finden gerade in der im nachhinein so genannten Trivialliteratur intensive Austauschprozesse statt, die für die literarische Kultur insgesamt von Bedeutung sind, zumal um 1800 eine neue Differenzierung des Lese- und Theaterpublikums erst einsetzt. Daraus läßt sich der Erfolg Kotzebues erklären81. Sein Erfolgsrezept verdankt sich einem frühen Bewußtsein für eine grenzüberschreitende Unterhaltungsindustrie, als deren Vorreiter er gelten kann. Er blieb dennoch ein, wenn auch streitbares, Mitglied der europäischen république des lettres. Gerade in der frühen französischen Rezeption und Literaturkritik wird ihm eine Aufwertung zuteil, die der Herabwürdigung durch deutsche Autorenkollegen und in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung entgegensteht. Zwar hatte Kotzebue viele Feinde – mit Goethe und Schiller hatte er sich nicht ganz, mit August Wilhelm Schlegel dagegen vollständig überworfen, ihm eilte der Ruf als ausgemachter Feind der Romantiker voraus, und Schlegel verspottete ihn in seiner Antwort auf den Hyperboreeischen Esel unter Bezugnahme auf den Rußland-Aufenthalt in Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue bey seiner gehofften Rückkehr ins Vaterland. Seinem Ruf in Frankreich konnte das alles jedoch wenig anhaben: Im Théâtre des Variétés étrangères, einer Pariser Unternehmung von 1806 bis 1807, war er der meistgespielte Autor. Ihm werden selbst Werke anderer Dramatiker zugeschrieben, um sie besser zu verkaufen82. Mme de Staël würdigt sein dramatisches Talent ausführlich in De l’Allemagne, er wird neben Goethe, Lessing und Zacharias Werner 1822 mit Übersetzungen in die Reihe der Chefs-d’œuvre des théâtres étrangers in einen Band83 des Théâtre Allemand aufgenommen, und noch 1855 fertigt Gérard de Nerval eine Neuübersetzung von Menschenhaß und Reue für die Comédie-Française an. Durch sein Rußland-Erlebnis wird Kotzebue auch als Reiseschriftsteller bekannt. Er kann durch seine Reisen die eigene Verbreitung ermessen, die in der Tat von Paris bis Tobolsk in Sibirien reicht. Seine Reiseberichte, von denen selbst in Deutschland nur der bekannteste, Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, 1966 und 1989 neu ediert wurde84, haben einen geringeren Anteil an diesem Erfolg, sind aber für den Transfer allein wegen ihrer singulären Rezeptions-und Übersetzungsgeschichte aufschlußreich. Entlang der Erscheinungsorte (in diesem Fall Berlin – Paris – Koblenz, wenn man den Debattenbeitrag Massons einbezieht) entwickelt sich eine Eigendyamik, die sowohl der Allgegenwart des Theaterschriftstellers geschuldet ist als auch einem funktionierenden, wenn auch losen, Netz von Übersetzern in Europa. Französische Übersetzungen entstehen auch in nichtfrankophonen Ländern – ein Phänomen, das weniger mit der literarischen Randständigkeit eines Unterhaltungsschriftstellers als vielmehr mit den Migrationsströmen und Truppenbewegungen der Zeit zu tun hat und zu einer extraterritorialen, außerhalb des Zentrums anzusiedelnden Übersetzungspraxis führt85. Zudem ist die lokale Verankerung für die Entstehung und die Rezeption einer bestimmten Übersetzung ausschlaggebend. Der Berühmtheitsgrad eines Autors vergrößert seine grenzüberschreitende Reichweite, so daß auf seine „Uebersetzung in das Siberische“prompt seine Übersetzung in das Französische folgen mußte. Im Fall von Kotzebue ist seine persönliche Anwesenheit auch für die Rezeption seiner Werke und insbesondere der Reiseberichte von Bedeutung. Die Mobilität von Autoren und Übersetzern dynamisiert den Kulturtransfer in Europa an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.
Notes de bas de page
1 Ich zitiere aus der „Neuen Ausgabe“: August von Kotzebue, Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, Berlin, J. D. Sander, 2 Bde., 1802 (im folgenden Sander I-III).
2 In einem weiteren Beitrag werden die französischen Übersetzungen der Reiseberichte Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804 (Berlin 1804) und Erinnerungen von einer Reise von Liefland nach Rom und Neapel (Berlin 1805) untersucht. Es handelt sich, insbesondere bei der Übersetzung des Reiseberichts von 1804, um eine singuläre Form der übersetzerischen Revision.
3 Madeleine Horn-Monval, Répertoire bibliographique des traductions et adaptations françaises du théâtre étranger du xve siècle à nos jours, Paris, CNRS, 1958-1967, Bd. 6 : Théâtre allemand, autrichien et suisse.
4 Liselotte Bihl/Karl Epting, Bibliographie französischer Übersetzungen aus dem Deutschen 1487-1944, 2 Bde., Tübingen, Niemeyer, 1987, II, Rn 7528, 7529.
5 An 638 von 4136 Spieltagen während Goethes Direktion stand eines der über 220 Kotzebue-Stücke auf dem Programm. Man kann zwischen 1795 und 1825 von einem Anteil von 25 Prozent an Kotzebue-Stücken auf deutschen Bühnen ausgehen. (Jörg F. Meyer, Verehrt, verdammt, vergessen: August von Kotzebue. Werk und Wirkung, Frankfurt/Main u. a., Peter Lang, 2005, S. 10) Bei Horn-Monval finden sich für Goethe nur 9 Einträge zu Lebzeiten Kotzebues, bis 1819, 20 für Schiller, über 50 dagegen für Kotzebue (bei Bihl/Epting: Kotzebue 40, Goethe 17, Schiller 16).
6 A. W. Schlegel, Kotzebue’s Rettung oder der tugendhafte Verbannte. Ein empfindsam-romantisches Schauspiel in zwei Aufzügen, Sämmtliche Werke, Bd. 2, Leipzig, Weidmann’sche Buchhandlung, 1846, S. 282.
7 Meine Flucht nach Paris im Winter 1790: für bekannte und unbekannte Freunde geschrieben, Leipzig, Kummer, 1791.
8 „Gute Menschen! die ihr zuweilen sanfte Thränen in meinen Schauspielen vergossen habt, wenn ich ein kleines Verdienst um euch erwarb, so lohnt mir das jetzt durch eine Thräne um meine gute Friederike!“(Ibid., S. II)
9 Ibid., S. 80.
10 Ibid., S. 135-136.
11 Cf. Marvin Carlson, „August von Kotzebue’s Surveys of the Parisian Stage“, in: Theatre History Studies, 6, 1986, 22-31.
12 1894 nahm sich der Kotzebue-Bewunderer Charles Rabany seiner an. Paris en 1790, Souvenirs de voyage. Par Kotzebue, traduits et annotés par M. C. Rabany (Extraits de la Nouvelle Revue rétrospective, année 1894-95), s.l. Rabany nimmt eine wesentliche Kürzung vor: „ce singulier époux consacre près de cent pages à l’étalage de sa douleur ; on a cru pouvoir les supprimer sans inconvénient.“(S. 2) (Die „douleur“ bezieht sich auf den Tod von Kotzebues Frau, die er aber zum Zeitpunkt ihres Todes schon länger verlassen hatte.)
13 12 pluviôse an X, S. 3-4.
14 Ibid.
15 Sander I, S. VII-VIII.
16 Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten von Kotzebue bei seiner gehofften Rückkehr in’s Vaterland, Sämtliche Werke, hg. von Eduard Böcking, 2. Bd., Leipzig 1846, S. 260: „Von liederlichen Thränen giebt’s nun Ferien,/ Und niemand schwängert unsrer Bühne Musen;/ Das Nationaltheater der Tungusen/Geht Kotzebue zu bilden nach Siberien.“
17 12 pluviôse an X (=1802).
18 1 messidor, an VIII, nach Andrée Denis, La fortune littéraire de Kotzebue en France pendant la Révolution, le Consulat et l’Empire, Paris, Honoré Champion, 1976, 3 Bde., hier II, S. 804. (im Folgenden Denis I-III) Auch Mme Molé, Kotzebues Übersetzerin und Bearbeiterin in Frankreich, verfügte über Informationen.
19 A. P. Coleman, „The Siberian Exile of Kotzebue“, in: Germanic Review 6, 1931, S. 244-255, Dokumente aus sibirischen Archiven bringen zwar keinen Aufschluß über den Grund des Exils, belegen aber die wahrheitsgetreue Darstellung Kotzebues: „The comic opera nature of the episode caused this amazing journal to be hailed in Germany with scorn and derision, and this attitude has persisted in spite of subsequent research.“ (S. 255)
20 Sein Kunstgriffbesteht in der Behauptung, daß der Kaiser von all dem nichts wissen konnte. „O, wäre der Kaiser, der gewiß gefühlvolle Kaiser, selbst gegenwärtig gewesen: wie eilig würde er durch Ein Wort allen diesen Jammer geendet haben!“ (Sander I, S. 64)
21 Charles Masson, Briefe eines Franzosen an einen Deutschen, zur Beantwortung des merkwürdigsten Jahrs des Hrn. v. Kotzebue und als Anhang zu den geheimen Nachrichten über Rußland, nebst einer Geschichte der Deportation und Flucht des Verfassers, Basel und Koblenz, Decker und Lassaulx, Jahr 10, 1802, S. 11.
22 Sander II, S. 7-9.
23 Frithjof Stock, Kotzebue im literarischen Leben der Goethezeit: Polemik – Kritik – Publikum, Düsseldorf, Bertelsmann, 1971, S. 14.
24 Dezember 1801, Rez. von Une année mémorable de la vie d’Auguste de Kotzebue, publiée par lui-même. Traduit de l’allemand, deux volumes in-8°. Berlin, chez F. F. [!] Lagarde, 1802, S. 406-421, hier S. 407.
25 Briefe eines Franzosen (wie Anm. 21), S. 54.
26 Ibid.
27 13 pluviôse, an X, 1802.
28 Journal de Paris, 12 pluviôse an X, S. 789-791, hier S. 789.
29 8 ventôse an X, S. 4, unterzeichnet „L’Impartial“.
30 Ibid.
31 1802, 71. Bd., 1. St., 264-269, S. 265
32 Ibid., S. 267.
33 Ibid., S. 269.
34 Berlin, chez F. T. Lagarde, 1802, 2 Bde.
35 Beide Übersetzungen sind mit den Abbildungen des Originals ausgestattet, enthalten Porträts und ausgewählte Szenen. Im Journal général de la littérature de France (Pluviôse, an X, Straßburg 1802) werden zwei Pariser Ausgaben, die erste unter dem Titel L’Année la plus remarquable de ma vie, die zweite als L’Année la plus remarquable de la vie d’Auguste de Kotzebue angezeigt, die erste mit den Übersetzerinitialen. Die zweite bei Lepetit kostet statt 8 bzw. 10, 3 bzw. 4 Francs pro Band, hat aber nicht die Porträts Kotzebues und Alexanders.
36 Par Auguste de Kotzbuë, Auteur de Misanthropie et repentir. Imité de l’allemand (par Jean-Baptiste Dubois et C.-J.-F. Girard de Propiac). à Paris, chez Bertrandet, imprimeur, rue de Sorbonne, no 334, 1802.
37 Charles Masson, Lettres d’un Français à un Allemand, servant de réponse à M. de Kotzebue, et de supplément aux mémoires secrets sur la Russie. Par C. F. Masson (ci-devant major en premier, au service de la Russie, et secrétaire des commendemens du Grand Duc Alexandre-Pauloïde.) Paris und Koblenz, Levrault und Lassaulx, an XI, 1802, S. 171: „Il est évident que les ouvriers traducteurs de M. Buisson ne savent pas l’allemand et qu’ils n’ont point consulté l’original. “In: Michauds Biographie universelle (s.v.) finden sich folgende Informationen: Catherine-Joseph-Ferndinand de Girard de Propiac (1760-1823) war ab 1791 im Exil mit der Armée des princes, „ après le licenciement il se retira à Hambourg où il résida longtemps“und kehrte nach dem 18. Brumaire nach Frankreich zurück. Er übersetzte aus dem Deutschen u. a. August Lafontaine und Archenholz. Dubois (1753-1808) wirkte in Polen als Rechtsgelehrter, übersetzte aus dem Polnischen, hielt sich am Hof Friedrichs II. auf und wurde Mitglied der Berliner Akademie.
38 Sander I, S. VII.
39 Berlin 1802, S. 3.
40 Paris 1802, Préface, S. 5.
41 Lagarde betreute ab 1803 auch Kotzebues Almanach Dramatischer Spiele zur geselligen Unterhaltung. Cf. auch Uwe Hentschel, „Aus mir wird niemahl eingelehrter Buchhändler. Der Berliner Verleger François Theodore de Lagarde (1756-1824)“, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 2, 1992, S. 77-105.
42 Es kann daher nicht von drei Übersetzungen ausgegangen werden, wie Wolfgang Promies (Hg.), Kotzebue, Das merkwürdigste Jahr, München, Kösel, 1965, S. 308, mitteilt. Auch die Auskunft Michauds, s. v. Girard de Propiac läßt nicht auf eine dritte Übersetzung schließen: Danach ist die zweite Auflage des mit Dubois übersetzten Exilberichts unter dem Titel Une année mémorable de la vie d’Aug. Kotzebue, Paris 1802 erschienen. Entweder wurde der Titel des konkurrierenden Nachdrucks übernommen oder es handelt sich lediglich um eine Verwechslung mit dem Pariser Nachdruck der Berliner Übersetzung. Nach Joseph-Marie Quérard, La France littéraire, ou Dictionnaire bibliographique, Paris, 1964, Bd. 4, S. 313, handelt es sich um die zweite Auflage von L’Année la plus remarquable de ma vie, die bei Henrichs bzw. Lemarchand erschien.
43 Journal général de la littérature, wie Anm. 35: „Les extraits qu’on a insérés de cet ouvrage, dans presque tous les journaux de Paris, nous dispensent d’entrer dans de plus grands détails sur son contenu.“(S. 45)
44 Wie Anm. 28, S. 791-792.
45 „La traduction de ce livre faite à Paris, se répand avec le plus grand succès. Elle est digne du modèle ; c’est à dire qu’elle présente, sans déroger aux convenances de notre langue, toutes les beautés, toutes les images de l’original.“ 13 pluviôse, an X.
46 Ibid. Der Vorsatz der bei Buisson erschienenen Übersetzung wurde aufgrund der schlechten Erfahrungen mit der Berliner Übersetzung, die in Paris nachgedruckt wurde, mit Bedacht gewählt: „Le Contrefacteur et le Débitant de contrefaçon, seront poursuivis conformément aux lois. Paris, ce 2 pluviose an X.“
47 Wie Anm. 24, S. 420-421.
48 Vorwort zur französischen Ausgabe seiner Replik, Lettres d’un Français (wie Anm. 37), S. 4.
49 Sander I, S. 11.
50 Paris, S. 20.
51 Wie Anm. 21, S. 210-211.
52 Wie Anm. 37, S. 170.
53 Sander I, S. 32
54 In einer Anmerkung heißt es: „L’ouvrage allemand rapporte la chanson toute entière, et chaque couplet est une épigramme contre la France, à l’époque où le directoire exécutif tenait les rênes du gouvernement.“
55 „Article XIII. Kotzbuë fut peut-être arrêté pour des opinions révolutionnaires. En a-t-il émises ? Non. Preuves.“, S. 243 (Pariser Übersetzung).
56 Sander II, S. 247.
57 Wie Anm. 21. Masson ist ein aus russischen Diensten von Paul I. vertriebener Offizier, der sein eigenes Schicksal nicht mit einer Fluchtbeschreibung ausschmückte, weil er das Publikum nicht „von sich selbst“unterhalten wollte (S. 311).
58 Brief von Johann Daniel Sander an Carl August Böttiger, 21.7.1800, in: Die ästhetische Prügeleley. Streitschriften der romantischen Bewegung, hg. von Rainer Schmitz, Göttingen, Wallstein, 1992, S. 335.
59 Schiller, der für Kotzebue nicht viel übrig hatte, tadelte die persönlichen (Gegen-) Angriffe Massons. Er berichtet von einer Schrift, „worin er [Kotzebue] ganz niederträchtig, aber nach Würden und Verdienst behandelt wird. Sie ist für ein Werk der Indignation und eine Parteischrift nicht schlecht geschrieben.“ Schiller an Goethe, 6. Juli 1802, in: Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, Zweiter Band, Briefe der Jahre 1798-1805, hg. von Siegfried Seidel, Leipzig, Insel, 1984, S. 424. Goethe verurteilte Das merkwürdigste Jahr: „es sey das schlechteste was er noch geschrieben hätte.“(Goethe, Begegnungen und Gespräche, hg. von Renate Grumach, Berlin, New York, de Gruyter, 1985, S. 219.)
60 Zu Koblenz’Bedeutung als Spielball zwischen monarchistischer Emigration („Phantom des alten Frankreich“, S. 163) und Anhängern der Republik, cf. Christian Henke, „Coblentz: Realität und symbolische Wirkung eines Emigrantenzentrums“, in: Révolutionnaires et émigrés: Transfer und Migration zwischen Frankreich und Deutschland 1789-1806, hg. von Daniel Schönpflug und Jürgen Voss, Stuttgart, J. Thorbecke, 2002 (Beihefte der Francia 56), S. 163-181. Masson hatte sich hier nach seiner Ausweisung aus Rußland niedergelassen und war mit Lassaulx befreundet, der selbst Dolmetscher, Rechtsgelehrter, u. a. Kommentator des Code Civil, Verleger sowohl deutsch-als auch französischsprachiger Schriften und nicht zuletzt der erste Übersetzer von Wilhelm Meisters Lehrjahren war. Cf. Leo Just, Franz von Lassaulx. Ein Stück rheinischer Lebensund Bildungsgeschichte im Zeitalter der großen Revolution und Napoleons, Bonn, A. Marcus u. E. Weber, 1926 (Studien zur rheinischen Geschichte 12), zu seinen Beziehungen zu Masson cf. v.a. S. 110-111.
61 Préface, S. 1-2. In der oben zitierten Nummer des Journal de Paris (Anm. 28) steht dieser Vergleich nicht.
62 Masson, Lettres, S. 4.
63 Ibid., S. 5.
64 Ibid., S. 7.
65 Anmerkung im französischen Text, S. 3: „Ces lettres ont paru d’abord en Allemand.”
66 Ibid., S. 3-4.
67 Ibid., S. 21.
68 Cf. Wolfgang Promies (Hg.), Kotzebue, Das merkwürdigste Jahr, 1965, S. 305 und Francine-Dominique Liechtenhan, „De l’abus de l’historiographie. Approches de l’histoire russe de Herberstein à Custine“, in: Cahiers du Monde russe, 41/1, 2000, 135-149, vor allem S. 146-147 zur Auseinandersetzung Kotzebues mit Masson.
69 Masson schreibt in einer Anmerkung (wie Anm. 37, S. 268): „Ce Kotzebue annonce dans les gazettes allemandes qu’il réfute déjà cet ouvrage-ci au moment où il est encore sous presse. C’est le moyen de le réfuter avec succès. Son nouvel ouvrage d’ailleurs doit être si rempli d’injures que le titre même est une très grossière Réponse à un indigne Libelliste qui ne mérite point de Réponse etc. C’est me dispenser de la lire, et surtout d’y répliquer.“ Hier bezieht er die für Kaffka bestimmte Replik auf sich. Masson verwechselt die Gegenschrift mit der, die er selbst auf sein Werk erwartet und die wenig später als Kurze und gelassene Antwort des Herrn von Kotzebue auf die lange und heftige Schmähschrift des Herrn von Masson, Berlin, 1802 erfolgt.
70 Masson fügt seinen Lettres d’un français „Un mot à l’auteur de l’examen de trois ouvrages sur la Russie“ hinzu, als Antwort an Fortia de Piles, der meinte, Kotzebue habe Masson „un peu brutalement“behandelt (Masson, wie Anm. 37, S. 256). Er eröffnet damit eine innerfranzösische Diskussion als Nebenschauplatz der deutsch-französischen. Masson macht auch de Piles die Kompetenz streitig: „Ah, Monsieur! retournez au nord de l’Europe et profitez mieux de vos voyages !“(S. 262) In der innerfranzösischen Debatte vor dem Hintergrund des Kotzebueschen Reiseberichts zieht Fortia de Piles diesen Massons vor: Quelques mots à M. Masson, Auteur des Mémoires secrets sur la Russie, en réponse à son mot à l’Auteur de l’Examen de trois ouvrages sur la Russie, inséré à la suite de sa Réponse à M. de Kotzebue, Paris, chez Batillot père, brumaire an XI. Einzuordnen ist die Debatte in eine traditionelle deutsch-französische Kontroverse über Rußland, die bereits im 18. Jahrhundert zwischen Jean Chappe d’Autroche und Katharina II. beginnt und um 1840 zwischen Custine und russifizierten Deutschen neu entflammt.
71 Im Sinne von Michel Espagne, Frankreichfreunde: Mittler des deutsch-französischen Kulturtransfers 1750 – 1850, Leipzig, Universitätsverlag, 1996 (Deutsch-französische Kulturbibliothek 7), cf. vor allem Einleitung, S. 7-22.
72 Sander I, S. 32.
73 Révolutionnaires et émigrés, wie Anm. 60, Vorwort der Hgg., S. 8. Ist Kulturtransfer auch Voraussetzung für Abgrenzung und Gegnerschaft, so trifft das auf Kotzebues Kritik an der postrevolutionären französischen Gesellschaft zu.
74 Eine Übersetzung der Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804 liefert die Gegendarstellung gleich mit. Das Verfahren der Übersetzung als Revision bietet sich für die polemische Auseinandersetzung mit Kotzebue an und geht auf den enttäuschten Verehrer und Melodramatiker Guilbert de Pixerécourt zurück.
75 Der Annahme Jörg Meyers, wonach außerhalb des deutschen Sprachraums „die politischen Auseinandersetzungen und literarischen Fehden“ um Kotzebue unbekannt blieben, ist nicht zuzustimmen. Richtig ist jedoch, daß die Kenntnis dieser Seite nicht zwangsläufig zur „Abwertung seiner Werke“ führte (wie Anm. 5, S. 193).
76 Renée Lelièvre sieht „des liens établis entre l’équipe des Variétés étrangères et les auteurs allemands, Kotzebue en particulier. […] Peut-être aussi sommes-nous là en présence d’un accord passé entre Kotzebue et ses traducteurs pour assurer la parution simultanée des textes français et allemand.“ (Le théâtre des Variétés Étrangères (1806-1807), Paris, 1960, i. e. Revue de la société d’histoire du théâtre, douzième année, III, S. 265).
77 Fernand Baldensperger, Le Mouvement des idées dans l’émancipation française 1789-1815, Paris, Plon, 1924, 2 Bde., hier I, S. 197-198.
78 Eine andere, hier nicht zu leistende Untersuchung soll der Frage gelten, wie Kotzebue seine Reiseberichte in den Dienst seines Rührkonzepts einer trivialisierten Empfindsamkeit stellt, indem er seinen Exilbericht zu einem an theatralen Szenen reichen Roman ausgestaltet, der selbst Ausgangspunkt für weitere Rezeptionsprodukte wurde.
79 Andrée Denis (Anm. 18) nimmt die Übersetzungen der Reiseberichte nur am Rande zur Kenntnis.
80 Hans-Jürgen Lüsebrink und Rolf Reichardt, „Fragestellungen, methodische Konzepte, Forschungsperspektiven“, in: Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich – Deutschland 1770-1815, 2 Bde., hg. von Hans-Jürgen Lüsebrink und Rolf Reichardt, Leipzig, Universitätsverlag, 1997 (Deutsch-französische Kulturbibliothek 9), Einführung, Bd. 1, S. 10-26, hier S. 24.
81 Doris Maurer, August von Kotzebue. Ursachen seines Erfolges, Bonn, Bouvier, 1979.
82 Lelièvre (wie Anm. 76), S. 265.
83 Bd. 4 ist für ihn, die ersten drei Bde. sind für Goethe reserviert.
84 Charles Rabany gab die Pariser Übersetzung unter reißerischem Titel neu herheraus: La Barrière maudite, histoire de mon exil et de ma délivrance, par A. de Kotzebüe, Lille, Maison Saint-Joseph, 1897 (drei Teile: En route pour l’exil, l’exil, le retour dans la patrie). Diese Neuauflage stellt eine erhebliche Kürzung dar, die der Herausgeber mit der zu Lebzeiten Kotzebues erschienenen gekürzten dritten Auflage des Originals autorisiert sieht.
85 Es ist bezeichnend, daß eine der ersten Menschenhaß und Reue-Übersetzungen ins Französische in Warschau vom späteren Napoleon-Sekretär Bourienne unter dem Titel L’inconnu (Denis I, 320-325) entstand. Auch zwei von drei Übersetzungen des Weiblichen Jacobiner-Clubbs entstanden in Koblenz respektive Köln (Denis I, 363), an Erscheinungsorten, die aufgrund des revolutionskritischen Gehalts gewählt wurden.
Auteur
Trave-Gymnasium Lübeck
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