Die Eroberung der Smala durch die französische Armee
p. 19–22
Texte intégral
1Der Kolonialisierung stellten sich die kämpfenden Stämme vor allem dadurch entgegen, dass sie ihre Feinde am Zugang zum Hinterland zu hindern versuchten. Das französische Militär war auf das Terrain der algerischen Wüste nicht vorbereitet. Bei der Taktik ihrer Kriegsführung war anfänglich noch nicht einmal geklärt, »ob man bloß Algier erobern und die erlittenen Beleidigungen rächen, oder das Land für sich behalten wolle«, so ein Beobachter des Feldzugs, Carl von Decker, 1844.11 Nachdem die Entscheidung für eine vollständige Unterwerfung Algeriens gefallen war, wurde festgestellt, dass die Armee nicht in der Lage war, sich im Land selbst zu versorgen:
»Es giebt in Afrika keine vollen Scheunen, wo man nur zugreifen braucht […]. Der Araber besitzt zwar Vorräte an Getreide, allein sie liegen in ›Silos‹ versteckt unter der Erde und lassen sich ohne Spione nicht auffinden […]. Alle übrigen Bedürfnisse, die dem Soldaten willkommen wären, besitzt der Araber nicht; keine Schuhe und Stiefel, die man ihm ausziehen könnte, keine Tücher und Leinwand, die man nur zu fordern oder wegzunehmen brauchte.«12
2Von Decker fährt fort:
»Selten ist ein Krieg mit so geringen topographischen Kenntnissen vom Schauplatz desselben unternommen worden, wie der in Afrika […]. Endlich gibt es in diesem Lande g a r k e i n e Wege […]. Die Araber, als Nomaden, schlagen nämlich ihre Zeltstädte […] absichtlich in einsamen, von aller Wegsamkeit entblößten Gegenden auf, um der Zudringlichkeit ihrer reisenden Glaubensgenossen auszuweichen, und zugleich den Späherblicken ihrer Feinde sich zu entziehen. Diese Verstecke sind schwer aufzufinden, da sie höchstens durch den Rauch der Kochfeuer sich verrathen, und wenn daher eine Expedition gegen sie unternommen werden soll, so kann es nicht anders als o h n e Weg geschehen.«13
3Seit seiner Ernennung zum Generalgouverneur Algeriens führte Thomas-Robert Bugeaud 1840 das System der leichten Kolonnen ein und übernahm die Taktik der Razzia von Abd el-Kader. Die französischen Pferde wurden durch arabische Pferde ersetzt, alles schwere Gepäck wurde im Depot unter Bewachung zurückgelassen, um die Bewegungsfreiheit nicht einzuschränken. Die Uniformen der chasseurs d’Afrique wurden umgestaltet – als Reaktion auf das ungewohnte Klima. Von diesen Anpassungen profitierte auch die Expedition zur Eroberung der Smala durch den Herzog von Aumale. Am 2. Mai 1843 zog dieser mit 1 300 Infanteristen, einem Zug Artillerie mit zwei Kanonen und 600 Kavalleristen von Médéa aus.14 Giuseppe Vantini, genannt Yussuf (vor 1809–1866), ein auf Elba geborener und in Nordafrika aufgewachsener Konvertit zum Islam, begleitete ihn.15 Yussuf führte die Spahis an, jene algerischen Legionäre, auch Angehörige von Berberstämmen, die vor 1830 in osmanischem Dienst gekämpft hatten und deren Regimenter 1834 die französische Armee übernommen hatte. »Man wusste zwar, dass es die Smala gab, aber niemand konnte oder wollte oder wagte zu sagen, wo sie war. Man hatte gehofft, unterwegs die unerläßlichen Informationen zu sammeln, aber vor der Kolonne war nur die Leere«,16 erinnerte sich General François Charles du Barail (1820–1902), der, wie andere beteiligte Soldaten auch, der Expedition so tief ins Landesinnere mit Skepsis gegenüberstand. Demnach gab am 15. Mai ein siebenjähriger Junge der Truppe den entscheidenden Hinweis, dass die Smala in der Nähe sei:
»Von nun an ließ der Herzog von Aumale die Armee in Gewaltmärschen vorrücken, sogar ohne nachts anzuhalten. Um fünf Uhr morgens ließ der Herzog die Kavallerie in Trab fallen, indem er die Artillerie und die Infanterie zurückließ. Um acht Uhr, nach drei Stunden Trab, war nichts zu sehen. Es war sehr warm, der schwache Wind, der wehte, war glühend heiß, da er von Süden kam. Man marschierte fast ohne Unterbrechung seit fast neunundzwanzig Stunden. Männer und Pferde waren völlig erschöpft. Man wußte nicht einmal, ob und wann man Wasser finden werde, nach dem man ein heftiges Bedürfnis zu spüren begann. Eine geheime und noch schüchterne Stimmung von Widerstand und Unzufriedenheit lag in der Luft. […] Man traute sich nicht dem Prinzen und nicht einmal dem Oberst Yussuf einen Vorwurf zu machen, dem man gleichwohl, wenn nicht alles glatt lief, die Idee dieser unglücklichen Expedition zuschrieb.«17
4Um die Truppe zum Trinkwasser zu führen, wiesen ihnen arabische Reiter den Weg zur nächsten Quelle bei Taguin. Auf einem Hügel oberhalb der Quelle angekommen, entdeckten sie hier durch Zufall die Smala:
»Das Schauspiel war unwahrscheinlich. Stellen Sie sich in der Mitte einer leicht vertieften Ebene, in der die Wasser der Quelle des Taguin laufen und einen feinen Rasen bewässern, ein Lager vor, das sich erstreckt, so weit der Blick reicht, und das eine ganze Völkerschaft umfasst, die damit beschäftigt ist, Zelte aufzuschlagen inmitten eines Kommens und Gehens von unzähligen Herden, von Tieren aller Art: Männer, Frauen, Kinder, Pferde, Maultiere, Schafe, mit denen man eine ganze Flotte von Archen Noahs füllen könnte.«18
5Der erste Angriff wurde nicht von französischer Kavallerie geritten, sondern von Spahis unter dem Kommando von Yussuf. Der Herzog von Aumale wartete den Angriff der Spahis von seiner Position auf dem Hügel aus ab und drang dann mit der Truppe unter Schützenfeuer in die Smala ein. Abd el-Kader befand sich währenddessen mit etwa 1 500 Reitern an einem anderen Ort. Die Bewohner der Smala wurden von dem Angriff vollkommen überrascht. 500 zum Schutz der Smala abgestellte Krieger Abd el-Kaders versuchten zunächst, nach den Waffen zu greifen. Abd el-Kaders Mutter und seine Frau entkamen. Dafür wurden Familien der einflussreichsten Stammesoberhäupter gefasst. Der Überwältigung mit vielen Toten folgte die Gefangennahme von etwa 3 000 Menschen. Der Kampf dauerte lediglich anderthalb Stunden. Danach wurde geplündert. Von besonderer Bedeutung für den Herzog von Aumale waren Abd el-Kaders kostbar verzierte persönliche Waffen und seine große Sammlung islamischer Handschriften. Diese nahm der Herzog, ebenso wie das weiße Zelt des Emirs, als seine persönliche Trophäe in seinen Besitz.
6Abd el-Kader erfuhr erst drei Tage später von der Zerstörung seiner Smala. Er zog sich für längere Zeit allein zurück, um anschließend zu äußern:
»Warum sollen wir trauern und klagen? Sind nicht all jene, die wir liebten und die wir verloren haben, nun gesegnet im Paradies? […] all diese Objekte, die ich so wertschätzte, die mir so am Herzen lagen, die meinen Verstand so in Anspruch nahmen, behinderten nur meine Bewegungen und lenkten mich vom rechten Weg ab. In Zukunft soll ich nun frei sein, die Ungläubigen zu bekämpfen.«
7Seinen Khalifen schrieb er: »Wir werden nun leichter sein und unseren Krieg unter besseren Bedingungen führen.«19
Notes de fin
11 Carl von Decker, Algerien und die dortige Kriegsführung nach offiziellen und andern authentischen Quellen und auf dem Kriegsschauplatze selbst gesammelten Nachrichten bearbeitet, 2 Bde., Bd. 2, Berlin 1844, S. 35. Er bereiste Algerien im Jahr 1842.
12 Ebd., S. 17.
13 Ebd., S. 47–48.
14 Vgl. Léon Galibert, L’Algérie ancienne et moderne depuis les premiers établissements des Carthaginois jusqu’à la prise de la smalah d’Abd-el-Kader, Paris 1844, S. 543.
15 Vgl. Les spahis, cavaliers de l’armée d’Afrique, hg. von Raymond Noulens, Ausst.-Kat. Paris, Musée de l’Armée, Paris 1997, S. 22.
16 Garnier 2003 (Anm. 3), S. 39: »On savait bien que la Smala existait, mais personne ne pouvait, ne voulait ou n’osait dire où elle était. On avait espéré recueillir en route les renseignements indispensables, mais le vide se faisait devant la colonne.«
17 Ebd., S. 40: »Dès lors, le duc d’Aumale fit avancer l’armée à marches forcée, sans même s’arrêter pour la nuit. À 5 heures du matin, le duc d’Aumale fit prendre le trot à la cavalerie, laissant derrière lui artillerie et l’infanterie. À 8 heures, après trois heures de trot, rien n’apparaissait. Il faisait très chaud; le peu de vent qui soufflait, venant du sud, était embrasé. On marchait presque sans interruption depuis vingt-neuf heures. Hommes et chevaux étaient éreintés. On ne savait même pas où et quand on trouvait de l’eau, dont on commençait à sentir l’impérieux besoin. Il y avait dans l’air un sentiment secret et encore timide d’opposition et de mécontentement […]. On n’osait pas s’en prendre au prince, ni même au colonel Yussuf, à qui cependant on attribuait, quand tout ne marchait pas comme sur des roulettes, l’idée de cette malencontreuse expédition.«
18 Ebd.: »Le spectacle était invraisemblable. Imaginez, au milieu d’une plaine légèrement creusée où coulent les eaux de la source de Taguin, arrosant un fin gazon, un campement s’étendant à perte de vue et renfermant toute une population occupée à dresser les tentes, au milieu des allées et venues d’innombrables troupeaux, de bêtes de toute espèce: hommes, femmes, enfants, chevaux, mulets, moutons, de quoi remplir plusieurs escadres d’arches de Noé.«
19 Churchill 1867 (Anm. 6), S. 223: »Why should we mourn and complain? Are not all those whom we loved and have lost, now blessed in Paradise? […] all those objects which I so highly prized, which were so dear to my heart, and occupied my mind so much, only impeded my movements, and turned me aside from the right way. For the future, I shall be free to fight the infidels. […] we shall henceforth be lighter and better disposed for war.«
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