Textes des lettres en allemand
Texte intégral
Montag den 17. Okt. [1927], halb 4 [Heidelberg]
1Ich habe eine sehr gute Reise gehabt, doch ermüdend. Ich habe fast die ganze Nacht geschlafen, aber jede halbe Stunde wachte ich auf ; ich werde heute nacht (in Heidelberg, Pension Schlossberg 49) gesund schlafen. Die Leute sind meistens bis jetzt sehr nett ; ein Schaffner hat mir erklärt, wie ich einen Zuschlag bekommen konnte, hat mich zum Schalter geführt, meine Karte zum Büro (zum Abstempeln) selber getragen — rührend. — Von Heidelberg sage ich lieber jetzt nichts, besonders, da ich es so wenig gesehen habe. — Jourdan ist nicht da. Man weiß nicht, wann er zurückkommen wird. Kein Heimweh (?) bis jetzt.
*
Mittwoch, [19.10.1927] 12 [Uhr] [Heidelberg]
2Ich muß doch schreiben, und deutsch schreiben. Ich habe es gestern nicht getan, weil ich an Zahnschmerzen litt, und ich sehen wollte, was es gäbe. […] Hoffentlich wird es nichts sein ; ich passe auf, mich nicht zu erkälten ; aber trotzdem, « the moral of that is », daß die Hauptsache ist, in der Fremde gesund zu sein. Sonst fühle ich mich sehr wohl und voll Mut. […] — Ich hoffe doch, morgen früh nach Frankfurt fahren zu können, aber da ich gar nicht wußte — und kaum noch weiß — was das ergeben würde, habe ich dem Dr. Simon nicht geschrieben ; vielleicht habe ich doch das Glück, ihn zu treffen ; sonst … nichts. […]
3Montag abends gingen wir ins Konzert und hörten zuerst ein Quartett von Brahms, dann einen wundervollen von Beethoven : F-dur, opus 135, und gingen dann, um frühzeitig genug im Bett zu sein. Das Diskutieren über die Musik ist hier etwas seltsames.
4Gestern aßen wir zu Mittag in Neckargemünd. Herbert Dieckmann hat Ernst Robert Curtius einen Besuch abgestattet ; er arbeitet jetzt mit ihm in der romanischen Philologie. Dann aßen wir abends zusammen in unserem Zimmer, um dreiviertel 9 ins Bett zu gehen : ich schlief bis heute früh 9 Uhr mit meiner anschwellenden Backe. Heute haben wir zusammen gelesen und gesprochen. Er hat mir etwas von Schelling vorgelesen. — Jaspers hat sehr weniges veröffentlicht : eine « Psychopathologie », eine « Psychiatrie », und eine « Psychologie der Weltanschauung ». Herbert Dieckmann sagte mir, daß es wenig Interesse hat, wenn man es nicht immer mit den kantischen Ansichten vergleicht und verbindet ; es scheint, die geistige (kantische) Tradition sei in Deutschland sehr stark und eine Metaphysik könne hier nur als Entfaltung von Kant bestehen. Man denkt « Kant », man lernt « Kant », man spricht « Kant ».
5Heidelberg ist nicht ganz so schlimm, wie ich es gedacht hatte, jedoch möchte ich hier nicht leben ; obwohl ich mir jetzt genug Mut fühle, um irgendwo arbeiten zu können, wenn ich gesund bin — und ich fühle mich — außer dem Zahnweh — sehr wohl ; ich schlafe viel, gut, und erhole mich.
6Den ersten Brief (von Montag 3 Uhr) erhielt ich gestern um halb 8. Es tat mir wohl. Bald einen anderen ! Oder nur noch in Berlin ! Ich werde auch dann « stabilisieren » und ausführlicher schreiben.
7Je ne relis pas ma lettre. Tant pis pour les fautes.
*
20.10.1927 [Frankfurt/Main]
8[…] Ich fuhr heute morgen um 10 von Heidelberg ab, war hier um 12, habe ein gutes Hotel gesucht, das ganz sauber, angenehm und nicht furchtbar teuer ist. Ich werde mich ein wenig erholen. — Ich [bin] den ganzen Nachmittag durch die Stadt herumgebummelt und bin müde. Ich habe Goethes Haus gesehen ; glücklicherweise war es Goethes Haus, denn sonst hätte es wenig Zweck, es zu sehen. Die Stadt ist ziemlich interessant ; es ist weder eine Provinzstadt noch wirklich eine Hauptstadt. In den alten Vierteln stehen noch die alten Häuser, die Patrizierhäuser auf den Kais, deren manche ziemlich schön sind ; das ist wichtiger, um Goethe zu verstehen, als Goethes Haus selbst. Aber ich bin zu müde heute abend, um Ihnen weiteres zu erzählen — (Joseph Roth lebt zur Zeit in Saarbrücken,— und Dr. Simon war nicht da. Es hat nicht viel Zweck, ihn zu sehen). Es ist jetzt dreiviertel 7, ich werde [veranlassen], daß man mich morgen früh weckt, und dann werde ich 2 Brötchen essen, die ich gekauft habe, und den letzten französischen Apfel. Ich denke so an die Source ! Mit meinem Deutsch geht es ziemlich gut ; ich sehe nicht so auffallend französisch aus.
*
Sonntag [23.10.1927] früh, 8 Uhr. [Berlin]
9Ich habe Sie das letzte Mal in Frankfurt gelassen ; jetzt werde ich Sie nach Weimar und nach Berlin führen. Weimar ist entzückend, in vielen Vierteln sieht es ganz wie ein Dorf aus ; die Häuser sind echt alt (nicht wie in Frankfurt, wo sie vielleicht alt sind, aber neu aussehen) und sind für die ländliche Arbeit ganz geeignet. Aber keine Photographie zeigt Weimar mit diesem bäuerlichen Aussehen. Ich bin lange durch die alten Straßen hindurch gewandert, bis ich vor Goethes Haus stand. Ich habe natürlich das Haus [an]gesehen, aber es gibt wenig Interessantes. Entweder, weil man es schon von Bildern kennt, oder weil es zwecklos ist. Nur drei Sachen haben mich tief erregt. Zuerst sein Laboratorium mit den drei Abteilungen : Farbentheorie, Mineralogie und Anatomie. Dann zwei Masken. Besonders eine, an welcher man die Augen nicht nachgemacht hat, sagt viel mehr als alle Bilder von Malern oder von Bildhauern. Wenn man das sieht und neben ihm « seinen Freund Lavater », [dann] denkt man : wie ist es möglich, daß er einen Freund gehabt hat. Drittens : Sein Arbeitszimmer und sein Schlafzimmer, in dem er gestorben ist. Den Photographien nach ist es ganz prunkvoll, « nur Sammet und Sandelholz », in der Tat [Wirklichkeit] ist es einfach, sehr einfach, mehr als einfach : nur das Nötige wie z.B. in seinem Schlafzimmer sein Tischlein mit einem Becken ; das ist der größte Eindruck.
10Dann ging ich zu Nietzsche, aber das erzähle ich ein anderes mal.
11Am Tage darauf (Samstag) ging ich im Park spazieren. Weimar war wundervoll, denn es war ein Markttag und von allen Seiten drang der gelbe und rote Wald in die Stadt. Der Park selbst ist wundervoll. Ich habe Goethes Gartenhaus gesehen. Aber es ist nur ein « pèlerinage » ohne Zweck [bestimmte Absicht], man wird nicht viel [er-]reichen dabei.
12Dann fuhr ich um 12.07 Uhr ab und war um 15. 44 + 5 Minuten in Berlin, denn die deutschen Züge haben auch Verspätung. Bermann erwartete mich im Bahnhof und er führte mich zuerst zu meinem Zimmer. Jetzt habe ich die genaue Adresse : Berlin-Grunewald, Trabenerstraße 25.
13Ich schreibe nun noch ein flüchtiges Wort, denn Heinrich Mann erwartet mich um halb 11 und es ist schon 9 Uhr. Ich habe eben gefrühstückt. Morgen werde ich zu Wechsslers gehen. Er schrieb mir : « Monsieur. Je serai très content de vous voir chez moi lundi prochain à 4 h et demie de l’après-midi ou à-peu-près. Après, c’est mon confrère le professeur Gamillscheg (Berlin-Wilmersdorf) qui désire vous voir et qui vous donnera le juste programme de vos cours. Dans l’attente de votre collaboration, qui, j’espère, sera très utile. »
*
Montag 24. Okt. 1927
14Gestern war für mich ein langer Tag. Ich schrieb ungefähr zwischen 8 und 9 morgens, fuhr dann zu Heinrich Mann, den ich richtig im Hotel Excelsior fand, wie er (es) mir geschrieben hatte. Wir fuhren zum Theater : es heißt « Am Nollendorfer Platz » und ist die provisorische Bühne von Piscator. Die Einlaßkarte schicke ich mit. Das Theater war ganz voll ; da wo ich stand, ganz oben, waren meistens junge Leute, Studenten und Studentinnen, [von denen] manche revolutionär gesinnt waren, [und die] alle sympathisch waren. Doch unterbrachen manche älteren Leute die Reden, auch die Rede Heinrich Manns, in welcher das Schöne eben war, daß er nicht wie ein Politiker sprach, sondern daß er jeden dahin wies, wo er hingehörte und wirklich fein dem Optimismus und dem Pessimismus [ihren] Platz machte [anwies]. (Es ist so schwer, das alles deutsch zu schreiben). Aber vor den Reden hatte Piscator einen kurzen Film gegeben über das Leben in den Festungen und Zuchthäusern ; nach den Reden spielte eine unsichtbare Kapelle eine moderne, eine revolutionäre Musik (die des Films « Panzerkreuzer Potemkin »), die [eigenartig] wirkte : une musique de cuivres toute discordante, c’est-à-dire hors des accords classiques, mais obéissant à des lois et donnant une impression.
15Dann die Szene « Stimmen aus dem Zuchthaus » ; alles dunkel, dann ein Film vom Leben in den Zuchthäusern. Aber der « écran » ist durchsichtig [bzw.] man sieht ihn gar nicht, wenn der Film nicht läuft ; und [dahinter] werden nacheinander 4 Zellen hell : in einer sitzt Liebknecht, in der anderen Rosa Luxemburg usw. und lesen eine Seite aus ihren Werken. Dann ist es zu Ende. Aber die Jugend oben singt die Internationale ; seltsam diese jungen Leute zu sehen, manche fast feierlich angekleidet, die die Internationale singen wie sie auch « Am Brunnen vor dem Tore » singen. Und doch sind sie meistens « convaincus ». Es scheint doch, daß diese Leute [ebenso] denken, wie ein Redner sagte : « Diese Republik, die niemals eine Republik gewesen ist, die kaum eine Republik sein wird, wenn … » (tumultartiger, aber einstimmiger Beifall).
16Dann aßen wir zu Mittag (es war 2 Uhr) mit Wilhelm Herzog ; ein bedeutender Kommunist, der früher « das Beste » über Kleist geschrieben hat und auch über Lichtenberg. Er erzählte uns furchtbare Skandale der deutschen Regierung : ein Mann brachte dem Ministerium des Inneren Briefe (falsche Briefe) von Hoesch und Hindenburg, [gemäß] denen er für das Vaterland gearbeitet hatte, und ließ sich 750.000 Mark bezahlen, die er bekommen hätte, wenn er nicht plötzlich Angst gehabt hätte — ; auch die Geschichte Domelas, des falschen Prinzen von Preußen usw.
17Nachmittags ging ich zu Olden, der am Abend nach Paris fuhr. Er ist wirklich sehr nett, Herr Doktor Olden, und es ist schade, daß er nicht hier bleibt.
18Dann ging ich wieder mit Heinrich Mann, der Karten hatte, ins Piscator-Theater, um das Stück vom früheren Gefangenen Ernst Toller « Hoppla, wir leben ! » oder besser die Inszenierung von Piscator zu sehen. Das war ein großer Eindruck. Es ist kein Theater mehr, keine Literatur … furchtbar anstrengend. Es dauert 3 Stunden.
19Zuerst : Filme aus der Kriegszeit : Soldaten, Soldaten, immer mehr Soldaten, vernichtet und wieder aus dem Boden hervorsteigend. Als Film ist [das] sehr gut und es wirkt. Dann der Waffenstillstand ; die Soldaten von jeder Seite sind Brüder, werfen Gewehre [weg] und zertreten Gewehre und Bajonette. Dann der Anfang der Revolution : viele Szenen aus der Revolution. Die Armee siegt, die Führer der Revolution sind ins Gefängnis [geworfen]. Dann wird der « écran » [Leinwand] durchsichtig, man sieht die Bühne und die Gefangenen im Kerker ; die Schauspieler treten auf, die auch im Film spielen. Verzweiflung der Gefangenen, einer will beichten, geht zum Pfarrer, kommt zurück, die anderen verschmähen ihn. Aber die anderen, obwohl begnadigt, müssen noch ins Zuchthaus und der eine [nur], Kilman, [kommt] frei. Wieder Film, die Jahre vergehen : Filmfragmente, die von 3 bis 10 Sekunden dauern, abwechselnd die Arbeit, die Arbeitslosen, Nachtlokale, Pferderennen, Hungersnöte, Flugzeuge, Krieg in Marokko, Mussolini, Revolution in Wien, manchmal von einer Uhr unterbrochen, die [das Vergehen] des Jahres darstellt. Nach und nach tauchen Nationalismus, Imperialismus, Militarismus, Katholizismus wieder empor und [die] acht Jahre von 19 bis 27 führen zu einem grotesken Bilde von Hindenburg (unter den Zuschauern Beifall, Pfeifen usw.) und zu dem Bilde einer kolossalen Kanone im blauen Himmel. Morgen ? Was ?
20Wieder Theater mit einem Hintergrund oder eher Vordergrund von Kino. Der frühere Revolutionär Thomas wird aus dem Zuchthaus, eher aus dem Irrenhaus entlassen. Er irrt arbeitslos, brotlos [umher]. Er erfährt, daß sein früherer Kamerad Kilman zum Minister der Republik geworden ist. Szene : das Leben des Ministers. Thomas und Kilman, der erklärt, daß man in [der Realität] leben muß. Jetzt heißt er auch Exzellenz. Darunter kurze komische Szenen. Dann die Szene der Wahl, die einzig echte Theaterszene, die lang und fad [ausfällt] (und es auch wirklich ist, obwohl Heinrich Mann das liebt), — das Ende (des ersten Teils, dann kommt ein zweiter).
21Zweiter Teil : die Bühne ist ganz dunkel, man sieht nur ein blasses Frauengesicht, das ein « Chanson » von Walter Mehring singt : « Hoppla, wir leben ! », wir leben und das ist das einzige : leben, das andere kümmert uns nicht. Immer revolutionäre Musik. — Denn der Thomas versucht, den Kindern zu erklären, was der Krieg gewesen ist, daß er [nie] mehr sein darf. Die Kinder halten ihn für dumm. Er wird Oberkellner in einem Restaurant, dient an dem Tisch des Ministers Kilman. Empört will er ihn erschießen, aber ein anderer tut es eben vor ihm ; er wird verhaftet, kehrt ins Gefängnis zurück, [begeht Selbstmord], nachdem er mit dem Psychiater eine Auseinandersetzung [gehabt] hat, in welcher man nicht weiß, welcher gesund (normal) und welcher [nicht] gesund ist. Es endet damit : es muß etwas in der Welt verändert werden.
22Ich habe versucht, [das Stück] zu erzählen, aber es hat eigentlich nicht mehr Intrigue wie eine Revue ; es ist nur eine Folge durcheinander geworfener kurzer Szenen ; es läuft während drei Stunden in rasendem Tempo ; am Ende ist man erschöpft. […]
*
Dienstag, 25. [10. 1927] 11Uhr 30 morgens
23Gestern nachmittag (24.) sah ich Wechssler. Zuerst haben wir französisch gesprochen, während wir allein waren, und dann über meine Stunden oder über die französische Literatur. Also : ich soll mich mit Gamillscheg verständigen, aber vorläufig ist die Sache [die folgende] : 4mal in der Woche (wann ich will, wahrscheinlich von 6 bis halb 8 abends) werde ich ein Buch (neuere Kritik) nehmen, das die Studenten kennen werden (hier habe ich wieder die Wahl) und die Studenten müssen sprechen. Hoffentlich nicht sehr ermüdend, besonders da ich nicht immer dieselben Studenten haben werde und denselben Text nehmen werde. Was würdest Du mir zuerst raten ? Später « Fleurs de Tarbes », das würde sicher Wechssler gefallen, der mit Groethuysen sehr befreundet ist. (Welch ein Chaos von Kenntnissen und Lücken ! Er will ein Panorama auch bald schreiben). Er liebt Soupaults Bücher nicht so sehr. — Dann Tee getrunken mit Frau Wechssler (sehr liebenswürdig) und Sohn von 16 Jahren und die ganze Zeit deutsch gesprochen. — Also guten Eindruck.
24Abends um halb 11 bei Fischer. Smoking und tralala. Natürlich Thomas Mann und Frau. Gesehen : Bruno Cassirer, guter Freund von Fischer. Gesprochen besonders mit Feist (oder Faist), Übersetzer von Jules Romains und « Kenner von Frankreich », und besonders mit Ernst Toller, sehr sympathischer junger Mann, Freund von Jean-Richard Bloch. Von « Hoppla, wir leben » sollte man doch in Frankreich sprechen. Aber ich werde Dir noch davon schreiben. Feist (oder Faist) sagte [etwas], was mir merkwürdig erschien und charakteristisch : das Theater ist für mich das Höchste, und wer es nicht versucht hat, ist kein großer Schriftsteller. — Die Fischers sind alle mit mir sehr lieb gewesen, aber besonders der alte Fischer. Vielleicht könntest Du ihm schreiben ?
*
Dienstag — 7-9 Uhr abends, [25.10.1927]
25[…] Dann zeigten mir die Bermanns den Fischer Verlag, ziemlich groß, ziemlich neuer Eindruck ; aber das Interessanteste, was ich hörte, war, daß kaum ein Fünftel der Bücher in Berlin verkauft wird, daß das Zentrum doch in Leipzig ist, wo noch 30 [weitere] Leute arbeiten.
26Dann ging ich (es war zu spät um ins Konsulat zu gehen, morgen früh gehe ich hin) in die Alexander von Humboldt-Stiftung. Die Photographie schicke ich schon [bald]. Fand zuerst eine Sekretärin ; Herr Dr. Göpel (so heißt er) war nicht da, aber der eigentliche Geschäftsführer ist Herr Doktor Zimmermann, « der Sie sprechen möchte ». Wie erstaunt war ich, als ich einen jungen Mann um die 30 Jahre sah, der mir sehr freundlich erklärte, wie die Sache ist : eigentlich bezahlt das Ministerium des Äußeren. Dr. Zimmermann selbst hat (wie ich herausgekriegt habe) seine Arbeit im Ministerium. Das ist also für ihn ein fromage. Er war sehr freundlich, zeigte mir die Räume : Empfangszimmer, Salons, Klub mit Zeitungen, Restaurant (wo ich 2 feine Eier aß) usw. Ich habe also die einzige Verpflichtung, mein Geld anfangs des Monats abzuholen. Sonst nichts. Aber es ist doch besser, daß ich auch an der « gemeinsamen Arbeit » teilnehme ; das heißt, daß ich manchmal komme ; wenn es mir zusagt, kann ich mittags und abends für 80 Pfennig essen und auf Spaziergänge gehen wie [es] im Programm steht ; z.B. gehe ich morgen ins Planetarium (was [es] nur in Deutschland gibt) ; dazu hat man noch den Vorteil, am Donnerstag abends tanzen zu können. Das Hauptinteresse ist [es], die anderen Mitglieder kennenzulernen (jährlich 50 bis 70). Ich bin das erste französische Mitglied. Dann hat mich Dr. Zimmermann zum Tee eingeladen ; da waren seine Frau, eine Schwedin ; die Sekretärin, Fräulein Masson, eine Deutsche ; ein Freund von Dr. Zimmermann, ein Franzose (kein Mitglied), der hier eine « enquête » (Untersuchung !) über die Zeitungen macht, Schüler der Ecole des Hautes Etudes Politiques. Alle sind sehr freundlich gewesen. Dann bin ich zurückgefahren, haben Abendbrot gehabt — und schreibe.
27Morgen werde ich mich im Konsulat anmelden, in [der] Humboldt [-Stiftung] essen, um 5 Uhr das Planetarium besuchen — ich weiß nicht was noch.
28Ich freute mich, einmal schwatzen zu können ; ich muß immer erzählen, erzählen, da mir immer etwas Neues passiert, aber diese Zeit ist bald vorüber. Heinrich Mann werde ich noch sehen, er bleibt wahrscheinlich bis Ende der Woche. Die Franzosen werden auch an die Reihe kommen. Aber es hat keine so große Eile. Die Besuche macht man hier von 12 bis halb 2, von 4 bis 6, besonders wenn man sich telefonisch angemeldet hat ; aber am besten geht man am Sonntag von 12 bis halb 2, im schwarzen Anzug, vielleicht mit der gestreiften Hose. Mein Zimmer ist ganz gut, sehr groß und sehr hell, obwohl die Wände blau sind […]. Bis jetzt habe ich den Koffer behalten. Ich kann kaufen, was ich will ; ich kann kochen oder das Mädchen kann kochen und ich [kann] alles aufbewahren, wenn ich es nicht brauche. Gestern abend und heute abend habe ich [einen] halben Liter Milch getrunken, Schinken und Schwarzbrot gegessen. Es geht mir ganz gut und ich fühle mich ganz wohl, nicht müde, weil ich viel schlafe. Schon 2 Briefe in Berlin erhalten, ich erwarte einen [weiteren] morgen oder übermorgen. Von Frau Förster-Nietzsche werde ich noch erzählen. Ich will mir jetzt einen plan de campagne machen.
29Ich denke so viel an Sie beide dort allein, mit dem Wörterbuch und der Katze. […]
*
Donnerstag früh [27.10.1927]
30Noch keinen Brief hier erhalten, vielleicht heute abend noch ; meinen Brief habe ich am Montag eingeworfen.
31Während ich daran denke : Könntest Du mir den Namen und die Adresse von « Amance » verschaffen für Frau Förster-Nietzsche ?
32Gestern ging ich zu Viénot, [er war] mit mir sehr freundlich und interessant. Ich soll ihn heute um 5 wiedertreffen mit Marc Allégret und einem Steinbömer, — rechts gesinnt, aber sympathisch frische, ritterliche Gegnerschaft ; jetzt werde ich mal sehen. Ich bin überzeugt, daß Bernard G. für das Außenministerium (deutsches oder französisches ? beide vielleicht) arbeitet, obwohl es mir Viénot nicht so gesagt hat. Er sagt von Wechssler : il est terriblement brouillon, il m’a fait des gaffes énormes, mais il faut lui pardonner. (A propos, Wechssler hat mir einen zarten Wink gemacht für die Übersetzung seines Buches. Geantwortet : Sicher, aber für die Verleger zu dick). Viénot wird mich in jugendliche Kreise (oft rechts gesinnt) einführen und das wird mich interessieren. Vielleicht wirst Du ihn bald in Paris sehen. Was hat er mir noch erzählt ? Nach und nach wird es wiederkommen. Ja, z.B. Curtius. Vous n’avez pas été voir Curtius ? Je pense que c’est tout à fait fini, cette histoire ridicule ; je suis intimement lié avec Curtius, je lui ai expliqué, reproché : il a ce défaut de partir en guerre contre tous ceux qui veulent du bien à l’Allemagne et qui font un effort. Mais entre nous soit dit, c’est l’article culinaire, les tranches de chevreuil de Bavière qui lui ont été pénibles. Curtius est très, très gourmand etc.
33Dann aß ich zu Mittag in der Stiftung mit Dr. Göpel ; für 1 Mark kriegt man etwas ganz anständiges ; aber natürlich braucht man Abwechslung.
34Dann ging ich zu dieser Maison du livre, in der Boorsch eine Karte für mich gelassen hatte, der mich Tonnelat empfehlen wollte über Frau Rosenthal, die [ihrerseits] Lichtenberger auch gut kennt. Man erwartete mich ; die Herren des Hauses sind Herr und Frau Reichenstein — […] Russen, Galizier oder sowas. Unheimlich : ein Saal mit diesen [beiden] wie croque-morts eines […] « Beerdigungsinstituts » (so sagt man, vielleicht wäre es besser als Beerdigungskontor wie im Wörterbuch steht). Eine kleine Auswahl ziemlich guter Bücher. Kritik wird hier gut verkauft : « Si le grain » war ein Erfolg : 20 Exemplare in 4 Wochen. Dahinter « leichtere Literatur ». Also Frau Rosenthal erwartet Sie. Sie hat Kinder, die das Französische lernen wollen. Sie hofft, daß Sie es tun können. Wenn es nicht geht, werde ich Ihnen Stunden verschaffen, zu 3 Mark … ? Hm ! — 4 Mark ? … Hm ! Vielleicht noch mehr. Wir haben ein Foyer franco-allemand, das eigentlich Propaganda ist. Ihr Freund Boorsch hat uns hier sehr schönes über Montherlant und die Jugend gesagt. Zuerst haben wir jede Woche einen « cours » (sie sprach französisch) für junge Leute über die französische Literatur der Zeit. Dreiviertel Stunden am Freitag ; leider nicht gut bezahlt : 6 Mark ; es ist [Werbung]. François Porché kommt am 10.11. Können Sie am 3. oder 7. über ihn sprechen ? Vor Erwachsenen natürlich. 20 bis 60 Personen [werden] da [sein]. (Vom Preis war nicht die Rede). Da lautete meine Antwort : was die Stunden betrifft, habe ich leider keine Zeit, werde aber Frau Rosenthal besuchen und vielleicht später … Für die Jugend kann ich leider nichts tun, nichts regelmäßiges : aber die Studenten können in die Universität kommen, da wird man mich hören. Über François Porché will ich nicht sprechen. — Du verstehst doch : « Les Butors et la Finette » …, obwohl es schön von Porché ist, daß er nach Berlin kommt. Denn als Dichter halte ich wenig von ihm.
35Die Frau Reichenstein war verblüfft, daß ich alles dankend ablehnte, versuchte mich zu locken : Tausende von Prospekten mit : « Über François Porché wird Pierre Bertaux sprechen » usw. Das Unangenehme an der Sache ist, daß diese Leute wohl vom Ministerium eine Besoldung erhalten wie Lescure. Denn der Mann sagte, indem er mir die Bücher zeigte : Gide, Thibaudet, Barbusse … : Barbusse haben wir, sonst würde man sagen, daß wir vom Ministerium Geld bekommen, und das ist eigentlich nicht wahr. Das bleibt mir verdächtig. Heute werde ich darüber mit Viénot sprechen. Die Antwort gebe ich heute um 8 Uhr, aber sie ist wohl : Nein. Ich werde doch in Verbindung bleiben, falls ich es brauche, auch [für den Fall], daß Supervielle nach Berlin kommt. Den kennen sie nicht.
36Dann aber aß ich im chinesischen Restaurant mit dem Franzosen Denoyer und mit Deutschen. Viel Reis, fabelhaft gut, für 2 Mark 20 mit 2 Gläsern Tee.
37Den ersten Brief heute erhalten ; die Wirtin hatte die Post nicht [in Kenntnis gesetzt]. So hat man schon einen Brief, vielleicht von der Bank, als « unbekannt » bezeichnet ; aber vielleicht kriege ich ihn noch. Es freut mich so, so, vom Hause zu hören. Eine Photographie werde ich schon [noch] machen. Und ich denke so an unsere Source. Die Bäume vor meinem Fenster sind herrlich : Birken, Kastanien sind wie Gold ; Linden haben nur noch wenige rote Blätter ; eine junge Thuja wie unsere erreicht schon mein Fenster im zweiten Stock. Mein Fenster geht auf den Südosten ; die Morgensonne weckt mich in meinem Bett. Aber jede Nacht schlafe ich mindestens 9 Stunden und öfters 10 Stunden. Nach und nach werde ich alles ins Laufen bringen und die Arbeit einteilen können.
38Gestern, nachdem ich den Brief geschrieben hatte, ging ich in die Humboldt [-Stiftung], um die Zeitungen zu lesen und dort zu Mittag zu essen. Dann ging ich zu Fuß durch die Stadt über den Tiergarten und Unter den Linden in die Universität. Da meine Zulassung zur Immatrikulation vom preußischen Ministerium genehmigt worden ist, habe ich mir einen Termin geben lassen. Dann ging ich zu diesem Steinbömer zum Tee — mit Viénot und Allégret. (Ich war erstaunt zu sehen, daß ich viel besser deutsch spreche als Viénot). Steinbömer war ein Kamerad des ehemaligen Kronprinzen, stammt aus einer großbürgerlichen Familie aus Hamburg ; er war Stabsoffizier vor dem Kriege ; gab es 1913 auf, um Theater mit Reinhardt zu machen ; war wieder Offizier im Kriege und seit der Flucht des Kaisers lebt er so wie « un oiseau sur la branche », beschäftigt sich mit Kunstgeschichte, Jugendbewegung. Sehr interessant. Natürlich ziemlich rechts gesinnt, katholisch usw. Gelegentlich sprach man von der « Neuen Rundschau ». Er sagte : Kein Deutscher schreibt darin oder [allenfalls] zufällig. [Der] Fischer Verlag ist kosmopolitisch, jüdisch ; da kann man kein wahres Bild von Deutschland finden. […] Er sprach ein wenig von den Jugendbewegungen, z.B. von den Jungkonservativen mit der Zeitung (die interessant sein soll) « Das Gewissen » von von Gleichen. […] Nadler ist für ihn ein großer Mann. Mit diesem Steinbömer werde ich noch sprechen.
39Marc Allégret ? Un peu beaucoup sauteur. Aber [dennoch] werde ich ihm [die Gelegenheit] verschaffen, daß er Piscator sieht ; und heute früh sollen wir noch eine « conférence » im Verlag über « Voyage au Congo » halten. Aron hat dem Verlag das Buch nicht geschickt. Vielleicht könnte er es mir schicken ? Ich werden ihm noch heute nachmittag schreiben […]
40Viénot (dagegen) scheint hier [seine Sache] ganz gut zu machen und ist sehr freundlich mit mir. Er soll mich wahrscheinlich nach seiner Reise, also dann am 10. November mit der « Hochschule für Politik » mit de Margerie und de Prévaux (ein Schwager glaube ich) und mit Minister Becker in Verbindung setzen. Das letzte ganz confidentiel. Becker hat einen Sohn von 22 Jahren, glaube ich.
41Abends hatten mich die Bermanns zum Diner eingeladen mit den Thomas Mann und den Fischer. Es wurde viel von Heinrich Mann gesprochen. Besonders Frau Thomas Mann ist bös [auf] ihn und erzählt von den Heinrich-Mann-Bräuten. Aber sonst war es komisch zu hören, als Dominante : Après tout, il n’est pas si mal que ça ; d’ailleurs, il se fait avec l’âge. Et il est si gentil ; pas bien adroit bien sûr ; mais il aime bien sa fille. Par exemple il n’aime pas qu’elle … Dann wurden Trios von Schubert und von Brahms gespielt. Ich kann wirklich nichts von Brahms halten, da alles Schöne an der Technik liegt. Aber das Schubert-Trio war wundervoll. [Es war] großartig zu sehen, wie am Ende alle vor Freude tanzten und summten und die Melodien wieder[-holten], bis [hin] zum alten Samuel Fischer ! Großartig.
42Thomas Mann erzählte, daß es im PEN-Club gar nicht so gut geht (nicht mit guten Sachen steht, sagt man das ?). Vielleicht auch, weil sein Bruder zum Präsidenten oder Vorsitzenden gewählt worden ist.
43Man erzählt hier viel von Ponten, der ein komischer Kauz sein soll.
44Heinrich Mann hat mich soeben angerufen ; ich soll mit ihm heute abend ins Theater gehen. […]
*
Freitag, den 28. Okt.1927
Sie werden doch nicht sagen, daß ich nicht genug schreibe, und daß ich nicht genau genug erzähle : heute um halb 12 schickte ich den letzten Brief, und jetzt schreibe ich wieder einen anderen. Es ist, um Ihnen zu erzählen wie ich zum Geschäftsführer wurde.
Wir hatten heute eine Verabredung mit B. und Marc Allégret. Auf dem Weg begegnete ich dem alten Fischer, der auch in den Verlag ging. Ich sprach mit ihm über [die] « Kongoreise » ; da er sagte, Kongo sei doch niemals eine deutsche Kolonie gewesen, fiel mir etwas ein.
Während der Unterhaltung sprach ich von der Reise nach Kamerun, die auch erscheinen soll ; Allégret und ich schlugen Bermann vor, daß man (mit gewünschten Kürzungen) beide Bücher in einem Band herausgeben könnte, und daß « Kamerun » auch auf dem Titel erscheine.
Dann dachte ich, daß man das mit dem Film verbinden könnte und Bermann hat Allégret mit einem Film-Syndikat in Verbindung gesetzt, das 600 [Lichtspielhäuser] in Deutschland besitzt. So soll Gide die Reise nach Kongo und die Bögen von der Kamerun-Reise hierher senden, damit man sieht, ob die es hier aufnehmen werden.
Ich hoffe, daß ich doch meine Tantiemen verdient habe und bekommen werde ! ! ! Ich denke, es wäre vielleicht besser, [mit] Aron sofort davon zu sprechen, damit er weiß, daß ich mich damit beschäftige.
Aber es wird schwer sein, etwas zu machen mit dem Übersetzen. Vor wirklicher Literatur, vor wichtigen Werken haben sie hier [große] Angst. Essays wollen sie haben — und Soupaults « Histoire d’un blanc » ist ihnen zu schwer. Sie werden dagegen wahrscheinlich von Suzanne Normand « Cinq femmes sur une galère » nehmen, « wegen der sozialen Frage » ? ? ? Freissler werde ich noch einmal sprechen, der für das Französische liest. Loerke scheint den Titel zu haben und Freissler die Arbeit zu tun.
Das alles war komisch. Ich will mich jetzt ankleiden, um Heinrich Mann im Hotel zu treffen. Er war gestern Mittag bei Fischer ; darum war von ihm gestern Abend die Rede ; den Fischer und den Bermann hatte er ganz gut, über die Erwartung [gut] gefallen, und darum war Frau Thomas Mann so böse. Sie ist doch eine « crouère », eine « broutche », und ich glaube, sie kann sehr böse sein.
C’est curieux comme ici il y a des conventions, mais il n’y a pas de convenances ; ça m’avait surtout frappé dans les autres villes, d’ailleurs. Et puis, comme ils mettent leur fantaisie à choisir un uniforme. Et puis, comme les agents de police portent souvent des serviettes sous les bras ; avec l’uniforme ça jure. Et puis leur circulation automatique, dont ils sont très fiers ; s’ils avaient le tiers de la circulation parisienne, tout serait embouteillé. — On parle du départ de Margerie pour Rome ; est-ce sérieux ?
Voilà déjà pas mal de choses mises en train ; il faut que je me fasse un petit programme pour aujourd’hui et pour la semaine. Dans 8 jours, je me fais immatriculer. — J’écris à Godart ; je fais faire quelques lettres. Pourrai-je recevoir la NRF avec les « Nouvelles Littéraires » ?
Fortsetzung folgt.
Samstag, den 29.
45Ich stehe auf : Gestern ging ich ins Theater mit Heinrich Mann : « Dorothea Angermann » von Gerhart Hauptmann im Deutschen Theater. Das symmetrisch entgegengesetzte von Piscator. Wenig Beifall des Publikums, und es ist doch jedesmal ausverkauft. Sehr gut gespielt ; das Stück selbst ist in manchen Teilen dramatisch schön ; aber es wirkt so altmodisch. Dorothea, diese zarte Seele, ist an der Brutalität des Lebens gestorben ; aber man hat eine solche Brutalität des Lebens seitdem erfahren, daß es keine zarten Seelen mehr gibt, um mitzufühlen. Wir gingen dann in eine Weinstube, wo Wieger (?), Lektor des Ullstein Verlags und Kritiker in den Zeitungen des Verlags, Faktor, Redakteur beim « Berliner Börsenkurier » (Zeitung für Börse und Theater) und Wilhelm Herzog, den ich schon kannte, schon waren. Und heute früh habe ich mich ausgeschlafen ; die Sonne schien, der Himmel war klar ; das Wetter ist lauwarm, ungefähr 14 Grad draußen. Die Blätter fallen.
46[Könntest] Du mir die 2-3 besten [Filmaufnahmen] von Heinrich Mann senden, damit ich Vergrößerungen für ihn machen kann ?
47Fortsetzung : Samstag Abend.
48Ich sage noch etwas pell-mell : Berlin ist doch eine ziemlich angenehme und nicht zu düstere Stadt — aber die Chauffeurs sind schlecht, und ich bin noch viel vorsichtiger auf den Straßen wie in Paris.
49Vorgestern war ich im Tiergarten ; da blühten noch Rosen. In einer Entfernung von mindestens 50 Metern habe ich sogleich Mme Herriot erkannt ; dann auch Malmaison und die Rose, die vor dem Tore steht an der Kastanie — mit dem Namen Aron Ward. Da habe ich an alles in der Source gedacht.
50Heute ging ich zu Frau Reichenstein (russische Jüdin der Maison du livre), um abzulehnen für François Porché. Aber ich wollte doch in Verbindung bleiben, für später ; und da Benjamin Crémieux bald kommen soll, werde ich doch einen Vortrag über ihn halten. Leider habe ich wenige Dokumente hier. Ich habe ihm heute geschrieben ; aber vielleicht könntest du mir flüchtig etwas von ihm sagen. Ich werde dabei nicht reich werden : 10 Mark ! Aber Gott ! ich war sehr unschlüssig, aber jetzt ist es erledigt.
51Ich aß zu Mittag in der Stiftung (also um 2 Uhr). Dann lud Dr. Göpel den anderen Franzosen Denoyer (licencié en droit, ès-lettres, diplômé en Sciences po) und mich zum Kaffee ein (man sagt hier oft : Káffe e=eu). Göpel ist jung : 30 ungefähr, sehr freundlich, kennt vieles, interessiert sich für die Jugendbewegungen, für Ökonomie und Politik [und] ist auch manchmal als Kritiker tätig. Wir haben viel von Politik gesprochen [über] die Zukunft der Länder. Ich glaube, daß eine Übersetzung von Gide zur rechten Stunde käme. Nur schade, daß Gide kein Claude Anet ist.
52Dann kehrte ich heim und fing an zu schreiben. Jetzt muß ich noch einige Briefe machen.
53Gemischtes : Morgen [um] 12 soll ich [zu einer] Vorlesung der jüngsten deutschen Schriftsteller hingehen. Abends Kammermusik bei Bermanns. Montag früh : ich werde 2-3 Seiten mit Göpel übersetzen ; Gelegenheit zu sehen, was er in diesem Fache taugt. Nachmittags Gamillscheg, Frau Rosenthal (Freundin von Tonnelat). In der Woche, Allégret, Abschied von Heinrich Mann, Immatrikulation. — In der anderen Woche, Vortrag über Crémieux.
54Was denkst du, wenn ich Bernard Faÿ als Text für die Diskussionsstunde nähme ? Wäre das nicht deshalb interessant, daß man dann ganz frei bleibt, gegen ihn zu sprechen, über bedeutende Werke oder Autoren ?
55Den neuen Fischer-Almanach habe ich bekommen. Die Einstellung der Verleger den Übersetzungen gegenüber ist ungefähr folgende : sie sollen auch deutsche Schriftsteller herausgeben : unter 2 Werken von gleichem Werte sollen sie das deutsche herausgeben. Aber man muß doch die fremde Literatur kennen ; was wird man übersetzen ? Es ist schwer, den Mut zu haben, Werke zu [veröffentlichen], die keinen « massenhaften » Erfolg haben ; da übersetzen sie leichteres. Aber dabei finde ich es dumm, daß sie von der ausländischen Literatur ein [gefälliges], falsches Bild geben, indem sie alles schwere, inhaltsvolle ablehnen.
Sonntag früh, den 30. Okt. 1927
56Das Wetter ist lauwarm ; ich finde es sogar zu warm und weich ; glücklicherweise weht der Wind, manchmal sehr stark. Ich hätte nicht geglaubt, ich würde zu warmes Wetter in Berlin haben. Aber es kann sich noch schnell verändern.
*
Mittwoch, den 2. November, 11 Uhr
57Ich schreibe nur wenige Zeilen, da ich noch Hesnard anrufen soll. (Im Wörterbuch haben wir : anrufen (téléphoner) appeler qn, — aber wir sollten auch : jemanden anrufen — téléphoner à qn. [aufnehmen] ; denn man sagt nur : ich werde Sie anrufen ! Rufen Sie mich an ! Man sollte es auch bei téléphoner [aufführen]). Heute früh saß ich vor dem Telefon wie ein General vor dem Kampf und machte meinen « Plan de Campagne ». Nach und nach setzt es sich doch ; ich kann schon ein wenig arbeiten (an Crémieux). Aber mir fehlt fast alles. Die NRF würde ich bei Wechssler finden, aber ich [mag ihn] nicht gern darum bitten. Es wird wohl im Fischer Verlag leichter gehen.
58Ich höre nichts von der NRF [und auch nichts] von den « Nouvelles Littéraires ». Ich weiß gar nicht, was in Frankreich vorfällt. Ich lese nur von dieser Tanger-Aktion von Mussolini und von dem Kongreß der Radikalen, vom Kommen des Linkskartells. (Das « Berliner Tageblatt » scheint sehr « francophil » zu sein und alle Gelegenheiten, bei denen man in Frankreich von Deutschland spricht werden (aus-)genutzt !)
59Gestern, als ich bei Hahnen zu Mittag aß, sah ich dort Wilhelm Herzog, dann Heinrich Mann und Granach, der die Hauptrolle im « Hoppla ! » spielt. Granach ist sympathisch — pour un acteur. Man merkt es ihm kaum an, daß er ein Schauspieler ist. Er ist eigentlich ein Jude, aus Krakau vielleicht. Wilhelm Herzog scheint ein ziemlich feiner Mensch zu sein.
60Am 7ten gibt es eine Feier in der Sowjet-Botschaft, bei der man « le tout Berlin » sehen kann. Ich könnte fast sicher eine Einladung bekommen, aber Frack ist nötig, und ich brauche auch nicht hinzugehen.
61Ich erzähle alles pell-mell : Heinrich Mann kam von einer Probe von « Rasputin », dem neuen Stück von Piscator (eigentlich [von] Alexander Tolstoi). Nollendorfplatz ist nur vorläufig Piscator-Bühne. Man wirft ihm vor, daß die Preise nicht für Arbeiter [bezahlbar] sind. Aber unter 1000 Plätzen sind 300 für die « Volksbühne » und 50 [für] Erwerbslose jedesmal reserviert !) […]
2.11.1927, 8 Uhr
62[…] Allerdings holte ich heute früh meinen vergessenen Baedeker von Steinbömer ab, dann aß ich zu Mittag in der Humboldt-Stiftung, ging um viertel 4 zu Hesnards, ließ mich dann im Konsulat immatrikulieren, sprach dann ein wenig mit dem Konsul und ging nach Hause.
63Hesnard : besser, nichts von ihm zu sagen, wie auch von dem Konsul Binet. Doch freundlich. « J’ai moi-même quelques relations avec l’Université » … pompier-pompier. — Das einzige ist ein Brief für Remme, l’un des bras droits de Becker, signée Prof. Dr. Hesnard. Dann im Konsulat diese Kunstfranzosen. Schweizer oder sowas, der Konsul, ein dummer Mann, der kaum deutsch spricht, nichts vom Leben hier kennt … Une impression pitoyable qui contribue à m’accabler … quoi qu’il soit. […]
*
3.11.1927, 8 Uhr früh
64Vielleicht war ich gestern etwas böse mit Hesnard und mit den anderen. Und dennoch, wenn man denkt, was für eine Rolle sie spielen — oder spielen könnten. Hesnard sagte mir sehr viel style pompier : « S’il y a une généralisation que j’ose avancer c’est celle-ci : le peuple allemand n’a pas de nerfs ». Vielleicht liegt eine Wahrheit darin ; aber sie sind auf eine seltsame Weise angeregt […]. Z.B. wie viele nach dem « Hoppla ! » für oder gegen [das Stück] reagierten. Oder auch das ewige Denken an Revolution, an politische Attentate. Vorgestern gingen wir mit Frau Bermann im Grunewald spazieren ; sie zeigte mir Rathenaus Haus und erzählte, wie es geschehen war und wie sie es erlebt hatte. Zu Mittag war ich mit Heinrich Mann und Granach und Wilhelm Herzog, die vom Attentat gegen Harden sprachen usw. […]
*
Freitag den 4.11.1927
65[…] Gestern, [es] war Donnerstag, aß ich zu Mittag in [der] Humboldt [-Stiftung], ging dann mit Denoyer (Sciences po) ins Café Wien. Sehr angenehm, da auszuruhen, die Zeitungen zu lesen, « Münchener » oder « Dresdener Nachrichten » und auch französische Zeitungen : « L’Humanité » und … « Le Temps » mit einem Aufsatz von Hippolyte Parigot(lo) über [die] Ecole Normale ! ! ! Povre Eco-le ! Povre Eco-le ! Sagt aber nicht viel über Vessiot und Bouglé. Also : Vessiot directeur, Bouglé directeur adjoint, wenn ich richtig verstanden habe ! Dann ging ich in die « Maison du livre ». Changement à vue : Crémieux will zweimal in der Maison du livre sprechen ; [also] braucht man nicht [zusätzlich noch] einmal extra über ihn zu sprechen. Den Vortrag werde ich jedoch machen, aber vor älteren Gymnasiasten, 17-20 Jahre. Es ist mir eigentlich viel lieber, 1. weil ich dies Publikum den alten Damen und den Pollaks vorziehe, 2. weil es viel leichter sein wird. […]
66Dann ging ich zu Frau Rosenthal, brave alte Kröte mit einem blassen Jungen […]. Sehr gutmütig, ihr Tee ist gut. Gab mir einen Aufsatz von Heinrich Mann im « Berliner Tageblatt » über Deutschland (zwischen Osten und Westen), der sehr gut ist, den ich gleich an Tonnelat schicken sollte. Sie möchte, daß Tonnelat einen Vortrag im Romanischen Seminar macht ; aaaber 1.) mir wäre lieber, wenn Du es tätest, 2.) 1000 Mark waren dem Romanischen Seminar zur Verfügung gestellt — die ich bekomme. Gibts sonst noch was ?
67Heute früh habe ich Briefe geschrieben. Ich habe seit meiner Abfahrt an : Paulhan, Aron, Soupault (schon geantwortet), Crémieux, Godart, Dion, Isler, Lejeune, Harnois, Dion, Baillou, Dieckmann, Frau Förster-Nietzsche, Frau Heinrich Mann und Tonnelat geschrieben. An Tonnelat schrieb ich heute früh, erzählte viel von Wechsslers Freundlichkeit — und ließ Wechssler sagen, wie bedauernswert es war, daß sich bis jetzt kein Lektorenaustausch als möglich erwies. Man muß am Baume rütteln und schütteln, damit der Baseler Max Linder endlich fällt.
68Ich aß zu Mittag bei Hahnen, ging dann in die Universität, aber die Vorlesungsverzeichnisse waren ausverkauft ! Ich konnte doch erfahren, daß Gamillscheg eher den philologischen, Wechssler eben den literarischen Teil übernimmt. Es gibt einen Lektor (wahrscheinlich ein Schweizer), der Dr. Olivier Henrion heißt. Auch ein französischer, mir unbekannter Sorbonne-Student, Charles Besson, bietet Stunden zu 2 Mark 50 an. Die Bermanns sprachen von einem Bekannten, der vielleicht auch französisch lernen möchte. Aber mein Preis ist, wenn er mir zusagt, 15 Mark ; das sind noch keine 100 Francs und das bekommt man — manchmal — in Frankreich. Dann bummelte ich noch Unter den Linden und [in der] Wilhelmstraße und Potsdamerstraße herum. […]
69Ich habe Pech : Maximilian Harden sollte ich sehen — und der ist gestorben. Jetzt ist [es zu spät] ! Freiherr von Prittwitz und Gaffron (international mind, [Entsprechung zu] Lichtenberger) sollte ich sehen : der erholt sich in Lugano und [wird] wahrscheinlich als Botschafter nach Washington gesandt werden ! Wird es mit de Margerie [ebenso] sein ? Ich werde doch Viénots Rückkehr [ab]warten […]
70Es hat mich gefreut, den Brief und die « Nouvelles Littéraires » zu erhalten (die Bermanns haben auch an Deinem Brief Freude gehabt). Die « Nouvelles Littéraires » sind interessant. Was [ist] mit der « Revue d’Allemagne » ? Könnte ich vielleicht eine Nummer bekommen ? […]
71Ich fühle schon, daß ich leichter deutsch spreche. Es wird schon kommen !
72Morgen (Samstag) : Immatrikulation,
73Sonntag : zu Mittag bei Fischer eingeladen,
74Montag oder Dienstag : vielleicht Aufführung von « Rasputin », wenn ich eine Karte bekomme,
75Freitag : Vortrag (das Datum ist verändert worden),
76in der Woche : Universität, Romanisches Seminar,
77Im Romanischen Seminar :
78Wechssler, das große Tier, Assistent Volkmann
79Gamillscheg, underdog, Assistent : Reichenkron
80Lektor : Dr. Olivier Henrion und Ich, der nur die 15 besten Studenten haben soll !
81Heute abend werde ich doch etwas im « Zauberberg » lesen; ich kenne eigentlich so wenig davon. […]
82Noch kein Heimweh. Es ist vielleicht auch nicht nötig, daß es kommt. Ich habe immer etwas zu tun, etwas zu denken. Es ist die große Veränderung, daß ich von Morgen bis zum Abend immer und ununterbrochen etwas zu denken, zu besorgen habe. Man lernt das Leben. […]
83Ich denke viel an « La Source », und schreibe zu viel, nicht wahr ?
84Wo hat Papa in Berlin gewohnt, daß ich einmal hingehen kann ?
85Hesnard sagte mir : vous êtes germaniste ; quel est votre violon d’Ingres ? Vous n’avez pas de violon d’Ingres ? Ich wartete und sagte nach einer Pause : J’ai beaucoup de violons d’Ingres. Aber er fuhr schon fort : il faut que vous cherchiez un violon d’Ingres. Huhn-huhn ! […]
*
Freitag früh — 8 Uhr [11.11.1927)
[…] Mittwoch früh (seitdem habe ich nicht mehr geschrieben) ging ich zu Hübners Vorlesung. Noch immer sehr gut. […]
Um 2 Uhr rannte ich zu Remme, der Leiter der « Zentralstelle für das Studium der Ausländer in Preußen » ist. Sehr freundlich, gab mir ein Buch von ihm über die « Hochschulen Deutschlands. Ein Führer durch Geschichte, Landschaft, Studien. Ausgabe für Ausländer ». Ich habe die Zeit noch nicht gefunden, da reinzugucken. […]
Dann ging ich zu Reichenstein, um einen Aufsatz von Crémieux zu lesen, und ging um 6 Uhr zu Frau Baronin von Nostitz. Ich dachte, es wäre eine grand-gala-réception ; aber nein, ich war allein da mit dieser Französin, Mlle Bricon oder sowas, und einem Deutschen, dessen Namen ich nicht kenne, obwohl ich ihn gut gehört habe, der auch früher in Pontigny war ; zwecklos, ihn wiederzusehen. Frau von Nostitz erzählte namentlich von Potsdam (für mich war es lehrreich …) und hat mich für Sonntag (diesmal tralala) wieder eingeladen ; ich denke kaum, daß ich hingehen werde. Frau Bermann hatte mir schon vorher gesagt, daß die Fischers mit Frau von Nostitz sehr schlecht stehen, und ich hatte es bei Frau Vallentin bemerkt, daß sie sich nicht begrüßten. Endlich kehrte ich heim und war müde. Da fand ich einen Brief von Tonnelat ; er schreibt folgendes : « Mon cher ami, je vous remercie de votre lettre alerte et vivante. Elle montre que vous avez bien débuté à Berlin et elle fait prévoir une année fructueuse. Puisque vous avez approché Heinrich Mann, peut-être pourriez-vous me renseigner un peu sur son séjour projeté à Paris, la date du voyage, sa durée, le sujet de la ou des conférences qu’il se propose de faire à la Sorbonne. Car je ne sais rien de tout cela. M. Lichtenberger est actuellement à Vienne. Avant de partir, il m’a dit ce qu’il savait, mais c’était fort peu de chose. Si l’on veut avoir un public, il faut prendre soin de le prévenir un peu à l’avance. Savez-vous si Heinrich Mann parlera en français ou en allemand ? Je crois pour ma part qu’il y aurait plus de monde dans le deuxième cas. Mais ce seraient surtout des universitaires et peut-être vise-t-il un public plus large. Ce qu’il m’importerait surtout de savoir — car après tout ce n’est pas à moi qu’on s’adressera pour régler cette question des conférences de Sorbonne — c’est de savoir quand Heinrich Mann arrivera et s’il pourrait nous réserver un Dimanche. Car dans ce cas-là, je suis en mesure de lui faire préparer au cercle « Autour du Monde » une réception qui, je crois, lui ferait plaisir. Mais ces choses-là ne s’improvisent pas, il faut pouvoir prendre ses dispositions un peu à l’avance. Bien entendu, je ne vous demande ces renseignements que pour le cas où il vous serait possible de vous les procurer facilement. Sinon, ne vous mettez pas en peine. Je tâcherai de me débrouiller autrement. Mais s’il est vrai, comme on me l’a dit, qu’il s’agisse déjà du début décembre, on risque de se trouver pris de court. »
Ich kann ihm nur noch wenig sagen. Spüren Sie nicht irgendeine Bitterkeit besonders hier ? Es wäre die Gelegenheit, ihm eine Freude zu machen, und ich glaube, daß schon früher von « Autour du Monde » die Rede war. […]
Donnerstag, das war gestern, habe ich meine Debattierübungen angefangen. Es waren nur 3 da von den 5 angemeldeten ; zwei Studentinnen, ein Student, der in Paris war und mit Boorsch gesprochen hat. Alle drei ziemlich sympathisch, haben schon mindestens 7 oder 8 Semester hinter sich. Ich habe mich zuerst informiert, wollte wissen, wovon Wechssler sprach. Voriges Jahr eine Übung im Seminar über die « Faux Monnayeurs », « Le Songe » (Montherlant), « Le Désert de l’Amour » (Mauriac). Schätzte Gide sehr hoch. Ich weiß nicht, ob diese Verehrung auch im Seminar verbreitet ist, wie sie behaupten ; wenn es wahr ist, so kennt man seinen Namen, ist neugierig, erwartet etwas von ihm. In der Tat sehe ich in jeder Buchhandlung die « Falschmünzer » und überall, wo man französische Bücher hat, hat man auch « Voyage au Congo ». Ich glaube, es wäre dumm von Fischer, das fahren zu lassen ; wenn es mit ihm nicht geht, werde ich [es] anderswo versuchen. Ich hoffe, ich bekomme bald Buch und Bogen « Congo-Cameroun ».
Das Merkwürdige : Sie hören die ganze Zeit von Cliquen und Chapelles littéraires, sprechen [von] unanimistes, surréalistes usw. Ich hoffe, es ist nur ein « procédé d’enseignement ».
Dann von 11 bis 1 Petersen über Schiller, nochmal so langweilig wie Petersen über etwas anderes oder Schiller von einem anderen ; aber mehr als 500 Zuhörer ! Ich werde doch dabei etwas lernen […]
Könnten Sie mir (könnt Ihr mir) näheres über Alfred Fabre-Luce sagen ? Wäre er ein Hochstapler ? Ich möchte [es] wissen, denn die Droite Nouvelle macht sich mausig ; mein Nachbar, Dr. Baerwald (den ich kaum kenne, der [aber] sympathisch aussieht), sagte mir, daß die Jugendbewegungen viel von der Nouvelle Droite erwarten und von Fabre-Luce, aber sie wissen nicht welchen Fabre-Luce. Es scheint, daß die Rohan-Bewegung manche Anhänger hat : Frau von Nostitz usw. Man sagt, [sie] sei viel praktischer, tatsächlich wirksamer als Coudenhove, der hier « coulé » ist. […]
*
Sonntag, halb 1 [13.11.1927]
86[…] Freitag 5 Uhr, Empfang des Prinzgemahls (ich weiß nicht, ob man des Prinzengemahls, oder was sagt) von Holland. Ganz [und gar] komisch ; sogar die Idee davon. Position sociale : mari de la reine de Hollande. Sieht wie Lichtenberger aus, nur noch fetter, roter, blonder, bei weitem dümmer ; Göpel sagte : das ist zum Republikaner werden. Händedruck : Sie sind Franzose ? J’ai vu les champs de bataille, il y a deux années, la Somme, Verdun, les Vosges — et les grandes usines Hispano-Suiza à Bois-Colombes. Ich wurde auch Exzellenz Lewald vorgestellt, Staatssekretär und Präsident (?) der Humboldt [-Stiftung] : also ein großes Tier.
87Dann bin ich davongeschlichen, um meinen Vortrag um 6 Uhr zu halten ; das Publikum : zwischen 15 und 19, [von denen] aber doch manche verstanden und es wenigstens sehr schön gefunden haben — und 10 Mark. […]
88Ich lese jetzt den « Zauberberg » und schreibe viele Wörter auf, besonders zum Lernen, manche [aber] doch auch fürs Wörterbuch. […]
89Mittwoch abend hat Porchés Vortrag bei Wechssler stattgefunden. Nur sehr wenig davon gehört ; man sagt, er sei ganz und gar mißlungen ; er habe stundenlang über den Rhythmus von einem Vers oder einem Satz aus Valéry gesprochen. Werde morgen näheres erfahren. Lauret hat mich eben angerufen, ob ich heute um 6 Uhr Crémieux am Bahnhof Zoo abholen wollte ; denn alle Deutschen verweigern sich, haben etwas zu tun ; also, man wird hingehen … Morgen soll er bei Wechssler sprechen ; ich gehe hin. […]
90Ich erwarte immer [noch] « Congo-Cameroun » und die Papiere von Aron. Ich werde ihm wohl morgen schreiben und « xxe Siècle » bestellen für meine Studenten. […]
91Es ist herrlich, im Grunewald zu spazieren, obwohl der Wald selbst nicht entzückend ist ; aber die Seen sind schön. Gestern abend war die Luft so gut, daß ich zu Fuß zum Kino ging (20 Minuten) und zurückkam. Aber ich werde nicht nachts spazierengehen ; die Leute sind sehr ängstlich, jede 100 Meter sieht man einen Nachtwächter ; und das ist mir unheimlich, denn jeder hat einen Revolver und hat Angst. [Neulich], vor vier Tagen, hörte meine Wirtin 6 Revolverschüsse auf der Straße ; ich wollte es nicht glauben, aber heute Nacht um zwei wurde ich wieder von Revolversalven geweckt. Sie sind hier sehr nervös, wenn Hesnard es auch nicht glauben will. Man muß sich in acht nehmen. Aber es ist dumm, daß ich es Ihnen erzähle ; Ihr werdet gleich glauben, es sei hier lebensgefährlich, [obwohl] es das gar nicht ist. […]
*
Dienstag früh, 8 Uhr [15.11.1927]
92[…] Ja, Samuel Fischer scheint noch sehr jung, aber man fühlt, wie die Leute um ihn aufpassen und einen Halt suchen, besonders Bermann ; wie auf dem Autobus, wenn er abfahren soll. Mit denen kann man wenig anfangen ; aber wenn ich [dennoch] etwas tun will, werde ich es mit Bermann tun ; er ist [derjenige], der sich für dasselbe zu interessieren vermag wie wir ; und ich werde nie « commis-voyageur en Claude Anet » sein ; vorläufig nicht. Ich suche ein Verzeichnis der Verleger und werde bald anfangen hinzugehen, ohne zu warten, daß mir Aron die Angaben schickt.
93Den « Ernst Robi » habe ich noch nicht gelesen, aber ich glaube wohl, was Ihr mir von ihm sagt. Ihr habt doch gewußt, daß ich auf einem Spaziergang mit Dieckmann an Curtius’ Haus vorbeiging. Dieckmann ging hinein, wollte mich auch mitnehmen, aber ich habe auf der Straße gewartet. Wechssler dagegen ist wirklich sympathisch und außerordentlich tüchtig — aber später [folgt] näheres über ihn. […]
94Also jetzt erzähle ich : 1. Freissler. Als ich zu ihm kam, war Rudolf Kayser da ; sehr wenig mit ihm gesprochen ; ich hoffe, daß es Donnerstag möglich ist. Ich habe es nämlich so eingerichtet, daß Crémieux Donnerstag um 12 oder halb 12 zu Fischer kommt. Vielleicht sind die Fischers (also Fischer und Bermann) da ; jedenfalls Kayser und Freissler. Freissler sagte mir folgendes : die schöne Literatur hat sich überlebt ; wenn ich hier frei [bzw.] allmächtig wäre, würde hier kein psychologischer Roman [mehr] erscheinen ; jedenfalls habe ich kein Interesse an den psychologischen Romanen des Auslands. Ich weiß wohl, daß ich hier neu bin und Fischer und Bermann unterstehe ; aber [nach meinem] Willen wird hier kein ausländischer psychologischer Roman herausgebracht ; der Romane haben wir bis über den Kopf hinaus [von den Romanen haben wir mehr als genug]. Das einzige, was mich in Frankreich interessiert, ist die « biographie » wie « Disraeli » oder « La vie de Lawrence », denn das kennen wir in Deutschland nicht, diese Stufe zwischen « wissenschaftlichem Buch » und « biographie romancée ». Also das interessiert mich, und auch « Cinq femmes sur une galère », obwohl es vielleicht literarisch nicht ganz auf der Höhe steht ; aber die sozialen Probleme … nur das Leben, das heutige Leben, das Schaffen, nicht das Einzigartige, sondern das Allgemein-Menschliche interessiert mich …, die Zukunft : Amerika, vielleicht Spanien. Kein Mensch hat mehr das Recht zu sagen wie vor dem Kriege : ich bin der einzige, der … Nein, es soll ein Mensch sein wie jeder Mensch ; z.B. dieser U.S.A.-Boxer, der wohl nicht zu schreiben weiß, der mich aber leidenschaftlich interessiert. André Gide ist ein Ästhet ; übrigens ist fast alles von ihm übersetzt. Natürlich, wenn es etwas himmelstürmendes in der französischen Literatur gäbe, würde ich es sofort empfehlen. — [Darauf] ich : « Nourritures terrestres » ? « Ach ja … aaaber es ist ein Gesetz des Hauses, daß man sich nur für Menschen, nicht für Bücher interessiert, daß man von einem Autor alles oder nichts [bringt] und so viel ist von Gide bei anderen Verlegern herausgegeben worden … und … ». Na, da war er hereingefallen ! Über den « Congo-Cameroun » wird es [mir schon gelingen], mit Bermann [zu verhandeln] und mit Freissler [werde ich] einfach schonend sein und auch freundlich. — Und Supervielle ? « Sehen Sie mal, was ich über ‘Le voleur [d’enfant]’ geschrieben habe : vielleicht bin ich etwas böse, aber l’art pour l’art ist etwas Verstorbenes, und diese Geschichte … was will Supervielle damit zeigen ? Was ist sein [Ziel] ? Wozu dient dieser Roman ? » (Ich dachte an Théophile Gautier : Mais non, épais bourgeois, un roman n’est pas un porte-monnaie sans couture, ni une épopée une machine à faire de la soupe …). — Ich habe versucht, ihm zu erklären, daß es nicht absolut nötig ist, daß ein Roman ein soziales Problem darstellt und [dafür] eine Lösung vorschlägt ; daß das moderne Leben vielleicht nicht nur das Leben auf der Straße, in den Werkstätten, im Boxring ist. — Er fuhr aber fort … und dachte plötzlich, daß er [das alles] Samuel Fischer nie so klar gesagt hatte … Und ich verstand, daß er es auch [niemals] gesagt hätte, wenn er vorsichtig gewesen wäre —, aber es war getan. Er sagte mir am Ende, wie [sehr] es ihn gefreut hätte, mit mir zu sprechen, ich solle zu ihm kommen an einem Abend ; er lebt ganz allein in Berlin in einer Pension. Ich werde mal hingehen. […]
95Dann ging ich in das Romanische Seminar, sprach mit Volkmann ; sehr sympathisch ; und dann Tee mit Hess, Schweizer, Romanisches Seminar, den ich schon gesprochen hatte : fein, interessant, kennt schon vieles, viel Interesse für Literatur. Dann meine Debattierübungen ; es geht ganz gut. Dann Crémieux über « Le sens de la vie et le sens de l’homme dans la littérature française d’aujourd’hui », ganz gut. — Viénot gesehen, hat mich zum Diner eingeladen heute um halb 2 mit einem Berger ( ?) und sagte : il faut que nous parlions un de ces soirs tranquillement. — Dann Wechssler : Lundi Duhamel, vous viendrez prendre une tasse de thé avec nous. — Dann Frau von Nostitz : vous n’êtes pas venu dimanche. Na, in den folgenden Wochen hoffe ich, mehr Zeit zu haben. Hesnard : je me moque de cette logomachie, je ne coupe pas dans les ponts de ces petits faiseurs à la Soupault qui vous trouvent tous les matins une métaphysique nouvelle ; alors qu’il y a tant de belles choses chez Mauriac ! Aaaah ! Enfin, il faut faire ça pour la France, n’empêche que j’aurais mieux aimé aller au théâtre. Er war wütend über diese « Logomachie » (ausgesprochen wie « ça me fait chier ! »). De Margerie war da, ich wurde ihm vorgestellt ; sagte mir : téléphonez à Roland. — Crémieux hat mich für heute früh bestellt, um in Berlin herumzubummeln. […]
Freitag, den 18.11.27.
96Ich hatte vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich vorgestern bei Crémieux Robinet de Cléry sah : ein alter kleiner Mann mit einer Glatze, der mit einer kleinen, süßen Stimme — wie von einem Kind — spricht. Hat mir seine Adresse gegeben, ich werde mal hingehen, es ist aber zwecklos. Seine Mutter spricht oft in der Maison du livre über die gräßlichsten Themen. Diner mit Viénot. Wir haben bis spät in die Nacht geredet ; erzählte mir viel von seinem Leben in Marokko ; mit Lyautey sehr befreundet ; es scheint, daß die Republik doch fest war, [auch] wenn wir nicht einen Diktator während des Krieges gehabt hätten. Dann vom Deutsch-Französischen Komitee gesprochen ; er scheint es begründet zu haben, und im Hintergrund die Gestalten von Mayrisch, Frau Mayrisch und ihre Tochter. Ivan Goll hat auch versucht, vom Komitee Geld herauszupumpen. — Durch ihn kann ich näheres über die Jugendbewegungen erfahren.
97Gestern früh Seminar. Dann Crémieux im Fischer-Verlag ; da ich ihn auf der Straße erwartete, sah ich, wie ihn jemand mit einem Auto brachte : Hans Jacob. Im Fischer-Verlag mit Freissler gesprochen (er ist im Grunde gutmütig, aber er hat seine Ideen und besonders fühlt er, wie er im Verlag « chien de garde » ist und bellt ; übrigens ist ein Buch von ihm erschienen). Mit Kayser [gesprochen], dem Schwiegersohn von Einstein (der wahre, Albert), der etwas über Stendhal schreibt, den ich [wieder-]sehen werde. Mit Saenger [gesprochen], vieux raseur, aber nicht dumm. Und Bermann ist auch zu uns gekommen. Es war ganz lustig und interessant, aber doch nicht so furchtbar interessant für mich ; ich weiß jetzt ganz gut, wie schwer es geht. Ich schreibe heute früh an Aron … […]
98Ich werde mit Bermann darüber reden und nicht zuerst mit dem chien de garde. Aber es ist wenig dabei zu [erreichen]. Besonders für die « Thibault » ist bei S.F.V. nichts zu machen ; sogar Crémieux hat dagegen gesprochen. Isadora ist viel mehr geeignet. Ich weiß noch nicht, wie Bermann davon gehört hat, werde es aber [erfahren] […]
*
99Montag, den 21. Nov. 1927.
100Morgen ein Monat, daß ich eingetroffen bin. […]
101Heute früh, Hübner ; ziemlich klug, manchmal « brillant » ; z. B. heute früh : Parallele zwischen den Gebrüdern Grimm ; ich lerne viel dabei, verstehe schon fast alles : es fällt mir [aber] doch schwer, das Wichtigste korrekt aufzuschreiben. […]
102Dann zu Mittag, Roland de Margerie. Ich saß rechts von Frau de Margerie. Waren da : Mariotte, der über die S.D.N. in Deutschland [arbeitet], Berger (ein junger Franzose, schon bei Viénot gesehen), Hesnard, Renoir, der Sohn vom Maler, und Frau, — Lili Turel, geschiedene Frau von Hasenclever und eine Frau Graupel (oder sowas). Viel mit den de Margeries gesprochen. Waren neugierig : er, weil man von verschiedenen Seiten (z.B. dieser Schmid, vom Institut für Völkerrecht) nach meiner Adresse fragte. — Sie, weil : « qui est ce jeune Français que je ne connais pas et qui parle avec Mme de Nostitz ? » Alles durcheinander : Groethuysen ? Werde ich was [erfahren] ? Kommt sehr oft in die Botschaft und zu de Margerie, wenn er in Berlin ist ? ? ? ? Kolossal geschickt, der Mensch. Wir sprachen von der Princesse Bratiano (man sagt Batiano, ohne –r) vom Nietzsche-Archiv, von Frau Förster-Nietzsche, die vor zwei Jahren kolossal franzosenfeindlich war. Der Präsident ist ein Würzbach oder sowas : Kennst Du [ihn] ? Sagt, es seien 150 unveröffentlichte Seiten [vorhanden], die sehr wichtig seien und einen für das Biologische interessierten Nietzsche darstellen. Kennst Du den Preis, der für die beste Arbeit über Einflüsse der französischen Literatur auf Nietzsche vergeben werden soll ? Eher zwei Preise, von denen einer (1200 Mark) einem Franzosen [zugeteilt werden soll]. In der Jury : Thomas Mann, président d’honneur, auf der französischen Seite Lichtenberger, Andler und Alain. Auf der deutschen Seite ? ? Ich dachte dabei an Deine Arbeit über Nietzsche … Wer ist dieser Raoul Patry (Revue d’Allemagne) ? Hat schon über « religion en Allemagne » geschrieben. Roland sagte von der ersten Nummer : gris, solide, ferme, Vermeil : tendancieux ; mieux comme il a l’air deçu, désem-paré, de mauvaise humeur.
*
24.11.1927
103[…] Meine Erlebnisse von gestern und heute ! Gestern früh : Hübner-Seminar. — Meine Studenten sind ganz nett und sprechen schon gut französisch. Sehr lustig zu sehen, wie man solch eine Gruppe interessieren und bewegen kann.
104Déjeuner in der Humboldt[-Stiftung], aber nicht genügend. Dann Café Wien mit Denoyer […]
1055 Uhr : mit Viénot zu den de Prévaux. Da waren : Die de Prévaux, ganz nette Leute. Baronin von Nostitz, die mich wieder eingeladen hat. Der Herr Baron Alfred von Nostitz, unbedeutend. Graf Montgelas. Prof. W. Haas (Hochschule [für Politik]) ; wieder mit ihm gesprochen : interessant aber « à utiliser avec prudence ». Frau Alexander (ich glaubte zuerst, sie wäre Französin, als sie französisch sprach), ein komischer Rumäne aus einem « roman feuilleton ». Viénot, Mme Roland de Margerie, sehr nett mit mir, Gaillet-Billoteau (plan Dawes, archicube, der beste Kenner der preußischen Finanzangelegenheiten), Hesnard : il faut manger et boire du vin, und das große Tier Georges [Bonnet], aber das ist Geheimpolitik, von der ich wenig weiß : Versuche einer Verständigung, einer Annäherung, was genau ? (Initiative du Comité, par-dessus l’ambassade ! ! Très curieux phénomène caractéristique).
106Dann Abendbrot in der Humboldt[-Stiftung] und Tschaikowski-Trio bei Bermanns. Mit Frau Bermann spielen : ein unbedeutender Cellist und die Tochter von Cassirer (wohl Bruno ?), der von Ephraim Frisch « Zenobi » herausbringt. Da waren nur die Fischer (der alte Fischer ist doch großartig ! Ich habe es Ihnen schon gesagt !) und Reisinger (?), der hier in Berlin auf Besuch war ; ein feiner Mensch ziemlich links und pazifistisch gesinnt, aber nicht « pacifiste bêlant », « pacifiste pathétique et facile ». Hätte gern mehr mit ihm gesprochen und unser Gespräch schien ihn zu interessieren, aber er reist heute ab. […]
*
Den 3.12.1927
107Gestern bei Frau von Nostitz — langweilig ; ein Arzt war da, der eine große Erfindung gemacht hatte. […]
108O Gott, O Gott ! Ich durfte, ich wagte nicht, mich zu drücken ; endlich gelang es mir ; es war schon sieben ; ich war mit Frau Baronin von ausgesprochener Höflichkeit, habe aber die nächste Sitzung — wegen meiner Tätigkeit an der Universität — ablehnen müssen ; (es tat mir sehr leid !). […]
109Aß dann zu Mittag in der Humboldt-Stiftung, bekam mein Geld ; Denoyer sagte mir, daß Göpel (das heißt die Direktion des Humboldt-Hauses) es gern sehen würde, wenn wir (das heißt natürlich besonders ich) einen französischen Klub gründen würden (wie es schon einen englischen, einen portugiesischen Club gibt). Aber zur Unterhaltung der sympathischen neugierigen Deutschen und Asiaten habe ich weder Lust noch Zeit. Glücklicherweise hat mir Denoyer noch davon gesprochen, bevor ich Göpel sprach. […]
*
Berlin, 5.12.27
110[…] Gestern habe ich ein Studentenkorps in großer Tracht und Pracht (Helm, Hosen, Stiefel, Degen) gesehen — und eine große Fahne ; ich bin nicht lange da geblieben, hatte da eigentlich nichts zu tun. — Man sieht doch manche Studenten mit ganz frischen Schmissen (c’est bête de se faire abîmer le portrait comme ça, de se faire démolir la physionomie !) und man hört [auch] von Mensur sprechen. Ich habe noch keine gesehen : 1. bin ich nicht gebeten worden, 2. je n’ai pas encore l’estomac assez solide, ils vous feraient rendre votre nourriture, ces cochons-là ! […]
*
6.12.27
111Gestern abend erfuhr ich von meinen Studenten, daß der Vortrag von Herrn Anatole de Monzie über « L’esprit de paix dans la littérature française » an demselben Abend stattfinden sollte. Ich hatte eigentlich eine Einladung gekriegt, hatte es aber total vergessen. 600 Zuhörer (nach meiner Schätzung), ein ziemlicher Beifall (keine Begeisterung) — alle sagten : wie schön er spricht ! Also eine Senatsrede. De Margerie war da und auch — es war ziemlich gewagt — Becker Ich habe auf dem Korridor de Monzie aparte gekriegt, auch zwei Minuten mit Becker gesprochen, der schon von mir durch Viénot gehört hatte. Ich fange an, viele Leute zu kennen (wenigstens in einem engen Kreise).
112Heute früh war ich wieder um 10 Uhr bei de Monzie, um ihm zu zeigen, daß die Germanistik in Frankreich ausstirbt, daß man nichts für die jungen Germanisten tut ; — also ich hatte ihm schon vorher erklärt, daß mein Fall in Betracht kommen durfte, da ich keine materiellen Sorgen (durch Hilfe der d[eutschen] Regierung) hatte. Sagte ihm auch, man sollte etwas tun auch für Studenten, die keine Germanisten sind. Lautman hat mir deswegen vor kurzem geschrieben. Ein Skandal !, sagte de Monzie, pendant que Petit-Dutaillis ne sait que faire de l’argent de la propagande ! Ich sprach vom deutschen Lektor in Paris : Bouglé, pas de la génération des hommes d’action. C’est à Brunot qu’il faut en parler ; je vais le convoquer, il faut faire quelque chose, il faut rendre aux Allemands leurs politesses, il faut régénérer … Er sprach dann lange, als ob er alles verändern wolle. (In der Tat sagt man, er sei vielleicht einer der nächsten Minister). Sagte noch : les germanistes vont faire prime ; vous pouvez faire une carrière épatante (sous-entendu : comptez sur moi), pas moisir dans le secondaire ; il faut se mettre à une tâche ; au besoin, vous pourriez vous installer à Berlin ; Hesnard … mon ami personnel (je l’ai nommé à Dijon) ; X … qui est à Madrid, carrière épatante. Ce pauvre Wechssler avec son Soupault, son Montherlant, pourquoi faut-il qu’il tombe sur des tapettes ! (Note personnelle : quelle tapette, ce de Monzie !).
113Dann kamen Ganem (correspondant du « Temps ») und Lauret, jetzt war es aus ; de Monzie hat nur von élections, circonscription, mon Lot, mes électeurs, premier tour, scrutin d’arrondissement — dann von Baudelaire (Crépet war da und ist Baudelaire-Forscher) geredet. Ich habe allerdings viel davon gehabt, und zwar daß diese Leute kein Interesse für das Ausland haben ! ! ! Sogar de Monzie ! Ich bin doch froh [ein Gespräch] angeknüpft zu haben ; man weiß nie … wie wenig es auch sei.
114In der « Literarischen Welt » Aufsatz von Walter Benjamin über Crémieux. Benjamin, nix davon zu sagen.
115Dann déjeuner bei « Hahnen » und um halb 3 in die Verlagsanstalt, Zweigstelle Berlin. Ein nicht mehr junger Mann, doch lebhaft und ziemlich sympathisch (Herr Schuster). Ich erzählte von Gide, so daß es ganz gemütlich war. Er war eben dabei, die « Falschmünzer » zu lesen. Jetzt kommt wohl die 5. Auflage (von je 1000), also ein Erfolg. Ich sprach dann von den « Thibault »: hat Angst, es sei zu dick. Ich sagte ihm, es wäre wohl im ganzen nicht 3 mal so dick wie die « Falschmünzer » ; ich glaube es auch. Dann habe ich Ihnen die Karte geschickt. Ich hoffe, wir bekommen das Buch bald. Kann man nicht an du Gard schreiben, daß etwas im Gange ist ? Es wäre doch besser als Rhein-Verlag. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich davon spreche. Ihr seid es wohl satt, aber Ihr braucht euch auch gar nicht im mindesten darum zu bekümmern. Ich habe eine Karte an Sie und eine an Aron geschrieben. […]
116(Ich weiß nicht, ob ich Ihnen sagte, man würde von Stuttgart aus die Rezensionen zu den « Falschmünzern » an Gide senden)
117Aron hat mir die Liste von den Übersetzungen geschickt. Er scheint keine Ahnung zu haben, daß Kippenberg und Insel dasselbe sind ; daran ist mir noch etwas unklar.
*
Samstag, den 10.12.27
118[…] Also, gestern abend bei Wechssler mit seinem neuen Assistenten, der Senior des Seminars : Reichenkron und eine Studentin. Es war freier, angenehmer als voriges mal. Ich habe fast die ganze Zeit nur mit Wechssler gesprochen ; es war gemütlich. Hauptsache, ganz dringend, daß Ihr mir « La jeune Parque » und « Monsieur Teste » schickt ; er braucht diese Bücher ziemlich eilig. War (er und seine Frau) — also sie waren für euren Brief sehr dankbar, gerührt. Freuten sich, Dich zu sehen, aber leider wird es wohl nicht gehen : Sie fahren am Anfang der Ferien ins Gebirge, kommen erst am 10. Januar zurück. Er ist mir sehr sympathisch, und wirklich fair ; gar nicht so « alles durcheinander » wie ich (es) geglaubt hatte ; er hat Angst, etwas Wertes [Wertvolles] nicht zu schätzen : ist das nicht sympathisch ? Und er unterscheidet ziemlich gut, was Kitsch ist und was eine Bedeutung hat. Daß er für die neueste Literatur so viel Interesse hat, ist nicht eine « manie d’être à la page » oder sowas ; es ist [das] Gefühl, daß es etwas Neues gibt oder geben wird, das er klar machen möchte. Er sagt (wie wir sagen würden) : ich will keine Koryphäen ; Gide ist keine Koryphäe, trotz all seiner Bedeutung und seinem Einfluß. Darum würde ich alles machen, damit er käme. Man liebt ihn sehr hier. Als ich vor meinen Studenten die Hoffnung äußerte, er könnte vielleicht einmal kommen, [da] haben sie vor Freude richtig getrampelt. Wir würden alles machen, er [müßte nur] seine Wünsche äußern : Auditorium maximum und 1200 Zuhörer oder im kleinen Saal des Seminars mit geschlossenen Türen. Er könnte bei uns wohnen …, alles, alles würden wir tun. — Mauriac (ganz unter uns), der in Holland ist, hat es abgelehnt, hier zu sprechen : 300 Mark seien nicht genug. Schade … ? Sie wissen, mehr kann ich nicht geben, — besonders für Mauriac, der doch kein « Star » ist. — Wechssler zeigte mir dann das Manuskript des zweiten Teils von « Esprit und Geist » (!). — Es wurden auch viele Andeutungen gemacht [auf] die Schwierigkeiten, die Zwietracht innerhalb des Romanischen Seminars. Aber, je n’ai pas tiré au clair. […]
119Heute früh habe ich einen Brief von Bouglé bekommen […]
*
Sonntag, den 11.12.1927
120[…] Es war eine große Freude, Ihren Brief zu bekommen. Was nun Gides « Sämtliche Werke » betrifft, glaube ich es verfrüht, jetzt davon zu sprechen : Kippenberg (Insel) hat eine Option für « Si le grain », Fischer für « Congo », [die] Deutsche Verlagsanstalt fühlt sich als der « Pionier » für Gide, der erste Verlag, « der es zu einem Erfolg gebracht hat » [und] würde nicht daran denken, es leicht fahren zu lassen. — Wenn aber SFV davon hört, daß die DVA Gide wiederkaufen will, wird er « Congo » fahren lassen, und « Congo » würde wieder die DVA nicht rechtzeitig genug herausgeben können. Mir wäre lieber, daß man noch wartet. Und ich möchte (es) auch zuerst wissen, wie es SFV gemacht hat, um Conrad zu kaufen … […]
121Ich finde es etwas taktlos, daß man sich derart der deutschen Botschaft aufdrängt, daß Philippe Soupault für Heinrich Mann dort etwas verlangt … Ich weiß, nur so kann man etwas erzielen ; aber da muß es einem recht am Herzen liegen, wenn man das tut, um seine Wünsche zu erfüllen. […]
Dienstag, [20.12.1927]
122[…] Ihr fragt mich, was Bouglé mit der Wahl eines Lektors zu tun hat : einfach dies, daß der Lektor der der E.N.S. sein wird, also Bouglés Lektor.
123Golo Mann, mit dem ich Sonntag zu Mittag aß, sagte mir von Wilhelm Herzog ungefähr dasselbe, nur von einem anderen Gesichtspunkt : der ist der wahre Ausbeuter des Proletariats, der nichts leistet, nur mit der Kurfürstendamm-Bourgeoisie kokettiert … usw. — Die Novelle von Golo Mann habe ich gelesen ; Ihr werdet es auch zu lesen bekommen. Sie ist ganz gut, sehr oft sympathisch — aber, um Gottes Willen warum hat er es veröffentlicht ? Das Sympathische an ihm ist, daß er es manchmal spürt. Die Manie der Familie ist nicht so sehr die des Schreibens wie die des Veröffentlichens. Etwas merkwürdiger (in derselben Familie meine ich) ist die Anziehungskraft 1. des Theaters, 2. der Politik. […]
124Ging dann zu Wassermanns. Ein schlichtes Déjeuner — und türkischen Kaffee. Wassermann hat gestutzt, als ich von 10 Mark sprach. Also zweimal in der Woche, hat es gleich umgerechnet : 80 Mark monatlich ; hat mir gesagt, daß ich natürlich auch an diesen Tagen bei ihm essen würde ; aber warum hätte ich meine Preise herabgesetzt, die doch nicht hoch waren ? Es scheint, sie [sind] (in Deutschland, nicht nur [im Falle] Wassermanns) « dur à la détente » für Stunden, — aber ich brauche es nicht. Wenn es für ihn zu viel ist, schon gut : Also : 1. war sein Déjeuner nicht sehr « copieux », 2. hat er mich fürs nächste Mal zum Tee eingeladen, Donnerstag. Davon will auch Frau Marta profitieren. Sie profitiert [davon] noch am ehesten, denn Jakob scheut sich, französisch zu sprechen und er ist sehr müde. Er sah wirklich sehr müde aus, der Arme. Es ist auch sehr anstrengend, solch einen « tourbillon en jupons » die ganze Zeit neben sich zu haben. Wir haben über die N.R.F., die Revue d’Allemagne, Gide, Schlumberger gesprochen. Wir haben auch von Ihnen gesprochen, — « mon bon petit ami » sagt Marta. (Schlumberger findet Frau Marta so langweilig ! — Dagegen hat sie der dritte Band von « Si le grain » furchtbar interessiert). Nun gut, ich bin 1 1/2 Std. geblieben, — j’ai échangé ma langue contre de la nourriture + 15 Mark + die Ehre. […]
*
Samstag 28.1.28
125Heute werde ich deutsch schreiben ; ich habe wieder angefangen, tüchtig deutsch zu sprechen, zu lesen. Lese eben jetzt den « Caspar Hauser » ; der « schönste Roman von Wassermann » sagt mir Golo Mann. Ja, dann ist der beste noch nicht völlig befriedigend. Spannend ist er schon, aber wenn man das Buch zu Ende gelesen hat …, dann ist es gerade zu Ende, weiter nichts. Es gibt das Wort : Unterhaltungsliteratur ; mit dem darf man wohl kaum den « Caspar Hauser » kennzeichnen, es ist viel zu herabsetzend. Es ist [eben] doch Psychologie dabei, sogar gute Psychologie ; aber das sollte man Unterhaltungspsychologie nennen ; das wäre das richtige Wort. Sein Buch ist gut in mehreren Hinsichten : es ist kunstvoll, wie ein schön gebautes Auto, technisch kunstvoll. Die Kunst des « Spannenden » ist auch beachtenswert, besonders in der deutschen Literatur. Wo etwas Gutes nicht mehr nötigerweise langweilig ist — schon richtig. Dann aber brauche ich keine Analyse, keine ausführliche Auseinandersetzung hier beizufügen. Wassermann hatte mich zu sich eingeladen, Freitag um 2 Uhr. Da waren Wedderkop und Georg Bernhard (« Voss. ») mit Frau und Kindern. Man hat sehr wenig von diesen flüchtigen, oberflächlichen Unterhaltungen. Vielleicht werde ich einmal bei Bernhard Karten abgeben ; ist mir sympathischer [als] Wedderkop, der doch im ganzen ein Esel ist, wie mich dünkt. Dann habe ich mit den Töchtern von Marta geplaudert, — es war eine gute Übung, deutsch zu sprechen, ohne irgendetwas sagen zu [wollen]. Das war der Anfang meiner neuen Arbeitsperiode ! Wassermann ist ziemlich erbittert : Sinclair (Upton oder Lewis ? eher ersterer) hat es ihm nachgemacht : Alles, wodurch er sich auszeichnet, war schon (sagt Wassermann) in « Wahnschaffe ». Dann würde ich hinzufügen, daß Hickel im « Caspar Hauser » eine dernière incarnation de Vautrin ist, — Schluß damit … ! Ich werde bei Döblin anrufen Anfang nächster Woche. Der ist mir doch sympathischer.
126Mittwoch war ich beim Tee mit Becker und Sohn und Gide bei Viénot zusammen. Das habe ich Ihnen schon gesagt. Ergebnis : … Gestern habe ich vormittags gearbeitet, zu Mittag mit Golo gegessen ; bin wieder nach Hause gefahren. (Golo erzählte mir manches von seinem Haus, von seinem Vater, im ganzen ist es doch ziemlich traurig — und Thomas Manns Schicksal ist auch traurig ; überall um ihn etwas Sprödes, Schwerfälliges, Überspanntes.) — Ich will jetzt die « Buddenbrooks » lesen. Gestern abend ging ich um 7 1/4 zu Viénot, der im Bett lag ; eine Leberkrisis ; man weiß kaum, etwas dagegen zu tun ; nur [abwarten] bis es zu Ende ist. Diese Tage war Mayrisch da ; heute soll noch Krukenberg kommen. Viénot scheint Angst vor der Begegnung zu haben.
127Dann ging ich mit Gide und Allégret und der alten und der jungen [Frau] Sternheim ins Romanische Seminar. Da waren die Tische gedeckt. Man hat zuerst Tee getrunken. Dann hat Gide den Vortrag des « Prometheus » gelesen und zwei Gedichte von Baudelaire. Er ist sehr müde. Spielt auch « la grande actrice ». Im Taxi als wir fuhren : « Je vais dormir, ne faites pas de bruit, ne froissez pas de papier, reveillez-moi une demie minute avant l’arrivée. Et puis je ne lirai pas, je ne pourrais pas lire ; je m’arrêterais au milieu, ce serait ridicule. Je suis extrêmement fatigué. J’ai été chez Mme de Nostitz ; elle vous force à parler ; elle veut à toute force tirer de vous quelque chose ; il faut parler — sinon, elle parle ! J’ai toujours peur de ces grandes réunions et de perdre mon temps avec Eckermann et de passer à côté de Goethe ». Nachher haben wir alle zusammen gegessen ; auch Crevel war dabei. Ich habe mit der Tochter Sternheim ein wenig gesprochen ; [wir haben] auch viel von Heinrich Mann gesprochen, den sie gut kennt und den sie dem Thomas Mann vorzieht. Ich habe einen guten Eindruck gehabt, etwas besser jedenfalls [als] ich es erwartete. Ich habe manchmal den Eindruck, als ob manche Leute sich bemühten, mir gegenüber anders zu sein — ernsthafter und interessanter — [als] manchen anderen gegenüber. Ich sage das sehr ungeschickt. Ihr werdet doch verstehen. Man hat auch selbst den Eindruck, daß sein eigener Wert von dem des Gegenübersitzenden, des Partners abhängig ist. […]
*
Montag den 30. Jan. 28
128Ich bin es wirklich satt. Glücklicherweise [wird] Gide bald [abfahren]. Morgen abend. Ich freute mich, als er kam ; ich freue mich jetzt, da er geht. Ich freue mich, daß er gekommen ist ; so ist es gut. Aber es war anstrengend.
129Also Sonnabend habe ich mit ihm und Crevel zu Mittag gegessen (habe ich es Ihnen nicht schon gesagt ?) und Crevel las mir vor, was er von seinem Vortrag geschrieben hat ; es ist sympathisch, ernsthaft — und stellenweise gut. Dann […] ging ich zu Tilla Durieux. Da waren : Gide, Allégret, die Sternheims, Wedderkop, Piscator und Frau, George Grosz und Frau (Grosz war mir einer der sympathischsten). Toller — der es [für] nötig [hält], sich zu entschuldigen, wenn man ihm in einer Gesellschaft begegnet : « Dies Jahr habe ich mir vorgenommen, in Gesellschaft zu gehen, wie sehr es mir auch unangenehm ist und widerlich. Aber ich will doch etwas von der Welt sehen … » ! ! !. Dabei waren auch : die de Prévaux, Ruth Landshoff, die Schwester von Werner Levy, ein Kino-Star (!), der alte ekelhafte Flechtheim, dieser widerliche Francesco Mendelssohn, Crevel usw. ; im ganzen 20 oder 30 Leute, die ich fast alle kannte. Gide sagte gestern, er wäre mit dem Abend sehr zufrieden. Ja, warum nicht ! — und warum doch !
130Die Durieux hat den « Verlorenen Sohn » vorgelesen, sehr gut vorgelesen. Sie hat dann ihre Alligatoren gezeigt, drei Alligatoren, einen halben Meter lang jeder, mit denen sie spielt (ja, warum denn nicht !) und ihre Fische, wundervolle Fische, große und kleine, goldene, schwarze, rote, weiße, mit ungeheuren Augen oder auch ohne Augen. — Um Mitternacht, als man aufbrach, ging ich ruhig ins Bett, und ging weder mit Gide und den anderen « faire une virée dans les rues de Berlin », noch [zum] Presseball, dem großen Ereignis der Saison.
131Am Sonntag früh — gestern — ging ich zu dieser Veranstaltung Gide-Rilke mit Viénot. Gide, Crevel, die Sternheims, Frau von Nostitz, Däubler waren dabei — und auch Franz Blei, Walter Benjamin, Franz Hessel, dessen Bekanntschaft ich machte. Wir waren zuerst in der Loge von Gide. Es kam zuerst eine Fantasie von Chopin ; Gide war wütend : warum spielt man gerade das Schlechteste von Chopin ? … Aber die Plätze im Saal waren sehr teuer : im Orchester 10 bis 15 Mark ! Und es waren noch viele Plätze leer. Da [gingen] wir alle hinunter, um [die Lücken] auszufüllen. Im « Poulailler » waren viele junge nette Jugendbewegte. Die sind mir sympathisch, sagte Gide und ging zu denen. Gab mir Freikarten, die wir mit Crevel an junge Leute [weiter-]gaben, die draußen blieben, weil sie das Geld nicht hatten. Hörten dann […] Einleitende Worte von Leo Hirsch — eine unerhörte Dummheit und Frechheit. Nach und nach verließen alle Leute den Saal : Blei, Benjamin, Hessel. Manche pfiffen sogar. Dann Gedicht von Rilke, sehr schön, aber schlecht gelesen. Besonders schön war « Josuas Landtag ». Die Durieux hatte abgesagt. Dann kam die Aufführung vom « Verlorenen Sohn ». Nun, ich für meinen Teil finde es lächerlich, weil ich diese halbe [Inszenierung] nicht brauche ; aber es wirkt, auf ein deutsches Publikum wirkt es. Der Schnitzler, der spielte, ist Schnitzlers Sohn.
132Dann aßen wir zu Mittag mit Gide und Allégret und Viénot. Und ich verbrachte dann den Nachmittag mit Viénot. Krukenberg ist hier und Viénot ist mit ihm sehr beschäftigt. Es waren Leute da, die ein Autogramm von [Gide] haben wollten ; er weigerte sich aber, irgendwas zu schreiben. Er erzählte mir einmal, wie bei einer Vorstellung vom « Ballet des Fâcheux » eine Dame ein Autogramm haben wollte ; da schrieb er : « Les Fâcheux ne sont pas tous sur la scène. » Erzählte, wie man falsche Autogramme von ihm und falsche Brief von Wilde an ihn zu einem hohen Preis verkauft hatte. […]
*
Montag, den 16. IV. [1928]
133[…] Also, ich beantworte zuerst « Ihr wertes Schreiben vom 14. d. M. » 1) Ja, es geht mir gut. 2) Von Piscator erzähle ich weiter [unten]. 3) Ich werde Dein Stellvertreter in Berlin sein, die Antwort an Bermann übermitteln, Deinen Dank an Viénot aussagen und Deine Sympathie an Walter Benjamin aussprechen. 4) Ich habe viele Namen für Loeb : Benjamin und Roth vielleicht ; dann aber : Egon Erwin Kisch (Verlag Die Schmiede) Burschell, der eine Sammlung von solchen Dokumenten haben soll ; Leo Lania, den ich gestern gesehen habe ; Zadek vom « Berliner Tageblatt » ; Kasak und Klüber für Photographien, Sacha Stone, der Photograph der Piscator-Bühne (Hoflieferant ! …) und Heartfield (ein Galizier, Herzfeld !), im Malik-Verlag zu erreichen. […]
134Was Jean-Richard Bloch betrifft …, nun, das ist wieder eine Geschichte. Das Stück ist total verändert worden ; Freissler hat Szenen neu gemacht. Frau Vallentin hat schlecht übersetzt, der Regisseur Karl Heinz Marten konnte das Stück nicht leiden, hat aus dem Stück eine Satire [auf die] politischen Verhältnisse in Deutschland gemacht, so daß Hakenkreuzler und Reichsbanner als solche erscheinen. Manches in der Inszenierung (z. Bsp. die Filme) ist unerhört schlecht. Ich denke [aber] doch, daß das Stück gehen wird. Die Presse war gar nicht gut : die Besetzung ist ausgezeichnet : Deutsch, Granach, Steinrück, Sibylle Binder, Graetz.
135Ich war gestern in Leo Lanias Stück « Konjunktur » gegen die Petroleumsuprematie. Manches ist sehr, sehr lustig, wundervoll inszeniert, von Piscator, auf seiner zweiten Bühne : Lessing-Theater. Nachher gingen wir mit Jean-Richard Bloch, seinem Bruder, Frau Vallentin, Friedmann (aus Leipzig, er hat mit Dir vor 2 Jahren korrespondiert, er interessiert sich für französische Literatur, würde Dich gern nächstes Jahr nach Leipzig einladen). Da habe ich Leo Lania und Walter Mehring kennengelernt. Sah auch Franz Blei : sein Verleger hat kein Geld für das « Fünfte Rad », so daß es wirklich ein Mythos ist. […]
136Aber das alles ist nur Epiphänomen. Das Wichtigste ist, daß es mit meiner Arbeit gut geht. Besonders heute früh habe ich viel über die Romantik gelernt ; über den magischen Idealismus. Es ist merkwürdig, wie es immer dasselbe ist, wie Keyserling dieselben Gedankenformen aufnimmt ; und der Unterschied ist einfach, daß die Romantiker Abenteurer sind, im Gebiete des Denkens, während es bei Keyserling an die Hochstapelei grenzt —. Les aventuriers de la pensée = les romantiques ; Keyserling, le chevalier d’industrie. Darin erkenne ich etwas deutsches, etwas östliches (das sich in Polen steigert), dieses Abenteurertum auf allen Gebieten. Ich weiß nicht, ob ich es klar sage, aber ich sehe plötzlich den Zusammenhang :
1371) le mien et tien, limites vagues ; propriété n’existe pas ; ce n’est même pas le vol, ça n’existe pas ; différence foncière du communisme, qui est l’absence de quelque chose et du socialisme (Comte, Fourrier, Saint Simon, Proudhon), qui est une réaction, un effort.
1382) L’imagination, qui a libre cours — und die sich allmählich steigert —, qui fait boule de neige ; rien dans le paysage (même dans le paysage intellectuel et moral) ne l’arrête. Donc, au total, kein Halt ; un élan, une mobilité, — une forme curieuse d’imagination, qui est l’imagination abstraite, la combine intellectuelle.
*
26. IV. 1928
139[…] Ich war vorgestern abend bei Fischers mit Bloch. Es war sehr schön ; ich saß neben Ernst Weiss (« Männer in der Nacht » ?). Ein interessanter, ziemlich zurückgezogener, doch lebendiger und kluger Mensch ; wohnt in Berlin, aber sieht niemanden. Hat viel gearbeitet, « Les plaisirs et les jours » übersetzt, hat nie französisch gesprochen, hat es allein in Büchern gelernt. Sehr neugierig. Hat mir seine Telefonnummer gegeben. Papa soll mir sagen, ob es Zweck hat für uns, daß ich ihn einmal besuche — vielleicht doch.
140Dann der arme Freissler, der ganz entrüstet, plattgedrückt ist ; weiß weder aus noch ein ; in der Bloch-Piscator-Sache hat er eine zweifelhafte Rolle gespielt ; es ist nichts gutes für ihn dabei herausgekommen (« es waren zwei Stühle da, und zwischen den beiden noch gerade Platz für mich ») ; er hat Conrad empfohlen und Conrad geht nicht ; er hat Crevel empfohlen und Fischer ist damit nicht zufrieden ; seine letzte Hoffnung ist « Cinq femmes sur une galère » ! ! ! ; ich bemitleide ihn.
141Ich werde eben von Frau von Kardorff angerufen : « wollen Sie zu uns Sonntag abend kommen. E. R. Curtius wird dabei sein und er hat mir ausdrücklich gesagt, er würde sich sehr freuen, gerade Sie zu treffen ». Es ist sehr schwer, denn Lautman hat schon Karten für die « Götterdämmerung » besorgt und ich möchte nicht, daß Curtius glaubt, daß ich ihn nicht sehen will ; ich weiß noch gar nicht, wie wir es machen.
142Ich habe auch viel mit Bloch gesprochen, der mir von dem Krieg mit Italien erzählte ; ich wußte nicht, [daß] wir so nahe an der Mobilmachung gewesen [sind]. […]
143Ich war gestern abend mit Lautman zusammen ; er hat mir viel von sich erzählt ; er ist mir doch zu metaphysisch, zu systematisch, zu offen und dabei steckt nichts dahinter. […] Es tut mir manchmal fast leid, daß ich mit ihm in vielerlei [Dingen] übereinstimmen muß. Unsere geistige Einstellung ist zwar verwandt, aber eine unangenehme Verwandtschaft. Er denkt, daß eine Freundschaft zwischen uns entstehen kann ; ich glaube es doch nicht.
144Es tut mir wohl zu arbeiten, und ich fühle mich sehr wohl, obschon das Wetter etwas zu warm und schwül ist — unerhört warm. Ich bin in die « Wahlverwandtschaften » vertieft und es ist wirklich groß. Alle Klischees werden da [bestätigt], nehmen ihre volle Bedeutung [an] : ein Lebenswerk, so ungeheure Gestalten, — die Weisheit. Diese Weisheit, die den Deutschen am meisten fehlt. Erstaunlich, wie ich dafür mit 20 Jahren [empfänglich] bin. Und diese mächtige Ruhe und dieser Reichtum. Ich mußte heute früh einige Betrachtungen niederschreiben ; ich habe es selbstverständlich auf deutsch getan — und es ging sehr gut ; ich entdeckte, daß ich eines viel größeren Wörterreichtums Herr war, [als] ich es ahnte, und daß dieser Reichtum gerade jetzt im Begriff ist, sich zu befestigen und zu erweitern. […]
145Ich habe mit Lautman Stefan George gelesen. Ich habe das Geld für meinen Piscator-Aufsatz bekommen. Becker hat Viénot sehr nettes von mir gesagt. Roland de Margerie hat Gundolf gesehen ; ich möchte ihn gerne mal sehen, aber er ist sehr krank. […]
Auteur
Le texte seul est utilisable sous licence Licence OpenEdition Books. Les autres éléments (illustrations, fichiers annexes importés) sont « Tous droits réservés », sauf mention contraire.
Médiations ou le métier de germaniste
Hommage à Pierre Bertaux
Gilbert Krebs, Hansgerd Schulte et Gerald Stieg (dir.)
1977
Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache
Hans Jürgen Heringer, Gunhild Samson, Michel Kaufmann et al. (dir.)
1994
Volk, Reich und Nation 1806-1918
Texte zur Einheit Deutschlands in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft
Gilbert Krebs et Bernard Poloni (dir.)
1994
Échanges culturels et relations diplomatiques
Présences françaises à Berlin au temps de la République de Weimar
Gilbert Krebs et Hans Manfred Bock (dir.)
2005
Si loin, si proche...
Une langue européenne à découvrir : le néerlandais
Laurent Philippe Réguer
2004
France-Allemagne. Les défis de l'euro. Des politiques économiques entre traditions nationales et intégration
Bernd Zielinski et Michel Kauffmann (dir.)
2002