« Frauenverehrung » und « Frauenverachtung »
p. 191-200
Texte intégral
1« Ein Frauenverehrer stimmt den Argumenten Ihrer Frauenverachtung mit Begeisterung zu »1 – mit diesen Worten reagierte Karl Kraus auf die erste Lektüre von Otto Weiningers Geschlecht und Charakter. Das Spannungsverhältnis, in dem die Texte des Satirikers über das weibliche Geschlecht stehen, ist damit gut charakterisiert. Kraus dementiert die Existenz eines solchen Spannungsverhältnisses ausdrücklich und reklamiert für sich die Position des « Frauenverehrers ». Der Kommentar zu Weininger erläutert die eigene Position : der Philosoph sei zwar « zur Erkenntnis der Anderswertigkeit des Weibes aufgestiegen », doch hätte er der « Versuchung » nicht widerstanden, « verschiedene Werte mit dem gleichen intellektuellen und ethischen Maß zu messen ». Dem daraus entstandenen « System der Entrüstung » setzt der « Frauenverehrer » den Hinweis auf die weibliche Anmut, die ästhetischen Reize und die Fähigkeit, die Sinne zu berücken, entgegen. Doch die Frauenverehrung argumentiert im Kontext des deskriptiven Teiles von Weiningers Buch – sie attestiert dem weiblichen Geschlecht « Hirn- und Hemmungslosigkeit », « Mangel an Verstand » und « Mangel an Gemüt ». Die « Resultante » aus den « schlimmsten Eigenschaften » des Weibes macht den Reiz des anderen Geschlechts aus – es scheint, daß « Frauenverehrung » und « Frauenverachtung » einander bedingen.
2Der Satiriker denkt und schreibt in einem bekannten Feld. Verkürzt beschrieben bewegt er sich zwischen den Fronten des Patriarchats und der Décadence : hier die Zuweisung einer engen etablierten Geschlechterrolle, die Tabuisierung des weiblichen Sex, die Ausgrenzung der Frau aus dem öffentlichen Leben – dort der Kult um hypersexualisierte Frauentypen, die sich der staunenden Forschung mittlerweile als innerseelisch durchaus funktionale männliche Phantasien und Projektionen darstellen. Die Texte des Karl Kraus zu Frau, Erotik und Sexualität « gehören » ihm also nicht im Sinne einer vollständigen intellektuellen Urheberschaft : sie sind Bestandteil eines diskursiven Systems, das die Wiener « Moderne » hervorgebracht hat, sind diesem System auf mannigfache Weise verpflichtet und sind in diesen Bezügen bereits hinreichend erforscht2. Ähnlich wie die Texte seiner Zeitgenossen behandeln auch die des Karl Kraus nur scheinbar die Stellung der Frau in der Gesellschaft : ausgehend von dieser Frage beanspruchen sie die Kompetenz zur Klärung einer Unzahl von gesellschaftlichen Organisationsprinzipien. Dennoch will ich den Aspekt der Abhängigkeit, Übereinstimmung und Opposition zwischen Kraus und seinen Zeitgenossen hier ignorieren. Die Kraus’schen Texte zur Sexualpolitik haben eine innere Geschlossenheit, die durch die Erörterung vergleichbarer und opponierender Positionen verdeckt wird.
3Der inflationäre Diskurs über « die Frau », ein Diskurs, der auf allen künstlerischen Ebenen geführt wird, gilt als ein Kennzeichen des Wien der Jahrhundertwende. Zu Recht, doch ist dieser hauptsächlich von Männern geführte Diskurs über das Andere, über die Frau und ihre sexuell-soziale Organisation wirklich der primäre, oder ist er in Wirklichkeit nicht nur die Konsequenz eines anderen, verdeckt geführten Diskurses ? Der Wiener Moderne ging es primär um die Frau – zahlreiche Autoren suggerieren uns das durch die bloße Wahl ihres Themas, durch die stillschweigende Konzentration auf die « Frauenbilder ». Mir scheint, daß sie allesamt in eine alte Falle des Patriarchats getappt sind : der männliche Sex – wie auch immer er beschaffen ist – ist selbstverständlich, der weibliche Sex ist das Fremde, das besprochen werden muß und einer Erklärung bedarf. Doch kann der Mann überhaupt über das Andere, die Frau, sprechen, ohne zumindest gleichzeitig ein Selbstbild zu entwerfen ? Ich meine, daß es keinen primären Diskurs des Mannes über den weiblichen Sex gibt, sondern nur die Konsequenzen desjenigen über den eigenen Sex, den des Mannes. Für den Umgang mit den Texten des Karl Kraus über die Frau schlage ich daher eine kleine Operation vor. Wir wollen nichts von dem bestreiten oder gar falsifizieren, was die bisherige Forschung über das Frauenbild des Satirikers konstatiert hat. Auch wollen wir daran festhalten, daß es das, was Kraus als Frau definiert, nicht gibt, daß es sich hier um eine Phantasie handelt. Doch um die Funktionalität dieser Phantasie, die innere Schlüssigkeit dieser Texte zu zeigen, wollen wir eine kleine « Drehung » des Untersuchungsgegenstandes vornehmen : wir wollen uns zunächst auf das Feld beziehen, wo der Satiriker von sich spricht, wo er sich schweigend und ohne jene Öffentlichkeit, die er bei der Erörterung der Frage nach dem Wollen der Frau herstellt, die Frage stellt : Was will der Mann ?
4Das Subjekt der Kraus’schen Überlegungen zur sexuellen Anthropologie des Mannes wechselt : manchmal taucht in den Texten ein « Ich » auf, manchmal ein unpersönliches « man », dann wieder wird von « dem Mann » gesprochen. Ich lege nachdrücklich Wert auf die folgende Feststellung : ob dieses « Ich » der Satiriker selbst ist, der sich gelegentlich karikiert oder aber ein Konstrukt, das der satirischen Erörterung sozialer Zustände dient – eine Frage, der Manfred Schneider3 nachgegangen ist – ist für uns unerheblich. Ich spreche nicht über die Person Karl Kraus. Wesentlich ist, daß uns im Kraus’schen Text eine kohärente Persönlichkeit entgegentritt, deren Charaktermerkmale mit einer im Text konzipierten Weltordnung korrespondieren ; die in der Folge zu untersuchenden Operationen sind solche eines literarischen Ichs innerhalb einer geschlossenen im Text konstruierten Welt.
5Das Kraus’sche « Ich », das sich bekanntlich der « Selbstbespiegelung » verschrieben hat, reflektiert häufig intensiv einen speziellen Bestandteil seiner conditio humana : die eigene Männlichkeit. In einer Gesellschaft, die in gewisser Weise dem Kultus um den « männlichen Mann » verpflichtet war – zahlreiche Beispiele belegen, daß dem Satiriker dieser Kultus nicht fremd war – mußte dieses « Ich » an sich selbst eine erschreckende Beobachtung machen : die eigene Männlichkeit ist fragwürdig, entspricht in einem wesentlichen Bereich nicht einem allgemeinen, gesellschaftlich akzeptierten Standard.
6Das Feld, auf dem Kraus die bedrohliche Erfahrung seiner eigenen problematischen Männlichkeit macht, ist eben das des Sexes. Am Ende der Selbstbeobachtung des literarischen Ichs steht eine Diagnose, die schon in der Begrifflichkeit der damaligen Sexualwissenschaft den Namen « psychische Impotenz » trug. Die literarische Fixierung dieses Krankheitsbildes hat eine Vorgeschichte. Während einer gewissen Periode seines Lebens hatte Kraus ein intensives Interesse daran, die Intensität von Lusterlebnissen zu besprechen und zu vergleichen – die jeweils ersten Seiten der drei zwischen 1909 und 1918 erschienenen Aphorismenbände protokollieren dieses Interesse. Diese Neigung überrascht nicht – wir befinden uns im Zeitalter der entstehenden Sexualwissenschaft, auch gehört das Interesse am Besprechen von Lusterlebnissen zur Haltung des Libertins. Offen bleibt die Frage nach dem Maßstab für jene Vergleiche, die die Phantasie des Satirikers so okkupierten. Ein solcher Vergleich intendiert wohl auch eine Art von Konkurrenz, die durchaus im eigenen Geschlecht austragbar wäre. Doch Kraus sucht nicht den Vergleich mit dem Lusterleben anderer Männer – das satirische Ich setzt sich absolut, es repräsentiert « den Mann » und der vergleicht sich mit « der Frau ».
7Das Ergebnis dieses Vergleiches ist bekannt : die weibliche Lust übertrifft die männliche um ein vielfaches, der Orgasmus ist der « unbedeutendste Augenblick » im Leben des Mannes und ein « bedeutender » im Leben einer Frau, die Lusterlebnisse beider Geschlechter verhalten sich zueinander wie ein « Epos » zu einem « Epigramm » – kurz, « der Mann » ist im Sinne der später ausformulierten Begrifflichkeit Wilhelm Reichs orgastisch impotent, die Frau hingegen ist im Sinne Weiningers « durch und durch sexuell ». Der Charakter des Sexus als menschliche « Grenzerfahrung » wird von Kraus für die Männer dementiert – der männliche Sex ist definierbar, er folgt der Logik der Impotenz.
8Gewiß, das ist ein Mythos, der schon die Griechen beschäftigt hat und gleichzeitig eine für die Jahrhundertwende typische Männerphantasie. Aber so über sie sprechen heißt, den Verzicht auf die nähere Beschäftigung mit ihr zu proklamieren. Denn jede Phantasie ist mit der Realität konfrontiert und die Realität der Frauen der Jahrhundertwende war dieser Phantasie keineswegs günstig. Wahrscheinlich gibt es keine gesicherten Berichte über die Verbreitung sexueller Funktionsstörungen unter den Geschlechtern der Jahrhundertwende – wir müssen uns daher an August Forels allgemeine Feststellung halten, daß beim « Weibe... die gleichen psychischen Hemmungen [wie beim Mann, A.P] [vorkommen] und dann das Ausbleiben oder das Aufhören der Wollustempfindungen, des ganzen Orgasmus überhaupt » bewirken.4 Auch Kraus scheint Erlebnisse gehabt zu haben, die Forels pauschale Beobachtung stützen. Die Kraus’schen Annahmen beziehen sich also nur partiell auf die Realität – ihre Funktionalität erhalten sie innerhalb der Ordnung des Kraus’schen Textes.
9Wenn wir diese Ordnung rekonstruieren wollen, müssen wir uns zuerst fragen, ob Kraus tatsächlich immer die weibliche Orgasmusfähigkeit reflektiert hat. Der Aphorismus, der die männliche und die weibliche Lust ins Verhältnis Epigramm/Epos5 setzt, operiert unter anderem mit einem räumlichen Bild, das mir nicht unbedingt auf die Beschreibung einer Empfindung zu passen scheint. Derartige räumliche Vorstellungen sind wohl in einem anderen mit dem Sex verknüpften Bereich gerechtfertigt : dem der Fortpflanzung – der Unterleib einer Schwangeren mit seiner im Vergleich zum männlichen Unterleib vielfachen Ausdehnungsfähigkeit rechtfertigt wohl das von Kraus benützte Bild. Auf die Rolle der Geschlechter im Prozeß der Fortpflanzung trifft auch eher zu, was Kraus über die weibliche Lust schreibt : der Mann ist nur der « Anlaß ».6 Auch die Gegenüberstellung vom « bedeutenden Augenblick » des Weibes und dem « unbedeutendsten Augenblick des Mannes »7 gewinnt im Kontext der Elternschaftsvorstellungen der Jahrhundertwende einen besseren Sinn, wenn man ihn auf die Fortpflanzung bezieht.
10Die Frage, worauf sich die Kraus’schen Texte tatsächlich bezogen haben, wollen wir nicht mehr weiter verfolgen. Fest steht : das satirische Ich erlebt sich im sexuellen Bereich den Frauen gegenüber als minderwertig. Die Dissonanz des Erlebens verunmöglicht es ihm, mit einer Frau zusammenzukommen : « ... Will ich das Weib, so habe ich die Lust. Will sie mich, so sehe ich die Lust nicht. Und dazu habe ich auch keine Lust... »8
11Die Kraus’schen Texte diskutieren die möglichen Auswege aus diesem unbefriedigenden Zustand : Perversion, Enthaltsamkeit und Onanie. Doch über allen diesen Diskussionen steht die Erkenntnis von der unabänderlichen Sterilität der männlichen Lust. Über dem Leben des Mannes hängt der graue Schleier der sexuellen Frustration : « Man [dieses "man" sollte man so lesen, wie es die Feministinnen tun – ein entsprechendes "frau" ist dem Satiriker nicht denkbar, A.P.] lebt nicht einmal. »9
12Hier spricht also einer über Defekte, die sein Lebensglück verhindern. Doch es gehört sowohl zum Erscheinungsbild der Décadence wie auch zu den möglichen Strategien der Satire, den Defekt zu verherrlichen. Das fröhliche Spiel der Satire beginnt – heroischer Gestus wird von nun an das tragische Erleben verdecken. Kraus beginnt, die Konkurrenz mit dem überdimensionalen weiblichen Lusterleben aufzunehmen. « Glaubst Du nicht », schreibt er im Juli 1906 an Berthe Maria Denk, « daß es Abenteuer des Geistesleben geben kann, die einen Mann annähernd der Sensationen teilhaftig werden lassen, wie sie die erotische Abwechslung einer Frau bringt? »10
13So, via Einfühlungsgabe, können die Geschlechter einander verstehen : der schöpferische Mann begreift die sexuelle Frau und umgekehrt. Für den Mann tritt der Schreibtisch an Stelle des Bettes, der Leib der Sprache nimmt den Platz des Frauenleibes ein – dort kann das satirische Ich alles erleben, was ihm der reale Frauenleib versagt. Alle sexuellen Regeln, die der Libertin Kraus im Umgang mit den bedeutungslosen Frauenleibern ablehnt – hier vertritt er sie. Gegenüber dem Leib der Sprache ist Kraus von maßloser Eifersucht – die Vorstellung von den « Kommis », die, seit Heine ihr das Mieder gelockert hat, am Busen der deutschen Sprache fingern, plagt ihn offensichtlich. Die Beziehung zur Sprache folgt einem durchaus vertrauten Schema : sie orientiert sich an Tiefe, Treue und Ausschließlichkeit.
14So ist es dem Satiriker gelungen, den Makel der Impotenz in einen Vorzug umzudeuten. Denn aus der Konfrontation zwischen der sterilen männlichen Lust und der des Weibes (und der gleichzeitigen zwischen dem sterilen weiblichen Geist und dem schöpferischen des Mannes) entsteht das Werk – Sidonie Nadhernys Briefpartner nennt die Fackel-Hefte, die in der Zeit ihrer Verbindung entstehen, die « Kinder ». Die reale Frau und der unbefriedigende sexuelle Kontakt mit ihr ermöglichen dem Literaten die Erfüllung seiner eigentlichen Bestimmung : der deutschen Sprache Kinder zu machen.11 Auf vielfache Weise wird der Satiriker in der literarischen Welt zum Vater – bald stellen sich auch Söhne ein, mit denen der Herausgeber der Fackel rivalisiert.12
15Vieles von dem, was Kraus hier beschreibt, erinnert an Freuds Begriff der Sublimierung. Freud beschreibt damit Handlungen, die scheinbar nicht mit der Sexualität zusammenhängen, deren treibende Kraft aber der Sexualtrieb ist. Kraus bespricht den sexuellen Ursprung seiner künstlerischen Schaffenskraft offen, doch paraphrasiert er damit Freud keineswegs. Viel eher scheint diese Übereinstimung auf eine gemeinsame Wurzel der Ideen von Freud und Kraus hinzuweisen : auf die Vorstellung von Askese als Grundlage schöpferischer Prozesse, auf eine alte Künstlerideologie also. Vor allem hat diese partielle Übereinstimmung mit Freud Kraus nicht davor geschützt, den Hinweis auf den sexuellen Ursprung eines Kunstwerks, den er doch so oft selbstbewußt besprochen hat, als bedrohlich, ja quälend zu erleben, wenn er von einem Außenstehenden gemacht wurde. Wie sehr Kraus in diesem Hinweis eine Abwertung des Kunstwerkes sah, belegt unter anderem die folgende Strophe aus dem Chor der Psychoanalen im « Traumstück » :
« Man glaubt, daß Gedichte
der Genius verrichte,
das ist blauer Dunst.
Privat onanieren
und für die Welt sublimieren
no ist das eine Kunst ?13 »
16So ist unter der Hand aus dem satirischen Spiel rund um die Impotenz des Mannes, aus der Entscheidung gegen die Glücksmöglichkeit des männlichen Sexes eine Theorie der künstlerischen Produktivität geworden. Doch die Folgen des männlichen Verzichts auf den Sex gehen weiter – in letzter Instanz sind sie die Grundlage einer von Kraus konzipierten Weltordnung. Dem « Mann » und dem « Weib » sind in dieser Weltordnung relativ starre Bereiche zugewiesen : ihm gehört die öffentliche Sphäre, ihr der Sex. Diese Rollenzuweisungen haben bei Kraus ein wenig ein kultisches Element – vielleicht sollte man einmal die Frage stellen, ob die Kraus’sche Prostituierte (bzw. die Schauspielerin) nicht in ähnlicher Weise Priester sind wie es die Künstler sind ; wo der Sex ist, dort ist bekanntlich die Religion nicht fern. Auf jeden Fall hängt die Ordnung des Universums vom Festhalten an der von Kraus konzipierten Rollenzuweisung ab.
17Der sexuelle Charakter der Frau liefert dem Satiriker die Grundlage für die im Titel meines Aufsatzes angesprochene Frauenverehrung. Sie gibt dem Polemiker Anlaß, die zeitgenössische Vorstellung vom männlichen Monopol auf sexuelle Lust entschieden zu bekämpfen – sein jahrelanger publizistischer Kampf gegen die in zahlreichen « Sittlichkeitsprozessen » praktizierte « Hetzjagd auf das schöne Weib » und das dazugehörige publizistische « Halali »14 findet hierin seine Rechtfertigung. Mit aller Entschiedenheit und in heftiger Opposition gegen damalige gesellschaftlich akzeptierte Wertvorstellungen weist Kraus darauf hin, daß « geschlechtliche Betätigung (keine) sittliche Wertminderung bedeute »15. Die Männer müssen also begreifen, daß ihr Sex nur als « Zubehör » des weiblichen, des in gewisser Beziehung einzigen Sexes zählt. Nicht der weibliche Sex bedroht die Weltordnung, sondern die Anmaßung des hochstaplerischen Mannes, der versucht, sich als sexuelles Wesen zu definieren – wenn sich eine « ärmliche Pointe als Hauptsache aufspielt und nachdem sie verpufft ist, das reiche Epos der Natur tyrannisch abbricht. »16, dann wittert Kraus wieder einmal die Gefahr des Weltunterganges. « Frauenverehrung » heißt also zunächst einmal die konsequente Akzeptanz des weiblichen Sexes und die Zuschreibung wichtiger außersexueller gesellschaftlicher Funktionen. Konsequente Akzeptanz heißt, die Augen nicht vor dem « antisozialen Charakter » der Liebe17 verschließen. Dieser « antisoziale Charakter » kann ja die Gesellschaft nicht wirklich bedrohen, solange die Männer die Glücksmöglichkeiten des Sexes bewußt vermeiden und die Frauen von den öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen sind.
18In einem Zeitalter des wieder einmal entdeckten Geschlechterkampfes versucht Kraus hiermit die Konzeption einer Friedensordnung : statt Kampf weist er den Geschlechtern exklusive Aktionsfelder zu. Das ist ein bekannter Aspekt, doch ebenso wichtig scheint mir ein anderer : Kraus konzipiert auch eine Friedensordnung unter den Männern. Die sexuelle Frau gilt ihm von Natur aus als polyandrisch – jede auf Eifersucht oder männliches Besitzstreben zurückzuführende Beschränkung ihres Triebes ist ein Verstoß gegen die Naturordnung. Wenn die Männer diese einfache Wahrheit endlich akzeptieren, wenn sie ihre Eifersucht ablegen, dann verschwindet die Konkurrenz unter ihnen und damit ein notorischer Motor zahlreicher Konflikte. Unter Impotenten braucht man nicht eifersüchtig zu sein – schließlich findet keiner bei der realen Frau wirklich Befriedigung. Die Energien, die ansonsten in Eifersucht investiert werden, können jetzt auf wichtigeres verwendet werden – auf das Werk und die damit verbundenen Konkurrenzmechanismen.
19So ist aus der satirischen Kompensation eines Minderwertigkeitsgefühls und dem Rekurs auf eine ahistorische Anthropologie auf einmal eine Weltordnung geworden. Doch wie so oft schafft gerade das, was sich als endgültige Problemlösung versteht, nur neue Probleme. Denn diese Weltordnung ist ständig bedroht – der Satiriker wittert ein « vaginales Zeitalter », in dem die Frauen den Ausschluß aus der öffentlichen Sphäre nicht akzeptieren und die Männer sich auf ihren Sex besinnen.
20« Frauenverachtung » ist ein Sammelbegriff für die defensiven Waffen zur Verteidigung der bedrohten Weltordnung. Sie gilt vor allem den intellektuellen Frauen, den schöpferischen Frauen und denen, die für die « Frauenrechte » – und das heißt für gleiche Lebenschancen – eintreten. Die Frau, die sich auf dieses Feld begibt, hat ihr angestammtes aufgegeben – daher ist sie nach den ursprünglichen Kriterien zur Messung weiblicher Qualitäten eine Verworfene. Rund um die « Frauenkunst » gibt es daher eine Automatik : « Je besser das Gedicht, desto schlechter das Gesicht »18. Im Umgang mit Frauen, die sich emanzipieren wollen, erhält auf einmal der Phallus, dem ursprünglich keine besondere Funktion zugeschrieben wurde, den Charakter eines Rächers, der die bedrohte Weltordnung wiederherstellt. Eine Phantasie mit dem Titel « Mir schwirrt der Kopf » diskutiert Strategien gegen die Frauenbewegung. Einen Frauenkongreß will Kraus von St. Marxer (ein Schlachthaus in Wien) « Viehtreibern » (wohl solchen, die es « wie das Vieh treiben ») einfangen « und so behandeln (lassen), wie das Geschlecht meint, wenn der Mund Fortschritt sagt. » Das meint wohl eine Vergewaltigung durch einige berufsbedingt kräftigere – also nicht « schöpferische » – Stellvertreter. « Wenn sie die Augen zu verdrehen beginnen », bittet Kraus, « dann rufe man mich » – so werden diese Frauen, denen sich Kraus nicht persönlich nähert, wenigstens umwegig seiner fragmentierten Lust nützbar. Diese – ansonsten dementierte – männliche Lust beherrscht diese Phantasie noch weiter :
« So, meine Herren Damen geht es nicht weiter. Ich will nichts mehr von euch, aber kann ich dafür, daß wenn eine von euch ‘Sombart’ oder ‘Mereschkowski’ sagt oder vom sphärischen Polygon spricht oder Sanskrit plappert, mir der Wunsch ersteht, [ja, so heißt es hier : er-steht, A.P.] sie wenigstens mit einem Aushilfsdiener einer Leihbibliothek gepaart zu sehen, kann ich dafür ? Ich bin pervers, ich hörte wie eine nur einmal den Ausdruck ‘pars pro toto’ gebrauchte, und sofort stellte ich mir vor, daß sie es fünfundzwanzigmal auf ihrem pars pro toto zu spüren bekäme. So geht es nicht weiter. Die Frauenbewegung ist eine Aufregung, aber eine Aufregung braucht einen Abschluß. Stallknechte gönne ich euch nicht ; die gehören für die Vornehmen, die auf den Höhen des Lebens durch Zucht den Abstand von der Natur markieren. Ihr, die es mit der Bildung besorgt, brauchet Schuldiener. »19
21All das, was Karl Kraus der bekämpften « Männerwelt » unterstellt hat – die « Hetzjagd auf das Weib » – praktiziert er nun auch ; seine Aggressionen richten sich nur gegen einen anderen Typus Frau, darin liegt der kleine Unterschied. Auch die so oft von ihm bekämpfte Denunziation von Handlungen als sexuell – also das was angeblich die Psychoanalen tun – finden wir jetzt bei ihrem selbsternannten Antipoden : in einem drucktechnisch aufwendigen Verfahren reproduziert er Bilder von schmerzverzerrten Gesichtern britischer Suffragetten, die gerade auf brutale Weise festgenommen werden, mit der Überschrift : « Der letzte Schrei der Wollust ».20
22Im Kontext der Fackel-Welt erklären sich diese intensiven Aggressionen gegen Frauen wohl aus denen, die Kraus im Regelfall gegenüber seinen Geschlechtsgenossen hatte : wenn die Frauen sich wie Männer benehmen, dann werden sie vom Satiriker auch wie solche behandelt. Aber das ist keine vollständige Erklärung. Aggression gegen Frauen und Frauenverachtung hängen eng mit der Frauenverehrung, der Zuweisung des sexuellen Bereichs an die Frau, zusammen. Will die Frau über diesen Bereich hinaus, versucht sie in die « ureigene Domäne » des Mannes einzudringen, dann bedroht sie das satirische Ich : der sexuell benachteiligte Mann muß fürchten, sein letztes Reservat zu verlieren.
23Die Opposition gegen die intellektuelle Frau hat wohl auch noch einen anderen Grund : der Satiriker ist keineswegs frei von jener so bekämpften männlichen Eifersucht. Der Essay Die chinesische Mauer enthält einen Lobgesang auf die angebliche Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in China : « Die Frau ist in China als Ehefrau wie als Hure so unwissend und ungebildet, wie es der wissende und gebildete Mann braucht, der nicht in dem Wahn lebt, das Weib zur ebenbürtigen Partnerin in seiner ureigenen Domäne machen zu können, und nicht ihre Notwendigkeiten schmälert, indem er ihr Rechte verleiht. »21 Aber was garantiert das besondere Vergnügen mit einer « unwissenden und ungebildeten » Frau ? Gerade die manifeste Sprachgrenze verhindert doch wohl Gemeinschaft. Kraus scheint hier eine andere, regressive und letztlich der Eifersucht entstammende Phantasie kultiviert zu haben. Die « unwissende » Frau ist die, die keinen anderen Gedanken hat, als den des geliebten Mannes : « Die Augen der Frau sollen nicht ihre, sondern meine Gedanken spiegeln. »22 Die « ungebildete » Frau verspricht ganz einfach dem schöpferischen Mann eine höhere Art von « Treue » als ihre intellektuelle Geschlechtsgenossin. Der unterstellt der Satiriker den permanenten Vorsatz, « keinen Geschlechtsverkehr einzugehen »23 Die ästhetische Opposition gegen die Frau, die gute Gedichte macht (also die mit dem schlechten Gesicht), wird so funktional : der Fuchs Kraus erklärt die sexuellen Trauben, von denen er fürchtet, daß sie sich ihm entziehen könnten, für sauer. Erfüllt die Frau die Ansprüche seiner Phantasie, dann kann sie ihm endlich die notwendige Beruhigung geben :
« Nur du hast mich. Wenn scheinbar ich entwandre,
bin ich nicht ich und stets nur eine andre. »24
Annexe
Adorateur de la femme et misogyne
Le titre de cet article provient d’une phrase écrite par Kraus à Otto Weininger à l’occasion de la parution de Sexe et Caractère :« Un adorateur de la femme souscrit avec enthousiasme aux arguments de votre misogynie ».
Il ne sera pas question ici du discours sur la femme qui avait cours au début du siècle. Il a été bien élucidé par Nike Wagner (Geist und Geschlecht, Francfort 1982) et par Jacques Le Rider (Le cas Otto Weininger, Paris 1982). En revanche, l’auteur insistera sur des aspects négligés jusqu’ici.
1) L’obsession de Kraus à vouloir mesurer l’intensité du plaisir sexuel. Il attribue à la femme une supériorité absolue dans ce domaine. Le « moi satirique » de Kraus semble souffrir de ce que Wilhelm Reich appelle « l’impuissance orgastique ».
2) A la femme « exclusivement dominée par la sexualité », il oppose l’homme créateur qui tire ses satisfactions de ce qui ressemble à s’y méprendre à la « sublimation » freudienne.
3) De ces deux prémisses découlent deux attitudes paradoxales :
- le partage des rôles sexuels (polyandrie pour les femmes, impuissance pour les hommes) peut amener les hommes à « un ordre de paix ».
- La contrepartie de cette « paix masculine » est une haine mal dissimulée envers les femmes qui veulent sortir de la condition que ce schéma de pensée leur assigne.
D’où les polémiques acharnées de Kraus contre toutes les tentatives d’émancipation féminine. La femme intellectuelle est vécue comme une menace terrifiante pour « l’ordre du monde » qui sous-tend la pensée de Karl Kraus en matière de sexualité.
A Worshipper of Woman and a Misogyn.
The title of this article is borrowed from a letter written by Kraus to Otto Weininger upon the publication of Sex und Charakter :« A worshipper of Woman enthusiastically agrees with the arguments of your misogyny ».
The current discourse about women at the beginning of the century will not be mentioned here. It has been well studied by Nike Wagner (Geist und Geschlecht, Francfort 1982), and by Jacques Le Rider (Le cas Otto Weininger, Paris 1982).
However, the author will dwell upon some aspects which have been neglected up to now.
1. Kraus’s obsession to measure the intensity of sexual pleasure. In this field, he grants woman absolute superiority . Kraus’s « satirical ego » seems to suffer from what Wilhelm Reich calls « orgastic impotence ».
2. To Woman, « exclusively dominated by sexuality », he opposes Man the creator who draws his satisfactions from something exactly akin to what Freud calls « sublimation ».
3. From those two premises, there follows two paradoxical attitudes :
- the distribution of sexual roles (polyandry for women, impotence for men) can be the basis for an « order of peace » between men.
-the counterpart of this « masculine peace » is an ill-hidden hatred towards the women who endeavour to escape the condition that this pattern of thought sets for them.
Hence Kraus’s bitter polemics against any endeavour for the emancipation of women. An intellectual woman is felt as an awesome threat to the « world order » underlying Kraus’s views about sexuality.
Notes de bas de page
1 Sprüche und Widersprüche, Wien-Leipzig 1924, S. 71.
2 Vgl. etwa Nike Wagner, Geist und Geschlecht, Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne, Frankfurt/M, 1982.
3 Manfred Schneider, Die Angst und das Paradies des Nörglers. Versuch über Karl Kraus, Frankfurt/M, 1977.
4 August Forel, Die sexuelle Frage, München, 1907, S. 235.
5 Pro domo et mundo, Leipzig 1919, S.1.
6 Nachts, Wien-Leipzig 1924, S. 30.
7 Pro domo et mundo, a.a. O., S.1.
8 Sprüche und Widersprüche a.a. O., S. 33.
9 a.a.O., S. 272.
10 zit. nach Nike Wagner, op.cit. S. 272.
11 Kraus benützt dieses Bild in seiner Abrechnung mit Heine, vgl. Werke Bd. 8, S. 190.
12 Vgl. dazu Schneider a.a.O., S. 26.
13 Traumstück, Wien-Leipzig O., J. , S.17.
14 Sittlichkeit und Kriminalität, a.a.O., S. 37.
15 a.a.O., S.134.
16 Nachts, a.a.O., S.9.
17 Die chinesische Mauer, Wien-Leipzig 1930, S.371.
18 F 229, S.1.
19 F 345-346, S. 2 f.
20 F 400-403, S. 67.
21 Die chinesische Mauer, a.a.O., S. 381 f.
22 Werke, Bd. 3, S. 184.
23 Nachts a.a.O., S. 25.
24 Traumtheater, Wien-Leipzig 1924, S. 16.
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