Das Gemälde im Pariser Salon
p. 29–30
Texte intégral
1Zum besseren Überblick wurde parallel zur Präsentation des Bildes im Pariser Salon von 1845 eine leporelloartig faltbare Lithografie hergestellt, die das vor dem Gemälde stehende Publikum auf ein Format von 21 × 100 cm ausklappen konnte. Auf dem dort als Umrisszeichnung skizzierten Gemälde waren die wichtigsten Figuren wiedergegeben und mit Nummern versehen, denen wiederum Personennamen der französischen Kämpfer und der algerischen Stammesangehörigen zugeordnet werden konnten.28 Im Ausstellungskatalog des Salons wurde außerdem ein sechsseitiger Kommentar abgedruckt, der alle Einzelheiten der Eroberung bis hin zur Nennung der Kriegsgefangenen ausführlich beschrieb.29 Ein Kritiker merkte an: »Wir können daher sagen, dass das Bild vom Betrachter nicht nur verlangt, dass er sich bewegt, sondern auch, dass er während des Betrachtens liest.«30
2Vernets La prise de la smala d’Abd el-Kader galt als Hauptattraktion des Pariser Salons von 1845. Familien strömten vor das Bild wie vor die zur selben Zeit verbreiteten Panoramen, um ein Spektakel zu erleben; Spielzeug mit Smala-Motiven, beispielsweise ein Diorama von der Schlacht, wurde hergestellt.31 Diesen Unterhaltungswert des Bildes kritisierten Vernets Kollegen. Sein Interesse an nordafrikanischen Lebensgewohnheiten wurde nur bedingt geteilt: »Zunächst eine Schlacht, und dann eine Art Panorama afrikanischer Sitten und Gebräuche. Von der Schlacht erfährt man wenig; man sieht gerade nur eine Episode.«32 Kurz und prägnant formulierte Charles Baudelaire (1821–1867) seine Abneigung: »Dieses afrikanische Gemälde ist frostiger als ein klarer Wintertag. – Alles ist von einer trostlosen Weiße und Helle. Jede Einheit fehlt; statt dessen eine Fülle interessanter kleiner Anekdoten – ein riesiges Panorama für ein Wirtshaus.«33
3Der um 1845 häufig angestellte Vergleich mit einem Panorama kann im hier behandelten Zusammenhang als erster Hinweis auf die Eignung des Bildes für die Umsetzung in eine Bildtapete, französisch »papier peint panoramique«, gedeutet werden. Vernets Gemälde war dafür wie geschaffen, weil es ein narratives Bild ist, das keinen Erzählkern hat und keine visuelle Einheit. Die »Fülle interessanter kleiner Anekdoten« musste an den 21 Metern des Gemäldes abgeschritten werden, um sie zu sehen – und so konnten sie ebenso gut auf die Wände eines Raumes verteilt werden.
Notes de fin
28 Notice sur l’expédition qui s’est terminée par la prise de la smahla d’Abd-el-Kader, le 16 mai 1843, Paris 1845. Im Folgenden genannte Personennamen einzelner Figuren stammen aus dieser anonymen Quelle.
29 Eintrag: »1628 – Prise de la smahla d’Abd-el-Kader à Tanguin (16 mai 1843)«, faksimiliert in: Paris Salon de 1845, hg. von Horst W. Janson, New York/London 1977, S. 196–203. Text auch abgebildet bei Marrinan 1997 (Anm. 20), S. 284.
30 Marrinan 1997 (Anm. 20), S. 286.
31 Zur Funktion von Bildwerken bei der Propagierung und Popularisierung der Kolonisierung Algeriens vgl. Zarobell 2010 (Anm. 20); Jennifer Elson Sessions, Making Colonial France. Culture, National Identity and the Colonization of Algeria, 1830–1851, Ann Arbor, MI 2005; Garnier 2003 (Anm. 3), S. 43; Stéphane Guégan, »Images Coloniales?«, in: Ausst.-Kat. Paris 2003 (Anm. 9), S. 18. In der Sammlung Wolfgang Vollrath, Essen, befindet sich ein Diorama der Prise de la smala d’Abd el-Kader.
32 Marrinan 1997 (Anm. 20), S. 286–287.
33 Charles Baudelaire, »Salon de 1845«, in: Charles Baudelaire, Écrits sur l’art, hg. von Francis Moulinat, Paris 1999, S. 61: »Cette peinture africaine est plus froide qu’une belle journée d’hiver. – Tout y est d’une blancheur et d’une clarté désespérantes. L’unité, nulle; mais une foule de petites anecdotes intéressantes – un vaste panorama de cabaret; […].«
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