Architekturobjekte
p. 161-212
Texte intégral
Fabriques
1Architektonische Konstruktionen im Garten, wie der Hameau de la Reine, werden meist als Staffagen, sogenannte fabriques, beschrieben. Unter dem Begriff der fabrique werden in der Gartentheorie sowohl Gebäude als auch andere gestaltete Objekte im Garten zusammengefasst. In Hirschfelds Theorie der Gartenkunst folgt beispielsweise auf die allgemeine Bestimmung der Funktion von Gebäuden im Garten die Analyse einzelner Gruppen von Architekturen: »Tempel, Grotten, Einsiedeleyen, Capellen und Ruinen«, »Ruhesitze, Brücken und Thore« sowie »Statuen, Monumente und Inschriften«.1 Die fabrique ist neben der Idee der Natürlichkeit der zentrale Aspekt des jardin anglais und eine Komponente, durch die dieser sich von früheren Konzeptionen des Gartens unterscheidet.2 Wenn dieser Typus als Staffage bezeichnet wird, ist allerdings noch keineswegs klar, welcher Begriff von Architektur einem solchen Bauwerk zugrunde liegt und was dessen Möglichkeitsbedingungen sind. Es geht im Folgenden also um die Frage nach der Funktion, dem Status und der Ästhetik dieser Architekturen im Garten und in der Gartentheorie und darum, diese als die architektonischen und architekturtheoretischen Grundlagen des Hameau de la Reine zu bestimmen.
2In der Encyclopédie wird zwischen zwei Bedeutungen des Begriffs fabrique unterschieden: Jacques-François Blondel schreibt in Bezug auf die Begriffsverwendung in der Architektur, eine fabrique sei die »maniere de construire quelqu’ouvrage, mais il ne se dit guere qu’en parlant d’un édifice. Ce mot vient du latin fabrica, qui signifie proprement forge. Il désigne en Italie tout bâtiment considérable: il signifie aussi en françois la maniere de construire, ou une belle construction; ainsi on dit que l’observatoire, le pont royal à Paris, &c. sont d’une belle fabrique.«3 Bereits in dieser kurzen Passage zur ersten Bedeutung des Begriffs wird klar, dass die fabrique ein eigentümliches Bauwerk ist.
3Die eigentliche Verwendungsweise in der Gartentheorie entstammt jedoch dem Begriffsrepertoire der Malerei, womit die zweite Bedeutung von fabrique genannt ist. Claude-Henri Watelet schreibt in seinem Eintrag für die Encyclopédie, den er später für sein Dictionnaire des arts erweitern sollte: »Fabrique signifie, dans le langage de la Peinture, tous les bâtimens dont cet art offre la représentation: ce mot réunit donc par sa signification, les palais ainsi que les cabanes.«4 Fabriques sind demnach in der Malerei gemalte Architekturen, die unterschiedliche Funktionen erfüllen: Hervorhebung von Größenverhältnissen, Ausschmückung der Landschaft, Lokalisierung und Temporalisierung des Bildinhalts sowie Verdeutlichung des Charakters der Landschaft. Watelet erwähnt zwar, dass die fabrique in der Malerei in Gestalt eines Palastes oder einer Hütte auftreten könne, wobei »l’artiste qui la [un palais; Anm. FV] met sous nos yeux nous ennui, tandis qu’on se sent attache par la peinture des ruines d’un grand édifice, ou intéressé par celle d’une simple & pauvre cabane«.5 Für Watelet ist bereits bei der fabrique in der Malerei die wichtigste Funktion ihre Eigenschaft, Rührung hervorzurufen. In diesem Zusammenhang entwickelt er eine Hierarchie der rührenden Architektur, in der symmetrische Gebäude lediglich Gleichgültigkeit, Ruinen und Hütten jedoch Gefühle auslösen.6 Hierin schlägt sich schon Watelets Vorliebe für bestimmte Inhalte und Formen nieder, die in seiner Gartentheorie eine zentrale Stellung einnehmen werden. Um zu rühren, müssten die Maler*innen die Architektur gut studieren, um sicherzustellen, dass die gemalten Gebäude nicht »inconstruisibles ou près de s’écrouler« seien.7 seien. Zugleich solle sich aber auch die Architektur der Malerei zuwenden, womit Watelet der Baukunst auch malerische Qualitäten attestiert und bereits diejenigen Qualitäten erwähnt, die dann in der Gartentheorie auf den Begriff der fabrique gebracht werden sollten.
4Erst ab den 1770er Jahren fand der Begriff dann Verwendung für Konstruktionen, die im Garten errichtet wurden. Die Übertragung aus der (Landschafts-)Malerei und die übereinstimmende Begriffsverwendung bezeugen dabei die Orientierung der Gartenbaukunst an den Prinzipien dieser Disziplin. Verwendet Watelet den Begriff der fabrique in seinem Dictionnaire des arts noch nicht explizit für gebaute Elemente des Gartens, zieht er dennoch einen Vergleich zwischen gemalten Architekturen und Architekturen im Garten: »Les accidens pittoresques, attachés aux destructions & à la pauvreté, l’emportent en effet sur ceux de la perfection conservée & de la richesse fastueuse; & jusques dans les imitations dont on embellit avec tant d’affectation aujourd’hui les jardins qu’on appelle à l’angloise, on donne la préférence aux donjons ruinés, aux ponts brisés & aux baraques même, sur les constructions régulières.«8 Er setzt hier die malerische Qualität des Landschaftsgartens voraus, damit dieser als Vorbild für die Malerei dienen kann, und zwar hinsichtlich der Frage, welche Gebäude einen besonders pittoresken Effekt erzielen. Ohne dies bereits so zu benennen und den späteren Begriff der fabrique dafür zu verwenden, beschreibt er die eigentliche Funktion der Architekturen im Garten: Sie sollen Rührung (»affectation«) hervorrufen.
5Noch eine weitere Stelle in Watelets Erörterung der fabrique in der Malerei ist für die Übertragung auf den Garten wichtig. Er spricht sich hier dezidiert gegen symmetrische Gebäude als fabriques aus, da man deren Gesamtheit schon von der Ansicht nur einer Seite erkenne, unregelmäßige Gebäude verhießen hingegen »mouvement«.9 Genau diese Forderung wird auch für fabriques im Garten aufgestellt, die nun zwar nicht mehr nur von einer Seite – wie durch das Medium der Malerei eingeschränkte Gemälde – in den Blick genommen werden, aber dennoch durch eine abwechslungsreiche Gestaltung die Betrachter*innen affizieren sollen. Die Gebäude des Hameau de la Reine mit ihren zahlreichen Anbauten, die sich oft erst beim Umschreiten zu erkennen geben, tragen genau diesem Anspruch Rechnung.
6Während in Watelets Essai sur les jardins der Begriff der fabrique nicht fällt und er sich darin auch nicht mit Gartengebäuden ausführlicher auseinandersetzt, nehmen sie in den gartentheoretischen Schriften von Thomas Whately, Jean-Marie Morel und Christian Cay Lorenz Hirschfeld einen zentralen Platz ein. Aus ihnen lassen sich die wichtigsten Merkmale und Funktionen der fabrique herausdestillieren: Objekthaftigkeit, Referentialität, Expressivität und Charakter.
Objekthaftigkeit
7»Die ursprüngliche Bestimmung der Gartengebäude«, so Hirschfeld, liege im »nützlichen Gebrauch«.10 Er erwähnt etwa die Funktion des Unterstands und übernimmt damit ein Argument von Whately, der in seiner Gartentheorie vom selben Ursprung der Gartengebäude ausgeht.11 Jedoch sei diese »Bestimmung […] nachher fast ganz in eine andere verwandelt worden, da der Geschmack sie als Mittel der Verschönerung betrachten lernte, und ihnen daher Form, Zierlichkeit, Charakter und Lage zu bestimmen anfieng, indem man sich vorher auf die Bequemlichkeit ihrer innern Einrichtung eingeschränkt hatte«.12 Daraus folge allerdings nicht, dass die Gartengebäude nun jeglichen nützlichen Gebrauchszwecks entbehrten, viel eher könne die ursprüngliche Eigenschaft erhalten bleiben, ohne dass sie dabei zum ausschlaggebenden Kriterium werde. Die fabriques übernehmen jedoch vordergründig eine ästhetische Funktion.
8Auch Morel macht gleich im ersten Satz seines Kapitels »Des Bâtiments« deutlich, unter welchem Gesichtspunkt Gebäude für den Garten von Interesse sind und welcher Auffassung von Architektur sie unterliegen: »Ce n’est pas de la construction qu’il s’agir ici, elle est la science de l’Architecte: ce n’est pas positivement de la décoration qui en est l’art. J’envisagerai les bâtiments par leur expression & leur caractere.«13 Hier wird klar, dass die vitruvianische Trias von firmitas, utilitas und venustas keine Gültigkeit mehr für den Architekturbegriff der fabrique besitzt. Entsprechend will Morel sie als einen neuen Zweig der Architektur verstehen, den er ebenfalls von der Malerei herleitet: »Les bâtiments, envisages sous ce point de vue, sont ce que dans la Peinture on nomme ›fabrique‹: expression dont je me servirai, pour designer tous les bâtiments d’effet et toutes les constructions que l’industrie humaine ajoute à la Nature, pour l’embellissement des Jardins; et si, comme tels, l'Architecture s’en empare, ce sera une nouvelle branche ajoutée à cet art précieux qui suppose déjà tant de connaissances & de goût, & dont les productions sont aussi admirables que son objet est utile.«14 Die Aufgabe der Architektur im Garten sei es, »de […] donner extérieurement l’expression que le Jardinier en attend, pour le charme & la vérité de ses tableaux«.15 Die fabrique besitzt demnach einen Doppelcharakter: Sie ist sowohl schmückendes Beiwerk als auch – und notwendigerweise, um überhaupt dem »natürlichen« Garten zur Zierde zu gereichen – Garant für die Echtheit (»vérité«) der dargestellten Situation.
9Morel verdeutlicht, dass die fabrique »un objet accessoire dans le paysage« sei,16 ein Ziel verfolge und eine Intention habe: »[…] ce but & cette intention doivent se manifester au premier coup d’œil par la forme sous laquelle elles [les fabriques; Anm. FV] se présentent, & par la place qu’elles occupen. Comme fabriques, elles ornent une perspective; mais, comme convenance, elle ajoutent au caractere & à l’effet d’une scène.«17 Wichtig ist dabei, dass Morel die fabrique als ein Gebäude wie jedes andere auch versteht. Damit ist jede fabrique durch eine je spezifische convenance gekennzeichnet, wodurch sie nicht nur der Ausschmückung einer Szene (wie andere Elemente im Garten, etwa Bäume, Pflanzen, Wege oder Wasserläufe) dient, sondern dieser auch eine spezifische Bedeutung verleiht. Morel konkretisiert diese nicht nur schmückende, sondern vor allem Charakter gebende und dadurch Rührung hervorrufende Eigenschaft der fabrique folgendermaßen: »[…] un site, qui n’est que champêtre, acquerra l’attrait touchant de la simplicité, par une humble chaumiere.«18 Erst durch fabriques wird der Charakter einer Szene deutlich, sodass diese in Rührung zu versetzen vermag, durch sie wird das Wesen eines Ortes verdeutlicht.19 Für Hirschfeld, der sich an diesem Punkt stark an Morel orientiert, erlangen Gebäude sogar einen Status des »Fast-Natürlichen«: »Wenn gleich Gebäude Werke von der Hand des Menschen sind, so gehören sie doch mit zur Landschaft, als ein fast unentbehrliches Zubehör.«20 Auch diese Argumente von Morel und Hirschfeld beruhen im Kern auf der Idee, dass die fabrique ein authentisches Objekt darstelle und wie ein authentisches Objekt wirken müsse, obgleich diese Authentizität erst künstlich hergestellt werden muss. Auch hier trifft Hirschfelds Oxymoron der »wirkliche[n] Darstellung«21 für die Beschreibung eines Prozesses zu, um dessen Kunstcharakter man auf reflexiver Ebene zwar weiß, was aber auf wirkungsästhetischer Ebene vergessen gemacht werden muss.
10Was bedeutet es aber, dass Architektur den Status eines Objekts erlangt, und zwar eines Objekts, dessen primäre Funktion in seiner ästhetischen Wirkung besteht? Whately stellt die Idee von Architektur als Zweckmäßigkeit der Idee von Architektur als Objekt gegenüber, wobei sie als Pole den Anfang und das gegenwärtige Ende der Entwicklung von Gartengebäuden markieren: »Buildings were probably first introduced into gardens merely for convenience, to afford refuge from a sudden shower and shelter against the wind; […] they have since been converted into objects; and now the original use is too often forgotten in the greater purposes to which they are applied; they are considered objects only; the inside is totally neglected; and a pompous edifice frequently wants a room barely comfortable.«22 Die Architektur wird demnach zum Objekt, weil ihre praktische Funktion – die sich, folgt man Whately, vor allem über das Innere erschließt – zugunsten einer rein äußerlichen Wirkung an Bedeutung einbüßt. Zwar kennzeichnet Whately diesen Vorwurf durch seinen polemischen Stil als Übertreibung und argumentiert etwas später, dass Gebäude im Garten »ought to be considered both as beautiful objects, and as agreeable retreats«.23 Doch ist das Äußere und Objekthafte auch für ihn der Hauptaspekt, der eine fabrique ausmacht: »But though the interior of buildings should not be disregarded, it is by their exterior that they become objects; and sometimes by the one, sometimes by the other, and sometimes by both, they are entitled to be considered as characters.«24 Durch ihre Objekthaftigkeit erreicht die fabrique demnach ein höheres Maß an Eindeutigkeit und bildet so einen spezifischen Charakter aus.
11Viel wichtiger ist jedoch, dass durch die Objekthaftigkeit ein Authentizitätseffekt bewirkt wird, durch den nicht nur die Behauptung von der Echtheit des Gebäudes möglich wird, sondern diese lediglich an der Äußerlichkeit einer Architektur festgemacht, also von einer zweckmäßigen Funktion abgekoppelt wird. Authentizität bedeutet in diesem Fall nicht, dass die fabrique mit ihrem »realen« Pendant, etwa einer Pagode in China oder einer antiken Tempelruine, verwechselt werden kann, sondern umfasst vielmehr das, was man wirkungsästhetische Authentizität nennen könnte: Die fabrique entfaltet eine authentische Wirkung. Obwohl das Gelingen einer mimetischen Nachahmung dabei kein zu vernachlässigendes Kriterium darstellt, ist primär ausschlaggebend, wie damit eine dem Original entsprechende – oder zumindest von diesem erwartete – Wirkung erzeugt wird.25 Dadurch, so die Annahme, wird ein authentischer Charakter hervorgebracht, bei der Referenz und Referent identisch sind.
Referentialität
12Auf was verweisen die fabriques dann genau, worin besteht ihre Referentialität? Man kann eine Einteilung in fünf Bereiche vornehmen: 1. fabriques, die Phänomene aus der freien Natur nachahmen: Felsen und Grotten;26 2. antikisierende fabriques, die – teilweise in Ruinenform – auf die Architektur der griechischen und römischen Antike verweisen; 3. mittelalterliche fabriques, die ebenfalls oft die Form einer Ruine annehmen und beispielsweise Türme, Mauern oder (gotische) Kirchen darstellen; 4. exotische fabriques: Pagoden, Pyramiden, Moscheen etc.; 5. vernakuläre fabriques: Hütten, rustikale Häuser, Bauernhöfe etc.27
13Alle fabriques zeichnet demnach eine raumzeitliche Referentialität aus. Der ästhetische Eigenwert eines Gartengebäudes ist nur ein Aspekt, der jedoch dem Anspruch einer möglichst erfolgreichen – das heißt: erkennbaren – Verweishaftigkeit untergeordnet ist. Die expressive Objekthaftigkeit der fabrique stellt sicher, dass der Verweis auch eindeutig erkennbar bleibt. Hinsichtlich des Umgangs mit den zeitlichen und räumlichen Referenzen der fabrique gibt es zwei konträre Haltungen, für die beide auf unterschiedlichen Ebenen die Idee der Echtheit wichtig ist: Die eine versteht den Garten als Ort, an dem möglichst unterschiedliche fabriques untergebracht werden sollen; die andere spricht sich hingegen für eine konsistente Verwendung von fabriques aus, die inhaltlich zueinander passen sollen.
14Für William Chambers, der der ersten Lesart zuzuordnen ist, wird der Garten durch die in ihm platzierten fabriques zu einem »Assoziationsraum«28, in dem disparate geografische Regionen, Zeiten und Kulturen mittels der Architektur aufgerufen werden. In den Londoner Kew Gardens kam entsprechend der Anspruch zum Tragen, dass sich auf »engem Raum die Welt im Kleinen versammeln« solle.29 Ein ähnliches Programm verfolgte auch der Gartenarchitekt Louis Carmontelle in der für den Duc de Chartres gestalteten Anlage Monceau: Der Garten sei ein »pays d’illusion«, denn nur die Illusion bringe Vergnügen.30 Der Garten solle durch fabriques funktionieren wie »les changements de Scene des Opéra«.31 Entsprechend stehen bei ihm die Kombination und die Multiplikation als wichtige Kriterien im Zentrum. Der Garten solle zudem nicht nur solche fabriques präsentieren, die man schon kenne, sondern er erwartet vor allem »des moyens neufs, variés, imprévus«.32 Diese Haltung geht folglich von einer grundsätzlichen Austauschbarkeit der fabriques aus, wichtig sind allein die Abwechslung und die Möglichkeit, mittels der Architektur eine zeitlich und räumlich entfernte Referenz aufzurufen. Fabriques sind hier nicht im Sinne einer authentischen Ortsspezifik, also für den Charakter eines Ortes, interessant, sondern für das genaue Gegenteil: die illusionistische Vergegenwärtigung eines anderen Ortes. Um dies zu erreichen, sollen die fabriques nicht nur möglichst realistisch anmuten, sondern es wird von ihnen auch erwartet, dass ihr Erscheinungsbild möglichst auf authentischen Quellen beruht. Andrea Siegmund bezeichnet dies als »enzyklopädische Zusammenstellungen von Architekturstaffagen unterschiedlicher Stilrichtungen«,33 womit auch die Tatsache benannt ist, dass die fabriques ebenfalls ein (populär-)wissenschaftliches Interesse bedienen und damit durch eine ästhetisch-epistemische Doppelung gekennzeichnet sind.
15Die Mehrzahl der garten- und architekturtheoretischen Schriften nimmt eine konträre Haltung zu den beiden erwähnten Beispielen, Kew Gardens und Monceau, ein und formuliert eine Kritik an der exzessiven Errichtung unterschiedlichster fabriques, deren Kern die Widersprüchlichkeit verschiedener Baustile an einem Ort betrifft – eine Kritik, die letztlich darauf zielt, die Funktion der fabrique als Charakterisierung eines Ortes wieder in ihr Recht zu setzen.34 Claude-Nicolas Ledoux schreibt beispielsweise: »Quelle contradiction! Des fabriques moresques, tudesques; des ruines gothiques, la complication de toutes les scènes, les quatre parties du monde, renfermées dans l’unité d’un arpent de demi de terre environ.«35 Ausführlicher wird die Zusammenführung zu vieler unterschiedlicher fabriques von Hirschfeld erläutert: »Alle Arten von Gebäuden alter und neuer Zeiten werden ohne Unterscheid in die brittischen Parks aufgenommen; und man erblickt nicht selten einen ägyptischen Obelisk, eine griechische Rotunde, ein römisches Grabmal, eine gothische Kirche, eine türkische Moschee und einen chinesischen Tempel, aus einem einzigen Gesichtspunkt. Man vergißt, bey der Vermengung so mancherley ausländischer Bauarten, die Unschicklichkeit und den Widerspruch der Bewegungen, die dadurch in der Seele erregt werden. Man vergißt, daß Gebäude nicht blos zur Anfüllung eines Platzes, nicht blos zur Bezeichnung und Verschönerung der Prospecte, welches in der That eine noch zu unerhebliche Bestimmung seyn würde, dienen, daß sie nicht bloße Gegenstände, sondern Gegenstände von einer Bedeutung und einem Charakter seyn sollen, der mit dem Charakter des Landes und des Orts besonders harmonirt.«36
16Auch in England äußerte sich bereits ab den 1770er Jahren – also zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich das neue Gartenideal im restlichen Europa erst zu etablieren begann – eine Kritik an den mit fabriques überladenen Gärten. Whately spricht etwa vom »excess« und »abuse«, den die »multiplicity of buildings« brächte.37 Um dies zu vermeiden, empfiehlt er, für jede Szene nicht mehr als zwei oder drei Gebäude zu verwenden, denn »in some a single one has a greater effect than any number«.38 Lediglich für den »effect of a partial sight, or a distant view« toleriert Whately eine größere Anzahl von Gebäuden.39 Kern seiner Kritik ist demnach nicht – wie bei Ledoux oder Hirschfeld – die Widersprüchlichkeit eines Nebeneinanders unterschiedlicher Bautypen, sondern die Überladenheit der szenischen Komposition. In einer solchen Auffassung von der Verwendung der fabriques überlagern sich verschiedene Vorstellungen dessen, was ein Gebäude im Garten zu leisten hat: Weil eine fabrique immer an den »Charakter des Ortes« gebunden ist – beziehungsweise diesen überhaupt erst hervorbringt –, muss der Garten über eine stilistische Kohärenz verfügen, die keine Widersprüchlichkeiten duldet. Selbst wenn das Kriterium der Ortsgebundenheit und -spezifik weniger stark gewichtet wird, steht die Stimmigkeit einer Szene im Zentrum. Die Idee einer authentischen fabrique betrifft hier nicht nur die möglichst realistische Nachahmung des Gebäudes selbst, sondern auch die Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit (»vraisemblance«40) der gesamten Szene. Denn nur Kombinationen von fabriques, deren Vorbilder man auch tatsächlich in der fraglichen Region vorfinden könnte, können die Betrachter*innen rühren.
17Ebenfalls mit dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit rechtfertigt Charles-Joseph de Ligne das Tatarendorf in seinem Garten Belœil: »L’idée de la colonie tartare est bien suivie et possible.«41 Er erklärt dies detailreich, um jedoch anschließend für andere Gebäude seines Gartens ein gegenteiliges Argument anzuführen: »Les autres bâtiments du style de différentes Nations sont peu conséquents […]. Ils ne sont aussi que pour faire quelque effet de teinte et de décoration.«42 Ihnen gesteht er zu, lediglich dekorativen Charakter zu haben, dabei aber dennoch die Funktion zu erfüllen, eine Wirkung hervorzubringen oder zu unterstützen. Dabei gelte es, nur diejenigen Gebäude wahrheitsgetreu nachzubauen, die man auch in einem herkömmlichen Zusammenhang mit Vergnügen wahrnimmt: »C’est ici que la Logique doit céder à l’effet de la Peinture, Sculpture, Architecture, etc. On ne veut pas donner l’air de vérité à ce qu’on reconnaît avec plaisir être illusion, ou citation. Mais quand on n’a pas d’environs intéressants, quand on est dans un pays plat, sans fleuve et sans accidents, il fait être beau sur soi, beau pour soi, se parer et s’aider comme on peut.«43 Er stellt damit die Wirkung über den Realitätscharakter der Darstellung. Ligne spricht sich in diesem Zusammenhang sogar explizit gegen die Verwendung einfacher europäischer Gebäude als fabriques aus, die »on abattroit si on l’y trouvait«.44 In solchen Fällen müsse der Gartenkünstler eben erfinderischer sein. Es verwundert daher nicht, dass die Gebäude des Hameau de Chantilly von ihm kritisiert werden: »Je ne lui [im hameau von Chantilly; Anm. FV] trouve pourtant pas assez l’air d’une citation. A force d’être naturel, il fait regretter d’abord qu’on ne l’ait point abattu.«45 Man müsse in solchen Fällen also immer erkennen, dass es sich um eine »citation« handelt, während eine identische Nachahmung von ländlichen Bauten unschicklich sei. In diesem Argument liegt ein Grund, weshalb die Gebäude des Hameau de la Reine in ihrem Aufbau über eine gewisse Komplexität verfügen und sich damit in eine Opposition zur Reduziertheit des hameau in Chantilly stellen. Der Begriff des Zitats (»citation«) wird von Ligne unscharf verwendet, ist das Zitat doch eigentlich durch die Eindeutigkeit dessen gekennzeichnet, was durch das Zitat wiederholt wird. Ligne meint damit eher eine Anspielung, die weder gekennzeichnet werden muss, noch durch eine Exaktheit bestimmt ist, die aber als ein Element erkennbar ist, das aus einem anderen Kontext in diesen versetzt wurde.
Expressivität
18Was diese Positionen hinsichtlich der Kombination unterschiedlicher (geografischer und historischer) Stile bei all ihrer Verschiedenheit – neben einem auf unterschiedlichen Ebenen anzutreffenden Verständnis von einer »echten« Architektur – eint, ist die Idee der Wirkung, die von einer fabrique ausgehen soll. Die Neuartigkeit des Wirkungsanspruchs von Architektur, den die Gartentheorie als zentrale Eigenschaft einer fabrique formuliert, lässt sich in Abgrenzung vom Skulpturen- und Dekorationsprogramm des klassischen Gartens konturieren.
19Das ikonografische Programm, das quasi alle Gärten vor dem Landschaftsgarten auszeichnete, beinhaltete, so fasst Clemens Alexander Wimmer zusammen, »Naturkräfte (Elemente, Tages- und Jahreszeiten, Faune, Nymphen), Gottheiten, Tugenden, historische Personen (Kaiser- und Dichterbüsten), lokale Personifizierungen (Erdteile, Flüsse), Eigentümer und groteske Figuren (Gnome) […]«.46 Selbst Gebäude im frühen Landschaftsgarten (zum Beispiel in Chiswick, Hagley und Stowe) waren noch durch eine Skulpturen- und Architekturverwendung gekennzeichnet, die emblematische Aufgaben erfüllte.
20Mit dem Landschaftsgarten vollzog sich nun ein Wandel vom Emblematischen hin zum Expressiven. Diese Entwicklung ist dort bei Whately prominent beschrieben, wo er sich auf die Statuen, Inschriften, Vasen und Säulen der früheren Gärten bezieht, um diese von Gebäuden und Objekten im Landschaftsgarten zu unterscheiden: »All these devices are rather emblematical than expressive; they may be ingenious contrivances, and recall absent ideas to the recollection; but they make no immediate impression, for they must be examined, compared, perhaps explained, before the whole design of them is well understood; and though an allusion to a favourite or well-known subject of history, of poetry, or of tradition, may now and then animate or dignify a scene, yet as the subject does not naturally belong to a garden, the allusion should not be principle; it should seem to have been suggested by the scene; a transitory image, which irresistibly occurred; not sought for, not laboured; and have the force of a metaphor, free from the detail of an allegory.«47 Der Ausdruck einer fabrique, ihre Expressivität, bringt demnach eine direkte Wirkung hervor, während die emblematischen Skulpturen erst durch einen hermeneutischen Prozess erschlossen werden müssen. An die Stelle einer vermittelten intellektuellen Auseinandersetzung tritt eine direkte emotionale Reaktion. Entsprechend muss die fabrique auch zum Ort oder zur Szene passen, so, als ob sie dort natürlich vorkomme. Jegliche Anzeichen von Aufwand, die zur Schaffung einer Szene dienen, müssen dabei unsichtbar gemacht werden, um im besten Fall den Eindruck eines »transitory image« zu erzeugen. Whately lehnt folglich auch die Allegorie ab, deren Bedeutung nicht unmittelbar klar ist, als Konvention erlernt und zuerst entschlüsselt werden muss, während die Metapher, für die er sich stattdessen ausspricht, sich durch ihre direkte Verständlichkeit auszeichnet.
21Das Emblem ist von einer eindeutigen Bedeutung oder Botschaft bestimmt, die allerdings verschlüsselt dargestellt wird. Die Bedeutung eines Emblems ist nicht an ein Medium oder eine bestimmte Form gebunden. Die expressive fabrique steht dazu in einem Kontrast: Sie kann nur in einem bestimmten Medium und in einer bestimmten Form entstehen. Die Bedeutung der fabrique ist zwar ebenfalls durch ein hohes Maß an Eindeutigkeit gekennzeichnet, doch betrifft dies nicht eine unmissverständliche Botschaft, die es zu vermitteln gilt, viel eher bleibt diese vage. Zudem ist die Bedeutung der fabrique nicht verschlüsselt, das heißt sie ist unmittelbar zu erfassen – zwar können sich noch weitere Bedeutungsebenen eröffnen, die über die bloße Darstellung hinausgehen, doch sind diese nicht essenziell für das Verständnis der fabrique.48
22Eine solche Konzeption der fabrique gibt zu erkennen, dass sie innerhalb eines größeren kulturellen Umbruchs entstanden sein muss. Man kann hier eine Parallele zur Entwicklung der Malerei ziehen: Werner Busch bestimmt die Konsequenzen der Genremalerei im 18. Jahrhundert als eine »Verschiebung von inhaltlicher zu formaler Priorität« und als eine »Verlagerung des Interesses an objektiver Sinnsetzung hin zu einem Interesse an den Formen von Sinn- oder besser noch Bildproduktion«.49 Diese Bewegung lässt sich auch in der Etablierung der fabrique im Garten nachweisen, und zwar auf zwei miteinander verschränkten Ebenen: Einerseits werden mit der Idee der fabrique, wie in der Genremalerei, »alle Gegenstände gleich kunstwürdig«,50 denn antike Tempel, chinesische Pagoden und rustikale Hütten sind nun als Gartengebäude gleichwertig; sie stehen in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander, sondern besitzen lediglich einen je eigenen Charakter. Damit verbunden treten nun, andererseits, dem zuvor noch gültigen Prinzip der Allegorie (beziehungsweise Emblematik) mit seinem eindeutig bestimmbaren Inhalt der individuelle Ausdruck und die subjektive Wirkung eines Gartengebäudes entgegen.51
Charakter
23Der Begriff des Charakters bezeichnet eine wichtige Denkfigur, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in zahlreichen Diskursen eine Neubewertung erfuhr. In den gartentheoretischen Werken galt es bereits als gesetzt, dass Gebäude über einen Charakter verfügen. Um diese vorgebliche Selbstverständlichkeit zu erklären, lohnt sich ein Blick auf andere Felder, in denen es zu einer Auseinandersetzung mit der Idee des Charakters kam. Prominent wandte sich beispielsweise Denis Diderot mit der Hervorhebung des Charakters in seiner Theatertheorie gegen einen rein negativen Gebrauch des Begriffs, wie er noch im Theater Molières als Mittel der Übertreibung begegnete. Unter dem Vorzeichen eines »Theaters der Echtheit«52 diente der Charakter nun der Plausibilisierung der Authentizität der Protagonisten und ihrer sozialen Lebensumstände. Charakter meint bei Diderot nicht die Festlegung auf eine begrenzte Anzahl von konventionalisierten Charakteren, sondern das je Individuelle, das aber eindeutig als ein bestimmter Charakter erkennbar bleibt. An den Begriff des Charakters ist damit auch die Vorstellung des Authentischen gebunden, da jede*r über einen eigenen individuellen Charakter verfüge.
24Etwa gleichzeitig mit Diderot – und mit ähnlichen Nuancen – avancierte auch in der Architekturtheorie, ohne dass es zu einer direkten Übernahme aus der Theatertheorie kam, der Begriff des Charakters zu einer zentralen Idee. Als systematischer Begriff tauchte caractère zuerst bei Germaine Boffrand auf.53 Bei ihm soll durch den caractère des Gebäudes etwas über die Bewohner*innen und weniger über die Funktion des Bauwerks ausgedrückt werden. Die Architektur wird damit zu einem »Ausdrucksträger von Inhalten«54 und vermag es dadurch, mittels ihres Charakters eine gezielte Wirkung auf die Betrachter*innen auszuüben. Zwar sollte die Architektur seit jeher etwas ausdrücken und auch etwas über den Status der Bewohner*innen vermitteln, doch veränderten sich nun ihre Sprache und ihre Wirkung. Nicht das konventionalisierte und am sozialen Status der Besitzer*innen ausgerichtete Dekorum – das, wohlgemerkt, auch nicht von jedem dechiffrierbar ist – kennzeichnet demnach ein Gebäude, sondern jedes Gebäude besitzt einen Charakter, der direkt erkennbar ist und eine Wirkung auf die Betrachter*innen entfaltet. Auch wenn diese Wirkung teilweise wiederum konventionalisiert wurde,55 waren die Aufwertung der Kategorie der Wirkung und die damit verbundene Behauptung des Charakters eines Gebäudes ein wichtiger Schritt hin zur Auflösung eines klassischen Architekturverständnisses. Unter diesen Vorzeichen konnte eine ursprünglich rangniedere maison größer und eleganter gestaltet sein als ein gegenüber dieser höher stehendes hôtel particulier, weil der soziale Status nicht mehr am Dekorum ablesbar war.56 Die Idee des Charakters in der Architektur bildete somit einerseits die Grundlage für die sich in diesem Kontext entwickelnde architecture parlante, andererseits war damit ein Begriff von Architektur formuliert, der auch für die Idee der fabrique große Relevanz hatte.
25Die Definition der Kategorie »Charakter« blieb in der Gartentheorie allerdings oberflächlich und diffus. Es lässt sich kein Nachweis dafür erbringen, dass die Autoren konkrete Ideen aus der Architekturtheorie rezipierten, jedoch waren beide Teil desselben Diskursmilieus und kamen zu ähnlichen Ergebnissen.57 Offenkundig galt es in beiden Bereichen als gesetzt, dass Gebäude über einen Charakter verfügen. Die Funktion, die dem Charakter einer fabrique in der Gartentheorie zukam, ist einfach zu bestimmen. Der Charakter eines Gartengebäudes diente der »Belebung einer Gegend«58 und damit der Bestimmung einer Szene:59 »As objects, they are designed either to distinguish, or to break, or to adorn, the scenes to which they are applied.«60 Laut Whately sind es überhaupt erst Gebäude (allerdings Gebäude »as objects«), die einem Ort einen Charakter verleihen, denn die »differences between one wood, one lawn, one piece of water, and another, are not always very apparent«;61 fabriques werden damit zu einem »mark of distinction«.62 Er verdeutlicht dies an einem Beispiel: »[…] if a character becomes them [fabriques; Anm. FV], it is that of the scene they belong to, not that of their primitive application: a Grecian temple, or Gothic church, may adorn spots where it would be affectation to preserve that solemnity within, which is proper for places of devotion; they are not to be exact models, subjects only of curiosity or study; they are also feats; and such feats will be little frequented by the proprietor; his mind must generally be indisposed to so much simplicity, and so much gloom, in the midst of gaiety, richness, and variety.«63 Die fabrique wurde demnach nicht mehr bloß als Ausschmückung verstanden, sondern sie sollte einem Ort eine tiefere Bedeutung verleihen. Weil der Charakter der fabrique damit immer an eine bestimmte Stimmung eines Ortes gebunden war (oder diese erst hervorbrachte oder zumindest zu steigern versuchte), verbot sich die Kombination von unterschiedlichen fabriques – zumindest galt das in der Theorie, während der Forderung in der Praxis kaum Rechnung getragen wurde. Lediglich solche Gebäude, die »mit dem Charakter des Landes und des Orts besonders harmonier[en]«,64 waren somit erlaubt. Für den Garten war damit nicht nur der Charakter eines Gebäudes per se relevant, sondern es wurde mittels des Charakters immer auch ein Ort markiert, wodurch eine andere Ebene der Behauptung von Authentizität beziehungsweise der Erzeugung von Authentizität zum Tragen kam. Die fabrique sollte dabei helfen, den tatsächlichen, authentischen Charakter eines Ortes hervorzuheben oder gar erst hervorzubringen. Die fabrique wurde somit nicht als künstliches Versatzstück verstanden, sondern als ein Objekt, das als »fast unentbehrliches Zubehör«65 zu diesem Ort gehörte.
26Damit eine fabrique überhaupt einen Charakter ausbilden kann beziehungsweise damit ihr Charakter wahrgenommen werden kann, muss sie über eine gewisse Expressivität verfügen, die wiederum durch ihre Objekthaftigkeit unterstützt wird.66 Weil die wenigsten fabriques für einen üblichen Gebrauch (etwa als Wohnstätte) bestimmt waren und damit nicht über dieses Kriterium definiert werden konnten, war für ihren Charakter primär ihre Gestaltung als expressives Objekt maßgeblich. Zudem muss die Darstellung – also die sinnlich wahrnehmbare Form – eine Balance zwischen dem Typischen und dem Spezifischen des Dargestellten wahren. Michael Gamper und Helmut Hühn beschreiben einen Begriff von Darstellung, der auch für diesen Zusammenhang Gültigkeit besitzt: »Darstellung präfiguriert, produziert und interpretiert das Dargestellte, wobei sie sich selbst markiert und exponiert.«67 »Darstellung« verfügt darüber hinaus über ein »Fiktions- und Konstruktionsbewusstsein, Selbstreferenz und materielle Konkretion«.68 Diese Parameter beschreiben auch die fabrique: Denn wenn der Prozess der Darstellung ein Objekt aus seinem ursprünglichen Zusammenhang herauslöst und dadurch eine Bedeutung festlegt, dann werden durch fabriques bestimmte Phänomene – sei es eine bestimmte »Stimmung«, sei es die Vorstellung von Authentizität schlechthin – sichtbar gemacht beziehungsweise als solche überhaupt erst hergestellt. Ebenso sind Selbstmarkierung und Exponierung konstitutiv für fabriques.69 Ferner zeigt sich in den fabriques die Dialektik von »Konstruktionsbewusstsein« auf der einen und »Selbstreferenz und materielle[r] Konkretion« auf der anderen Seite, denn eine fabrique stellt eine Nachahmung – wenn auch oft ohne konkretes Vorbild – dar und muss als solche auch reflexiv wahrnehmbar werden, zugleich aber die Wirkung entfalten, als ob sie »echt« sei. So sehr wie sie von einer externen Referenz (einer äußerlichen Realität) abhängig ist, so sehr verweist sie auch auf sich selbst (als zweite Realität) und vollzieht diesen doppelten Verweis in einer spezifisch materialisierten Form. Hirschfeld spricht hier von der »wirkliche[n] Darstellung«.70 In dieser Hinsicht steht die fabrique quer zu einem klassischen Verständnis von Architektur, das zwar Architektur als nachahmende Kunst begreift, jedoch, so Vidler, »by imitating nature less directly than the other arts, more by analogy than appearance«.71 In Form einer fabrique wird das gesamte Äußere – nicht mehr nur bestimmte Elemente der Fassade oder die Imitation von Konstruktionsprinzipien – zu einer Darstellung von etwas.
Ferme ornée
27In seiner Kritik an den parcs anciens, womit der formale französische Garten gemeint ist, wendet sich Watelet auch gegen dessen Emblematik: »Je préférerois aux scènes les plus artistement décorées, des hameaux dont les habitans heureux de mon bonheur, aisés de mon superflus, soulagés dans leurs maux, offriroient des tableaux animés & intéressants pour les ames sensibles; & je serois bien plur sûr de ses effets simplement humains, que de ceux du genre terrible, pathétique & emblématique.«72 Anstelle eines emblematischen Skulpturenprogramms möchte Watelet im Garten fermes ornées etablieren, die er in seinem Essai sur les jardins bereits ausführlich beschrieben und als die einzig richtige Form der Gartengestaltung auserkoren hat.
28Der Hameau de la Reine wird oft als ferme ornée bezeichnet, unterscheidet sich von ihr aber in einigen Punkten.73 Entsprechend soll hier argumentiert werden, dass er eine eigenständige Bautypologie, die des hameau, repräsentiert. Der Begriff des hameau fällt zwar in Watelets Essai sur les jardins, jedoch stellt er darin noch kein eigenständiges Konzept dar.74 Die Beziehung zwischen fabrique, ferme ornée und hameau lässt sich anhand von zwei Entwicklungstendenzen pauschalisieren, wenngleich die tatsächliche Entstehung komplexer verlief: Einerseits entwickelte sich die ferme ornée als eine besondere, das heißt ästhetisch aufgewertete Form des Bauernhofs oder Landguts. In diesem Fall, der vordergründig in England begegnet, hat die ferme ornée mit der Idee der fabrique nur wenig zu tun. Andererseits entstand – vor allem in Frankreich und Deutschland – eine Version der ferme ornée, die schließlich sowohl den eigenständigen Typ des hameau oder Dörfle ausbildete, als auch stärker auf der Idee der fabrique beruhte. Beide Phänomene näherten sich demnach von zwei gegensätzlichen Seiten an: Auf der einen Seite ging es um die ästhetische Transformation einer Nutzarchitektur, womit die ferme ornée das Ende eines Prozesses markierte, der primär die Veränderung tradierter Formen landwirtschaftlicher Gebäude innerhalb gartenkünstlerischer Kontexte betraf. Auf der anderen Seite standen die Einführung einer Ästhetik des Ländlichen, Dörflichen und Vernakulären – einer Ästhetik, die als Teil des Folklorismus zu beschreiben sein wird – in Gartenräume und damit die Aufwertung vormals marginalisierter Architekturen, wenngleich diese nun in idealtypischer und formal überhöhter Weise in Erscheinung traten. Obwohl beide Entwicklungen unterschiedliche Ausgangspunkte hatten und zu einem jeweils anderen Ergebnis führten, vollzogen sie sich nicht unabhängig voneinander. Viel eher ist von einem Verhältnis der Aneignungen, Transformationen und von teils widersprüchlichen Bezugnahmen auszugehen. Beiden Tendenzen ist gemein, dass sie ihre Identität durch die (verschleierte) Negation der herkömmlichen Landwirtschaft gewannen: Die ferme ornée englischer Prägung entwickelte für die Landwirtschaft eine für diesen Bereich bis dato beispiellose Architektursprache, die auf andere Bauaufgaben verwies und damit einen Bruch mit vorhandenen Modellen der Landwirtschaft markierte. Im Gegensatz dazu waren hameaux und Dörfle durch die Übernahme und Idealisierung einer vernakulären Architektur gekennzeichnet, wobei eine funktionierende Landwirtschaft keine notwendige Bedingung mehr darstellte.
29Landwirtschaftliche Nutzbereiche waren schon immer Teil größerer Gartenanlagen gewesen.75 Die fermes ornées und hameaux stellten keine Transformation dieser wenig beachteten, ausschließlich funktionalen Bereiche dar, sondern etablierten einen eigenständigen Bereich, der vordergründig durch seine ästhetische Qualität gekennzeichnet war. Entsprechend gilt es danach zu fragen, auf welche Weise, mit welchen Effekten und auf welcher Grundlage diese Architekturen in den Garten Einzug hielten; denn sie verkörperten keineswegs bloß die Integration der Agrikultur in den Garten.
30Der Begriff der ferme ornée taucht zuerst im Anhang zur zweiten Auflage von Stephen Switzers Ichnographia Rustica auf:76 »This Taste, so truly useful and delightful as it is, has also for some time been the Practice of some of the best Genius’s of France under the Title of La Ferme Ornée. And that Great-Britain is now likely to excel in it, let all those who have seen the Farms and Parks of Abbs-Court, Riskins, Dawley-Park, now a doing, with other Places of like Nature declare.«77 In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen sich jedoch in Frankreich keine fermes ornées nachweisen. Viel eher ist der Begriff eine Neuschöpfung von Switzer, der durch die Behauptung eines französischen Ursprungs vorzugeben suchte, dass dieser Begriff und damit auch das dazugehörige Phänomen bereits bestanden habe und nun auch in England Verwendung finden könne.78
31Noch vor Switzer entwickelte Joseph Addison in einem Artikel im Spectator im Jahr 1712 die Idee der ferme ornée, ohne allerdings einen eigenen Begriff dafür einzuführen. In seinen kritischen Einlassungen zum Barockgarten stellt er die Frage, ob die Trennung von agrikultureller Nutzfläche und Lustgarten hinfällig sei und man nicht besser beides miteinander vereinen solle: »It might, indeed, be of ill Consequence to the Publick, as well as unprofitable to private Persons, to alienate so much Ground from Pasturage, and the Plow, in many Parts of a Country that is so well peopled, and cultivated to a far greater Advantage. But why may not a whole Estate be thrown into a kind of Garden by frequent Plantations, that may turn as much to the Profit, as the Pleasure of the Owner?«79 Addison entwarf hier noch keine konkrete Idee eines neuen Gebäude- oder Gartentyps, doch bildeten seine viel diskutierten Überlegungen zur Verschönerung von Landgütern mit den Mitteln der Gartenbaukunst eine Grundlage, auf der die ferme ornée entstehen konnte.
32Auf Addisons Ausführungen aufbauend, entwickelte Switzer bereits 1715 in einer drei Jahre vor der Ichnographia Rustica erschienenen Schrift sein Konzept des »rural way of gardening«,80 das er auf drei Grundsätze bezog: »Utile qui dulci miscens, ingentia Rura, Simplex Munditiis ornans.«81 Die Horaz’ De arte poetica entlehnte Formel »utile dulci«82 dient Switzer zur Erklärung der »judicious Mixture and Incorporation of the Pleasures of the Country, with the Profits«.83 »Ingentia Rura«, aus Vergils Georgica stammend,84 bezeichne den »extensive Way of Gard’ning«,85 womit Switzer auch die Eingliederung der umliegenden Landschaft meint und sich zugleich gegen eine kleinteilige Aufteilung der Gärten wendet. Mit »Simplex Munditiis« kritisiert er die Künstlichkeit früherer Gartenanlagen, der er eine Orientierung an den Prinzipien der Natur entgegensetzt: »[…] if the Beauties of Nature were not corrupted by Art, Gardens would be much more valuable.«86 Damit sind drei für die gesamte Entwicklung der Gartentheorie gewichtige Prinzipien genannt: Verbindung von Nützlichkeit und Schönheit, Einhegung der Landschaft, (nachahmende) Orientierung an der Natur. Während diese nicht nur die ferme ornée betreffen, weisen sie ihr aber – insbesondere in der von Switzer hervorgehobenen Verbindung von Nützlichkeit und Vergnügen – einen besonderen Platz in der Gartenbaukunst zu. Durch die Dekontextualisierung der Verse von Horaz und Vergil und deren Aneignung für die Gartentheorie behauptet Switzer eine überzeitliche Gültigkeit seiner Ideen: Die Idee der ferme ornée und die des »rural way of gardening« seien keine Neuerungen, sondern die Rückkehr zu einem (verloren gegangenen) Ideal.
33Thomas Whatelys Abhandlung Observations on Modern Gardening stellt die prominenteste und folgenreichste Auseinandersetzung mit der ferme ornée dar. Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens, 1770, bestanden mit The Leasowes und Wooburn Farm bereits die wichtigsten fermes ornées in England, womit eine Grundlage für Whatelys Überlegungen und zugleich für die erste umfangreichere Theoretisierung dieses Phänomens gegeben war. Whately macht vier Gartenbereiche aus: farm, garden, park und riding.87 Zwar ähneln sich alle vier, können sich überschneiden und durchmischen, doch hat jeder Bereich seinen eigenen Charakter (»elegance is the peculiar excellence of a garden; greatness of a park; simplicity of a farm; and pleasantness of a riding«88), eine spezifische Funktion und einen besonderen Stil. Hinsichtlich der Unterscheidung von garden und farm heißt es: »Though a farm and a garden agree in many particulars connected with extent, yet in style, they are the two extremes. Both indeed are subjects of cultivation; but cultivation in the one is husbandry, and in the other decoration: the former is appropriated for profit, the latter for pleasure: fields profusely ornamented do not retain the appearance of a farm; and an apparent attention to produce, obliterates the idea of a garden.«89 In Whatelys Theorie wird die Trennung von Nutzbereichen und Bereichen, die dem Vergnügen dienen, als ein Hauptproblem der Entwicklung des Gartens bestimmt. Die ferme ornée schaffe hier Abhilfe: »[…] and one of the latest improvements has been to blend the useful with the agreable.«90 Die farm wird schließlich in vier unterschiedliche Kategorien eingeteilt: pastoral, ancient, simple und schließlich ornamented farm. Whately vermischt in seinen Ausführungen zu dieser Unterscheidung allerdings Eigenschaften, die kaum eine Vergleichsbasis bieten: Die pastoral farm diene der Nachahmung von in der pastoralen Dichtung entwickelten Vorstellungen der Schäferidylle, die ancient farm der Repräsentation des »lower degree of cultivation«91, wie es England noch vor einigen Jahrhunderten geprägt habe. Die simple farm sei hingegen frei von einem »imitative character«92 und stelle ein einfaches Landgut dar, das aber mit »[s]ome degree of polish and ornament« gestaltet sei. Bei der ornamental farm als Weiterentwicklung der simple farm kommt es aber zu einer noch stärkeren Vermischung von Elementen des garden und der farm. Zwar sind diese Aufteilungen nicht durch eine Trennschärfe gekennzeichnet, doch dienen sie Whately als heuristisches Mittel, um annäherungsweise zu einer Definition der ornamental farm zu gelangen.
34Whately führt seine Überlegungen zur ornamental farm anhand eines einzigen Beispiels, Wooburn Farm, aus und geht damit induktiv vor, wobei er die vorhergehende Definition weitestgehend außer Acht lässt. Whatelys Beschreibung von Wooburn Farm war die bis dato umfänglichste Darstellung einer ferme ornée, die zudem ab 1771 in französischer Übersetzung verfügbar war, also zu genau jenem Zeitpunkt, zu dem mit dem Hameau de Chantilly, der 1774 fertiggestellt wurde, der erste hameau in Frankreich entstand. Auffallend ist in Whatelys Schilderung, dass er zwar die einzelnen Elemente als »elegant decorations«93 beschreibt und auch die wirtschaftlichen Gebäude behandelt, diese jedoch nicht im Vordergrund seiner Analyse stehen. Viel eher geht es ihm um die räumliche Aufteilung der einzelnen Elemente des Gartens. Die farm selbst bildet das Zentrum, um das ringsum ein Garten angelegt ist. Whatelys Interesse richtet sich dabei auf einzelne Szenen, die durch den Rundgang geschaffen werden und die die »more simple delights of the country«94 zur Anschauung bringen. Die ornamental farm ist damit »the means of bringing every rural circumstance within the verge of a garden«.95 Der (dekorative) garden und die (wirtschaftliche) farm sind räumlich getrennt, beziehen sich aber aufeinander, insofern die farm nicht nur eine wirtschaftliche Funktion übernimmt, sondern auch als besonders gestaltete Architektur exponiert und vom Garten aus ansichtig wird.
35Die Architektur der wirtschaftlichen Gebäude der ornamental farm erinnert dann zumeist auch nicht mehr an einen Bauernhof. Stattdessen wird ein großer Aufwand betrieben, um genau diese Referenz zu vermeiden und zugleich aufzuzeigen, dass hier etwas gänzlich anderes als ein herkömmlicher Bauernhof entstanden ist. Wooburn Farm verfügt unter anderem über ein Gothic Cottage (Abb. 82), während ein anderes Gebäude dort an den Palladianismus eines Inigo Jones angelehnt ist (Abb. 83). Ähnliche Referenzen finden sich auch in Hagley, Enville oder Davenport House. Wieder andere englische fermes ornées, so etwa The Leasowes, zeichnen sich durch eine zurückhaltende Architektur aus, weisen dann aber trotz allem Elemente wie beispielsweise ein Palladio-Motiv auf. So verschieden die Baustile sind, so verschieden ist auch die Umsetzung der tatsächlichen landwirtschaftlichen Produktion.
Abb. 82: Samuel Ireland, Wooburn Farm, um 1770, Stich, 11,9 × 17 cm, The British Museum, London

Abbildungsnachweis: The British Museum, London, Inv. Nr. Y,4.603, © The Trustees of the British Museum
Abb. 83: Luke Sullivan, Wooburn Farm, 1759, Stich, 22,8 × 30,5 cm, The British Museum, London

Abbildungsnachweis: The British Museum, London, Inv. Nr. 1866,1208.90, © The Trustees of the British Museum
36Der Begriff und die tatsächliche Gestalt der ferme ornée bleiben daher – das zeigt sich schon allein in Whatelys Ausführungen – äußerst vage. In Bezug auf die ferme ornée in England lassen sich dennoch zwei Punkte festhalten, die für die weiteren Überlegungen maßgeblich sind: Erstens mussten landwirtschaftliche Räume und Gebäude überhaupt als bedeutsam verstanden werden, damit sie schließlich ausgeschmückt werden beziehungsweise eine baukünstlerisch hochwertige Form annehmen konnten. Erst die Nobilitierung von Bauernhof und Länderei selbst – egal ob diese auf ökonomischen, sozialen oder kulturellen Argumenten fußte – machte es möglich, dass deren Gestaltung zu einem wichtigen Faktor in der noch jungen gartentheoretischen Debatte wurde.96 Zweitens liegt darin auch der Grund, weshalb die englischen fermes ornées durch eine Ästhetik gekennzeichnet sind, die der Rustikalität einfacher Bauernhöfe entgegensteht. Mittels der Architektur wurde der Versuch unternommen, den neuen Status der Agrikultur aufzuwerten, indem Wirtschaftsgebäude in Baustilen errichtet wurden, die sonst nur für repräsentative Bauten vorgesehen waren. Nicht zuletzt ist das auch als ein Akt der Differenzierung gegenüber herkömmlichen landwirtschaftlichen Betrieben zu verstehen, mit denen die ferme ornée – so die von dieser zur Anschauung gebrachte Behauptung – nun nichts mehr gemein haben sollte.
Hameau
37Die Idee der ferme ornée war in England bereits 1750 am Aussterben.97 Was von ihr übrig blieb, charakterisiert Douglas Chambers als »a sort of farm museum, a collection of monuments and buildings meant to signify a nostalgia for a rural ideal made increasingly impossible by the enclosures and the gentrification of the rural hierarchy.«98 Mit »farm museum« und »nostalgia« – neutraler müsste man sagen: dem Rückgriff auf die Vergangenheit, während die ursprüngliche ferme ornée durch ein progressives Ideal gekennzeichnet war – sind erste Merkmale benannt, die für die Unterscheidung zwischen ferme ornée und hameau zentral sind.
38Wenn die ferme ornée bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, also zu dem Zeitpunkt, zu dem diese in Frankreich erst auftauchte, an sich gar keine Neuerung mehr darstellte, dann muss man von einer verspäteten Rezeption ausgehen. Ein direkter Import der Prinzipien der fermes ornées lässt sich außerhalb Englands in der Gartenpraxis, im Gegensatz zur Gartentheorie, nur in wenigen Fällen nachweisen. Ihre Entwicklung im restlichen Europa (vor allem in Frankreich) und die Herausbildung eines eigenen Typs des hameau sind damit zugleich als eine Transformation der englischen ferme ornée und als eine ganz eigene Entwicklung zu verstehen, die teils auf anderen Grundlagen basierend eine eigenständige Ästhetik ausbildete.
39Nur frühe Anlagen in Frankreich, die auch teilweise einen expliziten Bezug zu konkreten fermes ornées in England behaupteten, gaben sich noch als ein Versuch zu erkennen, deren Prinzipien auf dem Kontinent zu etablieren. Zu nennen sind hier Ermenonville (1762–1776) und Moulin-Joli (1754–1772).99 Der Marquis de Girardin erblickte in seinem Garten Ermenonville eine französische Version von The Leasowes.100 Der dortige landwirtschaftliche Betrieb folgte ähnlichen Prinzipien, und Girardin setzte sich mit neuen Methoden der Agrikultur auseinander, die er zumindest theoretisch in De la composition des paysages reflektierte.101 In Ermenonville kam es zu einer starken Durchmischung unterschiedlicher Elemente, die räumlich nur selten voneinander geschieden sind. Zudem reichte die Ästhetik der versammelten Architekturen von antikisierenden Ruinen (der Temple de la philosophie moderne) über den »mittelalterlichen« Tour de Gabrielle bis hin zur primitiven Cabane du philosophe, die Girardin für Jean-Jacques Rousseau baute, der wenige Jahre danach in Ermenonville starb. Der Bau der Anlage Moulin-Joli wiederum kann als praktische Auseinandersetzung Watelets mit dem Typus der ferme ornée gelten, mit der er sich ebenfalls theoretisch in seinem Essai sur les jardins befasste – seine Beschreibung der ferme ornée verweist hier bereits auf den Typus des hameau. Moulin-Joli war im klassischen Sinn eine ferme ornée, da die einzelnen Bereiche (formaler Garten, Landhaus, Mühle und andere agrikulturelle Gebäude) voneinander getrennt waren. Jedoch waren die Gebäude der ferme ornée bereits durch einen goût champêtre gekennzeichnet, womit Moulin-Joli sich von den fermes ornées englischer Prägung absetzte und – verbreitet durch zahlreiche Stiche – zum Vorbild späterer hameaux werden konnte. Ein weiteres Beispiel, das sich noch ausdrücklicher über eine tatsächliche Produktivität definierte, war die Anlage des Duc de Liancourt, die größere Wohnstätten für Bedienstete und eine Manufaktur beinhaltete und damit weniger dem Ideal einer (rein) agrikulturellen Produktion der englischen ferme ornée entsprach.102
40Innerhalb der Zeitspanne von nur einem Jahrzehnt bildete sich um 1780 schließlich der neue Typ des hameau heraus, der mit der ferme ornée nur auf den ersten Blick Gemeinsamkeiten aufweist. Frankreich stellte das Zentrum dieser Entwicklung dar, wobei gleichzeitig ähnliche Anlagen in Belgien, Dänemark, Deutschland, Österreich und Schweden auftauchten. Der Bau der hameaux und Dörfle stand in einem engen Wechselverhältnis mit gartentheoretischen Schriften und Musterbüchern, deren Erscheinen im gleichen Zeitraum seinen quantitativen und qualitativen Höhepunkt erreichte. Zwar fand der Begriff der ferme ornée in den meisten gartentheoretischen Schriften weiterhin Verwendung, doch wandelte sich in den meisten Fällen seine Bedeutung. Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Anlagen ist nicht zu vernachlässigen, dennoch ähneln sie sich darin, wie jeweils die agrikulturelle Produktivität gewichtet war, wie die hameaux in einen Garten mit anderen fabriques eingegliedert waren und in welchem Maße ihre Ästhetik durch eine Vorstellung von vernakulärer Architektur gekennzeichnet war. Kursorische Bezugnahmen auf derartige andere hameaux dienen im Folgenden dazu, das Phänomen hameau zu beschreiben, um darauf aufbauend zeigen zu können, dass der Hameau de la Reine den Endpunkt einer Entwicklung markierte, weil er zahlreiche Elemente und Eigenschaften aufgriff, die zuvor bereits in anderen Anlagen entwickelt worden waren. Dabei sind es vor allem drei Aspekte, anhand derer sich die Entwicklung des hameau – gerade auch in Abgrenzung von der ferme ornée – erklären lässt: Produktivität, Raumordnung und Ästhetik.
Ausgestellte Produktivität
41Eine Grundidee der ferme ornée englischer Prägung war die Integration agrikultureller Produktion in den Garten und eine damit einhergehende Aufwertung ländlicher Tätigkeiten, die auf den Begriff der Ästhetisierung gebracht werden kann. Landwirtschaft war hier in einer idealtypischen Ausprägung erfahrbar, das heißt, die Gewichtung zwischen Produktivität und der Darstellung oder Ausstellung von Landwirtschaft fiel zugunsten Letzterer aus.103 In vielen hameaux in Frankreich und in zahlreichen Dörfle in Deutschland verstärkte sich die Gewichtung dieses Verhältnisses nun dahin gehend, dass oft Landwirtschaft nicht mehr betrieben, sondern nur noch zur Schau gestellt wurde. Die Formen, die diese Zurschaustellung annahm, variierten zwischen einer lediglich temporär begrenzten Belebung mit angestellten Schauspieler*innen oder verkleideten Dorfbewohner*innen und der Etablierung eines »authentischen« landwirtschaftlichen Betriebs nach Art des Hameau de la Reine, dessen Funktionieren aber lediglich der Darstellung von Produktivität diente. Agrikulturelle Produktion präsentierte sich in den hameaux lediglich in ihrer Äußerlichkeit, was sowohl offensichtliche Inszenierungen als auch, wie im Hameau de la Reine, die Behauptung tatsächlicher landwirtschaftlicher Produktivität miteinschloss. Landwirtschaft war hier lediglich ästhetisches Objekt, und die Idee des Nützlichen wurde allein als ästhetische Kategorie formuliert.104
42Die französische Gartentheorie begründete dies mit unterschiedlichen Argumenten. Für Carmontelle, der Monceau gestaltete, stellte die Sichtbarkeit von Arbeit in einer ferme ornée ein Hindernis dar, wenn es darum ging, Vergnügen zu bereiten: »Nous ne saurions nous amuser des soins d’une ferme; c’est une multiplicité d’occupations, qui ne laisse aucun loisir, & ces détails de la vie rurale s’accordent mal avec nos goûts, pour la société, les plaisirs & la dissipation; on en aime plus la description que la pratique.«105 Die Tätigkeiten (»occupations«), die auf einem Bauernhof ausgeführt werden, nicht der Bauernhof selbst, sollten demnach im Garten vermieden werden. Als bloß ästhetisches Objekt konnte der Bauernhof aber – gerade aufgrund seiner kontextuellen Fremdartigkeit – in den Garten integriert werden. Bereits die Gegenüberstellung von einer »pratique« des »vie rurale«, die es zu unterlassen gelte, und dessen »description« zeigt an, dass Carmontelle ausschließlich auf die passive Betrachter*innenrolle und damit auf die Zurichtung des »vie rurale« als Anschauungsobjekt abhebt.
43Antoine Nicolas Duchesne benutzt in seiner 1775 erschienenen gartentheoretischen Schrift Sur la formation des jardins zwar noch den Begriff der ferme ornée, weicht aber in seinen Ausführungen dazu stark vom in England geprägten Modell ab: »Les Bâtimens placés au centre, mais séparés les uns des autres; le Corps-de-logis du Maître, celui des Valets, les Granges, la Charreterie, le Four; différens petits enclos de Jardins pour les légumes, ou pour quelques menus grains; le plus orné tenant à l’Habitation principale, mais sans faste aussi-bien qu’elle.«106 Das Funktionieren der Landwirtschaft und die Betriebsamkeit der ferme ornée werden hier – im Gegensatz zur englischen Diskussion oder zum ein Jahr zuvor erschienenen Essai sur les jardins von Watelet – gar nicht mehr erwähnt. Für ihn dient die ferme ornée nicht zwangsläufig der agrikulturellen Produktion, sondern »[de] ramener, au milieu de luxe, la vie rustique de nos vertueux ancêtres«.107 Die ferme ornée übernimmt bei Duchesne also weder eine praktische Funktion, noch geht es ihm um die Ausschmückung eines vormaligen Nutzbereichs, ihr Zweck liegt nach seiner Auffassung allein in der Einführung einer rustikalen Ästhetik. Aspekte der landwirtschaftlichen Produktion kommen nun nicht einmal mehr als diskursive Behauptung vor. Als bloße Trägerin einer bestimmten Aussage und ihrer ursprünglichen Funktion entledigt, erlangt die ferme ornée bei Duchesne den gleichen Status wie eine fabrique.
44Je mehr die ursprüngliche Funktion eines Bauernhofs verleugnet wurde, desto intensiver musste diese Negation verschleiert werden, um nicht dem Vorwurf der Künstlichkeit ausgesetzt zu sein und um den Anspruch von Authentizität einzulösen. Eine solche Kompensation erfolgte mittels der räumlichen und diskursiven Verortung der hameaux sowie in der Aneignung einer vernakulären Ästhetik. Im Falle des Hameau de la Reine geschah dies einerseits durch das Angrenzen an die Gemarkung des Dorfs Saint-Antoine. Andererseits wurde durch die spezifische Ausrichtung der einzelnen Gebäude des Hameau der Kirchturm dieses Dorfes in das Panorama des Hameau de la Reine integriert. Damit wurde gleichsam der Behauptung Anschaulichkeit verliehen, dass der Hameau de la Reine in einer natürlichen Beziehung zu seiner Umwelt stehe und demnach ein »normales« Dorf wie auch Saint-Antoine sei. Im Südwesten hingegen wurde durch die aufgeschütteten Hügel die Verbindung zum Petit Trianon abgeschnitten. Jegliches sichtbare Zeichen der Zugehörigkeit zum höfischen Kontext wurde auf diese Weise unterdrückt. Eine ähnlich geartete Behauptung von Echtheit bestimmte auch das nahe Stuttgart gelegene Dörfle von Hohenheim. Gottlob Heinrich von Rapp beginnt 1795 in seiner Beschreibung der für Franziska von Hohenheim erbauten Anlage mit der ländlichen Umgebung und äußert, dass das Dörfle an ein bereits bestehendes Dorf anschließe und »gleichsam mit diesen Anlagen verwebt, die Illusion erweitert und stärkt«.108 So wird im Hameau de la Reine sowie im Hohenheimer Dörfle über die Integration der Umgebung – sei dies räumlich oder diskursiv – die Idee des Charakters eines Ortes aufgerufen, der für die Echtheit der Gartenanlage bürgt. Mit Whately gesprochen, wird durch die Lokalisierung ein »transitory image« geschaffen, das aus den (vermeintlich) gegebenen Umständen natürlich entsteht (»irresistibly occurred«).109
Räumlichkeit
45Wenn hameaux nicht zwangsläufig durch den Anspruch einer tatsächlichen Produktivität bestimmt waren, dies aber durch Effekte, die eine Echtheit behaupteten, zu verschleiern versucht wurde (also der Anschein erweckt werden sollte, dass es ein »echter« Bauernhof ist), so musste sich das auch auf ihre räumliche Struktur auswirken. Morel beschreibt diese in seiner Théorie des jardins, der ersten gartentheoretischen Schrift, in der der Begriff »hameau« auftaucht, folgendermaßen: »A travers les arbres inégaux d’un bois négligé qui borde une prairie, l’on entrevoit à peine quelques toits de chaume; c’est un petit nombre de cabanes éparses qui forment un hameau. Ces rustiques habitations, placées chacune au milieu d’un verger agreste entouré de haies & de simples palis, sont si peu apperçues, qu’elles ne détruisent pas le caractere solitaire d’un site si champêtre […].«110 Ein hameau erscheint hier als von der ihn umgebenden Gartenanlage isoliertes Ensemble, bestehend aus einzelnen verstreuten Hütten.111 Ein hameau ist demnach nicht durch die Einansichtigkeit, ein einziges Bild eines Dorfes, bestimmt – ein Kriterium, das bei Morel für andere Gartengebäude hingegen zentral ist. Stattdessen betont er die lose Anordnung der einzelnen Häuser, wie sie auch in einem »echten« Dorf zu finden seien. Die ferme ornée englischer Prägung war im Gegensatz dazu durch eine anderweitige, räumliche Struktur gekennzeichnet. Sie bestand aus eher wenigen, meist recht großen Gebäuden, die zudem oft als Solitäre in einer Gartenanlage platziert waren und weniger dem Aufbau eines Dorfes entsprachen. Grund hierfür war primär der Platzbedarf: Die benutzbaren Ställe und Scheunen benötigten ein größeres Raumvolumen als die meist nicht für eine agrikulturelle Nutzung – oder nur zur Darstellung einer solchen – bestimmten Gebäude eines hameau. Die Grange im Hameau de la Reine verfügte daher über einen kleinen Grundriss, und die später ergänzte ferme war – gerade auch im Vergleich mit englischen ferme ornées sowie tatsächlichen Bauernhöfen, nicht zuletzt solchen in Versailles selbst – ebenfalls von geringen Dimensionen.
46Der Charakter eines »echten« Dorfes wurde in den hameaux auch dadurch unterstrichen, dass nun nicht mehr, wie bei der ferme ornée, lediglich der Landwirtschaft dienende Gebäude – etwa Ställe und Scheunen – errichtet wurden, sondern vermehrt einfache Wohnhäuser und generische Häuser, die von außen zumeist nichts über ihre Funktion verrieten und denen erst durch ihre Benennung (Maison du Garde, Grange, Laiterie etc.) eine Funktion zugeschrieben wurde. Entsprechend schildert Watelet auch den Aufbau eines hameau, den er meist schlicht als »cour« bezeichnet: »[…] elle [la cour; Anm. FV] est environnée de tous les bátimens nécessaires; & leurs usages différents sont indiqués sur leur entrée […].«112 Ohne eine genaue Bezeichnung der Gebäude bliebe demnach ihre Funktion verborgen. Wenngleich keiner der existierenden hameaux über eine derartige Beschilderung verfügte, sind die in den meisten Plänen und Beschreibungen ausgewiesenen Benennungen der einzelnen Häuser durchaus programmatisch. In ihrer Konkretion ähneln sie der Bezeichnung der fabriques, bei denen ebenfalls der eindeutige Titel eine genaue Lesart vorgibt.
47Mit der damit behaupteten Vollständigkeit eines Dorfes und der Integration von dezidiert als Wohnstätten von Bediensteten vorgesehenen Gebäuden grenzten sich diese Anlagen in doppelter Weise von der ferme ornée englischer Prägung ab: Einerseits waren es nicht mehr Aristokrat*innen, die sich für eine »gute« Landwirtschaft einsetzten und diese betrieben, sondern »echte« Landbewohner*innen, die im Dorf lebten. Für den Hameau de la Reine wurde bereits gezeigt, dass dort keine Wohnräume für Marie-Antoinette und andere adelige Gäste geplant waren. Gleiches lässt sich auch für fast alle anderen hameaux und Dörfle sagen. Andererseits rangierte damit die Inszenierung eines »echten« Dorflebens über der – gar nicht oder nur noch partiell – stattfindenden agrikulturellen Produktion. Auch hierin liegt eine Erklärung dafür, dass die räumliche Gliederung der hameaux vermeintlich echten Weilern folgte. Nur noch in wenigen Fällen, wie dem Hohenheimer Dörfle (Abb. 84), waren die einzelnen Gebäude in einen von verschlungenen Wegen durchzogenen Grundriss eines Landschaftsgartens eingegliedert, der dem Aufbau eines Dorfes widersprach. Die räumliche Anordnung nach dem Vorbild »echter« Dörfer (oder zumindest der Vorstellung davon) zielte auf einen Authentizitätseffekt, der an späterer Stelle als die Etablierung eines »empirischen Raums« beschrieben werden soll.113
Abb. 84: Viktor Heideloff, Grund-Riss der englischen Anlage von Hohenheim, aus: ders.: Ansichten des herzoglich-würtembergischen Landsizes Hohenheim, Nürnberg 1795

Abbildungsnachweis: Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart, 37g/90008
48Der hameau in Chantilly, 1774 vom Architekten Jean-François Leroy für den Prince de Condé errichtet, war nicht nur die erste Anlage, die diesen Namen trug, sondern stellte auch in seiner räumlichen Struktur ein Vorbild für die meisten anderen hameaux dar.114 Am östlichen Ende des wenige Jahre zuvor angelegten jardin anglais befindet sich der aus sieben rustikalen, kleinen Häusern bestehende hameau. Keiner der zum hameau führenden Wege gibt den Blick auf ein – im Sinne der englischen Theorie des Landschaftsgartens – »ideal« arrangiertes Dorfpanorama frei, viel eher ist der hameau als ein gewachsener, in sich geschlossener Ort inszeniert.115 Es bestand nicht der Anspruch, ein durch kompositorische Mittel (Rahmung, Vorder- und Hintergrund, Staffelung, ausgewogene Aufteilung der einzelnen Elemente etc.) bestimmtes, von einem Standpunkt aus bestmöglich sichtbares Bild zu erzeugen. Dessen ungeachtet, unterlag eine derartige Anordnung einem planerischen Kalkül, dessen Effekt allerdings nicht die Erzeugung eines kompositorisch ausgewogenen Bildes, sondern die Behauptung eines Bildes eines authentischen Ortes war, der gerade gemäß dem Prinzip einer scheinbaren Nicht-Komposition »gewachsen« war. Auch die beiden um 1780 erbauten hameaux – der eine wurde als »petit chalet«, der andere als »chalet suisse« bezeichnet116 – in Franconville (Abb. 85, 86), um ein weiteres Beispiel herauszugreifen, waren durch eine solche geschlossene und eigenständige Anordnung gekennzeichnet. Eine Abbildung des hameau in Bellevue (Abb. 87), der in unmittelbarem Zusammenhang zum Hameau de la Reine steht, da er ebenfalls von Richard Mique entworfen wurde, inszeniert einen Blick auf das Zentrum des Weilers durch ein als Rahmung dienendes Tor hindurch, doch verweist dieser Ausschnitt, der kaum etwas vom eigentlichen hameau zeigt, mehr auf den Charakter der Abgeschlossenheit, als dass hier eine Idealkomposition als Bild sichtbar werden würde. Durch diese Rahmung wird hingegen der widersprüchliche Status, der zwischen Komposition und Anti-Komposition changiert, bereits deutlich. Der Hameau de la Reine übernimmt ebenfalls diese Eigenschaften: Vom restlichen jardin anglais isoliert, ist die Anordnung der einzelnen Gebäude nicht auf eine bildhafte Wirkung hin ausgerichtet, die sich von einem äußeren Standpunkt aus entfalten würde, beziehungsweise handelt es sich eher um eine bildhafte Wirkung, die den Anschein erwecken soll, dass ihr keine (bildhafte) Komposition zugrunde liegt.
Abb. 85: Anonym, Vue d’un chalet suisse construit dans la montagne de Franconville, aus: Jean-Louis Le Prieur: Description d’une partie de la vallée de Montmorenci, et de ses plus agréables jardins, Paris 1788

Abbildungsnachweis: Bibliothèque nationale de France, Paris, LK7-5104
Abb. 86: Anonym, Vue du petit chalet autrement dit le chalet des chèvres, aus: Jean-Louis Le Prieur: Description d’une partie de la vallée de Montmorenci, et de ses plus agréables jardins, Paris 1788

Abbildungsnachweis: Bibliothèque nationale de France, Paris, LK7-5104
Abb. 87: Godefroy Engelmann, Ferme du Parc de Bellevue, aus: Louis Albert Ghislain Bacler d’Albe: Promenades pittoresques et lithographiques dans Paris et ses environs, Paris 1822, Abb. 32

Abbildungsnachweis: Bibliothèque nationale de France, Paris, Département des estampes et de la photographie, PET FOL-VE-69, Digitalisat: gallica.bnf.fr
Inversion
49Meredith Martin bezeichnet die Idee des hameau als eine, die als »ritual of inversion« strukturiert sei.117 Die gleiche Entkopplung von Fassade und Interieur kann auch für die ferme ornée, allerdings in entgegengesetzter Richtung, geltend gemacht werden. Während die englische ferme ornée mit der Verwendung eines Baustils, der für Gebäude reserviert war, die hierarchisch über Bauernhöfen standen, das rein zweckmäßige Innere verschleierte, eigneten sich die hameaux eine vernakuläre Ästhetik an, die allerdings nicht mit den meist prunkvollen Interieurs korrespondierte.
50In Chantilly warteten vier der sieben Gebäude mit aufwendig gestalteten Innenräumen auf, während Mühle, Molkerei und Küche im Innern lediglich über eine funktionale Ausstattung verfügten, die der Bewirtung im hameau diente.118 Die drei letztgenannten, alle etwa gleich großen Gebäude beherbergten einen Salon, ein Billardzimmer und eine Bibliothek. Das etwas größere Haus, die Scheune, fungierte als salle à manger. Bis auf Letzteres, das über eine Wandbemalung verfügte, die eine Waldlichtung darstellte und somit den Außenraum in den Innenraum holte, waren die Gebäude mit einer zeitgemäßen Einrichtung ausgestattet. Die Reaktion auf diese Diskrepanz zwischen innen und außen fiel unterschiedlich aus: Einerseits hob Jacques-Antoine Dulaure in seinem Bericht auf einen aus der Inversion resultierenden Überraschungseffekt ab,119 andererseits schien die Baronne d’Oberkirch über den Kontrast zwischen Fassade und Interieur nicht erstaunt zu sein; denn sie betonte lediglich, dass die Räume »commode, gai, sans façon et parfaitement imaginé« seien.120
51Tatsächlich dürfte dem von Dulaure beschriebenen Überraschungseffekt von den adeligen Besucher*innen nur eine geringe Relevanz beigemessen worden sein. Auf der einen Seite muss man, so banal das klingt, schlicht anerkennen, dass diese in einem jardin anglais damit rechnen konnten, nicht in einem wirklichen Bauernhaus zu speisen, auf der anderen Seite waren solche Inversionseffekte bereits lange Teil einer höfischen Architekturtradition im Ausgang der barocken Inszenierungen,121 die ihren Höhepunkt in Gartengebäuden – neben Grotten zeigt sich dies vor allem in temporären Pavillons – erreichte. Im Gegensatz zu früheren Beispielen der ferme ornée in Frankreich (Moulin-Joli, Ermenonville), von denen solche Effekte nicht bekannt sind, führten die in einem höfischen Umfeld entstandenen hameaux ein für diesen höfischen Kontext spezifisches architektonisches Merkmal weiter.
52Die unterschiedlichen Bewertungen der Diskrepanz zwischen innen und außen gründeten zudem auf den verschiedenen Erwartungshaltungen verschiedener Publika. Während eine Aristokratin wie die Baronne d’Oberkirch sowie auch die meisten Personen, die Zugang zu hameaux hatten, aufgrund ihrer Kenntnis ähnlicher Gebäude kaum darüber verblüfft gewesen sein dürften und bei ihnen Gefühlsregungen, etwa ein Überraschtsein, häufig vor dem Hintergrund einer konventionalisierten Affektkultur einzustufen sind, reagierte ein Publikum aus dem Bürgertum oder der Landbevölkerung möglicherweise tatsächlich mit Erstaunen. Entsprechend liest sich auch eine Schilderung dieser Reaktionen im Hohenheimer Dörfle, das gelegentlich für das einfache Volk zugänglich war: »Die Aussenseite solcher realisirter Lieblingsideen des Herzogs Carl kennt das entfernte Publikum nun meistens schon […]. Grösstentheils machte er aber dieselben von aussen absichtlich gering-scheinend, um jeden Hinzunahenden zu bereden, dass er nicht viel zu erwarten habe. Die Ueberraschung sollte desto stärker seyn, wenn man unter der nichts-scheinenden Hülle einen grossen Aufwand von Geschmak und Bedeutung entdekt.«122 Durch die Behauptung eines Überraschungseffekts, der insbesondere einem »entfernte[n] Publikum« zuteilwerde, wird die vermeintliche Authentizität der Außenseite – von der sich eben jenes Publikum nicht getäuscht fühlt und die diesem Publikum vertraut ist, auch wenn dieses hier sicherlich unterschätzt wird – hervorgehoben.
53Wie in Chantilly waren auch die Innenräume der Gebäude anderer hameaux aufgeteilt in solche, die lediglich funktionale Aufgaben wie die Versorgung und die Unterbringung der Bediensteten erfüllten, und solche, die dem Vergnügen oder als Wohnraum der Aristokratie dienten. Von außen zeigte sich dieser Unterschied jedoch nicht. Im Hameau de la Reine waren weniger als die Hälfte der Gebäude von Bediensteten bewohnt oder der Bewirtschaftung vorbehalten, während die anderen eine Ausstattung aufwiesen, die primär einem temporären Vergnügen der adeligen Besucher*innen diente. In Méréville wurde die dortige Mühle im Innern sogar in zwei funktional separierte Räume aufgeteilt, die man durch unterschiedliche Eingänge betreten konnte, wie Laborde in seiner Beschreibung referiert: »Ce bâtiment est remarquable, en ce qu’il peut servir au meûnir qui habite du côté de la campagne, et qu’en entrant par le jardin, on se trouve au premier étage, dans des appartements indépendans de l’habitation du meûnier. Ils sont distrubués de manière que, dans l’un, vous voyez toute l’activité des travaux champêtres, toutes les productions d’une riche vallée abondante en fruits et en bestiaux, et dans l’autre, la même rivière coult docuement sur un sable doré […].«123 Eine ähnliche Aufteilung eines Gebäudes – erneut eine Mühle (Abb. 88) – gibt es auch im Dörfle von Hohenheim: Viktor Heideloff betont in seiner Gartenbeschreibung, dass die Mühle »hier nicht, wie es sonst in manchen modernen Anlagen geschehen ist, nur um des mahlerischen Effects willen« gebaut wurde, sondern dank eines »gangbare[n] Mahlwerk[s]« und einer »Wohnung des Müllers« auch funktional sei.124 Daneben gab es aber in dieser Mühle auch einen weiteren Raum, der zu den anderen »einfach-ländlich[en]« Räumen bereits von außen durch seine bunte Bemalung und »eine freye Wendeltreppe« abgegrenzt wurde.125 Sein Interieur war »ein prächtiger ganz mit Mahogony-Holz getäfelter Saal, aus welchem man auf einen Altan treten kann und sich dann gerade über dem Wasser auf der Rückseite befindet«.126 Die Trennung der beiden Sphären stellte sicher, dass es zu keinen gegenseitigen Störungen kam, und sie bezeugt, dass nur bestimmte Teile des Landlebens von ästhetischem Interesse für die adelige Sphäre waren. Die Trennung und die Verhinderung einer Vermischung ermöglichten aber zugleich die Beobachtung des Landlebens von einer dezidierten Außenposition aus – sowohl in Méréville als auch im Hohenheimer Dörfle wurde explizit auf die durch die Architektur eröffneten Ausblicke verwiesen.127
Abb. 88: Viktor Heideloff, Dörfle Hohenheim, Mühle, aus: ders.: Ansichten des herzoglich-würtembergischen Landsizes Hohenheim, Nürnberg 1795

Abbildungsnachweis: Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart, 37g/90008
54In Beschreibungen und Illustrationen der Innenräume der hameaux fanden entsprechend diejenigen Räume Erwähnung, die aufwendige Einrichtungen vorwiesen und nicht ausschließlich der Versorgung oder als Wohnraum für Bedienstete dienten. Umgekehrt heißt das auch, dass alle von der Aristokratie benutzten Interieurs keine über die Fassade behauptete Einfachheit für sich reklamieren konnten. Eine Ausnahme stellt hier der etwas entfernt von einem der hameaux in Franconville liegende »sallon de bains« dar: »A côte est un sallon de bains, dont les toits sont couvert de chaume. Il n’y a pas d’autre tapisserie que de la paille bien arrangée. Cette singularité, peut-être sans exemple, produit dans l’ame je ne sais quelle douce emotion.«128 Die Deckung von außen und innen scheint für Le Prieur ein solches Novum gewesen zu sein, dass er von einer Beispiellosigkeit sprechen konnte. Die Überraschung für ihn bestand gerade darin, dass im Innern kein prunkvolles Interieur vorzufinden war, was eine entsprechende Rührung (»douce emotion«) bei ihm hervorrief.
55Die Diskrepanz zwischen Fassade und Interieur darf hingegen nicht als eine Verletzung der caractère-Lehre aufgefasst werden, die in den 1770er Jahren insbesondere von Jacques-François Blondel vertreten wurde und die besagt, dass die Fassade die Funktion und das Innere eines Gebäudes sowie den Status einer Besitzerin, eines Besitzers reflektieren müsse.129 Während Blondel in seinem Cours d’architecture gar nicht auf Gartengebäude eingeht, erkennt er der fabrique in seinem Eintrag in der Encyclopédie sogar explizit den Status als Gebäude (»édifice«) ab.130Demgemäß wäre es auch verfehlt, diesen Anspruch für einen hameau zu reklamieren, viel eher zeigt sich hier durch die Entkopplung von Funktion und Ästhetik die idealtypische Ausprägung eines neuen Architekturverständnisses.
Simplicité
56Auch die ferme ornée, nicht nur der hameau, hätte sich einer solchen Kritik seitens der Charakterlehre stellen müssen. Aufgrund ihrer tatsächlichen – und nicht nur behaupteten – Wirtschaftlichkeit, also ihrer Disqualifikation als fabrique, scheint die Frage nach der Korrespondenz von innen und außen, der Sichtbarkeit einer Funktion und der tatsächlichen Bestimmung, sogar noch dringlicher. Tatsächlich blieb der Bauschmuck der ferme ornée nicht von Tadel verschont. Whately beurteilt etwa die Dekoration von Wooburn Farm als gelungen, hält sie jedoch für den Einsatz an einem Bauernhof für unangebracht: »But though so many of the circumstances occur, the simplicity of a farm is wanting; that idea is lost in such a profusion of ornament; a rusticity of character cannot be preserved amidst all the elegant decorations which may be lavished on a garden.«131 »Einfachheit« und »Rustikalität« sind hier positiv konnotierte Begriffe, die nicht mittels dekorativer Elemente kompensiert oder überdeckt werden müssen, sondern explizit sichtbar werden sollen. Watelet, der sich bekanntermaßen an Whately orientierte, übernahm diese Sichtweise: »Il ne doit point venir en pensée que les frais nécessaires à ce qui n’est qu’ornement, absorbent le produit d’un établissement qui s’annonce pour être profitable.«132 Und an späterer Stelle erläutert er, dass sich diese Gebäude durch ihre simplicité auszuzeichnen haben: »La maison […] doit être de la plus grande simplicité.«133 Überhaupt konzipiert Watelet die ferme ornée generell als einen Gegensatz zu den »scènes les plus artistement décorées« der »parcs anciens«.134
57Was bei Whately und Watelet wie ein Argument gegen Dekoration per se erscheint und damit als eine Legitimation »einfacher« Bauten verstanden werden kann, steht in einem größeren kunst- und architekturtheoretischen Kontext, der um die Frage der simplicité kreist.135 Simplicité ist ein zentraler Begriff in der Architekturtheorie des 18. Jahrhunderts, hat in diesem Zusammenhang jedoch eine etwas andere Bedeutung als bei Whately und Watelet. Während die Gartentheoretiker damit ein vermeintlich ungeschmücktes Gebäude meinten, fand der Begriff der simplicité in der Architekturtheorie vordergründig im Zusammenhang einer Diskussion der Säulenordnungen und des Bauschmucks Verwendung.136 Simplicité war als positive Kategorie immer schon Gegenstand architekturtheoretischer Ausführungen gewesen, fiel jedoch im Frankreich des 17. Jahrhunderts – etwa bei Claude Perrault oder André Félibien – gegenüber einer Architektur, die mit »grandeur« beschrieben wurde, kaum ins Gewicht.137 Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts bekam simplicité die Bedeutung einer »definite quality which was demanded to counteract the disrupting effects of the Baroque and Rococo«.138 Bereits in dieser Definition wird klar, dass simplicité immer ein Differenzbegriff war, der sein Profil erst in der Abgrenzung von seinem Gegenteil erhielt. Obwohl in der Begriffsverwendung von simplicité auch Bedeutungsebenen vorhanden waren, die auf einen (primitiven) Urzustand oder eine Naturwüchsigkeit abzielten, meinte er in der Architekturtheorie – die die genannten Bedeutungen durchaus kannte – zumeist eine Qualität, die sich nur in der Verwendung tradierter baukünstlerischer Formen manifestierte und nicht etwa in einem einfachen Bauernhaus. Amédée François Frézier konnte dann etwa die Fassade des Versailler Schlosses für ihre »noble simplicité« loben.139 Der Charakter des tatsächlich »reduzierten«, jedoch nicht ganz von Bauschmuck freien Petit Trianon wurde von Madame Campan gar als »extrême simplicité« beschrieben.140 Simplicité und Dekoration waren in der Architekturtheorie anders als in den Gartentheorien Whatelys und Watelets demnach keine Gegensätze.
58In Watelets Dictionnaire ist simplicité definiert als eine »qualité, jointe à la beauté constitue le grand«.141 Der Begriff wird sodann von seinem Gegenteil, dem Prunk (apparat), abgegrenzt. Die simplicité zeige sich in »toutes les parties; dans le sujet, dans les formes, dans les attitudes, dans les ajustements, dans la composition, dans l’ordonnance, dans les accessoires, dans les effets, dans la couleur«.142 Diese Definition, die rein auf die Objekte, die durch eine simplicité gekennzeichnet sind, abhebt, wird durch eine produktions- und rezeptionsästhetische Dimension ergänzt: »Le style simple & grand suppose une grande ame dans celui qui le possède, un grand goût dans celui qui l’applaudir.«143 Auch dies wird wiederum vom Prunk abgegrenzt, der zwar einfacher und allgemeiner zu erreichen, dessen Ruhm jedoch von geringerer Dauer sei.144 Simplicité ist folglich eine ästhetische Qualität, die einem Objekt nicht einfach gegeben ist, die aber zugleich von jedem erkannt werden kann. Sie steht in Abhängigkeit sowohl zu den Fähigkeiten der Künstler*innen, die ein Objekt gemäß diesen Prinzipien hervorbringen müssen, als auch zur (erlernbaren) Befähigung der Rezipient*innen, sie als solche zu erfassen. Damit ist, trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten, ein Unterschied zum Konzept der naïveté benannt, wenn diese – ebenfalls in Watelets Dictionnaire – als etwas Angeborenes definiert wird, »ce qui n’est point acquis, ce qui ne doit rien à l’art«.145
59Wie kann diese Definition von simplicité, wenn diese im Kern eine künstliche Leistung darstellt, die so – im Gegensatz zur naïveté – nicht in der Natur anzutreffen ist, kompatibel sein mit Whatelys und Watelets scheinbar antidekorativem Diktum? Watelets Auseinandersetzung mit dem Begriff der Dekoration in seinem Dictionnaire liefert hierauf eine erste Antwort.146 Darin lehnt er die Dekoration nicht pauschal ab, sondern gibt Hinweise darauf, wie diese umzusetzen sei. So gelte es, insbesondere auf eine Übereinstimmung zwischen der Art der Dekoration und den zu erfüllenden Zweckmäßigkeiten und Konventionen (»les convenances & les conventions«) zu achten, damit die zu dekorierenden Objekte der Vernunft und dem bon goût entsprächen. In diesem Sinne behielte sein im Essai sur les jardins vorgebrachtes Argument Gültigkeit – es wäre also fragwürdig, ob für einen Bauernhof eine Dekoration überhaupt zur Debatte stünde. Aber Watelet fährt in seinen Ausführungen zur Dekoration wie folgt fort: »De ces principes, résulte le soin de se rapprocher toujours de la simplicité, & d’éviter la complication ou la recherche, c’est-à-dire, le manière; la simplicité est plus convenable en tout à la raison, parce qu’elle écarte ce qui est superflu, ainsi que ce qui pourroit nuire ou embarrasser dans l’usage qu’on doit faire des choses.«147 Die simplicité ist demnach ein anzustrebendes Ideal, das bei der Gestaltung – und folglich auch: bei der Dekoration – jeglicher ästhetischer Objekte Beachtung finden sollte. Watelet bestätigt damit die im Dictionnaire vorgebrachte Definition von simplicité, die immer das Produkt einer Gestaltung sei und nie, selbst wenn sie sich an in der Natur auffindbaren Prinzipien orientiert, einfach so vorgefunden werden könne. Simplicité ist demnach nur im Modus der décoration zu finden und gerade nicht ihr Gegenteil.
60Die simplicité, die Gartentheoretiker wie Whately und Watelet mit den fermes ornées und hameaux in Verbindung brachten, gibt sich jedoch – das wird spätestens beim Blick auf die dadurch charakterisierten Gebäude klar – als eine anders konzipierte zu erkennen. Sie sollte gerade den Anschein erwecken, das Gegenteil einer dekorativen Leistung und durch keine künstlerisch-gestalterische Tätigkeit hervorgebracht worden zu sein, was selbstverständlich die größte Leistung erforderte und der bereits erwähnten Logik der Substitution geschuldet war, womit erneut ein Authentizitätseffekt beschrieben ist: Zwar war die simplicité immer durch den Anspruch des Mühelosen gekennzeichnet, doch musste genau diese Mühelosigkeit als solche noch erkennbar sein. Mit der simplicité der fermes ornées und hameaux wurde nun hingegen eine Ästhetik bezeichnet, die einerseits als etwas Gewachsenes erscheinen sollte, die also den Anschein erwecken sollte, nicht das Ergebnis eines künstlerischen Akts zu sein. Kurzum: Es ging um die Behauptung von Authentizität. Andererseits musste dieser Charakter des Gewachsenen künstlich hergestellt werden. Durch diese Substitution wurde das Vernakuläre, das zwar auch mit dem – in diesem Fall mit pejorativem Beiklang daherkommenden – Adjektiv »simple« beschrieben wurde, jedoch bis dahin nicht Teil einer baukünstlerischen Tradition war, in das Feld der Ästhetik integriert.
61In der Begründung und Herleitung der simplicité ähnelten sich, so unterschiedlich sich dies konkret baulich manifestierte, Architektur- und Gartentheorie wiederum. Beiden war eine zeitkritische Dimension eingeschrieben, denn beide erblickten in der Einfachheit die Gelegenheit zur Rückkehr in eine vergangene Zeit, die der Gegenwart überlegen war. So sah Duchesne die Möglichkeit, »[de] ramener, au milieu de luxe, la vie rustique de nos vertueux ancêtres, en copiant du moins leur Habitations«, die für ihn einfachen Charakter hatten.148 Und auch Frézier wollte mit einer am Ideal der simplicité ausgerichteten Architektur eine Rückkehr zur »simplicité des premiers tems« als Gegensatz zur überwuchernden Ornamentik des Rokoko erreichen.149 Während sich dies bei ihm noch auf eine allgegenwärtige Identifikation mit dem verlorenen Ideal – und zwar nicht einem ästhetischen Ideal, sondern einem gesellschaftlichen, das sich jedoch in der Ästhetik manifestierte – der Antike erstreckte, war bei Duchesne die Bedeutung von »nos vertueux ancêtres« weniger eindeutig bestimmt, zumal die bei ihm erwähnten Bauformen nun keinerlei antike Referenzen mehr aufwiesen.150 Viel eher zielte der Gartentheoretiker auf die eigene Vorgeschichte ab, die er in vernakulären Gebäuden der Provinz aufgehoben wähnte, womit er nebenbei einem gängigen anti-urbanen Ressentiment Rechnung trug.151 Im Kontext eines architektonischen Folklorismus stellten diese Bauten einen Ausgangspunkt für die Form der hameaux dar.152
62Zwei weitere diskursive Verschiebungen begünstigten die Erweiterung des simplicité-Konzepts. Erstens wurde die simplicité bereits seit François Fénelon gegenüber jeglichem Luxus in Anschlag gebracht.153 Zwar war dies eine Kritik am Absolutismus, doch kann man in der Überwindung des höfischen Luxus gerade auch ein Bestreben um Bewahrung dieses Herrschaftssystems sehen.154 Im 18. Jahrhundert avancierte die Ablehnung des Luxus zum generellen, moralischen Argument, das in einem engen Zusammenhang mit der Vorstellung von einem unkorrumpierten Naturzustand stand – Jean-Jacques Rousseau war nur der bekannteste Verfechter dieser Tendenz. Zweitens – und daran anschließend – ersannen Autoren wie Rousseau und Watelet Argumente, um das Nützliche als ästhetische Kategorie einzustufen beziehungsweise um im Nützlichen eine ästhetische Qualität zu finden.155
63Über diese Erweiterung und Transformation des simplicité-Begriffs erfolgte in letzter Konsequenz die Legitimierung einer Ästhetik des Vernakulären für die Bauaufgabe hameau. Dies hatte einen doppelten Effekt: Die Übernahme eines bekannten Argumentationsmusters und dessen Transfer in einen anderen Zusammenhang machten die Ästhetik der hameaux anschlussfähig an den gängigen kunst- und architekturtheoretischen Diskurs. Und der – teilweise nur dargestellten – Produktivität, die auf die Ästhetik der Vernakularität angewiesen war, wurde eine ästhetische Qualität zugesprochen, indem es zu einer Verquickung des Nützlichen mit dem Schönen kam, da diese sich im Konzept der simplicité trafen. Die simplicité wurde damit auf eine vermeintlich empirische Grundlage – als etwas, das so vorgefunden werden konnte – gestellt, womit wiederum ein Authentizitätseffekt erzeugt wurde. Die nun für die hameaux behauptete Authentizität war jedoch nur im Modus des Ästhetischen zu haben: Was zuerst als antidekoratives Argument erschien, machte sich für das Verfahren der Dekoration lediglich eine Ästhetik zu eigen, die auf einer anderen Ebene zuvor noch als antidekorativ gegolten hatte.
Vernakularität
64Hirschfeld verbindet das Kriterium der simplicité (beziehungsweise bei ihm: »Einfalt«), das er für die »Einsiedeley« ausmacht, mit einer Vorstellung von vernakulärer Architektur und markiert damit eine Unterscheidung zur Grotte. Die Beschreibung der »Einsiedeley« ist für uns deshalb wichtig, weil dieser Gebäudetypus bei Hirschfeld in engem Zusammenhang mit den fermes ornées und hameaux steht und der Gartentheoretiker an dieser Stelle ästhetische Strategien beschreibt, die insbesondere auch die Gestalt der hameaux erklären: »Die Grotte ist eine Nachahmung der Höhlen, wie sie die Natur bildet; die Einsiedeley ist eine Hütte, ein einfältiges Haus, von der Hand des Menschen gebauet, oder wenn sie zuweilen in Felsen liegt, so ist dieser doch zu einem sich der Regelmäßigkeit nähernden Zimmer bearbeitet, welches die Grotte nicht seyn kann, ohne in das Unnatürliche überzugehen. Ein Werk, von Holz erbauet und mit Schiefer gedeckt, würde eine sehr unnatürliche Erscheinung für eine Grotte sein, aber nicht für die Einsiedeley. Beyde trennen sich in Absicht auf die Bauart und die Materialien; aber sie kommen beyde in der Einfalt wieder zusammen.«156 Grundlage für Hirschfelds Unterscheidung ist demnach eine Orientierung an den tatsächlichen Gegebenheiten einer Grotte oder einer Eremitage und damit die Unterscheidung zwischen einem von der Natur zufällig hervorgebrachten Gebilde und einem von Menschenhand erbauten Gebäude. Dennoch erfüllen beide das Kriterium der simplicité, wie Hirschfeld auch wenige Seiten weiter ausführt, wenn er die Ästhetik der »Einsiedeley« konkretisiert: »Das Gebäude [die Einsiedeley; Anm. FV] mag aus Stein oder Holz bestehen; nur muß die Zusammensetzung die höchste Einfalt und Nachläßigkeit zeigen. Keine Kunst, viel weniger ein Anschein von Pracht; selbst die Vernachläßigung der Verhältnisse der Baukunst ist hier eher ein Verdienst, als ein Fehler. Das ganze Ansehen muß Einfalt, Dürftigkeit, Verläugnung ankündigen. Ein Dach von Stroh oder Schiefer, rohe Pfeiler, die es tragen, ein Gemäuer oder eine von leimigter Erde ausgeführte Wand, woran man die Spuren der Zeit und des Wetters, beschädigte Stellen und Ueberzüge von Moos wahrnimmt, eine Thür, die, ohne Zierde zwischen den Pfosten, blos die Oeffnung schließt, Fenster mit trüben oder bemalten Glasscheiben […].«157 Der Charakter der simplicité wird demnach durch bestimmte Strategien erzeugt, die auf einen Begriff von vernakulärer Architektur hindeuten. Hirschfeld empfiehlt sogar explizit eine Missachtung der Regeln der Baukunst und verweist damit auf vermeintlich »niedere« Formen des Bauens. Indem er dies im Zusammenhang mit Bauten wie Grotten, die von der »Natur [ge]bildet« werden, diskutiert, bestimmt er Gebäude wie die »Einsiedeley« – vor allem aber die diese prägende Ästhetik des Vernakulären – als gerade noch nicht mehr naturwüchsig.
65Solche rustikalen Gebäude – oder allgemeiner: Gebäude, die eine vernakuläre Architektur aufgriffen – tauchten in Frankreich erst mit einiger Verspätung gegenüber England auf. Horace Walpole hielt diese Architekturen – mehr noch als alle anderen Gartengebäude – bereits 1780, noch bevor die meisten hameaux in Frankreich entstanden, für überholt: »The Doric portico, the Palladian bridge, the Gothic ruin, the Chinese pagoda, that surprise the stranger, soon lose their charm to their surfeited master. […] But the ornament whose merit soonest fades, is the hermitage, or scene adaptable to contemplation.«158
66Zuerst zur Terminologie der Vernakularität und zu den damit zusammenhängenden Begriffen der rusticité (beziehungsweise des rustique) und des Regionalismus: In Diderots und d’Alemberts Encyclopédie findet sich nur ein kurzer Eintrag zu »vernaculaire«, jedoch trifft die darin entfaltete Definition bereits ins Zentrum dessen, was uns an dieser Stelle interessiert. »Vernaculaire« sei »un mot qui s’applique à tout ce qui est particulier à quelque pays«.159 Die Definition erscheint noch relativ ungenau, denn man könnte darunter auch durchaus die Hochkultur eines bestimmten Landesteils subsumieren, die aber gerade mit dem Begriff des Vernakulären ausgeschlossen werden soll. Das für einen Ort je Spezifische meint hier eben nicht nur etwas, das ausschließlich an einem bestimmten Ort vorkommt, sondern auch etwas, das dort vermeintlich immer schon vorhanden ist. In diesem Sinne ist mit dem Vernakulären keine Kulturleistung im engeren Sinn bezeichnet, was bereits dadurch klar wird, dass der Eintrag »vernaculaire« in der Encyclopédie auch unter »Maladies« klassifiziert wird; »maladies vernaculaires« sind demnach Krankheiten, »qui regnent beaucoup dans quelque pays, province ou canton«.160 Der Begriff des Vernakulären bekommt dadurch allerdings keine negative Bedeutung. Damit wird lediglich verdeutlicht, dass die lokale Spezifik weniger eine Reaktion auf einen Ort ist, als dass sie von einem Ort geprägt wird und dadurch zwangsläufig an einen lokalen Kontext gebunden ist.
67Autoren wie Michel Serres und Ivan Illich beziehen sich in ihrer Begriffsverwendung auf die römische Antike. Serres definiert den Begriff folgendermaßen: »Vernaculaire nennen wir im Französischen diese Sprache der Einheimischen, ein gelehrtes Wort, mit dem das Volkstümliche bezeichnet wird, und es meint zugleich: ungebildet; man hört noch ›verna‹ darin, den im Haus geborenen Sklaven, der unwissend und vulgär nur das lokale Idiom des Anwesens sprach.«161 In Illichs Theorie des Vernakulären ist der Begriff deutlicher von einer abwertenden Verwendung befreit. Er entwickelt ihn ausgehend vom Haus als Lebensraum und schlägt vor, das Wort »vernakulär« zu gebrauchen, »um konkrete, genusbestimmte Lebenswelten im Gegensatz zu unserer sex- und produktionsbestimmten sogenannten Gesellschaft zu bezeichnen«.162 An anderer Stelle zeichnet er die Begriffsgeschichte genauer nach: »Vernaculus ist ein altes lateinisches Wort und wurde in der römischen Gesetzgebung aus technischen Gründen für formale Zwecke gebraucht. Es bezeichnete in früheren Zeiten einen Sklaven, der in meinem eigenen Haus von meiner eigenen Sklavin geboren wurde. Einen Sklaven also, der im Schoß der Familie geboren ist und nicht vom Markt geholt wurde. […] Es ist im Lateinischen der Terminus technicus für das Gegenteil von Ware, für das Gegenteil von etwas, das man durch irgendeine Art Tausch bekommen kann. Varo, der große römische Grammatiker, benutzte den Ausdruck als erster, um damit jene Wörter zu benennen, die in unserem eigenen Garten gewachsen sind, im Gegensatz zu peregrina, Wanderern, die von ferne kommend, sich im Haus niedergelassen haben. Der Unterschied zwischen dem Wort, das durch eine beliebige Art der Vermittlung von einem fremden Wort abgeleitet wurde, und dem Wort, das bei uns entstanden ist. Noch tausend oder mehr Jahre nach Varo bedient sich der Codex des Theodosius des Ausdrucks vernaculum, um etwas zu benennen, was einem Menschen sehr wertvoll ist und worauf er ein Recht hat, es zu verteidigen, etwas, was er nicht vom Markt beschafft hat.«163
68In Serres’ und Illichs Ausführungen treten drei weitere Merkmale des Vernakulären hervor, die ebenfalls für das Verständnis der Vernakularität des Hameau de la Reine wichtig sind: Erstens kommt das Vernakuläre der Theorie nach aus einer Gemeinschaft und nicht aus der Gesellschaft. Es entstammt einer zugleich urtümlichen und überzeitlichen Phase (die auch in Bereichen der Gegenwart andauern kann) einer bestimmten Gemeinschaft, die nicht durch (prä-)kapitalistische Tausch- und Produktionsverhältnisse bestimmt war.164 Mit dem Vernakulären wird eine Dimension der Erfahrung als Grundlage behauptet, die sich einer gesellschaftlichen Normierung entgegensetzt: »Ich habe versucht, vernakuläre Sprache als eine Form der Sprache zu beschreiben, die aus persönlicher Erfahrung heraus aufgebaut ist. Meiner Meinung nach ist vernakuläre Sprache das Gegenteil von unterrichteter Sprache. Verglichen mit vernakulärer Sprache war in früherer Zeit die unterrichtete Sprache genauso selten wie künstliche Energie im Vergleich zur Muskelkraft.«165 Mit dieser weiteren Erläuterung Illichs ist der zweite Punkt aufgerufen: Das Vernakuläre lässt sich am deutlichsten im Bereich der Sprache bestimmen. Vernakuläre Sprache ist kein Dialekt, sondern sie ist noch vor dem Dialekt, der eine Hochsprache voraussetzt und eine Abweichung von selbiger, eine Ergänzung zu ihr oder zumindest eine Variante davon darstellt. Mit dem Feld der Sprache – insbesondere mit der Erforschung von unbekannten Sprachen, von Dialekten sowie der Kritik von Schriftlichkeit, wie sie Jean-Jacques Rousseau prominent entwickelte – ist einer derjenigen Schauplätze der Spätaufklärung genannt, auf denen die Bedeutung von Authentizität am prominentesten verhandelt wurde. Drittens ist das Vernakuläre bei Illich zugleich universalistisch, weil es überall vorkommt, und spezifisch, weil es überall auf andere Art vorkommt. Es ist als anthropologische Konstante eine derjenigen Größen, anhand derer sich bestimmen lässt, was den Menschen in seiner Historizität ausmacht. Aus allen drei Punkten lässt sich schließen, dass das Vernakuläre zu einem Differenzbegriff wurde. Es stand in Opposition zu jeglicher Kulturleistung, in die eine Anstrengung eingeflossen war – eine Anstrengung, die sich immer auch von der gegebenen, eben: vernakulären, Situation abgrenzen musste, um als Kultur erkennbar zu sein. Das Vernakuläre wurde deshalb vor allem gegenüber dem Künstlichen in Anschlag gebracht.
69Eng verbunden mit der Vorstellung von Vernakularität war der Begriff der rusticité, wobei dieser eine stärkere Wertung erfuhr. In der Encyclopédie ist er folgendermaßen beschrieben: »[…] terme à l’usage des habitans des villes, par lequel ils désignent la grossiéreté, simplicité, rudesse des mœurs, du caractere, du discours des gens de la campagne.«166 Die Definition zeugt von einer negativen Verwendung des Begriffs, selbst simplicité ist hier keine positive Bewertungskategorie. Auf dieser negativen Grundlage kann jedoch – insbesondere, weil es sich um eine Verwendung handelt, bei der Stadtbewohner*innen über Landbewohner*innen urteilen, nicht um eine Selbstbeschreibung, die Erstere auch teilen würden – eine positive Umwertung etabliert werden, indem eine Verschiebung auf einen anderen Diskurszusammenhang erfolgt: Rusticité kann dann zu einer positiven Sache werden, wenn sie ästhetisch anverwandelt worden ist. Das Adjektiv rustique wird im gleichen Band der Encyclopédie entsprechend etwas positiver bewertet. Neben der Erwähnung des Mauerwerks der Rustika, den dieux rustiques (Götter der Flora und Fauna im antiken Rom) und dem Verweis auf die dem Begriff der rusticité verwandte Bedeutung ist für uns eine weitere Dimension von rustique relevant: »[…] épithete qu’on donne à la manière de bâtir, dans l’imitation plutôt de la nature que de l’art.«167 Angesichts der Behauptung, dass rustikales Bauen eher die Natur als die Kunst nachahme, also etwas Gewachsenes sei, rückt der Begriff wieder in die Nähe der Vorstellung von Vernakularität.
70Das Rustikale ist wie das Vernakuläre durch eine Vorstellung des Universellen gekennzeichnet, jedoch fehlt ihm die spezifisch lokale Dimension, über die eine bestimmte Erscheinung zwingend an einen Ort gebunden ist. Rustikalität bleibt, gerade auch in der pejorativen Verwendung, vergleichsweise allgemein. Um den Anspruch einer lokalen Spezifik besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den Begriff des Regionalismus. Der Regionalismus basiert, wie Alan Colquhoun feststellt, auf einem Modell, das davon ausgeht, dass alle Gemeinschaften durch eine Essenz bestimmt sind: »One aspect of this essence lies in local geography, climate, and customs, involving the use and transformation of local, ›natural‹ materials.«168 Dass eine solche Bestimmung im Diskurs der Gartenarchitektur im 18. Jahrhundert wichtig war, aber nicht ohne Widersprüche daherkam, zeigt Gottlob Heinrich von Rapps Beschreibung des Großen Schweizer Hauses im Garten von Hohenheim: »Die ganze Struktur dieses Gebäudes ist nichts weniger als einheimisch in der Gegend, wo es steht, und fällt deswegen schon durch den Reiz der Neuheit auf.«169 Einerseits spricht Rapp von der Passgenauigkeit von Haus und Gegend, andererseits wird es durch seine Bezeichnung als Schweizer Haus gerade durch eine Fremdheit innerhalb der württembergischen Umgebung markiert. Offenbar reichten Attribute wie »einheimisch« aus, um eine lokale Spezifik zu behaupten, was zudem dadurch unterstrichen wird, dass die Schweiz zu diesem Zeitpunkt als Chiffre eines Urzustands schlechthin fungierte.170 Für Colquhoun ist schließlich die Idee einer regionalen Architektur, deren Aufkommen er im späten 18. Jahrhundert – »precisely at the moment when the phenomenon that it described seemed to be threatened and about to disappear« – verortet, auch weniger ein objektives Faktum als vielmehr ein »object of desire«.171 Entsprechend – und das ist auch entscheidend für die Suche nach dem Vernakulären – kann es nicht darum gehen, nach einem ursprünglichen, das heißt »authentischen« Objekt zu suchen, sondern danach zu fragen, wie eine bestimmte Vorstellung von etwas konstruiert wird, damit es als »regionalistisch« verstanden werden kann.
71Was die Begriffe der Vernakularität, Rustikalität und des Regionalismus beschreiben, wird im Hameau de la Reine durch konkrete Effekte der Architektur geschaffen. Bereits unabhängig von der konkreten Architektur deutet die Bezeichnung hameau auf diesen Status hin, und zwar nicht allein durch die Verortung in der Provinz. Mit dem Begriff des hameau ist auch – darauf hat die Forschung noch nicht hingewiesen – eine spezifische Ästhetik gemeint. Beispielsweise tauchen in Georges-Louis Le Rouges Détail des nouveaux jardins à la mode einige Abbildungen von fabriques auf, die eine relative Ähnlichkeit mit den Gebäuden des Hameau de la Reine besitzen und die etwa als »Maison du Garde en forme de hammeau« (Abb. 89) oder als »cuisine en forme de Hameau« (Abb. 90) bezeichnet werden172 – und das zu einem Zeitpunkt, noch bevor sich der Begriff »hameau« für entsprechende Gartenanlagen etabliert hatte. In dieser Ästhetik drücken sich, folgt man dieser Auffassung, auch der räumlich-soziale Kontext, in den das Gebäude eingebettet ist, und damit eine Vorstellung von Vernakularität aus.173
Abb. 89: Anonym, Maison du Garde en forme de hammeau, 1787, Radierung auf Papier, 24,4 × 38,9 cm, in: Georges-Louis Le Rouge: Détail des nouveaux jardins à la mode, Paris 1787, Bibliothèque nationale de France, Paris

Abbildungsnachweis: Bibliothèque nationale de France, Paris, Département des estampes et de la photographie, HD-89 (A, 2)-PET FOL, Digitalisat: gallica.bnf.fr
Abb. 90: Anonym, Vue de la cuisine en forme de hameau à Steinfort, 1788, Radierung auf Papier, 28,4 × 43,7 cm, aus: Georges-Louis Le Rouge: Détail des nouveaux jardins à la mode, Paris 1788, Bibliothèque nationale de France, Paris

Abbildungsnachweis: Bibliothèque nationale de France, Paris, Département des estampes et de la photographie, HD-89 (A, 2)-PET FOL, Digitalisat: gallica.bnf.fr
72Hirschfeld benennt – teils abstrakt, teils konkret – die wichtigsten Merkmale dieser Ästhetik: »Vernachläßigung der Verhältnisse der Baukunst«, »Einfalt, Dürftigkeit, Verläugnung«, »Dach von Stroh oder Schiefer, rohe Pfeiler, […] ein Gemäuer oder eine von leimigter Erde ausgeführte Wand«, »Spuren der Zeit und des Wetters«, »beschädigte Stellen und Ueberzüge von Moos« und »Fenster mit trüben oder bemalten Glasscheiben«.174 Fast alle diese Charakteristika, ergänzt um weitere Eigenheiten, finden sich im Hameau de la Reine. Im Folgenden geht es um die Herstellung dieser Merkmale, insbesondere hinsichtlich der Gestaltung der Fassade und der Konstruktion von Unregelmäßigkeit. Ziel soll es dabei sein zu ergründen, wie diese Effekte die Behauptung des Gewachsenseins stützen sollten.
73Meredith Martins Verständnis der Fassade des Hameau de la Reine als »ritual of inversion«175 kann auch in diesem Zusammenhang in Anschlag gebracht werden. Eine wichtige Funktion der Fassade besteht demnach darin, das Innere zu verbergen, wofür ihre exaltierte Gestaltung maßgeblich ist. Diesen Kontrast beschreibt die Baronne d’Oberkirch für den hameau in Chantilly: »La plus grande des cabanes est tapissée à l’intérieur en feuillages de verdure, et l’extérieur est entouré de tout ce qui est nécessaire à un bon labourer.«176 Kaum eine andere Charakterisierung könnte einen größeren Unterschied zum aristokratischen Milieu beschreiben, in dem solche Anlagen entstanden, als »tout ce qui est nécessaire à un bon labourer«. Zugleich ist damit das Kriterium schlechthin benannt, das mittels der Fassade Vernakularität behauptet.
74Der Hameau de la Reine zeichnet sich durch eine ähnliche, wenngleich extreme Fassadengestaltung aus, die den gleichen Effekt erzielen soll. Neben der fast ausschließlichen Bedeckung des Daches mit Schilf und der Vortäuschung eines Bruchsteinmauerwerks, das bereits Watelet als wichtigen Effekt einforderte,177 sind es vor allem die Offenlegung der Baustruktur sowie der inszenierte Schmutz. Die Baustruktur (insbesondere das Fachwerk) wurde bereits beschrieben, zu erwähnen ist an dieser Stelle noch, dass damit – ganz abgesehen von der Aneignung einer bäuerlichen Architektur und der damit einhergehenden Konnotationen – zwei miteinander verknüpfte Effekte erzielt werden: Einerseits verweist die Sichtbarkeit der einem Gebäude zugrunde liegenden tragenden Struktur auf das Moment der Konstruktion des Gebäudes. Verbunden ist damit die Vorstellung von einem Wissen, das eher durch eine informelle Tradierung denn durch architekturtheoretische, statische und mathematische Einsichten gekennzeichnet ist. Andererseits wird mittels der offengelegten Baustruktur behauptet, dass das Gebäude keine Fassade besitzt, womit jene zeitgenössische Kritik bestätigt wird, die die oberflächliche und deshalb »unnötige« Dekoration – insbesondere das Rokoko-Ornament – ablehnt.178 Auch dabei geht es wieder um die Erzeugung von charakteristischer simplicité. Wenn hier für die Außenseite der Gebäude des Hameau de la Reine immer der Begriff der Fassade Verwendung findet – obwohl die Architekturtheorie nicht jede Außenwand gleichzeitig als Fassade versteht –, dann aus der Einsicht heraus, dass die Ablehnung der Fassade nur dadurch möglich wird, dass diese nicht entfällt, sondern durch eine andere Fassade substituiert wird, die sich selbst negiert.
75Die Fassaden des Hameau de la Reine waren durch eine ausgesprochene Nachlässigkeit und Schmutzigkeit gekennzeichnet: Der Putz war, wenn überhaupt vorhanden, unregelmäßig und fleckig aufgetragen, teils war er ganz abgefallen, sodass das Mauerwerk freigelegt wurde. Manche Außenwände wiesen Risse auf, andere waren mit Schmutzflecken versehen. All dies trug dazu bei, dass der Hameau de la Reine den Eindruck erweckte, nicht neu zu sein, sondern bereits seit einem längeren Zeitraum zu bestehen und einem konstanten Gebrauch ausgesetzt gewesen zu sein, der zu den entsprechenden Abnutzungserscheinungen geführt habe, für deren Ausbesserungen sowohl die Mittel als auch die Begründung fehlten. Schmutz und Abnutzung fungierten als Markierungen, um sowohl das Gewachsensein des Weilers zu behaupten als auch deutlich zu machen, dass die Architektur tatsächlich in Gebrauch war und nicht lediglich als Schauobjekt fungierte. Jedoch musste diese Täuschung – wie bei jedem trompe-l’œil – als solche erkennbar bleiben.179 Der gemalte Schmutz wurde damit zu einem Element der Ostentation, durch das eine Trennung zu tatsächlichem Schmutz angezeigt wurde. In diesem Sinne unterstützte die vermeintliche Schmutzigkeit der Fassade auch die Trennung von innen und außen, insofern der Kontrast zwischen »dreckiger« Außenwand und prunkvollem Interieur nicht deutlicher hätte sein können. Lediglich die Grange war nicht durch eine Inversion von innen und außen gekennzeichnet, hier setzte sich der rustikale Charakter auch im Interieur fort, dessen Wände in Form einer malerischen Imitation von »vieux bois«180 gestaltet waren.
76Die ostentative Schmutzigkeit und Nachlässigkeit traten im Hameau de la Reine im Vergleich mit anderen hameaux in einer neuen Qualität auf. Der hameau in Chantilly war durch eine äußerst saubere und klare Gestaltung der Außenwände bestimmt. Der weiße und gleichmäßige Putz und das ockerfarben gestrichene Holz des Fachwerks in Chantilly (Abb. 91) standen in einem deutlichen Kontrast zur fleckig-unregelmäßigen Farbigkeit des Hameau de la Reine. Gleiches gilt auch für die meisten anderen hameaux wie Franconville, Bellevue oder Raincy. Der Hameau de la Reine setzte jedoch neue Maßstäbe und wurde zum Vorbild für gleichzeitig oder etwas später errichtete hameaux. Die um 1791 entstandenen, von Hubert Robert in Auftrag gegebenen Entwürfe von Alexandre-Théodore Brongniart für einen hameau in Auteil (Abb. 92; siehe auch Abb. 69) zeigen einen deutlichen Bezug zum Hameau de la Reine. Für den hameau der Comtesse de Provence, der etwa gleichzeitig mit dem Hameau de la Reine errichtet wurde und ebenfalls aus zwölf Häusern bestand, war der Charakter des Heruntergekommenen und Ärmlichen ebenfalls bestimmend, wie Sophie von La Roche bezeugt: »Die Brücke von dünnen Holzstämmen, welche in eine mit zaserichtem Holz ausgelegte Hütte führt, ist so ländlich, daß sie Jeden trügt; die Bauernhäuser des Weilers so wahr, die Hühner welche herum laufen, die Enten in der Dorfpfütze, Alles ist redend. Nur müßte mit diesem Spiel des Vergnügens, mit dem Ausssehen der einfachen Armuth nicht auch der lieblose Wahn in die Herzen der Großen schleichen: Nur das Aeussere der Landleute sey elend, sie fänden in ihren Hüttgen alles, was zum Glück des Lebens gehöre.«181 Wenn der hameau in Montreuil nun große Ähnlichkeit zum Hameau de la Reine aufwies, so kann man von La Roches Aussage durchaus auch Schlüsse zu Letzterem ziehen: Erstens geht aus der Beschreibung hervor, dass die gesamte Anlage durch ein Wechselspiel von »Trug« und »Echtheit« gekennzeichnet war, was sie jedoch im Sinne der vraisemblance als nicht weniger »wahr« erscheinen ließ. Zweitens wird der Vorwurf, dass das »Elend« der Landbevölkerung ausgestellt werde, damit entkräftet, dass dies nur das »Äußere« betreffe.
Abb. 91: Anonym, Plans, Élévations, et Coupes du Sallon et de la Salle a Manger du Hameau [de Chantilly], Federzeichnung und Aquarell, in: Jean-Pierre Babelon: Album du Comte du Nord, 1784, Tafel 16, Musée Condé, Chantilly

Abbildungsnachweis: Musée Condé, Chantilly, Inv. Nr. 1930-1-1-F16, © RMN-Grand Palais (domaine de Chantilly), Foto: Franck Raux / René-Gabriel Ojeda
Abb. 92: Alexandre-Théodore Brongniart, Ferme ornée, um 1791, Aquarell auf Papier, Musée du Louvre, Paris

Abbildungsnachweis: Musée du Louvre, Paris, Département des Arts graphiques, Inv. Nr. RF50578-recto, © Musée du Louvre, Dist. RMN-Grand Palais, Foto: Laurent Chastel
77Schmutzigkeit wird gemeinhin als eines der Charakteristika eines Dorfes und der Landbevölkerung verstanden, wobei dies im 18. Jahrhundert eine relativ wertneutrale Bedeutung hatte: »Auf dem Land war Schmutz nach landläufiger Meinung am rechten Ort.«182 Manuel Frey führt dies darauf zurück, dass der »alltägliche Umgang mit Schmutzstoffen […] in den städtischen und ländlichen Unterschichten […] die notwendige Grundlage der beruflichen Existenz« bildete.183 Entsprechend lange hielten sich in diesen Milieus auch Praktiken, sogenannte »Dreckapotheken«, bei denen mithilfe von Schmutz (von tierischen und menschlichen Exkrementen bis hin zu anderen »organischen« Stoffen) versucht wurde, Krankheiten zu heilen. Einerseits folgt daraus, dass Schmutz schlichtweg zum Dorf – mehr noch: zur Ökonomie und damit Tugendhaftigkeit des Dorfes – gehörte und darin folglich dessen Authentizität sichtbar wurde. Andererseits konnten die sozialen Eliten sich mit der Vermeidung von Schmutz – oder im konstanten Bemühen, Schmutz unsichtbar zu machen – von den unteren Schichten abgrenzen. Wenn das Körperverständnis der Aristokratie noch im 18. Jahrhundert von einem geschlossenen Organismus ausging, in den nichts eindringen darf, dessen Genesung nur von innen heraus möglich ist und dessen Körpersäfte eine Gefahr darstellen, weshalb sie ständig künstlich abgeführt werden müssten, dann stand dies dem offenen Körperkonzept der unteren Schichten diametral entgegen.184 Hier eine Analogie zwischen der Oberfläche der Architektur und der des Körpers zu behaupten, würde sicher zu weit führen, jedoch benennt die Einstellung gegenüber Schmutz ein Kriterium, das es gestattet, etwas eindeutig einer bestimmten Schicht zuzuordnen und schichtspezifische Distinktionen vorzunehmen. Der Hameau de la Reine war Teil eines solchen Strebens nach Distinktion, indem er Schmutz und andere Elemente ästhetisch transformierte und damit etwas in ein anderes Milieu versetzte, das dort ansonsten mit aller Kraft gemieden wurde.185
78Das Auftragen von Schmutz auf die Außenwand war eine jener Maßnahmen, mittels derer eine unregelmäßige Erscheinung erzeugt wurde. Eine andere Maßnahme war die bereits in den Beschreibungen der einzelnen Gebäude mehrfach erwähnte Kombinatorik unterschiedlicher architektonischer Elemente: die übertriebene Erweiterung fast aller Häuser durch Gauben, Vorsprünge, Überdachungen und Anbauten, gepaart mit einem grundsätzlichen Streben nach Asymmetrie und einer oft disparaten Materialverwendung, die auf einen größtmöglichen Kontrast abzielte. Wie der Schmutz trugen auch diese Elemente der Unregelmäßigkeit zur Behauptung eines Charakters des Gewachsenseins bei. Die Erweiterungen sollten besagen, dass den Gebäuden weder ein einheitlicher Stil zugrunde lag (oder mehr noch: dass Stil als Form der »Hochkultur« gänzlich unangebracht war), noch dass diese überhaupt zum gleichen Zeitpunkt entstanden oder von derselben Person geplant oder gebaut worden waren.
79Unregelmäßigkeit bestimmt auch die meisten Grundrisse; Ausnahmen bilden lediglich das Boudoir, der Colombier und das Billiard. Alle anderen Gebäude sind durch asymmetrische Grundrisse gekennzeichnet, die jeglicher Architekturlehre widersprechen. John Macarthur hat nachgewiesen, dass diese Behauptung eines Plans als Nicht-Plan eine baukünstlerische Strategie war, um bereits mittels eines Grundrisses einen Effekt des Pittoresken hervorzurufen.186 Ein unregelmäßiger Grundriss evoziert demnach auch eine Vorstellung von Authentizität, und zwar in doppelter Hinsicht: einerseits von der Authentizität der Bauherr*innen, die nicht durch auferlegte Zwänge der Architekturausbildung verdorben sind, sondern das Bauen als menschliche Tätigkeit begreifen; andererseits von der damit behaupteten – und nach außen hin sichtbaren – Authentizität des Gebäudes, das mehr über die Aufrichtigkeit der Erbauerin oder des Erbauers denn über das Befolgen architekturtheoretischer Konventionen aussagen soll.
80Die Hervorhebung der Unregelmäßigkeit deckt sich mit zeitgenössischen Vorstellungen in der Gartentheorie und der Theorie des Pittoresken. Neben der Unregelmäßigkeit als zentraler Eigenschaft des neuen Gartenideals ist »irregularity« einer jener Gebäuden eine pittoreske Anmutung verleihenden Faktoren, die Uvedale Price, der wichtigste Theoretiker des Pittoresken im 18. Jahrhundert, in seinem Essay on Architecture and Buildings neben »roughness«, »variety« und »intricacy« erwähnt.187 Aus dieser Definition des Pittoresken lassen sich drei Konsequenzen ableiten: Erstens vermitteln diese Kriterien nicht nur eine Vorstellung vom Pittoresken, sondern stellen ferner Eigenschaften des Vernakulären dar. Aufgrund dessen sind sie geeignet, den Aufbau des Hameau de la Reine zu beschreiben. Das Pittoreske und das Vernakuläre sind als Charakterisierungen von Architektur auf unterschiedlichen Ebenen der Wertung eng miteinander verknüpft. Zweitens sind es visuelle Kriterien, sie betreffen die Wirkung auf die Betrachter*innen und zeugen damit von einer Vorstellung von Architektur, die durch eine Unmittelbarkeit – und nicht etwa durch die Dechiffrierung architekturtheoretischer Konventionen – zu wirken vermag. Drittens, darauf verweist Caroll Meeks, stehen diese Kriterien in Opposition zu einer (neo-)klassizistischen Auffassung von Architektur.188
81Dennoch wäre es irreführend, den Hameau de la Reine in seiner Ästhetik ausschließlich als vernakulär zu beschreiben, vielmehr sind die Fassaden zudem grundlegend von neoklassizistischen Formen geprägt.189 Anzuführen sind insbesondere das bereits erwähnte Gesims, rustizierte Bänder an Fenstern, rustizierte Nischen (überhaupt: Nischen!) sowie die vereinzelt an Ecken auftretende Rustika, bei der der Putz freigelegt wird. Die bereits angesprochenen Fayence-Blumentöpfe, die in einer Vielzahl im Außenraum standen, sind auch in diesem Zusammenhang zu deuten. In zeitgenössischen Beschreibungen tauchen diese Elemente allerdings nicht auf. Im Cicerone de Versailles aus dem Jahr 1805 wird zwar die Besonderheit des Maison de la Reine erwähnt, die aber nicht an der Durchmischung von Fachwerk, Steinbauweise und neoklassizistischen Elementen festgemacht wird, sondern an »son étendue et par sa construction bisarre« und der »tournure féerie«.190 Der im gleichen Zeitraum ebenfalls von Richard Mique erbaute hameau in Bellevue kannte hingegen keine neoklassizistischen Elemente und wies, wie die anderen hameaux, eine eindeutig vernakuläre Formsprache auf. Lediglich der dortige Turm verfügte über dekorierte Fenster. Die Abweichung war programmatisch: Der hameau in Bellevue war zwar einerseits der direkte Vorläufer des Hameau de la Reine. Letzterer markierte aber durch die Verwendung neoklassizistischer Elemente eine Differenz, die zugleich eine Wertung implizierte.191 Der Hameau de la Reine ist dadurch kaum, wie Annette Condello eine weitverbreitete Forschungsmeinung wiedergibt, als »ramshackle« zu verstehen.192 Er erfand vielmehr einen Neoklassizismus für vernakuläre Architektur und etablierte damit eine deutliche Differenz zu tatsächlicher vernakulärer Architektur, die lediglich als Fundus für einzelne Oberflächenphänomene diente. Der Hameau de la Reine ist als Hybridform zwischen neoklassizistischer und vernakulärer Architektur zu beschreiben, und zwar im Sinne des Ergebnisses eines zweistufigen Prozesses: In einem ersten Schritt wurde aus einem Repertoire vermeintlich vernakulärer Formen – von der Unregelmäßigkeit auf unterschiedlichen Ebenen über die Materialität und Bauweise bis hin zum Schmutz – baukastenhaft ein Gebäude errichtet, das durch seine dezidierte Exuberanz in der Anwendung dieser Formen das Stereotyp der vernakulären Architektur evozieren sollte. Dieser Prozess ist, wenngleich in abgemilderter Form, bei fast allen hameaux zu beobachten. In einem zweiten Schritt wurden diese Gebäude dann mit Formelementen des Neoklassizismus geschmückt, die aber anders als bei der ferme ornée englischer Prägung nicht zur Überdeckung des ländlich-rustikalen Charakters und damit einer Überwindung der Vernakularität dienten, sondern mit der vernakulären Architektur verschmolzen. Der Neoklassizismus ist hier lediglich Beiwerk und kein formbestimmendes Prinzip. Trotz der Übernahme neoklassizistischer Elemente lief diese Architektur d’Angivillers Projekt der Erneuerung von Versailles mit den Mitteln des Neoklassizismus zuwider: Hier war es eine Hybridform zwischen Neoklassizismus und vernakulärer Architektur, dort – wie sich in Rambouillet zeigt – eine absolute, pure Idealform des Neoklassizismus.
82In der Gartentheorie findet sich für die Kombination von vernakulären und neoklassizistischen Elementen lediglich eine einzige Erwähnung. Antoine Nicolas Duchesne sieht den Unterschied zwischen normalen »Mazures Normandes« – also einer Art normannischem Weiler – und denen einer ferme ornée (Duchesne benutzt noch diesen Begriff, seine Konzeption verweist aber bereits eher auf einen hameau) darin, dass Letztere durch »diverses Plantations de pur agrément« ergänzt seien.193 Mit »Plantations« meint er hier aber keine Bepflanzung, sondern »des Cabinets, des Rotondes, des Colonnades«194, also Elemente der »hohen« Architektur, wie sie auch bei den Gebäuden des Hameau de la Reine auftauchen.195 Jetzt wird auch klarer, was Ligne meint, wenn er beim hameau in Chantilly die Echtheit rügt und »l’air d’une citation« vermisst.196 Der Status des Vernakulären als Authentizitätseffekt darf nicht so weit gehen, dass die Architekturen identisch mit tatsächlich vernakulären Gebäuden werden. Lignes unscharfer Begriff der »citation« beschreibt somit das produktionsästhetische Verfahren, durch das diese Differenz aufrechterhalten wird.
83Hirschfeld legt in seiner Theorie der Gartenarchitektur Zeugnis davon ab, dass die »ländliche«, man könnte auch sagen: vernakuläre, Architektur der Gebäude des Hohenheimer Dörfle im »ächten Stil ausgeführt« war.197 Aus dieser Behauptung lassen sich vier wichtige Konsequenzen ableiten, die auch für den Hameau de la Reine gelten: Erstens stellt Hirschfeld einen Konnex zwischen dem Ländlichen und dem Echten her; ländliche Architektur ist nach seiner Auffassung authentische Architektur. Zweitens ist es bemerkenswert, dass für diese Art der Architektur der Begriff des Stils in Anschlag gebracht wird, wurden damit traditionell doch ausschließlich Phänomene der »hohen« Baukunst beschrieben: Indem vernakuläre Architektur aus dem Kanon der Baukunst ausgeschlossen wurde, konnte sie auch nicht über einen eigenen Stil verfügen.198 Daraus folgt drittens, dass die Bezeichnung »ächter Stil« ein Oxymoron ist, insofern »Stil« in diesem Kontext weniger einen »Individualstil«, mit dem ein Künstler oder eine Künstlerin authentische Subjektivität ausdrückt, und auch nicht einen durch Konventionen vorgeschriebenen Stil (also das, was man nachträglich als »Zeitstil« erkennt) meint, sondern vielmehr die Entscheidung für eine Option unter vielen zu dem Zweck, ein Gebäude zu schmücken.199 Der »Stil« eines Gebäudes steht zudem kaum mehr in einer zwangsläufigen Verbindung zur Funktion eines Gebäudes (er sagt also nichts über die Echtheit des Gebäudes aus), sodass er durch eine Äußerlichkeit gekennzeichnet ist, die künstlich auf ein Gebäude übertragen wird. Weil aber vernakuläre Gebäude im klassischen Sinne keinen Stil haben, müssen sie umgekehrt als »echt« gelten, was wiederum jedoch nicht in Kategorien des Stils beschreibbar wäre, ohne den Status des Echten zu verlieren. In diesem Sinne wird mit dem »ächten Stil« zwar einerseits eine Vorstellung von authentischer Architektur etabliert, die insbesondere in Opposition zur »Künstlichkeit« anderer Stile steht, andererseits wird das Authentische hier, indem es zum Stil erklärt wird, zu einer lediglich ästhetischen Strategie degradiert.200 Ist »Echtheit« als stilistische Kategorie erst einmal etabliert, kann dieser Stil – und das ist die vierte Konsequenz – auch frei mit anderen Stilen kombiniert werden, womit sich auch der vernakuläre Klassizismus des Hameau de la Reine erklären ließe.
84Das Echte (beziehungsweise das Vernakuläre) als Stil ist, wie jeder Stil, durch Standardisierungs- und Formalisierungsprozesse bestimmt. Konkret bedeutet dies die Festlegung auf – von mir bereits beschriebene – Elemente, Formen und Mittel, die (rezeptionsästhetisch) sowohl eindeutig zuordenbar sind als auch (produktionsästhetisch) wiederholt werden können. Dies geht zulasten der vermeintlichen lokalen Gebundenheit der Vernakularität. Man kann deshalb mit Dora Wiebenson von einem »universal anonymous vernacular«201 und mit Anthony Vidler von einer »universal rurality«202 oder, wie später noch auszuführen sein wird, von der Genese des Folklorismus sprechen.203 Der Prozess der Wiederholung ist im Sinne des von Jacques Derrida geprägten Begriffs der Iterabilität zu verstehen, mit dem die Struktur, die Wiederholung und deren Folgen genauer beschrieben werden können, als dies der bereits aufgeführte, bei Ligne Verwendung findende Begriff des Zitats zu leisten vermag. Iterabilität »verknüpft die Wiederholung mit der Andersheit«,204 das heißt, durch jede Wiederholung wird unumgänglich eine Veränderung vollzogen. Der Gegenstand der Wiederholung kann mit dem Kontext brechen, in dem er ursprünglich artikuliert wurde, ohne seine Bedeutung einzubüßen.205 Die Bedeutung des wiederholten Gegenstands ist durch eine Instabilität gekennzeichnet, insofern das Prinzip der Iterabilität besagt, dass ein Element zugleich in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen annehmen kann, dabei aber immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einer spezifischen Bedeutung in einem »ursprünglichen« Kontext steht. Entsprechend bewahrt die vernakuläre Architektur des Hameau de la Reine ihre Bedeutung des Authentischen und Ländlichen, nimmt aber, insbesondere durch die Kombination mit neoklassizistischen Formelementen, zudem eine Bedeutung als höfische Architektur an.
Notes de fin
1 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 58, 119, 126.
2 Allein das massenhafte und recht plötzliche Erscheinen ab den 1770er Jahren von Publikationen (aus den Bereichen Gartentheorie, Gartenbeschreibung und Musterbuch), die sich diesen Bauwerken widmen, belegt diese Neuerung. Zuvor waren Gartengebäude kaum Teil der Gartentheorie gewesen, und in architektonischen Musterbüchern spielten sie ebenfalls kaum eine Rolle. Erst Jean-François de Neufforge widmete den Gartengebäuden in seinem einflussreichen Recueil élémentaire d’architecture (1757–1780) mehrere Tafeln.
3 Blondel, Fabrique.
4 Watelet, Fabrique (Encyclopédie), S. 351.
5 Watelet, Fabrique (Dictionnaire), S. 248.
6 Vgl. ebd.
7 Ebd., S. 252.
8 Ebd., S. 249.
9 Vgl. ebd., S. 249 f.
10 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 35.
11 Vgl. Whately, Observations on Modern Gardening, S. 116 f.
12 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 35.
13 Morel, Théorie des jardins, S. 189.
14 Ebd., S. 193 f.
15 Ebd., S. 193.
16 Ebd., S. 194.
17 Ebd., S. 195. Die Wichtigkeit des convenance-Begriffs für die Architekturtheorie des 18. Jahrhunderts wurde bereits erwähnt (→ Natürlichkeit). Morel versteht ihn folgendermaßen: »La convenance en Architecture est une partie fine & délicate qui tient au sentiment, & qui s’acquiert moins par l’étude des regles que par une profonde connoissance des mœurs, des usages du siecle & du pays où l’on vit; elle n’est past tout-à-fait la même à la campagne & à la ville.« Ebd., S. 189 f.
18 Ebd., S. 196.
19 Entsprechend gelte es auch, jegliche Widersprüche zu vermeiden: »[…] il ne construira pas un chaumiere, où il faut une maison de plaisance; un hôtel où doit figurer un château; il ne placera pas une ruine dans le Jardin; un Kiosque dans la ferme; une maison bourgeoise dans le par; un palais dans le pays, ni un pavillon à l’italienne dans un site rustique & sauvage.« Ebd., S. 203 f.
20 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 41.
21 Ebd., Bd. 1, S. 152. → Natürlichkeit
22 Whately, Observations on Modern Gardening, S. 116 f.
23 Ebd., S. 117.
24 Ebd., S. 118.
25 Whately spricht dann von Nachahmung (»imitation«), »when a scene or an object, which has been celebrated in description, or is familiar in idea, is represented in a garden«. Er geht hier also gerade nicht von einer Nachahmung eines materiell bereits vorhandenen Objekts aus, das eins zu eins nachgebildet wird, schreibt aber wenige Sätze später: »[…] they are all representations; but the materials, the dimensions, and other circumstances, being the same in the copy and the original, their effects are similar in both; and if not equally strong, the defect is not in the resemblance; but the consciousness of an imitation, checks that train of thought which the appearance naturally suggests […].« Whately, Observations on Modern Gardening, S. 151 f. Primär gilt es also die von einer fabrique ausgehende Wirkung zu beachten.
26 Diese Kategorie stellt einen Sonderfall dar, weil hier keine vom Menschen gebaute Architektur der Ausgangspunkt für die Nachahmung als fabrique ist, sondern durch die Natur geschaffene Formen. Dennoch werden diese fabriques auf eine vergleichbare Art benutzt, und teilweise dienen Felsen und Grotten auch als bewohnbare Gebäude. Sie besitzen quasi-architektonische Qualitäten, die anderen »natürlichen« Elementen im Garten, wie Bächen, Bäumen und Hügeln, nicht zu eigen sind. Entsprechend sind sie unter den Begriff der fabrique einzuordnen.
27 In der Möglichkeit der Aufteilung in abgetrennte Bereiche und der Vermittlung dieser Architekturen durch Musterbücher zeigt sich bereits, dass die Frage nach der Typologie von Architektur und die Ideen der Serialität, Wiederholbarkeit und Standardisierung zentral sind.
28 Vgl. Hesse, Architektur im Garten, S. 261.
29 Ebd.
30 Carmontelle, Jardin de Monceau, S. 4.
31 Ebd.
32 Ebd.
33 Siegmund, Landschaftsgarten, S. 168.
34 Andere Kritiker lehnen jegliche Form von fabriques in Gärten ab – prominent etwa Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller in ihrem Brief über den Dilettantismus: »Die dabei vorkommenden Gebäude werden leicht, spindelartig, hölzern, brettern aufgeführt und zerstören den Begriff solider Baukunst. Ja sie heben das Gefühl für sie auf. Die Strohdächer, bretterne Blendungen, alles macht eine Neigung zur Kartenhaus-Architektur.« Goethe, Dilettantismus, S. 280. Dass hier die Solidität der Architektur – letztlich Vitruvs firmitas – angeführt wird, zeigt, dass die beiden Klassiker von einem konservativen Architekturbegriff ausgehen, der die wirkungsästhetische Autonomie der Architektur noch nicht kennt.
35 Ledoux, L’architecture, Bd. 1, S. 88.
36 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 1, S. 142. Ein ähnliches Argument führt Morel an; vgl. Morel, Théorie des jardins, S. 228–231.
37 Whately, Observations on Modern Gardening, S. 65, 67.
38 Ebd., S. 67.
39 Ebd.
40 Vgl. zur vraisemblance: Kremer, Vraisemblance; Knabe, Schlüsselbegriffe, S. 472–480.
41 Ligne, Coup d’œil, S. 257.
42 Ebd.
43 Ebd., S. 258.
44 Ebd.
45 Ebd., S. 125.
46 Wimmer, Geschichte der Gartentheorie, S. 470.
47 Whately, Observations on Modern Gardening, S. 151.
48 In zahlreichen Fällen soll mit der von einer fabrique ausgehenden Wirkung ein weiterer Effekt erzielt werden: Erziehung und Bildung. Hirschfeld beschreibt dies folgendermaßen: »Wir sinnen nach, wir vergleichen, wir bleiben an einem Bild hängen, das uns zu gehören scheint; wir sondern aus der allgemeinen Masse der mythologischen Vorstellungen einen Begriff ab, der für jedes Zeitalter, für jeden empfindsamen Betrachter interessant ist; wir werfen die Hülle der Fabel ab, und erblicken die nützliche und unterrichtende Wahrheit, die darunter verkleidet lag.« Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 75. Zahlreiche Gartenanlagen, insbesondere im deutschsprachigen Raum (das eindeutigste Beispiel ist Wörlitz) haben eine solche »Unterrichtung« zum Hauptziel erhoben. Es ist eine Art der Belehrung, die – wie in der Genremalerei – über die direkte Affizierung der Betrachterin, des Betrachters vollzogen wird und nicht primär über eine intellektuelle Auseinandersetzung.
49 Busch, Das sentimentalische Bild, S. 241.
50 Ebd.
51 Vgl. zur Allegorie und zur »Ablehnung der Attribute« (Busch) in der Malerei und Skulptur im 18. Jahrhundert: ebd., S. 206–210.
52 → Theatralität
53 Vgl. Boffrand, Livre d’architecture, S. 11 u. passim. Generell zum Begriff des caractère in der französischen Architekturtheorie: Szambien, Symétrie, goût, caractère, insbes. S. 174–199. Zu dem bekanntesten, anonym erschienenen Text, den Untersuchungen über den Charakter der Gebäude: Schütte, Aufklärung.
54 Kruft, Geschichte der Architekturtheorie, S. 163.
55 Jacques-François Blondel etwa erstellte Listen, in denen Bautypen mit klaren Charaktereigenschaften belegt sind: Tempel (décence), öffentliche Gebäude (grandeur), Denkmäler (somptuosité), Promenaden (élegance); vgl. Blondel, Cours d’architecture, Bd. 1, S. 390.
56 Die neue Architektur, so Rémy Saisselin, sprach nicht mehr »the language of social distinction: it spoke and expressed the taste of the élite of financiers, bankers, speculators and even actresses […]. The syntax remained the same, but it was used by different people and for different purposes so that now even the riches particuliers had houses with columns, peristiles […]. But in addition to its syntax and meaning, speaking architecture was also made expressive of emotional overtones since in the period of luxury capitalism even the rich allowed themselves the luxury of aesthetic and social sentiments.« Saisselin, Architecture and Language, S. 244.
57 Während die Gartentheorie in ihrer Verwendung des Charakterbegriffs zentrale Merkmale der Architekturtheorie – wenn auch nur implizit – übernahm, war auch eine Beeinflussung in die andere Richtung möglich. Beispielsweise hat Johannes Langner die These aufgestellt, dass sich Claude-Nicolas Ledoux’ architecture parlante aus der Idee der fabrique entwickelt habe; vgl. Langner, Ledoux. Damit ließe sich der Ursprung der Idee einer autonomen Architektur in der Entstehung der fabriques verorten.
58 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 41.
59 Watelet behauptet sogar, dass die »ennuyeuse uniformité« eines Gartens nur durch die Abwechslung, die unterschiedliche fabriques böten, überwunden werden könne; Watelet, Essai sur les jardins, S. 24.
60 Whately, Observations on Modern Gardening, S. 118.
61 Ebd.
62 Ebd., S. 118 f.
63 Ebd., S. 117.
64 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 1, S. 142. Die Verknüpfung von Charakter und Umgebung stellt auch Antoine Quatremère de Quincy her. Gemäß seiner caractère-Lehre, die er etwa zur selben Zeit entwickelte, bildet sich der Charakter der Architektur als ein Resultat von Ort und Klima heraus, der Charakter beruht hier also auf vermeintlich empirischen Größen; vgl. Vidler, Writing of the Walls, S. 156.
65 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 41.
66 Das Auftauchen von fabriques in der Gartenarchitektur und die Annahme, dass Architekturen einen Charakter besitzen und dadurch eine bestimmte Wirkung auf eine Betrachterin, einen Betrachter ausüben, das heißt, dass es eine Verbindung zwischen einer expressiven Architektur und einer steuerbar-subjektiven Erfahrung gibt, korrelieren mit dem quantitativen Anstieg von Abbildungen von Architekturen in der französischen Malerei ab etwa 1730. Die Architektur emanzipierte sich als eigenständiges Bildthema von ihrer vormaligen Funktion als bloßes Beiwerk; vgl. Bandiera, Pictorial Treatment of Architecture.
67 Gamper u. Hühn, Einleitung, S. 12. Der Begriff der Darstellung hatte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Konjunktur und ist damit für das Thema dieser Arbeit zentral. Winfried Menninghaus weist nach, dass er vor 1774 kaum verwendet wurde und dann aber in jeder (philosophischen) Auseinandersetzung vorkommen musste; vgl. Menninghaus, Darstellung. S. 205. Damit reagierte die theoretische Auseinandersetzung auf ein Phänomen, das in den Künsten bereits etabliert war und das ein neues Regime von Repräsentation (sowohl in produktions- als auch rezeptionsästhetischer Hinsicht) hervorbrachte. → Architekturobjekte → Theatralität
68 Gamper u. Hühn, Einleitung, S. 13.
69 → Theatralität
70 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 1, S. 152.
71 Vidler, Writing of the Walls, S. 156.
72 Watelet, Essai sur les jardins, S. 52.
73 Gelegentlich wird behauptet, dass die ferme ornée (oder der hameau) aus der Eremitage hervorgegangen sei. Bereits Hirschfeld belegt jedoch in seiner Charakterisierung der Eremitage (bei ihm als »Einsiedeley« bezeichnet), dass dies eine verkürzte Sichtweise ist: »[…] die Einsiedeley ist auf einen Einzelnen eingeschränkt.« Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 97. Die hameaux zeichnen sich hingegen durch eine Verlebendigung aus, die notwendigerweise mehrere Personen miteinbezieht.
74 Eine Auseinandersetzung mit dem Bautypus des hameau und eine ausführliche Theoretisierung dieser Architektur stehen noch aus. In keinem Nachschlagewerk zur Gartenbaukunst (Conan, Dictionnaire; Taylor, Oxford Companion to the Garden) findet sich ein Eintrag zu »hameau«. Im Folgenden wird die Diskussion der Gartentheorie zur ferme ornée in den Fokus gerückt, weil die kunsthistorische Aufarbeitung einzelner, vor allem englischer Anlagen bereits vorliegt. Obwohl in der gartentheoretischen Diskussion vermehrt der Begriff ferme ornée verwendet wird und zahlreiche hameaux auch mit diesem Begriff beschrieben werden, ist eine Differenzierung angebracht. Eine Beschäftigung mit den in England entwickelten theoretischen Grundlagen der ferme ornée – die oft induktiv argumentieren, indem sie von den Beschreibungen einzelner Gartenanlagen ausgehen – ist auch deshalb wichtig, weil diese sowohl in Frankreich zirkulierten, als auch wiederum in der französischen Gartentheorie aufgegriffen wurden. Erst vor dieser Folie lassen sich dann die Eigenheiten der hameaux herausarbeiten. Grundlegende neuere Forschungsansätze zur ferme ornée, in denen aber die hameaux kaum eine Rolle spielen, sind: Sayre, Locating the Georgic; Schulz, Gartenkunst, Landwirtschaft und Dichtung; Symes, Politics of the Ferme Ornée.
75 → Ökonomie
76 Die erste Auflage erschien zwischen 1715 und 1718, die zweite 1742. William Brogden geht allerdings davon aus, dass die Ergänzungen zur zweiten Auflage bereits zwischen 1728 und 1730 geschrieben wurden und Switzer die Veröffentlichung aufgrund seiner Arbeit an der Introduction to a General System of Hydrostaticks and Hydraulicks (1729) verschieben musste; vgl. Brogden, Ferme Ornée, S. 39.
77 Switzer, Ichnographia Rustica, Anhang, S. 8 f.
78 Bereits 1778 verweist William Mason darauf: »Mr. Southcote was the introducer, or rather the inventor of the Ferme ornée, for it may be presumed that nothing more than the term is of French extraction.« Mason, English Garden, S. 211.
79 Joseph Addison, Pleasures of the Imagination, S. 725.
80 Switzer, Nobleman, S. 255.
81 Ebd., S. XII.
82 »omni tulit punctum, qui miscuit utile dulci / lectorem delectando pariterque monendo« [Jede Stimme erhielt, wer Süßes und Nützliches mischte, indem er den Leser ergötzte und gleicherweise belehrte].« Horaz, De arte poetica, S. 652 f., Vers 343 f.
83 Switzer, Nobleman, S. XIII.
84 »laudato ingetia rura, exiguum colito [Lobe immer riesige Güter, bestelle aber nur ein kleines!].« Vergil, Georgica, Liber secundus, S. 62 f., Vers 412 f.
85 Switzer, Nobleman, S. XIII.
86 Ebd., S. XIX.
87 Vgl. Whately, Observations on Modern Gardening, S. 156 f.
88 Ebd., S. 157.
89 Ebd., S. 161.
90 Ebd.
91 Ebd., S. 171.
92 Ebd., S. 174.
93 Ebd., S. 182.
94 Ebd., S. 177.
95 Ebd.
96 → Ökonomie
97 Vgl. Sayre, Locating the Georgic, S. 167.
98 Chambers, Planters of the English Landscape Garden, S. 190.
99 In der Anlage des Gartens von Schloss Malmaison, die zuerst von Jean-Marie Morel und dann von Thomas Blaikie gestaltet wurde, finden sich ebenfalls an die englische ferme ornée angelehnte Elemente, etwa eine vacherie und eine bergerie. Diese Teile wurden jedoch erst ab 1799 angelegt, also zu einem Zeitpunkt, als die Idee des hameau schon längst etabliert war. Man kann sie daher in Abgrenzung zu anderen hameaux sehen und vor dem Hintergrund einer Rückkehr zur eigentlichen Idee der ferme ornée: Die tatsächliche Wirtschaftlichkeit stand im Vordergrund, und ästhetisch erinnern die zweckmäßigen Bauten ebenfalls weniger an das folkloristische Formvokabular der hameaux; vgl. Laborde, Description, S. 66–68.
100 Giradin besuchte die Anlage 1763 und errichtete für William Shenstone, den Besitzer von The Leasowes, sogar einen Gedenkstein in Ermenonville; vgl. Myers, Visuals Fields, S. 33.
101 → Ökonomie
102 → Ökonomie
103 So sehr die ferme ornée von einer schönen Ansicht der Landwirtschaft ausgeht und eine ästhetische Transformation agrikultureller Nutzarchitekturen einfordert, so wichtig ist dabei auch das tatsächliche Funktionieren des landwirtschaftlichen Betriebs. Zudem sind viele fermes ornées in England – und frühe Beispiele in Frankreich – durch die Einführung progressiver agrikultureller Methoden oder zumindest durch die Behauptung, an dieser Entwicklung Anteil zu haben, gekennzeichnet. Die ferme ornée wird damit – meist lediglich als diskursive Behauptung – zum Ort landwirtschaftlicher Experimente. → Ökonomie
104 Aspekte der Inszenierung von Landwirtschaft und die im Hameau de la Reine erzeugten Authentizitätseffekte werden weiter unten ausgeführt, die Etablierung von Nützlichkeit als ästhetische Kategorie wird in einem separaten Kapitel behandelt. Dort wird sich zeigen, dass es – durchaus nicht inkompatibel mit Carmontelles und Duchesnes Ablehnung ländlicher Tätigkeiten, die im Folgenden diskutiert wird – zu einer Wertschätzung von agrarischer Produktivität kam. → Ökonomie
105 Carmontelle, Jardin de Monceau, S. 5.
106 Duchesne, Formation des jardins, S. 58.
107 Ebd., S. 57.
108 Rapp, Beschreibung des Gartens in Hohenheim, S. 56.
109 Whately, Observations on Modern Gardening, S. 151.
110 Morel, Théorie des jardins, S. 197.
111 Ligne kritisiert am hameau in Chantilly sogar, dass dieser »trôp isolé« gelegen sei; vgl. Ligne, Coup d’œil, S. 424.
112 Watelet, Essai sur les jardins, S. 29.
113 → Theatralität
114 Bereits 1778 – noch bevor die meisten hameaux erbaut waren – bemerkte der Duc de Croÿ, dass der hameau in Chantilly »devenait fort fameaux et tout le monde voulait le copier«. Croÿ, Journal, Bd. 4, S. 130.
115 Zur Ansichtigkeit, Bildhaftigkeit und zu den Blickkonstellationen in hameaux → Theatralität.
116 Vgl. Le Prieur, Description, S. 27 f., 36–42.
117 Martin, Dairy Queens, S. 182. Was Meredith Martin mit »ritual« genau meint, bleibt unklar und wird bei ihr nicht weiterverfolgt, jedoch scheint mir der Begriff wichtig zu sein insofern, als damit eine an Architekturen gekoppelte Praxis beschrieben ist, das heißt, dass Architekturen also nie einfach »nur da« sind.
118 Vgl. zur Ausstattung des hameau in Chantilly: Hays, Landscape within Buildings.
119 »Le dehors & l’intérieur semblent s’étonner de se trouver réunis, & n’étonnent pas moins les spectateurs par le contraste singulier de ce rapprochement des extrêmes.« Dulaure, Nouvelle description, Bd. 1, S. 80 f.
120 Oberkirch, Mémoires, Bd. 1, S. 225.
121 Vgl. Imorde, Neumeyer u. Weddigen, Barocke Inszenierung.
122 Heideloff, Merkwürdigste innere Ansichten, Heft 1, o. S.
123 Laborde, Description, S. 97.
124 Heideloff, Ansichten, S. 50.
125 Ebd.
126 Ebd.
127 → Theatralität
128 Le Prieur, Description, S. 24.
129 Meredith Martin geht hingegen von einem solchen Regelbruch aus; vgl. Martin, Dairy Queens, S. 183.
130 Blondel, Fabrique.
131 Whately, Observations on Modern Gardening, S. 181 f.
132 Watelet, Essai sur les jardins, S. 29.
133 Ebd., S. 42.
134 Ebd., S. 52.
135 Im 18. Jahrhundert wurde der Begriff der simplicité im Deutschen mehrheitlich mit Einfalt übersetzt, aber auch Einfachheit fand gelegentlich Verwendung. Zur Konnotation von Einfalt als sowohl »edel« als auch »dumm« vgl. Schlich, Literarische Authentizität, S. 83–88. Die kunsttheoretische Verwendung von simplicité findet ihren Ausgangspunkt in Nicolas Boileaus Traité du sublime (1674) in der Verknüpfung von simplicité und sublime, und zwar nicht, wie Claudia Henn bemerkt, weil der Begriff erst dann auftauchte, »sondern weil erst mit dem Konzept des sublime das Angebot der mit simplicité assoziierbaren ästhetischen Phänomene dem 18. Jahrhundert zur Verfügung steht«; Henn, Simplizität, Naivität, Einfalt, S. III. Simplicité musste als vormals lediglich der Rhetorik (als simplicité majestueuse, simplicité gracieuse und simplicité précieuse) zugehörig erst in den Bereich des Ästhetischen integriert werden, um dort als Kategorie wirksam werden zu können. In der langen Ausdifferenzierung des Begriffs kam es immer wieder zu größeren Überschneidungen mit dem Begriff der naïveté; vgl. dazu: Rincón, Naiv; Jäger, Naivität.
136 Vgl. Szambien, Symétrie, goût, caractère, S. 149–157.
137 Vgl. Herrmann, Laugier, S. 28, 209. Wolfgang Herrmann führt im Anhang die wichtigsten Stellen der Begriffsverwendung bei Andrea Palladio, Vincenzo Scamozzi und François Blondel sowie in französischen Quellen des 18. Jahrhunderts auf; vgl. ebd., S. 209 f.
138 Ebd., S. 28.
139 Vgl. Szambien, Symétrie, goût, caractère, S. 151.
140 Campan, Mémoires, Bd. 2, S. 40.
141 Levesque, Simplicité.
142 Ebd.
143 Ebd.
144 In seinem Essai sur les jardins bedient sich Watelet der identischen Begründung, um den symmetrischen Garten zu kritisieren, an dessen Stelle nützliche Elemente treten sollen: »L’industrie qui n’est pas appliquée à des objets utiles, peut obtenir quelques momens d’admiration: mais l’impression en est peu durable.« Watelet, Essai sur le jardins, S. 52. Simplicité und utilité sind demnach wesensverwandt, das Nützliche zeigt sich als Erscheinung der simplicité.
145 Levesque, Naif, S. 576.
146 Genauer geht es um die Aktivität des Dekorierens; denn Watelets Artikel zu »décorer« ist aufschlussreicher als sein Eintrag zu »décoration«, in dem er sich hauptsächlich mit Bühnenbildern auseinandersetzt. Dennoch spekuliert er in letzterem Eintrag über das Wesen jeglicher Dekoration. Watelet findet drei Erklärungen, die die Notwendigkeit der Dekoration begründen: Kennzeichnung von gesellschaftlichen Hierarchien, etwa durch Kleidung oder Bauschmuck; Vermeidung von Gleichförmigkeit, denn nur die Abwechslung bereite Vergnügen; Nachahmung der Natur, die mit ansprechenden Formen »geschmückt« ist. Die Aktivität des Dekorierens wird damit zu einer anthropologischen Konstante erhoben, was Watelet durch das Argument zu belegen versucht, dass sowohl »les hommes civilisés, ainsi que ceux que l’on nomme sauvages, ornent ou décorent donc leurs dieux, leurs temples, leurs cabanes«. Watelet, Décoration, S. 571.
147 Watelet, Décorer, S. 581.
148 Duchesne, Formation des jardins, S. 57. → Geschichtlichkeit
149 Frézier, Dissertation historique, S. 71.
150 Fontius, Winckelmann, S. 11–13, belegt, dass der simplicité-Begriff, ausgehend von der französischen Klassik des 16. und 17. Jahrhunderts, bereits ab dem frühen 18. Jahrhundert – sein Gewährsmann ist Charles Rollin – den ausschließlichen Bezug auf die Antike abstreifte, stattdessen habe die (noble) simplicité schlichtweg den guten Geschmack ausgezeichnet, der auch in anderen Zeiten vorgefunden werden konnte.
151 Andrea Siegmund interpretiert »ländliche Staffagen« wie hameaux grundsätzlich als Orte der Stadtflucht; vgl. Siegmund, Landschaftsgarten, S. 222–226. → Ökonomie
152 → Geschichtlichkeit
153 Vgl. Herrmann, Laugier, S. 209.
154 Vgl. Saage, Utopie als »Fürstenspiegel«.
155 → Ökonomie
156 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 97.
157 Ebd., S. 103.
158 Walpole, Modern Gardening, S. 145 f. Zwar spricht hier Walpole nicht über die ornamental farm oder hameaux, sondern über die Eremitage, doch geht es ihm an dieser Stelle weniger um die Funktion als um die Ästhetik von Gartengebäuden. Im Gegensatz zur ornamental farm ist die hermitage, wie sie Walpole beschreibt, auch durch ein rustikales Äußeres gekennzeichnet – ein Merkmal, das die hameaux in Frankreich aufnehmen sollten. Hier zeigt sich bereits, dass eine Trennung zwischen diesen unterschiedlichen Gebäuden schwierig ist und man von einer gegenseitigen Durchdringung ausgehen muss.
159 Anonym, Vernaculaire.
160 Ebd. Dass der Begriff unter »Maladies« eingeordnet ist, ist für unseren Zusammenhang weniger wichtig. Ausschlaggebend ist allein, dass dem Begriff in der Encyclopédie – das macht der zitierte einführende Satz deutlich – eine allgemeine Sprachverwendung eignet, und viel mehr noch: dass die Idee der Vernakularität auf diese Art Mitte des 18. Jahrhunderts existierte.
161 Serres, Fünf Sinne, S. 341.
162 Illich, Genus, S. 178.
163 Illich, Vernakuläre Werte, S. 171 f.
164 → Geschichtlichkeit. Dort wird die vermeintliche Widersprüchlichkeit von Urtümlichkeit und Überzeitlichkeit ausführlicher diskutiert.
165 Illich, Vernakuläre Werte, S. 178.
166 Anonym, Rusticité.
167 Jaucourt, Rustique, S. 445.
168 Colquhoun, Concept of Regionalism, S. 150.
169 Rapp, Beschreibung des Gartens in Hohenheim, S. 68.
170 → Geschichtlichkeit
171 Colquhoun, Concept of Regionalism, S. 150.
172 Komplette hameaux kommen bei Le Rouge hingegen nicht vor. Bereits in seinem ersten Heft veröffentlichte er einen Plan von Chantilly, allerdings ist dort der Zustand von 1772 abgebildet und der hameau, der zum Zeitpunkt der Arbeit am ersten Heft (1774/75) bereits fertiggestellt und bekannt war, offenbar nicht erwähnenswert. Auch im zweiten Heft, das eine Abbildung der laiterie in Chantilly enthält, wurde keine Aktualisierung im Hinblick auf den hameau vorgenommen.
173 Entsprechend kann Weber, Mémoires, S. 42, die einzelnen Häuser auch als »hameaux« bezeichnen. Dass der Begriff dergestalt bei Le Rouge Verwendung findet, ist demnach nicht ein Verweis auf die Ästhetik bereits existierender hameaux in Gartenanlagen, sondern auf eine allgemeinere Verwendung des Begriffs.
174 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 3, S. 103.
175 Martin, Dairy Queens, S. 182.
176 Oberkirch, Mémoires, Bd. 1, S. 225.
177 »Les murs éxterieurs [der ferme ornée; Anm. FV] sont construits & entretenus avec une attention qui me satisfait: la pierre est entremêlée de brique. Cette diversité a donné lieu de former une espece de socle, de distinguier un couronnement; & par cette légère variété on a su décorer la construction, sans s’éloigner du caractère qui lui convient.« Watelet, Essai sur les jardins, S. 27 f.
178 Vgl. zur Ornamentkritik als Oberflächenkritik: Szambien, Symétrie, goût, caractère, S. 149–164; Herrmann, Laugier, S. 53–67.
179 Niklas Luhmann beschreibt das Erkennen der Täuschung als ein zentrales Kriterium jeglicher Kunst: »Es mag sich um eine Täuschung handeln, wie etwa in der perspektivischen Malerei oder im Bühnentheater; aber wenn es denn Täuschung ist, dann ist es durchschaute Täuschung, deren Rahmen oder deren Bühne zugleich sicherstellt, daß man sie nicht mit der Alltagswelt verwechselt. […] Die Ausdifferenzierung des schönen Scheins entfernt die Kunst nicht aus der zugänglichen Welt. Deshalb muß das Medium durch eine Doppelrahmung konstituiert werden: durch eine Täuschung, die zugleich auf Grund besonderer Anhaltspunkte als solche durchschaut wird; durch ein inneres Medium der Formung eines Materials wie Farbe, Sprache, Körperbewegung, räumliches Arrangement, in einem äußeren Medium der auffälligen Besonderheiten und Abgrenzungen, das sicherstellt, daß die Formen der Kunst wahrgenommen werden und nicht als Holz oder als Anstrich oder als einfache Mitteilung oder als menschliches Verhalten.« Luhmann, Kunst der Gesellschaft, S. 177 f.
180 Mémoire, unterzeichnet von Tolède und Dutens, zu den Malerarbeiten im Innenraum, AN O/1/1881, o. S.
181 La Roche, Journal, S. 458. Vgl. zum hameau in Montreuil: Zimmermann, Jardin de Madame, S. 73–78.
182 Frey, Der reinliche Bürger, S. 62.
183 Ebd., S. 63.
184 Vgl. Sarasin, Reizbare Maschinen, insbes. S. 32–95, 260–355.
185 → Ökonomie
186 Vgl. Macarthur, Picturesque, S. 124–139.
187 Price, Essay on Architecture and Buildings, S. 262 u. passim.
188 Vgl. Meeks, Picturesque Ecclecticism, S. 227 f.
189 Gwendolyn Wright bestimmt für »vernakuläre Architektur« (damit meint sie im Prinzip aber nur Tendenzen, die ab dem 19. Jahrhundert primär in England auftraten) drei Kriterien, zu denen auch die »falsche« Aneignung der »Hochkultur« gehöre: »(1) the copying of high culture forms without understanding them; (2) the distortion of those forms through exaggeration or incorrect use of details; and (3) the perpetuation of traditions oblivious to the influence of high culture.« Wright, Dilemmas of Diversity, S. 118. Dass diese Wertung problematisch ist, liegt auf der Hand. Viel wichtiger scheint mir jedoch, dass die Verwendung von neoklassizistischen Formen in der »vernakulären« Architektur des Hameau de la Reine zu diesem Zeitpunkt noch keine Präzedenz in der vernakulären Architektur besaß. Was Richard Mique hier schuf, war nicht die »falsche« (Wright) Nachahmung eines neoklassizistischen Formenvokabulars, sondern im Gegenteil die Anreicherung einer vermeintlich »einfachen« Architektur mit etablierten Formen. Was Wright als »exaggeration« benennt, trifft zwar auch auf den Hameau de la Reine zu, jedoch nicht im Sinne einer »inkorrekten« Verwendung, sondern viel mehr in dem Sinne, dass die Differenz zur tatsächlichen dörflichen Architektur markiert wurde.
190 Le Cicerone de Versailles, S. 99.
191 Dass damit auf den Status der Bauherrin verwiesen wurde, scheint mir weniger zutreffend zu sein, als dass es generell um eine Überbietung aller anderen hameaux ging, was sich bereits allein im Umfang zeigt.
192 Condello, Sybaris, S. 261.
193 Duchesne, Formation des jardins, S. 59.
194 Ebd.
195 »Plantations« als eine Aufpflanzung verweist hier bereits auf das Verfahren, dass etwas zusätzlich an ein Haus angebracht, gewissermaßen aufgepfropft, wird.
196 Ligne, Coup d’œil, S. 77.
197 Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. 5, S. 351.
198 → Geschichtlichkeit
199 Es ist vielfach erwähnt worden, dass sich diese Auflösung von stilistischen Verbindlichkeiten am Ende des 18. Jahrhunderts vollzog und diese Zeit entsprechend durch einen Stilpluralismus gekennzeichnet war. Fabriques im Garten sind diejenigen Gebäude, bei denen sich dieser Wandel zuerst ankündigte, die Gartentheorie der diskursive Kontext, in dem sich diese neuen Vorstellungen von »Stil« herausbildeten. Vgl. zum Stilpluralismus im 18. Jahrhundert: Crook, Dilemma of Style, S. 11; Wittkower, Englischer Neopalladianismus, S. 309 f. Die Historisierung und Archäologisierung von Baustilen im späten 18. Jahrhundert als eine Verschränkung von Empirisierung und Ästhetisierung ist Gegenstand eines späteren Kapitels. → Geschichtlichkeit
200 Die Aufwertung von und die Hinwendung zu vernakulärer Architektur sowie deren Einverleibung in ein Konzept des Stils stehen auch in einem Zusammenhang mit der Abwertung der Rhetorik und der Suche nach Aufrichtigkeit und Spontaneität, mithin also nach dem Ideal des Authentischen. Paul de Man hat gezeigt, dass Jean-Jacques Rousseau in seiner Ablehnung der Rhetorik eine Rhetorik der Unmittelbarkeit entwickelte, dass also kontraintuitiv aus der Kritik an der Rhetorik nur eine andere Rhetorik folgte. Bei Rousseau nahm diese Rhetorik eine andere Form an und suchte sich selbst unsichtbar zu machen; vgl. Man, Rhetoric of Blindness.
201 Wiebenson, Picturesque Garden in France, S. 87.
202 Vidler, Writing of the Walls, S. 145.
203 → Geschichtlichkeit
204 Derrida, Signatur Ereignis Kontext, S. 80.
205 Damit ist nicht die Ebene der Universalisierung gemeint, durch die ebenfalls ein Bruch mit einem spezifischen Kontext vollzogen wird, sondern ein allgemeines Prinzip, das alle Kontextverschiebungen betrifft.

Le texte seul est utilisable sous licence Creative Commons - Attribution 4.0 International - CC BY 4.0. Les autres éléments (illustrations, fichiers annexes importés) sont « Tous droits réservés », sauf mention contraire.
Journal
Regards sur l’art et les artistes contemporains, 1889–1937
Comte Harry Kessler Ursel Berger, Julia Drost, Alexandre Kostka et al. (éd.) Jean Torrent (trad.)
2017
Kurt Martin et le musée des Beaux-Arts de Strasbourg
Politique des musées et des expositions sous le IIIe Reich et dans l’immédiat après-guerre
Tessa Friederike Rosebrock Françoise Joly (trad.)
2019
Das Spektakel der Auktion
Die Gründung des Hôtel Drouot und die Entwicklung des Pariser Kunstmarkts im 19. Jahrhundert
Lukas Fuchsgruber
2020
« Belle comme Vénus »
Le portrait historié entre Grand Siècle et Lumières
Marlen Schneider Aude Virey-Wallon (trad.)
2020
Une collecte d’images
Walter Benjamin à la Bibliothèque nationale
Steffen Haug Jean Torrent (trad.)
2022
Patrimoine annexé
Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800
Bénédicte Savoy
2003
Le héros épique
Peinture d’histoire et politique artistique dans la France du XVIIe siècle
Thomas Kirchner Aude Virey-Wallon et Jean-Léon Muller (trad.)
2008
Compagnons de lutte
Avant-garde et critique d’art en Espagne pendant le franquisme
Paula Barreiro López Phoebe Hadjimarkos Clarke (trad.)
2023
Nationalismes, antisémitismes et débats autour de l’art juif
De quelques critiques d’art au temps de l’École de Paris (1925-1933)
Alessandro Gallicchio Katia Bienvenu (trad.)
2023